(Paris) Jean-Luc Mélenchon führt die radikale Linke Frankreichs an. Der Europaabgeordnete, ehemalige Senator und Minister kann auf eine beachtliche politische Karriere zurückblicken, die strikt linksgestrickt ist, und zwar radikal links. Am 30. Mai applaudierten ihm in Paris Hunderte Freimaurer, vor denen er auf Einladung des Großorients von Frankreich hinter verschlossenen Türen seine politischen Vorstellungen darlegen konnte.
Trotzkist, Sozialist, Logenbruder
Mélenchon wurde 1951 in der damals international verwalteten Zone Tanger in Marokko geboren. Seine Eltern waren spanischstämmige Pieds-noirs, wie die Algerienfranzosen genannt wurden. In den 60er Jahren nach Frankreich übersiedelt, nahm Jean-Luc 1968 an den Studentenprotesten teil und schloß sich der trotzkistischen Kommunistischen Internationalen Organisation (OIC) an. In dieser Zeit war Mélenchon verheiratet. Aus der Ehe, die geschieden ist, ging eine Tochter hervor, die mit einem führenden Funktionär von Mélenchons Linkspartei liiert ist.
Unter François Mitterrand, der einen „demokratischen Sozialismus“ verkündete, schloß sich Mélenchon 1976 der Sozialistischen Partei (PS) an. 1981 wurde Mitterand zum Staatspräsidenten gewählt. Bald darauf wurde Mélenchon in einer Freimaurerloge des Großorients von Frankreich initiiert. Bereits sein Vater und Großvater waren Logenbrüder gewesen.
1986 wurde er erstmals zum Senator der Republik gewählt. Ein Amt, das er mit kurzer Unterbrechung bis 2010 innehatte. Innerhalb der Sozialistischen Partei suchte er den Kontakt zum linken Flügel.
Nach dem Ende der sozialistischen Präsidentschaft versuchte Mélenchon die Führung der Partei zu übernehmen und kandidierte 1997 gegen François Hollande für den Parteivorsitz, unterlag diesem jedoch.
2000 trat er in der Zeit der „Kohabitation“ (der Gaullist Jacques Chirac war Staatspräsident, im Parlament gab es jedoch eine linke Mehrheit) als Minister für die Berufsausbildung in die Regierung des Sozialisten Lionel Jospin ein. Nach der sozialistischen Wahlniederlage von 2002 verlor er sein Ministeramt und sammelte den linken Parteiflügel unter der Bezeichnung „Nouveau Monde“ (Neue Welt). Ideologisch orientierte sich Mélenchon verstärkt an der postkommunistischen, deutschen Partei Die Linke.
Vom Sozialisten zum Linksradikalen
2008 kam es zum Bruch mit der Sozialistischen Partei. Mélenchon verließ die Partei und kündigte in Anwesenheit von Oskar Lafontaine die Gründung einer neuen linksradikalen Partei an. Am 1. Februar 2009 erfolgte deren Gründung unter dem Namen Parti de Gauche (Linkspartei, PG). Die Partei entstand mit statutarischen und programmatischen Anlehnungen an die deutsche radikale Linke. Während die postkommunistische Linke in Deutschland in den neomarxistischen Grünen Konkurrenz hat, war Mélenchon von Anfang an bemüht, die in Frankreich weniger stark verankerte Grünbewegung in seine neue Linksfront zu integrieren. Im Parteiprogramm heißt es daher: „Ökologie und Kapitalismus sind unvereinbar“. Im selben Jahr wurde er für die Linksfront aus Kommunistischer Partei (PCF), Linkspartei (PG) und Vereinter Linker (GU) in das Europäische Parlament gewählt, dem er seither angehört.
Seine Logenmitgliedschaft begründet Mélenchon mit der radikalen und laizistischen Tradition Frankreichs, der er sich verpflichtet fühlt. Bei den Präsidentschaftswahlen 2012 konnte er sich als Kandidat der Linksfront durchsetzen und erreichte im ersten Wahlgang 11,1 Prozent der Stimmen. Seither gilt er als deren unumstrittener Anführer. Für die entscheidende Stichwahl rief er seine Anhänger auf, „gegen Nicolas Sarkozy“ zu stimmen, ohne eine direkte Wahlempfehlung für den sozialistischen Kandidaten François Hollande auszusprechen, der neuer Staatspräsident wurde. Nicht nur die Sozialisten, auch die Logen haben es ihm gedankt.
„Dammbauer“ gegen Front National
Bei politischen Wahlen sieht sich Mélenchon als „Dammbauer“ gegen eine Regierungsübernahme durch Vertreter des Front National (FN). Das öffnet immer neue Türen.
Im Februar startete er seine Kampagne für eine erneute Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten. Damit hatte auch seine Einladung durch den Großorient von Frankreich zu tun. Eine Einladung unter „Brüdern“.
Der seinerzeitige Großmeister des Großorients, Roger Leray, hatte Mélenchon 1983 in die Loge geholt. Seither gehört er einer nach Leray benannten Loge an. Nun scheint der amtierende Großmeister Daniel Keller vom Linksradikalen überzeugt zu sein. Keller betonte, in vielen Punkten mit Mélenchons Diagnose über den Zustand des Landes übereinzustimmen. Allerdings nicht in allen.
Mélenchon steht dem Kommunismus (mit dem er in der Linksfront verbunden ist), dem kubanischen Sozialismus, den deutschen Postkommunisten und der griechischen Syriza weit näher als der Sozialdemokratie. Allerdings fordert er den Zusammenschluß der beiden großen Linksströmungen. Eine solche gab es in Deutschland bereits einmal: sie hieß SED, und ist keineswegs zufällig die Vorläuferin von Mélenchons deutscher Schwesterpartei Die Linke.
Schocktherapie: Neugründung Frankreichs als 6. Republik
Mélenchon ist ein begeisterter Unterstützer von Evo Morales, und war es auch von Hugo Chavez. Als überzeugter Antikapitalist betont er, „allergisch gegen alles zu sein, was ‚rechts‘ ist“. Der Enkel von Spaniern, Katalanen und Sizilianern und Sohn von Algerienfranzosen ist überzeugt, daß die Republik einer „Neugründung“ bedarf. Frankreich müsse, wie er vor den Logenbrüdern sagte, „im Namen der Laizität“ neugegründet werden. Die „Schocktherapie“ sei der einzige Weg, Frankreich im „humanistischen“ Sinn zu gesunden.
Diese „Schocktherapie“ solle in den Schulen beginnen. Und hier zeigt sich eine zentrale Übereinstimmung mit der Freimaurerei, die seit der Machtübernahme von Staatspräsident Hollande Einfluß auf die Bildungspläne des Landes nimmt. Ziel ist unter anderem eine „republikanische, laizistische“, dezidiert antireligiöse und vor allem antikatholische Umerziehung der Schüler. Zum neuen „Humanismus“, ob der Loge, der Sozialisten oder der Linksradikalen, gehört die Gender-Theorie. Insgesamt geht es darum, daß die Erziehung zum „Citoyen“ im Logen-Sinn erfolgt.
Einspruch erhob Großmeister Keller lediglich zur Europa-Position Mélenchons: „Es braucht eine politische Konstruktion, das was die [Europäische] Union leider nicht ist, und nicht eine Rückkehr zur [nationalstaatlichen] Souveränität“. Keller mißfiel auch Mélenchons Lob für Charles de Gaulle. Der Anführer der Linksfront lobte nicht de Gaulles politisches Bekenntnis. Er lobte aber seinen „republikanischen Geist“ und seine „Fähigkeit, Nein zu sagen“, wie beim NATO-Austritt. Die „autoritäre“ Schlagseite Mélenchons für eine „Sechste Republik“ scheint einige Logenbrüder erstaunt zu haben.
Parlamentswahlen 2017: Österreich grüßt Frankreich
Grund der Einladung, vor den höchsten Logenbrüdern Frankreichs sprechen zu dürfen, sind die Präsidentschaftswahlen 2017. Ob „Bruder“ Mélenchon, der 100 Jahre freimaurerische Familientradition geltend machen kann, den Großorient überzeugen konnte, läßt sich noch nicht sagen. Tatsache ist, daß die Präsidentschaftswahlen bevorstehen, und der Großorient offensichtlich dabei mitmischen will.
Das Wettrennen ist eröffnet, und Mélenchon könnte bei beiden Wahlgängen eine wichtige Rolle zukommen. Wie die österreichischen Präsidentschaftswahlen im vergangenen April und Mai gezeigt haben, geht es zunächst darum, den gewünschten Kandidaten in die Stichwahl zu bringen, um dann in einer „laizistischen“ Allianz den möglichen Sieg des unerwünschten Kandidaten zu verhindern. Wie in Österreich mit Norbert Hofer (FPÖ) scheint auch in Frankreich bereits festzustehen, daß die Vorsitzende des Front National (FN), Marine Le Pen, in die Stichwahl kommen wird. In Österreich war es der Logenbruder Alexander Van der Bellen (Grüne), der Norbert Hofers Wahl mit einigen Ungereimtheiten hauchdünn verhinderte.
In Frankreich dürfte dem Logenbruder Mélenchon eine wichtige Rolle zukommen, der demselben geistigen und politischen Milieu Van der Bellens entstammt. Jedenfalls wollen dieselben Kreise weder in Österreich noch in Frankreich die Präsidentenwahl dem „Zufall“ überlassen.
Text: Andreas Becker
Bild: Corrispondenza Romana/Freimaurer-Wiki (Screenshot)