
(Rom) Einige Dikasterienleiter an der Römischen Kurie wurden von Papst Franziskus nach seiner Wahl aus ihrem Amt entfernt. Andere wurden im Amt belassen, aber faktisch isoliert. Unter ständigem Druck steht auch der Australier Kardinal George Pell.
Die Entlassung von „Ratzingerianern“
Bei den Entlassungen handelte es sich nicht um Kompetenzfragen, sondern um eine Richtungsentscheidung. Es traf jeweils überzeugte „Ratzingerianer“, eine Chiffre, die in knapper Form ein glaubenstreues Kirchenverständnis zusammenfaßt.
Zunächst wurde der italienische Kardinal Mauro Piacenza als Präfekt der Kleruskongregation abgelöst, und erst 70jährig auf den ehrenvollen, für die Leitung der Weltkirche aber unbedeutenden Posten eines Großpönitentiars der Apostolischen Pönitentiarie abgeschoben. Kardinal Piacenza hatte 2010 Papst Benedikt XVI. dabei unterstützt, den heiligen Pfarrer von Ars, Johannes Maria Vianney, zum Vorbild und Patron der Priester zu erheben. Ein Versuch, der jedoch an heftigen Widerständen im hohen Klerus scheiterte, die ein „vorkonziliares“ Priestermodell als „rückwärtsgewandt“ ablehnten. Auch der amtierende Papst konnte sich nicht für dieses Priestermodell erwärmen und ersetzte Kardinal Piacenza durch einen Mann seiner Wahl.
Der Katalane Kardinal Antonio Cañizares Llovera, Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, galt als „kleiner Ratzinger“. Seine Ablehnung der „neuen Barmherzigkeit“ von Kardinal Walter Kasper ließ er bereits beim Kardinalskonsistorium im Februar 2014 verlauten. Als Dikasterienleiter wäre Kardinal Cañizares von Amts wegen Synodale der Bischofssynode über die Ehe und die Familie gewesen. Papst Franziskus ernannte ihn jedoch kurz vor Synodenbeginn 2014 zum Erzbischof von Valencia. Seine Amtseinführung in Spanien fand am Tag vor der Synodeneröffnung statt.
Gleich nach der Synode wurde der US-amerikanische Kardinal Raymond Burke, seit 2008 Präfekt der Apostolischen Signatur und Präsident des Obersten Gerichtshofs des Vatikanstaates, regelrecht aus dem Amt gejagt. Unter Papst Benedikt XVI. hatte Kardinal Burke maßgeblichen Einfluß auf die Bischofsernennungen in den USA. Ernennungen, die einen gesunden Episkopat schufen, in ihrer Ausrichtung aber den Widerwillen von Papst Franziskus fanden. Im Dezember 2013 entfernte er Kardinal Burke aus der Kongregation für die Bischöfe und aus der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse.
Der eigentliche Zusammenprall der gegensätzlichen Positionen sollte jedoch erst folgen. Kardinal Burke, ein brillanter Kirchenrechtler, war bei der Bischofssynode 2014 zum Wortführer der Verteidiger der katholischen Ehe- und Morallehre gegen die Kasper-Thesen geworden. Er deutete Manipulationsversuche großen Stils an, mit denen die Bischofssynode in eine progressive Richtung gedrängt werden sollte. So empört darüber, daß es so etwas in der Kirche geben könne, ließ er durchblicken, daß die Manipulation durch päpstliche Unterstützung erfolgte. Kurz vor Synodenbeginn war auf Initiative von Kardinal Burke ein Sammelband zur Verteidigung des Ehesakraments und der natürlichen Familie mit Beiträgen von fünf namhaften Kardinälen erschienen. Der Ärger darüber war im päpstlichen Umfeld so groß, daß lautstarke Gerüchte in Umlauf kamen, Papst Franziskus hege die Absicht, den Kardinal aus Rom zu entfernen. Die Drohung sollte ein Schuß vor den Bug von Kardinal Burke sein, sich bei der Bischofssynode zurückzuhalten. Der US-amerikanische Purpurträger ließ sich jedoch nicht einschüchtern. Keine drei Wochen nach Synodenende machte Papst Franziskus seine Drohung wahr und entfernte Kardinal Burke aus der Römischen Kurie. Als Kardinalpatron des Souveränen Malteserordens hat der Kardinal keinen Einfluß mehr auf die Kirchenleitung. Vor allem war er damit von der Teilnahme an der Bischofssynode 2015 ausgeschlossen. Die Absetzung ist auch im Zusammenhang mit der kommissarischen Verwaltung des traditionsverbundenen Ordens der Franziskaner der Immakulata zu sehen. In einem regulären Gerichtsverfahren wäre der Fall in Letztinstanz auf dem Tisch von Kardinal Burke gelandet. Eine Wahrscheinlichkeit, die man im päpstlichen Umfeld offenbar nicht riskieren wollte.
Die Eingriffe betrafen die zentralen Bereiche Klerus, Liturgie und Sakramente und den Obersten Gerichtshof. Mit der Ernennung von Kardinal Robert Sarah zum Nachfolger von Kardinal Cañizares erreichte Papst Franziskus kaum, was er beabsichtigt hatte. Kardinal Sarah entwickelte sich im neuen Amt zu einer der bekanntesten und herausragenden Kardinalsgestalten. Die Einbindung Afrikas in die „lateinamerikanische Agenda“ ist bisher kläglich gescheitert. Die afrikanischen Synodalen leisteten bei der Bischofssynode 2015 energischen Widerstand gegen die „liberalen Kasperiaden“ (Messa in Latino).
Die Marginalisierung der verbliebenen „Ratzingerianer“
Die Absetzungen akzentuierter Kirchenvertreter wird andere, die nicht dasselbe Schicksal erleiden wollten, diszipliniert haben. Papst Franziskus gilt als kluger Stratege. Zu viele Personaleingriffe hätten einen Umbau der Kirche offensichtlich gemacht. Die „richtige“ Dosierung bewahrt vor offenen Flanken. Im Amt belassene Dikasterienleiter, mit deren Kirchenverständnis Papst Franziskus wenig gemein hat, werden von ihm ignoriert und marginalisiert. Das betrifft zwei weitere, der insgesamt neun Kurienkongregationen: die Glaubenskongregation und die Bischofskongregation. Glaubenspräfekt Kardinal Gerhard Müller und der Bischofspräfekt Kardinal Marc Ouellet wurden von Franziskus zwar in Amt und Würden belassen, aber isoliert. Siehe dazu:
Zu Kardinal Müller: Papst Franziskus und die Marginalisierung der Glaubenskongregation
Zu Kardinal Ouellet: Papst Franziskus und die Bischofsernennungen: „Er sucht nach den progressivsten Kandidaten“
Das hat den optischen Vorteil, daß die Römische Kurie nach außen „ausgewogener“ besetzt scheint und sich mehr Teile der Kirche in Rom irgendwie vertreten fühlen. Den tatsächlichen inneren Machtverhältnissen entspricht es nicht. Papst Franziskus regiert autokratisch.
Kardinal George Pell: Die Abberufung aus Australien
Ein weiterer Kardinal genießt nicht das Vertrauen von Papst Franziskus. Der Australier Kardinal George Pell gehört für die progressive Entourage des Papstes zur „anderen Seite“. Als Papst Franziskus einen Monat nach seiner Wahl die Errichtung eines Kardinalsrates bekanntgab, der ihn bei der Reform der Römischen Kurie und der Leitung der Weltkirche unterstützen solle, legte er einen geographischen Schlüssel fest. Jeder Kontinent sollte durch je einen Kardinal im neuen Gremium vertreten sein. Kardinal Pell war zu diesem Zeitpunkt der einzige Purpurträger Ozeaniens und rutschte damit zwangsläufig in den sogenannten C8-Kardinalsrat (heute C9-Kardinalsrat). Eine unbeabsichtigte „Panne“ wie bei der Nachfolge von Kardinal Cañizares.
Kardinal Pell wurde im Februar 2014 sogar an die Römische Kurie berufen und zum Präfekten des neuerrichteten Wirtschaftssekretariats ernannt. Eigentlich eine Aufwertung. Zunächst bestand das neue Dikasterium nur auf dem Papier, während Papst Franziskus die Möglichkeit zum Umbau des australischen Episkopats erhalten hatte. Kardinal Pell war aufgrund seiner Persönlichkeit und seines Ranges die dominante Gestalt auf dem fünften Kontinent. Franziskus lehnte alle drei Kandidatenvorschläge für die Nachfolge als Erzbischof von Sydney ab, die ihm vom zuständigen Kardinal Ouellet und der Bischofskongregation in Absprache mit Kardinal Pell vorgeschlagen wurden. Der Papst ernannte einen Kandidaten seiner Wahl. Wie diese zustande kam, blieb wie auch in anderen Fällen, völlig undurchsichtig. Laut dem kanadischen Religionsexperten Alain Pronkin suche Papst Franziskus nach den „progressivsten Kandidaten“. Dabei stützt er sich nicht auf die zuständigen Institutionen, sondern auf die Empfehlungen von persönlichen Vertrauten.
In Rom wurde viel über die Berufung von Kardinal Pell an die Kurie gerätselt. Die glaubwürdigste Erklärung scheint die, daß Papst Franziskus damit denselben Versuch unternahm, den Papst Johannes Paul II. mit Walter Kasper versuchte: durch Beförderung seinen Einfluß im Heimatland zurückzudrängen und ihn in die päpstliche Agenda einzubinden. Der australische Kardinal rückte aber auch in Rom nicht von seinen Überzeugungen ab und erwies sich bei den Bischofssynoden als standhafter Verteidiger der katholischen Ehe- und Morallehre. Bei der Synode 2014 setzte er seine Verteidigungsrede gegen die Kasper-Thesen fort, obwohl ihm – geschäftsordnungswidrig– von der Synodenleitung das Mikrophon abgedreht worden war. Aus seinem Umfeld hieß es dazu: „Einige spielen schmutzig.“ Kardinal Burke benannte das „schmutzige Spiel“ auch öffentlich und wurde dafür prompt bestraft.
Immer wieder war daher von päpstlichem Unmut gegen Kardinal Pell die Rede, oder von „Manövern“ ihn wieder aus Rom zu entfernen. Die Sorge stammt auch aus dem Umfeld des Kardinals selbst und ist Ausdruck einer allgemeinen Verunsicherung an der Römischen Kurie. Wer nicht zum progressiv ausgerichteten, engeren Hofstaat des Papstes gehört, lebt die Zeit in Rom mit einigem Bangen.
Die PricewaterhouseCoopers-Aktion
Gestern wurde nun bekannt, daß der Auftrag für die Rechnungsprüfung des Heiligen Stuhls an das Unternehmen PricecaterhouseCoopers „ausgesetzt“ wurde. Das 1865 entstandene Wirtschaftsprüfungsunternehmen mit Hauptsitz in Frankfurt am Main sollte die externe Bilanzprüfung des Heiligen Stuhls und des Vatikanstaates sowie Steuerberatung übernehmen. Die entsprechenden Verhandlungen waren über den von Papst Franziskus errichteten Wirtschaftsrat gelaufen, dem Kardinal Reinhard Marx als Koordinator vorsteht. Die Beauftragung des Frankfurter Unternehmens war am vergangenen 5. Dezember 2015 bekanntgegeben worden. Die Auftragsdauer betrifft einen Zeitraum von drei Jahren. Das Auftragsvolumen beläuft sich auf drei Millionen Euro. Der entsprechende Vertrag mit PricecaterhouseCoopers wurde von Kardinal Pell als zuständigem Präfekten unterzeichnet.
Am 20. und 23. Februar hatte der Kardinal alle vatikanischen Ämter informiert, die der Prüfung unterworfen sind. Darin wurden die Amtsleiter informiert, daß PricecaterhouseCoopers sich mit ihnen in Verbindung setzten werde und daß sie eine Erlaubnis auszustellen hätten, daß die Revisoren mit allen zuständigen Verantwortlichen der Ämter reden können und diese mit ihnen zusammenarbeiten sollen.
In den vergangenen Tagen erließ das Staatssekretariat plötzlich eine gegenteilige Order. Alle vatikanischen Ämter erhielten ein Schreiben von Kardinalstaatssekretär Parolin und seinem Substituten Kurienerzbischof Becciu, daß die Bilanzprüfung „suspendiert“ ist. „Eine Entscheidung, die nicht ohne Zustimmung des Papstes erfolgt sein kann“, so Vatican Insider.
Es gehe weder um PricewaterhouseCoopers noch um deren Arbeit. Es gehe auch nicht um „Widerstand“ einiger Ämter, die sich einer Kontrolle entziehen möchten. Es gehe „nur“ um formalrechtliche Aspekte.
Da im vergangenen Jahr nach einiger Anlaufzeit die Statuten für das Wirtschaftssekretariat und den Wirtschaftsrat erlassen wurden, entspreche das formale Zustandekommen der Auftragserteilung nicht dem vorgesehenen Procedere. Diese Lücke müsse statutengemäß geschlossen und der Auftrag neu erteilt werden. Er ergehe erneut an PricewaterhouseCoopers. Mit der Maßnahme wolle man nur formale Fehler „sanieren“, die ansonsten eventuell Anlaß für rechtliche Beschwerden sein könnten.
„Botschaft an Kardinal Pell, wer hier das Sagen hat“
Die Details dieser „seltsamen“ Operation bleiben undurchsichtig. Über Aufträge an externe Firmen war ausdrücklich im C9-Kardinalsrat gesprochen worden, dem Kardinal Pell ebenso angehört, wie Kardinalstaatssekretär Parolin und der Kardinal-Koordinator des Wirtschaftsrats Marx. Um so mehr erstaunt das Eingreifen des Staatssekretariats.
Peinlich ist die dadurch entstandene Situation aber nur für Kardinal Pell. Er hat den Vertrag mit Zustimmung und im Auftrag anderer, jedenfalls meinte er das, unterzeichnet. Nun entstand der Eindruck, er sei nicht imstande sein Amt zu führen und – noch schlimmer – nicht vertragsfähig.
Pell ließ daher durch einen Sprecher des Wirtschaftssekretariats wissen, „etwas überrascht zu sein“ über das Schreiben des Staatssekretariats. Er sei aber überzeugt, daß die „Arbeit von PricewaterhouseCoopers bald fortgesetzt“ werde.
Der Vatikanist Edward Pentin (National Catholic Register) sieht in der ganzen Operation eine „Botschaft“ an Kardinal Pell. Offenbar wollte man ihm zu verstehen geben, wer hier das Sagen hat. Er jedenfalls nicht.
Gestern wurde Kardinal Pell von Papst Franziskus empfangen. Es ist anzunehmen, daß die Audienz in einem direkten Zusammenhang mit den Vorgängen steht. Die Moral der Geschichte: Kurienmitarbeiter, auch die ranghöchsten, die nicht zur Richtung von Papst Franziskus gehören, haben an der Römischen Kurie keinen leichten Stand.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: hawaiicatholicherald (Screenshot)