(Rom) In seiner Begegnung mit den polnischen Bischöfen am 27. Juli in der Krakauer Kathedrale fand Papst Franziskus erstaunlich deutliche Worte und sprach von einer „ideologischen Kolonialisierung“. Konkret meinte er die Gender-Ideologie, die behauptet, „daß jeder sich sein Geschlecht wählen kann“. Die Bischöfe Australiens dokumentierten in einem Bericht die rasche und radikale Ausbreitung dieser Ideologie. Einige Hintergründe zu den Papst-Worten und Stolpersteinen.
Die Begegnung mit den polnischen Bischöfen hatte auf Wunsch des Vatikans „privaten“ Charakter und fand hinter verschlossenen Türen statt. Der Grund ist der Widerstand der polnischen Bischöfe gegen das umstrittene päpstliche Schreiben Amoris laetitia. Vor wenigen Tagen wurden vom Heiligen Stuhl in mehreren Sprachen redigierte Niederschriften der Fragen der Bischöfe an den Papst und dessen Antworten veröffentlicht.
„Ein Grund für diese ungewöhnliche Veröffentlichung ex post war wahrscheinlich der Wille, Indiskretionen zu beenden, die über die Inhalte dieses Gesprächs in Umlauf geraten waren, besonders was die Kommunion für die wiederverheiratet Geschiedenen anbelangt, da die polnischen Bischöfe diesbezüglich kompakt gegen jede Form der Nachgiebigkeit sind“, so der Vatikanist Sandro Magister.
Im langen Text findet sich aber kein Hinweis auf das Apostolische Schreiben Amoris Laetitia. Diese Klippe wollte man in Rom sicherheitshalber umschiffen. Papst Franziskus ziert sich weiterhin, ein klärendes Wort zum umstrittenen nachsynodalen Dokument zu sprechen, obwohl er seit Wochen von verschiedener Seite nachdrücklich darum gebeten wurde.
In den Mittelpunkt rückten in Krakau daher ungewöhnlich deutliche Worte des Papstes gegen die Gender-Ideologie, die Franziskus als „wahre ideologische Kolonialisierung“ brandmarkte, die weltweit stattfinde.
„Moment der Vernichtung des Menschen als Ebenbild Gottes“
Der Weihbischof von Koszalin-KoÅ‚obrzeg (Köslin-Kolberg) in Hinterpommern hatte den Papst zur Flüchtlingskrise befragt und von einer „Invasion oder Aggression“ gesprochen. Nachdem Franziskus darauf geantwortet hatte, ging er einen Schritt weiter und fügte hinzu:
„Wir erleben einen Moment der Vernichtung des Menschen als Ebenbild Gottes. Und mit diesem Aspekt möchte ich hier schließen, denn hinter diesem Phänomen stehen die Ideologien. In Europa, in Amerika, in Lateinamerika, in Afrika, in einigen Ländern Asiens gibt es einen wahren ideologischen Kolonialismus. Und einer von diesen – ich nenne ihn unverhohlen beim Namen – ist die Gender-Theorie! Heute wird den Kindern – den Kindern! – in der Schule beigebracht, dass jeder sein Geschlecht selber wählen kann. Und warum wird das gelehrt? Weil die Lehrbücher von den Personen und den Institutionen kommen, die dir das Geld geben. Das sind die Formen von ideologischem Kolonialismus, die auch von sehr einflussreichen Ländern unterstützt werden. Und das ist schrecklich. In einem Gespräch mit Benedikt XVI. – dem es übrigens gut geht und der ein ganz klares Denken hat – sagte er mir: ‚Heiligkeit, dies ist die Zeit der Sünde gegen den Schöpfergott!‘ Das ist klug. Gott hat Mann und Frau geschaffen; Gott hat die Welt so und so geschaffen… und wir sind dabei, das Gegenteil zu machen. Gott hat uns einen Zustand der ‚Wildnis‘ anvertraut, damit wir aus ihr Kultur machen; und dann tun wir mit dieser Kultur Dinge, die uns in den Zustand der ‚Wildnis‘ zurückversetzen (vgl. Romano Guardini, Das Ende der Neuzeit, Würzburg 1950, S. 95–96)! Was Benedikt XVI. da gesagt hat, sollten wir bedenken: ‚Es ist die Zeit der Sünde gegen den Schöpfergott!‘“
Soweit Papst Franziskus an die polnischen Bischöfe. Worte, zu denen der Vatikanist Sandro Magister schrieb:
„Die großen Medien haben diese sogar mit gewichtigen Zitaten des emeritierten Papstes angereicherten Worte praktisch ignoriert. Das hat nicht zu erstaunen, weil das jedesmal geschieht, wenn Franziskus etwas sagt, was seinem vorherrschenden Medienimage eines für die Moderne offenen Papstes widerspricht. Diese Dinge hat er allerdings gesagt wie auch schon andere Male in der Vergangenheit, und man darf annehmen, daß sie in jenen Bereichen der Kirche nicht gut angekommen sind, die eine drastische Modernisierung der katholischen Glaubenslehre in Sachen ‚Gender‘, Homosexualität und der ‚Ehe‘ zwischen Personen des gleichen Geschlechts vertreten.“
Dabei handle es sich um „vor allem in Mitteleuropa gut vertretene und aktive“ Kirchenkreise „mit vielen Bischöfen und Theologen in der ersten Reihe. Es stimme aber auch, daß diese modernistischen Tendenzen Widerstand aus sehr großen Teilen der Weltkirche erfahren, für die die von Papst Franziskus in Krakau gesprochenen Worte gegen die Gender-Ideologie Musik sind“, so Magister.
Ein Beispiel unter vielen für diesen Widerstand ist ein Hirtenbrief, der Ende November 2015, also nur wenige Wochen nach dem Abschluß der Bischofssynode über die Familie, von den Bischöfen Australiens veröffentlicht wurde. Der Hirtenbrief richtet sich nicht nur an die Katholiken Australiens, sondern an alle Bürger dieses Landes.
Die Bischöfe verteidigen darin entschieden die Ehe zwischen Mann und Frau und stellen sich gegen die „Verwirrung“, die durch die „Homo-Ehe“ verursacht wurde.
Sie belassen es aber nicht bei dieser Feststellung, sondern führen zum Beleg eine Liste von Ereignissen und Vorfällen in westlichen Ländern an, die Zeugen für die Aggressivität der Gender-Ideologie sind, die einen so radikalen Kulturkampf führt, daß die Ehe zwischen Mann und Frau „eine Wahrheit“ geworden sei , „die man nicht mehr aussprechen darf“, ohne Sanktionen und Demütigungen zu erfahren.
Don’t Mess with Marriage – Hirtenbrief für die Ehe und gegen die Aggressivität der Gender-Ideologie
Die Bischöfe wenden sich darin gegen diese Verwirrung rund um die Ehe. Die von ihnen veröffentlichte Zusammenstellung „bezeugt das, was Papst Franziskus ‚ideologische Kolonialisierung‘ nennt“, so Magister. Einige Beispiele:
- Die Stadt Coeur d’Alene in Idaho (USA) erteilte den christlichen Amtsträgern Anweisung, homosexuelle Paare zu trauen. Bei Nichteinhaltung drohen 180 Tage Gefängnis für jeden Tag, an dem eine „Homo-Ehe“ verweigert wird sowie 1.000 Dollar Geldstrafe je Tag.
- Einige britische Parlamentsabgeordnete haben christlichen Amtsträgern gedroht, ihnen die Erlaubnis zur standesamtlichen Eheschließung zu entziehen, sollten sie sich weigern „Homo-Ehen“ zu schließen.
- In den Niederlanden, in Frankreich, Spanien, in den USA und in Australien wurde Priestern Strafverfolgung wegen „Aufwiegelung zum Haß“ angedroht, weil sie die Ehe zwischen Mann und Frau verteidigt hatten.
- Die Stadt Houston, regiert von einer lesbischen Bürgermeisterin, verordnete, daß die christlichen Amtsträger unter Strafandrohung ihre Predigten vorab einer Zensurbehörde vorzulegen hätten, wenn darin Fragen der Sexualität behandelt werden.
- In den Staaten Colorado und Oregon haben Gerichte Konditoren und Zuckerbäcker verurteilt, weil sie sich unter Berufung auf ihren christlichen Glauben geweigert hatten, Hochzeitstorten mit Homo-Motiven herzustellen.
- Im Staat Neu-Mexiko wurde ein Berufsfotograf verurteilt, weil er einen Auftrag abgelehnt hatte, bei einer „Homo-Hochzeit“ zu fotografieren.
- Im Staat Illinois wurden Reisebüros und andere Reisedienstleister vor Gericht gestellt, weil sie sich geweigert hatten, „Hochzeitsreisen“ für Homosexuelle zu organisieren.
- Die private jüdische Yeshiva University in New York City wurde vor Gericht gestellt – ebenso wie mehrere katholische Universitätseinrichtungen für ähnliche Fälle -, weil sie “verheirateten Homo-Paaren“ keine gemeinsamen Unterkünfte angeboten hat.
- In Großbritannien und einigen Teilen der USA haben katholische Adoptionseinrichtungen schließen müssen oder sind dabei zu schließen, weil sie gesetzlich gezwungen werden, auch Homosexuellen Kinder zur Adoption anzubieten. Der evangelikale Child Family Services in Illinois wurde wegen seiner Weigerung behördlich geschlossen.
- In einigen US-Staaten wurden katholische Organisationen und Einrichtungen gezwungen, mit der Ehe verbundene Begünstigungen auf die homosexuellen Partnern ihrer homosexuellen Angestellten auszuweiten.
- In New Jersey wurde eine Partnervermittlung vor Gericht gestellt, weil sie keine Dienste für Homosexuelle angeboten hatte.
- In San Diego wurde ein Arzt strafrechtlich verfolgt, weil er sich geweigert hatte, persönlich die künstliche Befruchtung einer Lesbe durchzuführen.
- In Kanada, aber auch in mehreren europäischen Staaten, darunter auch in der Bundesrepublik Deutschland, wird das Elternrecht mißachtet und werden Eltern gezwungen, ihre Kinder gegen ihren Willen am Sexualkundeunterricht teilnehmen zu lassen, in dem für die Homosexualität und die Gender-Ideologie geworben wird.
- In Massachusetts ließ die Schulleitung David Parker, der seinen Sohn aus dem gender-ideologischen Schulunterricht holen wollte, vor den Augen seines Sohnes und der anderen Kinder von der Polizei verhaften und in Handschellen abführen.
- In England untersagte die Rechtsanwaltskammer der Gruppe Christian Concern, einer christlichen Vereinigung von Rechtsanwälten, die weitere Benutzung der Kammereinrichtungen, weil sie sich für die natürliche Ehe von Mann und Frau ausgesprochen hatte. Das widerspreche der „Diversitätspolitik“ der Rechtsanwaltskammer.
- Die Legalisierung der „Homo-Ehe“ in Brasilien hat den Weg zur Legalisierung der Polygamie geöffnet. In diese Richtung wird bereits starker Druck in Kanada und in anderen Teilen der Welt ausgeübt.
Soweit ein Auszug aus dem Dokument der Bischöfe Australiens, die nicht nur den aggressiven Druck auf Christen, aber auch Juden und andere Religionsgemeinschaften belegen, sondern erahnen lassen, welche grundlegenden Auswirkungen ein Bruch mit der monogamen Ehe zwischen Mann und Frau als Voraussetzung zur Zeugung von Kindern und damit der Bildung einer Familie, aber auch insgesamt auf die staatliche Ordnung haben wird.
Nicht in der Auflistung enthalten ist ein Beispiel aus Norwegen, das ergänzt werden soll: In Norwegen haben die katholischen Bischöfe präventiv beschlossen, daß die katholischen Priester auf ihre Funktion als Standesbeamte verzichten und nur mehr kirchliche Ehen trauen, nachdem die lutherische Kirche dem politischen Druck nachgegeben und die Trauung von Homo-Paaren beschlossen hatte. Grund dafür war die Sorge, daß „die Politiker aggressiv werden könnten“.
Mangelnde päpstliche Kohärenz
Papst Franziskus fand in Krakau deutliche Worte. Gleichzeitig finden sich jedoch modernistische Vertreter der von ihm kritisierten Ideologie bis in seinen engsten Vertrautenkreis. Die Förderung der Gender-Ideologie durch die Päpstliche Stiftung Scholas Occurrentes ist nur ein Beispiel dafür.
Mit seinen jüngster Verharmlosung des islamischen Dschihad und der von diesem ausgehenden Bedrohungen arbeite Papst Franziskus, so die Kritik, den Gender-Ideologien in die Hände, die der Kirche lieber heute als morgen einen Maulkorb verpassen möchten. Als Reaktion auf die muslimischen Attentate im Juli meinte der Papst, er wolle eigentlich nicht über eine muslimische Gewalt sprechen, denn dann müsse er auch über eine „Gewalt der Katholiken“ sprechen. Zugleich verglich der Papst die Massen- und Ritualmorde der Dschihadisten mit dem „Töten mit der Zunge“, die Katholiken durch ihr Reden verursachen würden, laut päpstlichem Dafürhalten zum Beispiel an der „Verlobten“ oder der „Schwiegermutter“.
Diese Gleichsetzung sei Wasser auf die Mühlen der Gender-Ideologen und ihrer politischen Unterstützer, die – wie die lesbische Bürgermeisterin von Houston – eine Vorzensur der Sonntagspredigten christlicher Amtsträger wollen. Das ähnle letztlich der geforderten Überwachung von Moscheen in westlichen Staaten, um deren Aufwiegelung zur Gewalt kontrollieren zu können. Da der Islam im Kanon der politischen Korrektheit ebenso Tabu ist wie die Gender-Ideologie, während das Christentum gleichermaßen das erklärte Feindbild und Haßobjekt von westlichen Relativisten und islamischen Dschihadisten ist, bestehe die reale Gefahr – die in Ansätzen bereits erkennbar sei -, alle Religionen durch Verbote und Kontrollen „unschädlich“ zu machen, was im Klartext an erster Stelle und vor allem das Christentum träfe.
In diesem von der politischen Korrektheit bestimmten Kulturkampf lieferte Papst Franziskus mit seinem „unmöglichen Vergleich“ (Messa in Latino) Munition für eine sachlich völlig unzutreffende, aber umso gefährlichere Gleichsetzung. Dies ist umso bedeutender, da Papst Franziskus seinen Vergleich islamischer Gewalt und „katholischer Gewalt“ auf dem Rückflug nach Rom, also einige Tage nach seiner Kritik an der Gender-Theorie äußerte.
Deutlichere Worte als der Papst fand Kardinal Robert Sarah im vergangenen Mai in Spanien. Der schwarzafrikanische Purpurträger warnte die europäischen Völker: „Europa hat mit der Gender-Ideologie keine Zukunft“. Der Kardinal beließ es nicht bei dieser Feststellung, sondern forderte die Europäer auf, sich „zu wehren“ und nicht darauf zu warten, daß andere sie verteidigen würden.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: LSN/Settimo Cielo (Screenshots)