
(London) Ein heute fünfjähriges Kind hat es durch seine bloße Existenz geschafft, in Großbritannien die Abtreibungs-Diskussion neu aufbrechen zu lassen. Das Mädchen heißt Lily Burrows und kam in der 23. Schwangerschaftswoche zur Welt. Dadurch versetzte sie die Ärzte in Staunen und zertrümmert granitharte Vorstellungen.
Bei ihrer Geburt wog Lily kaum mehr als ein halbes Kilogramm. Für die Ärzte und das übrige Krankenhauspersonal war sie ein hoffnungsloser Fall. Der Mutter wurde der minimale Hoffnungsschimmer einer Überlebenschance von fünf Prozent genannt. Eine „akademische“ Höflichkeit, um die Härte eines sicher erwarteten Todes etwas abzumildern.
Doch Lily wollte nicht sterben. Nicht in den nächsten Stunden und auch nicht in den nächsten Tagen. Mit ihrem hartnäckigen Lebenswillen zertrümmerte sie Stunde um Stunde, den sicher prognostizierten Tod. Die kleine Lily demonstrierte jedoch allen, daß die das fatale Urteil „wissenschaftlicher Statistik“ nicht zu akzeptieren gedachte. Die Ärzte hatten der Mutter prophezeit, um selbst diese unerwartete Situation „wissenschaftlich“ zu erklären, mitgeteilt, daß ihre Tochter, selbst wenn sie nicht sofort sterben würde, Zeit ihres Lebens – das auf jeden Fall nur von kurzer Dauer veranschlagt wurde – auf ärztliche Hilfe angewiesen sein werde.
Lily ist heute fünf Jahre alt und Schulanfängerin

Doch die Fakten haben die ärztliche Diagnose als bloße Meinung widerlegt. Der Daily Mail veröffentlichte ein Bild von Lily. Es zeigt das Mädchen, das in einer adretten Schuluniform und netten Zöpfchen in ihrem schulterlangen Haar an der Hand ihrer Mutter durch die Straße Edinburghs spaziert. In Großbritannien gilt Schulpflicht ab dem fünften Lebensjahr.
Lily ist ein lebhaftes Kind und bei bester Gesundheit. „Wenn man Lily so aufgeregt sieht, weil sie bald zur Schule gehen darf, kann man sich kaum vorstellen, wie zerbrechlich und klein sie bei ihrer Geburt war und den Kampf, den sie bestehen mußte, um zu überleben“, so die Mutter, die gleichzeitig betont, wieviel sie den Hebammen, Ärzten und Krankenschwestern verdankt, die trotz ihrer Diagnose ihre Tochter im März 2009 nicht aufgaben, sondern sich in den ersten entscheidenden Lebenstagen verblüfft, aber intensiv um das Mädchen kümmerten.
Die Lebensgeschichte der kleinen Lily ist nur die Spitze des Eisberges zahlreicher Geschichten von Kindern, die es trotz gegenteiliger „Spezialisten“-Meinungen schaffen. In diesen Tagen erbrachte die britische Studie EPICure den Nachweis, daß im Inselreich eine wachsende Zahl von bereits in der 23. Schwangerschaftswoche geborenen Kindern überlebt.
Die Studie wird von Ngozi Elaine Edi-Osagie, der medizinischen Leiterin der Geburtsabteilung der Universitätsklinik der Central Manchester University bestätigt. Die Ärztin sagte der Sunday Times, daß die Überlebenschancen von Kindern, die zu einem so frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft zur Welt kommen, „sich sehr verbessern“. Grund dafür sei eine Kompetenzsteigerung sowohl bei den Ärzten als auch bei den Krankenpflegern.
Tötung bis 24. Schwangerschaftswoche erlaubt, da Kinder „nicht lebensfähig“ seien
Derzeit erlaubt das britische Gesetz die Tötung ungeborener Kinder durch Abtreibung bis einschließlich der 24. Schwangerschaftswoche. Begründet wird diese Frist vom Gesetzgeber damit, daß die Kinder vorher nicht selbständig lebensfähig seien. Zudem sind die Ärzte vom Gesetz auch nach Ablauf der 24. Schwangerschaftswoche nur verpflichtet, einen einzigen Wiederbelegungsversuch zu unternehmen. Der britische Gesetzgeber legt keinen Wert darauf, medizinische Ressourcen für Kleinkinder auszugeben, die als nicht oder kaum lebensfähig eingeschätzt werden.
Genau diese Einschätzung aber wird durch die Fakten widerlegt. Die jüngsten Erhebungen, nicht zuletzt die Geschichte der kleinen Lily, haben in der britischen Öffentlichkeit und Politik eine neue Diskussion über das geltende Gesetz entfacht, das als schädlich für das Lebensrecht der Ungeborenen kritisiert wird.
Im Parlament bildet sich eine parteiübergreifende Allianz, die eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes fordert. Fiona Bruce, Abgeordnete der regierenden Konservativen Partei ist bereits Vorsitzende eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses der gegen illegale Abtreibungen von Kindern mit Down Syndrom ermittelt. „Ich verstehe nicht, warum es keinen Aufschrei gibt, wenn wir es zulassen, daß lebensfähige Kinder abgetrieben werden“, so Bruce. Nun aber sollte es einen Aufschrei geben, so die Abgeordnete, denn die neuen Studien seien ein triftiger Grund, die Bestimmungen des geltenden Gesetzes zu ändern.
Neue Diskussion für Einschränkung der Abtreibung
In Großbritannien wird in immer neuen Abständen das Abtreibungsgesetz zur Diskussion gestellt. Die Debatten dazu schaffen es regelmäßig auf die Titelseiten der Tageszeitungen. Dennoch wurde das Gesetz seit 1990 nicht mehr geändert. Damals wurde die Frist, innerhalb der ein ungeborenes Kind legal getötet werden kann, von der 28. auf die 24. Schwangerschaftswoche herabgesetzt. Zwischen 2008 und 2012 diskutierte das britische Parlament zwei Änderungsanträge der Abgeordneten Nadine Dorries zur weiteren Einschränkung der Abtreibung. Im ersten Antrag hatte Dorries die Herabsetzung der Tötungsfrist auf die 20. Schwangerschaftswoche gefordert. Als er abgelehnt wurde, forderte sie mit dem zweiten Antrag zumindest eine Senkung auf die 22. Schwangerschaftswoche. Doch auch dieser Antrag wurde von einer abtreibungsfreundlichen Mehrheit abgewiesen, die sich auf einen „gesellschaftlichen Konsens“ berief, der nicht in Frage gestellt werden dürfe.
Der amtierende Premierminister David Cameron stimmte damals als Abgeordneter in beiden Fällen für die Anträge. Vielleicht ist inzwischen die Zeit reif, daß das Abtreibungsgesetz einer Revision unterzogen wird. Die kleine Lily Burrows, die bald die Schulbank drücken wird, könnte vielleicht entscheidend für einen Stimmungsumschwung sein.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Daily Mail (Screenshots)
Nun, die Umfragen zeigen, das immer noch über 70% der Briten für die Möglichkeit einer Abtreibung sind, da hat sich die Stimmung in der Bevölkerung nicht geändert.
Die Diskussion um den Zeitpunkt bis zu dem ein Abbruch stattfinden darf ist aber eine Nebelkerze, da (2004) 87% aller Abtreibungen in der 12. Woche oder früher und nur 1.6% nach der 20. Woche durchgeführt wurden.