(Rom) Unter Katholiken geht seit Beginn des derzeitigen Pontifikats das Gespenst um, Rom könnte für die Annäherung an die Mächtigen dieser Welt den Widerstand gegen die Kultur des Todes (Johannes Paul II.) und für die nicht verhandelbaren Werte (Benedikt XVI.) aufgeben. Die Reihe zweifelhafter und widersprüchlicher Signale aus Rom ist um ein Kapitel reicher.
Am 5. August berichtete der Osservatore Romano auf der Titelseite über die 17 Millenniumsziele für eine nachhaltige Entwicklung des Planeten. Eine universale politische Agenda, die demnächst von der UNO-Vollversammlung beschlossen und bis 2030 umgesetzt werden soll. Dabei handelt es sich um die Nachfolge-Agenda zu den im Jahr 2000 auf dem Millenniumsgipfel beschlossenen UN-Millenniums-Entwicklungszielen, die 2015 auslaufen. Das erste deutsche Fernsehen ARD titelte: „Einigung auf neue UN-Entwicklungsziele. Bis 2030 den Planeten retten“.
Neue Millenniumsziele für eine nachhaltige Entwicklung
Wie soll der Planet „gerettet“ werden? Neben dem Kampf gegen Armut, Hunger und Erderwärmung berichtete die Tageszeitung des Vatikans lapidar, daß zu den Zielen auch die Sicherstellung einer „guten Gesundheit“ und der „Geschlechtergleichheit“ gehört. Kein Wort der Anmerkung dazu.
Liest man den vollständigen Text des UNO-Dokuments, entdeckt man, daß Paragraph 3.7 ausdrücklich die Sicherstellung des weltweiten Zugangs zu den Dienstleistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit fordert.
„3.7 By 2030, ensure universal access to sexual and reproductive health-care services, including for family planning, information and education, and the integration of reproductive health into national strategies and programmes.“
Und im Paragraph 5.6 wird spezifiziert, daß unter „reproduktiven Rechten“ jene gemeint sind, die in Übereinstimmung mit dem Aktionsprogramm der UN-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 und der Aktionsplattform von Peking [UN-Weltfrauenkonferenz 1995] festgelegt wurden.
„5.6 Ensure universal access to sexual and reproductive health and reproductive rights as agreed in accordance with the Programme of Action of the International Conference on Population and Development and the Beijing Platform for Action and the outcome documents of their review conferences.“
Chiffrierte Sprache der UNO – die man im Vatikan genau kennt
Bei Begriffen wie „reproduktive Gesundheit“ und „reproduktive Rechte“ handelt es sich um eine chiffrierte Sprache der UNO. Eine verdeckte Sprache, von der man im Vatikan nach langjährigen Kämpfen und auch jüngsten Polemiken ganz genau weiß, was sie meint. Dennoch entschied sich der Osservatore Romano dafür, einfach darüber hinwegzusehen. Umstritten sind vor allem Aktivitäten von Kurienbischof Marcelo Sanchez Sorondo rund um die Öko-Enzyklika von Papst Franziskus. Dazu gehören ein Interview Sorondos über Weltklima und Abtreibung, die Mitgliedschaft für Neo-Malthusianer in der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften und die Suche nach Kontakten zu politischen Kräften, für die jede Diskussion über Abtreibung ein Tabu darstellt. Am 18. Juli meinte Sanchez Sorondo: „Die UNO ist nicht der Teufel“.
Für die Dechiffrierung dieser Sprache sorgte in den vergangenen Tagen sogar die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die neue Richtlinien für Akteure im Bereich der „reproduktiven Gesundheit“ veröffentlichte: WHO recommendations on health promotion interventions for maternal and newborn health 2015.
Es war nicht die Tageszeitung des Heiligen Stuhls, aber jene der Italienischen Bischofskonferenz, der Avvenire, der in seiner Ausgabe vom 8. August mit einem Artikel von Lorenzo Schoepflin klare Worte dazu fand. Bereits der Titel läßt keine Zweifel: „Abtreibung und Verhütung, die WHO erhöht den Druck“
WHO dechiffriert „reproduktive Gesundheit“ als neues UNO-Dogma
Schoepflin berichtet, daß laut WHO „im Vergleich zum tatsächlichen weltweiten Bedarf fast 13 Millionen Abtreibungsfachkräfte fehlen würden, besonders in den Entwicklungsstaaten“.
Als Gründe für einen uneingeschränkten Zugang zur Abtreibung nennt die WHO unter anderem die Gesetzgebung vieler Staaten und die Ausübung der Gewissensverweigerung durch viele Ärzte und im Gesundheitsbereich Tätige. Die WHO fordert dagegen eine Verstärkung der Ausbildung und Weiterbildung, um „den Betroffenen zu helfen, die eigenen persönlichen Überzeugungen zu überwinden, mit dem Zweck, dennoch Abtreibung und Verhütung als garantierte Minimaldienste sicherzustellen“.
Die Gewissensgründe von Abtreibungsgegnern, die nicht an der Tötung ungeborener Kinder mitwirken wollen, werden von der WHO nicht respektiert. Der Wunsch ein Kind zu töten, hat für die UNO-Organisation Vorrang. Wer sich aus Gewissensgründen verweigert, müsse bereits während des Studiums oder anschließend in der Weiterbildung umerzogen werden.
Schoepflin schreibt dazu: „Die Richtlinien der WHO sind durchdrungen von jedem nur denkbaren Detail zu allem, was den Bereich der ‚reproduktiven Gesundheit‘ betrifft, die für die UNO inzwischen zum Dogma geworden ist: von der chirurgischen Abtreibung und der Pille RU-486 bis zur Behandlung von Infektionen und Blutungen durch Abtreibungen, vom Gebrauch der Spirale bis zum Abschnüren der Eierstöcke und dem Gebrauch von injizierbaren Verhütungsmitteln. Für jeden dieser Eingriffe wird die Notwendigkeit einer Einbindung von geschultem medizinischem Personal definiert. Die Richtlinien sind auch für die Gesetzgeber bestimmt, die sich dafür einsetzen sollten, die WHO-Empfehlungen in nationales Recht umzusetzen, vor allem in jenen Staaten, in denen der Weg zur Abtreibung nicht geebnet ist, wie es die UNO wünscht“.
Radio Vatikan unkritisch
Die italienische Redaktion von Radio Vatikan berichtete am selben Tag wie der Avvenire über die neuen UNO-Millenniumsziele: „Entwicklung und Umwelt. Die neuen Verbindlichkeiten der UNO innerhalb 2030“. Die Berichterstattung des Vatikanradios blieb unkritisch. Es wurde nur über Armut und Umwelt berichtet. Daß mit den „neuen Verbindlichkeiten innerhalb 2030 “ auch die „Kultur des Todes“ weltweit durchgesetzt werden soll, blieb unerwähnt.
Die Deutsche Sektion von Radio Vatikan veröffentlichte bereits am 19. Juli zum Thema ein Interview mit dem Ständigen Beobachter des Heiligens Stuhls bei der UNO in New York, Titularerzbischof Bernardito Auza. Die Stichworte lauteten: „faire Wirtschaft“, „nachhaltige Wirtschaft“, Armuts- und Hungerbekämpfung, „brüderlicher-internationaler wirtschaftlicher Wettbewerb“. Kein Wort zur Abtreibungs- und Verhütungsagenda der UNO.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: InfoVaticana/Osservatore Romano/Radio Vatikan (Screenshots)