Papst Leo XIV. feierte mit den päpstlichen Universitäten das Heilige Jahr

Über den Horizont hinausgehen


Heiligjahr-Feier der päpstlichen Universitäten im Petersdom
Heiligjahr-Feier der päpstlichen Universitäten im Petersdom

Gestern, dem 27. Okto­ber 2025, fei­er­te Papst Leo XIV. im Rah­men des Hei­li­gen Jah­res im Peters­dom eine Mes­se mit den Stu­den­ten der päpst­li­chen Uni­ver­si­tä­ten Roms. In sei­ner Pre­digt rief er dazu auf, Glau­be und Stu­di­um als inne­re Pil­ger­rei­se zu ver­ste­hen, da das Leben nur im stän­di­gen Auf­bruch und in öster­li­cher Erneue­rung wirk­lich leben­dig sei.

Anzei­ge

Aus­ge­hend vom Evan­ge­li­um von der gebeug­ten Frau (Lk 13,10–17) sprach der Papst über die Gefahr, in sich selbst ver­schlos­sen zu blei­ben, und deu­te­te die Hei­lung durch Chri­stus als Bild der gei­sti­gen und geist­li­chen Befrei­ung. Wer Chri­stus begeg­ne, erhal­te eine neue, geheil­te Sicht auf das Leben und öff­ne sich für Wahr­heit und Hoffnung.

Leo XIV. ermu­tig­te die Stu­den­ten und den Lehr­kör­per, Ver­nunft und Glau­ben, Wis­sen­schaft und Spi­ri­tua­li­tät mit­ein­an­der zu ver­bin­den. Er ver­wies auf Hei­li­ge wie Augu­sti­nus, Tho­mas von Aquin, Tere­sa von Ávila und Edith Stein als Vor­bil­der einer sol­chen Ein­heit. Stu­di­um und For­schung sei­en, so der Papst, Akten der Lie­be, weil sie der Suche nach Wahr­heit und Sinn dienten.

Zum Abschluß for­der­te er die aka­de­mi­sche Gemein­schaft auf, auf­recht und hoff­nungs­voll zu leben, sich nicht in sich selbst zu ver­schlie­ßen und die Freu­de des Evan­ge­li­ums in die Welt zu tragen.

Zugleich unter­zeich­ne­te er im Peters­dom das Apo­sto­li­sche Schrei­ben „Disegna­re nuo­ve map­pe di spe­ran­za“ [„Neue Lan­kar­ten der Hoff­nung zeich­nen“] über die Bil­dung, das heu­te, Diens­tag, vom Hei­li­gen Stuhl ver­öf­fent­licht wer­den wird. Das Schrei­ben soll an den 60. Jah­res­tag der Erklä­rung Gra­vi­s­si­mum edu­ca­tio­nis des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils erin­nern und die Her­aus­for­de­run­gen der Bil­dung in der heu­ti­gen Zeit beleuchten.

Welt­weit gibt es rund 75 Uni­ver­si­tä­ten und Hoch­schu­len, die kir­chen­recht­lich das Pri­vi­leg haben, den Titel einer „päpst­li­chen Uni­ver­si­tät“ füh­ren zu dürfen.

Papst Fran­zis­kus unter­zeich­ne­te am spä­ten Mon­tag nach­mit­tag ein Apo­sto­li­sches Schrei­ben über die Bildung.

Hier die voll­stän­di­ge Anspra­che von Leo XIV.

PREDIGT VON PAPST LEO XIV.

HEILIGE MESSE MIT DEN STUDENTEN DER PÄPSTLICHEN UNIVERSITÄTEN

Peters­dom
Mon­tag, 27. Okto­ber 2025

Lie­be Brü­der und lie­be Schwestern!

Sich wäh­rend des Jubel­jahrs an die­sem Ort zu befin­den, ist ein Geschenk, das wir nicht als selbst­ver­ständ­lich betrach­ten dür­fen. Vor allem des­halb, weil uns die Wall­fahrt beim Durch­schrei­ten der Hei­li­ge Pfor­te dar­an erin­nert, dass das Leben nur dann leben­dig ist, wenn es auf dem Weg ist, wenn es „Über­gän­ge” voll­zie­hen kann, das heißt, wenn es fähig ist, Ostern zu feiern.

Es ist schön, an die Kir­che zu den­ken, die in die­sen Mona­ten, in denen sie das Hei­li­ge Jahr fei­ert, die­ses Unter­wegs­sein erlebt und sich dar­an erin­nert, dass sie stän­dig der Bekeh­rung bedarf, dass sie immer ohne zu zögern und ohne die Ver­su­chung, ihn zu über­ho­len, Jesus nach­fol­gen muss, dass sie immer das Oster­fest braucht, d. h. den „Über­gang” von der Knecht­schaft zur Frei­heit, vom Tod zum Leben. Ich hof­fe, dass jeder von euch die Gabe die­ser Hoff­nung in sich spürt und dass das Jubel­jahr eine Gele­gen­heit ist, durch die euer Leben einen Neu­auf­bruch erfah­ren kann.

Heu­te möch­te ich mich jedoch an euch wen­den, die ihr Teil der uni­ver­si­tä­ren Ein­rich­tun­gen seid, und an all jene, die sich in unter­schied­li­cher Wei­se dem Stu­di­um, der Leh­re und der For­schung wid­men. Wel­che Gna­de kann das Leben eines Stu­den­ten, eines For­schers, eines Gelehr­ten berüh­ren? Ich möch­te die­se Fra­ge ger­ne so beant­wor­ten: die Gna­de einer Zusam­men­schau, eines Blicks, der fähig ist, den Hori­zont wahr­zu­neh­men und dar­über hinauszugehen.

Einen sol­chen Ein­druck kön­nen wir gera­de aus der soeben ver­kün­de­ten Sei­te des Evan­ge­li­ums (Lk 13,10–17) gewin­nen, die uns das Bild einer ver­krümm­ten Frau vor­stellt, die, von Jesus geheilt, end­lich die Gna­de eines neu­en, wei­ter gefass­ten Blicks emp­fan­gen kann. Der Zustand der Unwis­sen­heit, der oft mit Ver­schlos­sen­heit und einem Man­gel an geist­li­cher und intel­lek­tu­el­ler Unru­he ver­bun­den ist, ähnelt dem Zustand die­ser Frau: Sie ist ganz ver­krümmt, in sich selbst zurück­ge­zo­gen, wes­halb es ihr unmög­lich ist, über sich selbst hin­aus­zu­schau­en. Wenn der Mensch unfä­hig ist, über sich selbst, sei­ne eige­nen Erfah­run­gen, Ideen und Über­zeu­gun­gen, sei­ne eige­nen Plä­ne hin­aus­zu­blicken, bleibt er gefan­gen, bleibt er ein Skla­ve, unfä­hig, sich ein eige­nes Urteil zu bilden.

Wie bei der gebeug­ten Frau im Evan­ge­li­um besteht immer die Gefahr, dass wir Gefan­ge­ne eines auf uns selbst gerich­te­ten Blicks blei­ben. In Wirk­lich­keit jedoch geben wir uns vie­le Din­ge, die im Leben von Bedeu­tung sind – wir kön­nen sagen, die grund­le­gen­den Din­ge –, nicht selbst; wir erhal­ten sie von ande­ren, sie kom­men zu uns und wir neh­men sie von Leh­rern, Begeg­nun­gen und Lebens­er­fah­run­gen an. Und das ist eine Erfah­rung der Gna­de, denn sie heilt uns von unse­rem Rück­zug auf uns selbst. Es han­delt sich um eine ech­te Hei­lung, die uns, genau wie der Frau im Evan­ge­li­um, ermög­licht, wie­der auf­recht vor den Din­gen und dem Leben zu ste­hen und sie in einem grö­ße­ren Hori­zont zu betrach­ten. Die­se geheil­te Frau erhält die Hoff­nung, weil sie end­lich auf­blicken und etwas ande­res sehen kann, weil sie auf neue Wei­se sehen kann. Das geschieht ins­be­son­de­re, wenn wir Chri­stus in unse­rem Leben begeg­nen: Wir öff­nen uns einer Wahr­heit, die unser Leben ver­än­dern kann, die uns von uns selbst ablenkt und uns aus dem Rück­zug auf uns selbst her­aus­tre­ten lässt.

Wer stu­diert, erhebt sich, erwei­tert sei­nen Hori­zont und sei­ne Per­spek­ti­ven, um einen Blick wie­der­zu­ge­win­nen, der nicht nur nach unten gerich­tet ist, son­dern auch nach oben schau­en kann: zu Gott, zu den ande­ren, zum Geheim­nis des Lebens. Das ist die Gna­de des Stu­den­ten, des For­schers, des Gelehr­ten: einen wei­ten Blick zu erhal­ten, der weit reicht, der die The­men nicht ver­ein­facht, der kei­ne Angst vor Fra­gen hat, der die intel­lek­tu­el­le Träg­heit über­win­det und damit auch die gei­sti­ge Atro­phie besiegt.

Erin­nern wir uns immer: die Spi­ri­tua­li­tät braucht die­sen Blick, zu dem das Stu­di­um der Theo­lo­gie, der Phi­lo­so­phie und ande­rer Dis­zi­pli­nen in beson­de­rer Wei­se bei­tra­gen. Heu­te sind wir zu Exper­ten für unend­lich klei­ne Details der Wirk­lich­keit gewor­den, aber wir sind unfä­hig, erneut einen Über­blick über das Gan­ze zu gewin­nen, eine Sicht­wei­se, die die Din­ge durch eine grö­ße­re und tie­fe­re Bedeu­tung zusam­men­hält; die christ­li­che Erfah­rung hin­ge­gen will uns leh­ren, das Leben und die Rea­li­tät mit einem ein­heit­li­chen Blick zu betrach­ten, der alles umfasst und jede par­ti­el­le Logik ablehnt.

Ich ermu­ti­ge euch daher – ich sage dies zu euch Stu­den­ten und allen, die sich in For­schung und Leh­re enga­gie­ren –, nicht zu ver­ges­sen, dass die Kir­che von heu­te und mor­gen die­se ein­heit­li­che Zusam­men­schau braucht. Wenn wir auf das Bei­spiel von Män­nern und Frau­en wie Augu­sti­nus, Tho­mas von Aquin, Tere­sa von Ávila, Edith Stein und vie­len ande­ren blicken, die es ver­stan­den haben, die For­schung in ihr Leben und ihren geist­li­chen Weg zu inte­grie­ren, sind auch wir auf­ge­ru­fen, die intel­lek­tu­el­le Arbeit und die Suche nach der Wahr­heit fort­zu­set­zen, ohne sie vom Leben zu tren­nen. Es ist wich­tig, die­se Ein­heit zu pfle­gen, damit das, was in den Hör­sä­len der Uni­ver­si­tät und in den Bil­dungs­ein­rich­tun­gen aller Art und aller Stu­fen geschieht, nicht eine abstrak­te intel­lek­tu­el­le Übung bleibt, son­dern zu einer Wirk­lich­keit wird, die das Leben ver­än­dern kann, die uns unse­re Bezie­hung zu Chri­stus ver­tie­fen lässt, die uns das Geheim­nis der Kir­che bes­ser ver­ste­hen lässt und uns zu muti­gen Zeu­gen des Evan­ge­li­ums in der Gesell­schaft macht.

Lie­be Freun­de, mit dem Stu­di­um, der For­schung und der Leh­re ist eine wich­ti­ge erzie­he­ri­sche Auf­ga­be ver­bun­den, und ich möch­te die Uni­ver­si­tä­ten dazu auf­for­dern, die­se Beru­fung mit Lei­den­schaft und Enga­ge­ment anzu­neh­men. Erzie­hen ähnelt dem Wun­der, von dem in die­sem Evan­ge­li­um berich­tet wird, denn die Geste des Erzie­hen­den besteht dar­in, den ande­ren auf­zu­rich­ten, ihn wie­der auf die Bei­ne zu stel­len, wie Jesus es mit die­ser gebeug­ten Frau tut, ihm zu hel­fen, er selbst zu sein und ein eigen­stän­di­ges Gewis­sen und kri­ti­sches Den­ken zu ent­wickeln. Die Päpst­li­chen Uni­ver­si­tä­ten müs­sen die­se Geste Jesu fort­set­zen kön­nen. Es han­delt sich um einen ech­ten Akt der Lie­be, denn es gibt eine Näch­sten­lie­be, die gera­de durch das Alpha­bet des Stu­di­ums, des Wis­sens, der auf­rich­ti­gen Suche nach dem, was wahr ist und wofür es sich zu leben lohnt, ver­mit­telt wird. Den Hun­ger nach Wahr­heit und Sinn zu stil­len, ist eine not­wen­di­ge Auf­ga­be, denn ohne Wahr­heit und authen­ti­schen Sinn­ge­halt kann man in die Lee­re gera­ten und sogar sterben.

Auf die­sem Weg kann jeder auch das größ­te Geschenk von allen wie­der­fin­den: zu wis­sen, dass man nicht allein ist und zu jeman­dem gehört, wie der Apo­stel Pau­lus sagt: »Denn die sich vom Geist Got­tes lei­ten las­sen, sind Kin­der Got­tes. Denn ihr habt nicht einen Geist der Knecht­schaft emp­fan­gen, sodass ihr immer noch Furcht haben müss­tet, son­dern ihr habt den Geist der Kind­schaft emp­fan­gen, in dem wir rufen: Abba, Vater!« (Röm 8,14–15). Was wir auf der Suche nach der Wahr­heit und beim Stu­di­um erhal­ten, hilft uns daher zu ent­decken, dass wir kei­ne zufäl­lig in die Welt gewor­fe­nen Geschöp­fe sind, son­dern zu jeman­dem gehö­ren, der uns liebt und einen Plan der Lie­be für unser Leben hat.

Lie­be Brü­der und lie­be Schwe­stern, ich bit­te gemein­sam mit euch den Herrn, dass die Erfah­rung, die ihr wäh­rend eures Stu­di­ums und eurer For­schung an der Uni­ver­si­tät erlebt, euch zu die­sem neu­en Blick ver­hel­fen möge; dass eure aka­de­mi­sche Lauf­bahn euch dabei unter­stützt, die Grün­de für die Hoff­nung, die in uns ist (vgl. 1 Petr 3,15), zu benen­nen, wei­ter­zu­ge­ben, zu ver­tie­fen und zu ver­kün­den; dass die Uni­ver­si­tät euch zu Frau­en und Män­nern erzieht, die nie­mals in sich selbst ver­krümmt sind, son­dern immer auf­recht ste­hen und fähig sind, an die Orte, an die ihr geht, die Freu­de und den Trost des Evan­ge­li­ums zu brin­gen und zu leben.

Die Jung­frau Maria, Sitz der Weis­heit, möge euch beglei­ten und für euch eintreten.

Ein­lei­tung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va (Screen­shots)

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