(Rom) Aldo Moro, der ehemalige italienische Ministerpräsident, wurde 1978 von einem Kommando der kommunistischen Terrororganisation Rote Brigaden(BR) ermordet. Seine Familie hat sich nun mit einem ungewöhnlichen Wunsch an Papst Franziskus gewandt. Die Familie möchte, daß das Seligsprechungsverfahren blockiert wird.
Der aus Apulien stammende Aldo Moro (1916–1978) gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg zu den Gründern der Democrazia Cristiana (DC), der Partei der italienischen Christdemokraten. Moro war ein Vertreter des linken Parteiflügels, der eine Zusammenarbeit mit den beiden marxistischen Parteien des Landes, der kleineren Sozialistischen Partei (PSI), aber auch der sehr starken, auf Moskau ausgerichteten Kommunistischen Partei (PCI), anstrebte. Moro gehörte 1946 bereits der Verfassungsgebenden Versammlung an und war dann bis zu seiner Ermordung Parlamentsabgeordneter. 1955 wurde er als Justizminister erstmals in die Regierung berufen, 1959 zum Parteivorsitzenden gewählt (bis 1964) und 1963 erstmals Ministerpräsident (bis 1968). Er wurde dann Außenminister, Vorsitzender des Europarats, 1974 ein zweites Mal Ministerpräsident (bis 1976) und anschließend Präsident der Christdemokraten.
Der Jurist, dessen Familie sich vom Faschismus ferngehalten hatte, war seit früher Jugend in katholischen Organisationen aktiv, ab 1935 vor allem im Bund der katholischen Studenten FUCI. Auf Empfehlung des späteren Papstes Paul VI. wurde er 1939 zum Vorsitzender der FUCI ernannt. Giovanni Battista Montini und Moro waren in diesem Jahr zu Freunden geworden. Eine Freundschaft, die ein Leben lang andauern sollte. Moro blieb FUCI-Vorsitzender bis zu seiner Einberufung zum Kriegsdienst 1942, den er als Offizier mit Verwaltungsaufgaben in Italien ableisten konnte. Sein Nachfolger als FUCI-Vorsitzender wurde Giulio Andreotti, der später selbst für die Christdemokraten mehrfach Ministerpräsident und Außenminister werden sollte und – obwohl selbst kein Vertreter der Parteilinken – Moros Öffnung nach links unterstützte.
Bald nach seiner Promotion erhielt er ab 1940 Lehraufträge an verschiedenen Universitäten in Rechtsphilosophie und anderen Fächern, bis er 1951 auf einen Lehrstuhl für Strafrecht berufen wurde.
Gleich bei Kriegsende unternahm er die ersten politischen Schritte an der Seite von Giuseppe Dossetti. Dossetti, damals noch nicht Priester, war in Italien der „Vater“ des politischen Linkskatholizismus. Die Anhänger der „Linken DC“ wurden deshalb Dossettianer genannt. Dossetti sollte im Zusammenhang mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der sogenannten Schule von Bologna noch eine wenig rühmliche Rolle spielen.
Als Parteivorsitzender setzte Moro Anfang der 60er Jahre die Öffnung gegenüber der Sozialistischen Partei (PSI) durch, die sich nach dem Krieg noch im Sinne der Volkfront mit den Kommunisten verbündet hatten. Dadurch wurden erstmals Mitte-links-Regierungen möglich.
Während seiner zweiten Periode als Ministerpräsident, 1974–1976, begann Moro auch den Dialog mit den Kommunisten. Diese Annäherung wurde als „Historischer Kompromiß“ bekannt. Die Christdemokraten selbst sprachen von der „Dritten Phase“ (die „Zweite Phase“ war die Öffnung gegenüber den Sozialisten) und die Kommunisten von der „Demokratischen Alternative“. Der linke Flügel der Christdemokraten, gegenüber dem Kapitalismus sehr skeptisch, suchte einen Weg, trotz der Studentenproteste von 1968, der „Strategie der Spannung“, die seit 1969 eine blutige Spur durchs Land zog, und trotz der größten Wirtschaftskrise seit Kriegsende, für die Christdemokraten die führende Stellung zu behaupten und innerhalb dieser entscheidendes Gewicht zu bekommen. Die Kommunisten fürchteten umgekehrt, daß ihr Schicksal – selbst einem Wahlsieg – das von Salvador Allende sein könnte. Vor diesem Hintergrund waren die 70er Jahre von einer schrittweisen, von Moro auf christdemokratischer und von Enrico Berlinguer auf kommunistischer Seite gelenkten Annäherung.
Nicht alle waren von dieser Annäherung begeistert. Als die Kommunisten 1976 erstmals von außen eine Mitte-links-Regierung unter DC-Führung duldeten, kam es im PCI zum Aufstand des radikalen Flügels, der den neuen Kurs boykottierte. Zur kompromißlosen Linken gehörte auch die kommunistische Terrororganisation Rote Brigaden, das italienische Pendant zur Roten Armee Fraktion (RAF) in der Bundesrepublik Deutschland.
Am 16. März 1978 wurde Aldo Moro von einem Kommando der Roten Brigaden entführt. Dabei wurden die fünf Polizisten, die seinen Personenschutz garantierten sollten, gnadenlos ermordet. Die unmittelbare Folge war, daß der PCI die Duldung einer neuen DC-geführten Regierung, die sich an jenem Tag im Parlament der Vertrauensfrage stellte, zurücknahm und diese damit zu Fall brachte. Durch diesen Schritt und ohne Moro, dem wichtigsten Kopf der Annährerung war der „Historische Kompromiß“ Geschichte. 1980 faßten die Christdemokraten auf ihrem Parteitag formal einen Beschluß, der Bündnisse mit den Kommunisten ausschloß. Die Gruppen, die an der weiteren Linksöffnung festhalten wollten, geführt unter anderem von Giulio Andreotti, waren ohne Moro mit 43 Prozent unterlegen.
55 Tage wurde Aldo Moro von den Linksterroristen als Geisel gehalten, bevor sie ihn am 9. Mai mit 12 Kugeln hinrichteten. Das Auto mit der Leiche im Kofferraum ließen die Terroristen symbolisch genau zwischen den Parteisitzen von Christdemokraten und Kommunisten auffinden. Andreotti, zu jener Zeit Ministerpräsident, vertrat eine „harte Linie“ gegenüber den Entführern, besonders auch wegen der brutalen Ermordung der fünf Polizisten.
Papst Paul VI. hatte sich selbst den Terroristen als Ersatz angeboten, um die Freilassung seines Freundes zu erreichen. Von dessen Entführung und Ermordung sollte dich der Papst nicht mehr erholen. Im Sommer desselben Jahres verstarb er. Die beiden Freunde, der Papst und der Politiker, die das Schicksal Nachkriegsitaliens maßgeblich gestaltet hatten, starben im selben Jahr.
Am 30. Jahrestag seiner Entführung gab der Bischof von Caserta die Eröffnung eines Seligsprechungsverfahrens für Aldo Moro bekannt. Vier Jahre später, 2012, wurde das Verfahren in Rom aufgenommen und Moro zum „Diener Gottes“ erklärt.
Fida Maria Moro, eine Tochter von Aldo Moro, der mit seiner Frau fünf Kinder hatte, ersuchte nun in einem persönlichen Brief an Papst Franziskus, das Seligsprechungsverfahren auszusetzen. Als Grund nannte sie, „undurchsichtige Machenschaften zur Ersetzung des derzeitigen Postulators“.
Dieser bestätigte den Wunsch. Wer hinter den „Machenschaften“ stecke, wollte er nicht sagen, nur soviel: Es handle sich um Politiker, „die Moro für ihre persönlichen Zwecke ausnützen wollen“.
Die Familie wünscht, daß das Verfahren „in einem Klima von Frieden und Ruhe“ erfolge. Das sei derzeit nicht gewährleistet, weshalb der Prozeß „blockiert“ werden solle, um ihn gegebenenfalls unter „günstigeren Voraussetzungen“ wiederaufzunehmen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
Wer will schon von dieser Kirche selig gesprochen werden?
Gruselig