
Zum aktuell vermittelten Eindruck, es gäbe einen Widerspruch zwischen der gesunden Glaubenslehre, dem „höchsten und kostbarsten Gut“, das „in seiner Ursprünglichkeit aufgenommen und vor Entstellungen geschützt werden“ muß, damit eine „veränderte Auffassung von Kirche“ nicht zu einer „Einebnung der Hoffnung einzig und allein auf die irdische Geschichte (wo in erster Linie nur noch der ‚Leib‘, das ‚Brot‘ zählen, und nicht mehr die ‚Seele‘, das ‚Wort Gottes‘) führt, und der Barmherzigkeit, schrieb Joseph Kardinal Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation:
Hierzu gehen einige billige Schlagworte um, von denen eines besagt, worauf es heute ankomme, sei allein die Orthopraxie, also das „rechte Tun“, die Nächstenliebe. Zweitrangig, wenn nicht entfremdend, sei dagegen die Sorge um die Orthodoxie, das heißt um den „rechten Glauben“, entsprechend dem wahren Sinn der Schrift, die innerhalb der lebendigen Tradition der Kirche gelesen wird. Dies ist ein billiger Slogan, weil er oberflächlich ist: Ändern sich (immer, aber heute vor allem), je nach der Art und Weise, wie die Orthodoxie verstanden wird, nicht auch radikal die Inhalte der Orthopraxie, der Liebe zum Nächsten? Um ein Beispiel aus der aktuellen Thematik der Dritten Welt und Lateinamerikas zu nehmen: Was ist die rechte Praxis, damit den Armen in wirklicher christlicher und folglich auch in wirksamer Weise geholfen wird? Setzt die Entscheidung für ein richtiges Handeln etwa nicht ein richtiges Denken voraus, verweist sie damit nicht selbst auf die Notwendigkeit der Suche nach einer Orthodoxie?
Joseph Kardinal Ratzinger: Zur Lage des Glaubens. Ein Gespräch mit Vittorio Messori, München 1985, S. 21
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