Widerstand gegen den sanften Totalitarismus

Die Lektion von Rod Dreher


Rod Dreher über den "Widerstand der Christen".
Rod Dreher über den "Widerstand der Christen".

Der ame­ri­ka­ni­sche Schrift­stel­ler Rod Dre­her stell­te in Mai­land auf Ein­la­dung des Wochen­ma­ga­zins Tem­pi und der De-Gas­pe­ri-Stif­tung die unter dem Titel „Der Wider­stand der Chri­sten. Ein Hand­buch für christ­li­che Dis­si­den­ten“ erschie­ne­ne ita­lie­ni­sche Aus­ga­be sei­nes Buches „Live Not by Lies: A Manu­al for Chri­sti­an Dis­si­dents (Sen­ti­nel, New York 2020) vor. Er zeich­net dar­in eine düste­re Zukunft für den Westen, der von einer Woke-Ideo­lo­gie (Stich­wör­ter: Black Lives Mat­ter, LGBT) und der Unter­drückung der Mei­nungs­frei­heit geprägt ist. Als Ant­wort dar­auf macht er sich den ent­schei­den­den Appell von Sol­sche­ni­zyn zu eigen.

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Dre­hers Buch wur­de in den USA bereits hun­dert­tau­send­fach ver­kauft und sorgt wei­ter­hin für Dis­kus­sio­nen. Der Autor von „Die Bene­dikt-Opti­on: Eine Stra­te­gie für Chri­sten in einer nach­christ­li­chen Gesell­schaft“ (2017) erhebt eine sehr star­ke und pes­si­mi­sti­sche Ankla­ge gegen das, was er „sanf­ten Tota­li­ta­ris­mus“ nennt, der in den USA und den angel­säch­si­schen Län­dern all­ge­mein die Gesell­schaft, die Bezie­hun­gen zwi­schen den Men­schen, die Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten, die wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen und den Umgang mit der Macht prägt. Es ist ein Tota­li­ta­ris­mus, der mit einem gleich­ge­schal­te­ten Den­ken und poli­ti­scher Kor­rekt­heit ope­riert, und der sich, so Dre­hers aus­führ­lich begrün­de­te The­se, nicht sehr von den Tota­li­ta­ris­men unter­schei­det, die das 20. Jahr­hun­dert geschän­det haben. Nicht wegen der Gulags und der Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger, auch nicht wegen der Schlan­gen vor Lebens­mit­tel­ge­schäf­ten oder der Geheim­po­li­zei, son­dern wegen der Fol­gen für die Frei­heit der Menschen.

In den Schrif­ten Dre­hers fin­det sich viel mehr als eine Kri­tik an der Gegen­warts­kul­tur und an unse­rer Gesell­schaft. An Kri­ti­kern man­gelt es heu­te objek­tiv gese­hen nicht: Es gibt Kri­ti­ker der Glo­ba­li­sie­rung, Kri­ti­ker des Nihi­lis­mus, Kri­ti­ker der Post­mo­der­ne, Kri­ti­ker der trans­hu­ma­ni­sti­schen Per­spek­ti­ve… Es gibt Zei­tun­gen, Kul­tur­zen­tren, Ver­la­ge, die die­se Kri­tik auf­grei­fen. Was aber rar ist, aber drin­gend gebraucht wird, sind Per­so­nen, die nicht bei der Ana­ly­se des Ist-Zustan­des ste­hen­blei­ben, son­dern kon­kre­te Wege auf­zei­gen, um zu bewah­ren oder wie­der­her­zu­stel­len, was das Mensch­sein ausmacht.

Woke-Amerika und der ehemalige Sowjetblock

In sei­ner Ana­ly­se der gegen­wär­ti­gen Situa­ti­on ist Dre­her von mes­ser­schar­fer Klarheit. 

Ori­gi­nal­aus­ga­be

„Vor eini­gen Jah­ren habe ich begon­nen, mit Men­schen zu spre­chen, die aus den Län­dern des ehe­ma­li­gen Ost­blocks in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten aus­ge­wan­dert und dem Kom­mu­nis­mus ent­kom­men waren. Sie sagen mir, daß Din­ge, die sie im Woke-Ame­ri­ka erle­ben, sie an vie­le Aspek­te der Gesell­schaf­ten erin­nern, aus denen sie geflo­hen sind: Men­schen, die Angst haben, ihren Job zu ver­lie­ren, wenn sie sagen, was sie über bestimm­te The­men den­ken; Bücher, die zen­siert wer­den, weil sie nicht mit einer bestimm­ten Art des vor­herr­schen­den Den­kens über­ein­stim­men; Medi­en und Unter­hal­tungs­in­du­strie, die immer stär­ker in der Woke-Pro­pa­gan­da aktiv werden.“

Wenn es stimmt, daß eine auto­ri­tä­re Gesell­schaft durch die Mono­po­li­sie­rung der Macht durch eine ein­zi­ge Par­tei, durch die Poli­ti­sie­rung aller Lebens­be­rei­che und durch den ver­lang­ten Gehor­sam aller durch die Macht gekenn­zeich­net ist, so erle­ben wir laut Dre­her in den USA „den Beginn des­sen, was ich als sanf­ten Tota­li­ta­ris­mus bezeich­ne, wo Dis­si­den­ten nicht bru­tal bestraft und ein­ge­sperrt wer­den und die vor­herr­schen­de Ideo­lo­gie vom Mit­leid mit Opfern moti­viert ist“.

In gro­ßen Unter­neh­men, an Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten, in Zei­tun­gen wer­den abwei­chen­de Mei­nun­gen, z. B. zur Homo-Pro­pa­gan­da und zu anti­ras­si­sti­schen Kam­pa­gnen, immer weni­ger toleriert.

„Es begann an den Uni­ver­si­tä­ten, ver­brei­te­te sich über die Medi­en und kon­trol­liert heu­te die gro­ßen Unter­neh­men, das Recht, die Medi­zin, den Sport, Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen und sogar eini­ge Kirchen.“

Es han­delt sich um eine neue Reli­gi­on, die in der indi­vi­dua­li­sti­schen west­li­chen Gesell­schaft, die den Glau­ben an Insti­tu­tio­nen und Hier­ar­chien ver­lo­ren hat, Wur­zeln geschla­gen hat und die, so Dre­her, dank der All­ge­gen­wär­tig­keit der Tech­no­lo­gie in unse­rem Leben, zu dem zu dege­ne­rie­ren droht, was in der kom­mu­ni­sti­schen Volks­re­pu­blik Chi­na mit dem Sozi­al­kre­dit-System bereits geschieht.

Die Antwort auf die autoritären Bestrebungen

„Wer die Gen­der-Ideo­lo­gie, den Anti­ras­sis­mus und ande­re Woke-Dog­men kri­ti­siert, wird in der Gesell­schaft ausgegrenzt.“ 

Dre­hers har­te Ana­ly­se hat einen Lösungs­vor­schlag, der dem eng­li­schen Ori­gi­nal­ti­tel sei­nes Buches ent­spricht: Leben ohne Lügen. Das Zitat stammt aus Alex­an­der Sol­sche­ni­zyns (1918–2008) berühm­ter Rede und dient Dre­her dazu, einen Weg des Wider­stands auf­zu­zei­gen, für Chri­sten und Nicht­chri­sten glei­cher­ma­ßen, in einer Welt, die sich auf einem Weg befin­det, an des­sen Ende man nicht gleich­ge­schal­te­te Men­schen ver­fol­gen wird. Eine Welt, so Dre­her, in der „der bür­ger­li­che Glau­be von uns West­lern nicht aus­rei­chen wird, um uns zu retten“.

Sowohl in den USA als auch im gan­zen heu­ti­gen Westen geht es bei den Woke-Bestre­bun­gen um die Wie­der­be­le­bung jener schon viel­fach geschei­ter­ten Uto­pie, den „neu­en Men­schen zu schaf­fen“, eine Uto­pie, deren Weg durch die Geschich­te von Mil­lio­nen von Toten gesäumt ist. Chri­sten wis­sen, daß nur Gott allein den neu­en Men­schen schaf­fen kann. 

Der ent­schei­den­de Punkt in der der­zei­ti­gen Ent­wick­lung ist, daß „der aktu­el­le poli­ti­sche Hori­zont zutiefst kol­lek­ti­vi­stisch ist. Die Dyna­mik der poli­ti­schen Zuge­hö­rig­keit fällt heu­te mit einer Mas­sen­op­fer­rol­le zusam­men“. Jeder scheint einer bestimm­ten Kate­go­rie von „Opfern“ anzu­ge­hö­ren und davon einen Anspruch auf Ent­schä­di­gung abzu­lei­ten, doch nicht etwa für ein per­sön­lich erlit­te­nes Unrecht, son­dern für ein Unrecht, das die Grup­pe irgend­wann erlit­ten hat, der wir ange­hö­ren“. Dabei sei anzu­er­ken­nen, daß es tat­säch­lich Per­so­nen und Grup­pen gibt, die Unrecht erlit­ten haben. Die Opfer­hal­tung sei jedoch zur Iden­ti­täts­fra­ge dege­ne­riert. Das gehe weit über die stets gege­be­ne Not­wen­dig­keit hin­aus, auf „die Grün­de der ande­ren zu hören“.

Die Verantwortung der Intellektuellen

In einem eige­nen Kapi­tel über die sozia­len Netz­wer­ke pran­gert Dre­her „ein Pro­blem der ideo­lo­gi­schen Homo­lo­gi­sie­rung der herr­schen­den Klas­sen“ an. Das größ­te Pro­blem sei, wie sozia­le Netz­wer­ke durch ihre eige­ne Dyna­mik den öffent­li­chen Dis­kurs beein­flus­sen. Das Pro­blem liegt in der Natur der Kul­tur­kämp­fe, wes­halb Dre­her die Fra­ge nach der Ver­ant­wor­tung der Intel­lek­tu­el­len auf­wirft, die nie genug betont wer­den kön­ne. Auf den Sei­ten, die er den Social justi­ce war­ri­ors (Krie­gern für die sozia­le Gerech­tig­keit) wid­met, warnt Dre­her davor, daß „sich in den intel­lek­tu­el­len Schich­ten zuneh­mend die Über­zeu­gung breit­macht, daß die Spra­che die Rea­li­tät des Men­schen formt“.

„Die Exi­stenz des Systems hängt von der Angst der Men­schen ab, sich sol­chen Lügen zu wider­set­zen. Aber akti­ver Wider­stand ist kost­spie­lig, in man­chen Fäl­len kann er sogar das Leben kosten. Sol­sche­ni­zyn, der sich des­sen wohl bewußt war und wuß­te, daß Mut ein knap­pes Gut im mensch­li­chen Her­zen ist, for­der­te daher beschei­de­ner, aber wir­kungs­vol­ler auf: ‚Unser Weg ist: Nie­mals die Lüge bewußt unter­stüt­zen!‘ Das war eine per­sön­li­che Einladung.“

Die­se per­sön­li­che Ein­la­dung spricht Dre­her nun gegen­über sei­nen Lesern aus.

Das Leiden akzeptieren

Ohne die Akzep­tanz des Lei­dens, so Dre­her, sei es jedoch unmög­lich, auszuhalten:

„Ein Opti­mist glaubt, daß sich die Din­ge zum Guten wen­den wer­den, und er irrt sich. Ein Christ hofft, daß sich die Din­ge zum Guten wen­den, aber er weiß, wenn dem nicht so sein soll­te, daß sein Lei­den ein Instru­ment zur Erlö­sung der Welt in den Hän­den Got­tes sein wird.“

Wenn man ihn für einen über­trie­be­nen Panik­ma­cher hal­te, so Dre­her, hof­fe er, daß man damit recht haben wird. Er sel­ber mache sich lie­ber ein ande­res Wort von Sol­sche­ni­zyn zu eigen: Wenn man den­ke, daß „die­se Din­ge hier nicht pas­sie­ren kön­nen“, sol­le man wis­sen, daß „all das Böse des zwan­zig­sten Jahr­hun­derts über­all mög­lich ist“. „Die Ent­schei­dung, wie wir Wider­stand lei­sten, kommt uns zu“, so Dreher.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wiki­com­mons

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