
(Washington) Mit 348 gegen 77 Stimmen und mit 97 gegen 1 Stimme annullierten das Repräsentantenhaus und der Senat der USA das Veto von US-Präsident Barack Obama. Die Familien der Opfer des Attentats vom 11. September 2001 können damit Gerichtsverfahren gegen Saudi-Arabien vor Gericht bringenanstrengen. Erstmals in der bald achtjährigen Amtszeit Obamas wurde ein Präsidentenveto vom Kongreß niedergestimmt. Obama spricht von einem „schweren Fehler“, der CIA-Direktor von „Implikationen für die nationale Sicherheit“.
Am vergangenen 17. Mai stimmte der US-Senat für ein Gesetz, das es den Familienangehörigen der Opfer der Attentate des 11. September 2001 ermöglichen soll, Saudi-Arabien wegen mutmaßlicher Verbindungen mit den Attentätern vor Gericht zu bringen.
Die US-Regierung lehnt das Gesetz entschieden ab und warnt vor den „Folgen“. Dadurch könnten morgen auch die USA vor ausländischen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden. Zudem stünden die ohnehin angeschlagenen Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien auf dem Spiel.
Das neue Gesetz, der Justice Against Sponsors of Terrorism Act, fand trotz des Widerstandes der Regierung in beiden Häusern des Kongresses eine breite Mehrheit.
US-Präsident Obama legte dagegen sein Veto ein, das gestern vom Senat mit nur einer Gegenstimme zurückgewiesen wurde. Im Repräsentantenhaus hatten 348 gegen das Präsidentenveto gestimmt, aber nur 77 dafür. Damit wurde das Gesetz bestätigt.
Für den Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, sei das „die peinlichste Entscheidung der USA seit Jahrzehnten“. John Brennan, der Direktor der CIA, warnte vor „ernsten Auswirkungen“ für die nationale Sicherheit.
Für Obama wurde die Parlamentsentscheidung, die Republikaner und Demokraten in seltener Eintracht sah, von „Wahlüberlegungen“ diktiert. In wenigen Wochen finden in den USA Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Obama darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren.
Die Mandatare beider Parteien scheinen überzeugt, daß eine Ablehnung des Gesetzes, ihre Wahlchancen erheblich schmälern könnten.
Das Gesetz wurde in den vergangenen Monaten von den arabischen Golfmonarchien heftig kritisiert. Es widerspreche den Grundsätzen der zwischenstaatlichen Beziehungen und richte ich gegen die Immunität, die es untersagt, gegen ausländische Staaten Gerichtsverfahren zuzulassen.
Das war auch ein Hauptargument der US-Regierung. Im Umkehrschluß könnten künftig auch die USA in anderen Staaten gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden. Vor allem würden die Beziehungen zwischen Washington und Riad belastet, die sich ohnehin seit Monaten wegen des Atomabkommens der USA mit dem Iran, dem Todfeind der saudischen Wahabiten, auf einem bisherigen Tiefpunkt befinden.
Saudi-Arabien gilt als einer der ältesten und treuesten Verbündeten der USA im Nahen Osten. 15 der 19 Attentäter des 11. September stammten jedoch aus Saudi-Arabien. Bei den Attentaten kamen rund 3.000 Menschen ums Leben. Verbindungen zwischen den Attentätern und der saudischen Regierung konnten bisher nicht stichhaltig nachgewiesen werden.
Angehörige der Opfer erhoffen sich durch ein Verfahren gegen Saudi-Arabien neue Erkenntnisse.
Riad drohte in den vergangenen Wochen, Investitionen und Wirtschaftsverträge in Milliardenhöhe zurückzunehmen, sollte das Gesetz beschlossen werden. 750 Milliarden Petrodollars wurden allein in US-Banken investiert.
Text: Andreas Becker
Bild: AsiaNews