
(Washington) Der im Kongreß der USA eingebrachte Gesetzentwurf würde es den Verwandten der Opfer der Attentate vom 11. September 2001 ermöglichen, Saudi-Arabien auf Schadenersatz zu klagen. Das wahabitische Königreich droht mit Wirtschaftssanktionen und bekommt Unterstützung von US-Präsident Barack Obama.
Die Drohung aus Riad ist ernstgemeint und trifft die USA an der heikelsten Stelle: der Brieftasche. Sollte das amerikanische Parlament dem Gesetz zustimmen, das es erlauben würde, die saudische Regierung wegen der Attentate vom 11. September zu verklagen, würden sich die Scheichs „gezwungen sehen“, alle Anteile am amerikanischen Defizit im Wert von 750 Milliarden Dollar zu verkaufen.
Immunität soll bei Terroranschlägen in den USA aufgehoben werden
Der im Senat der USA eingebrachte Gesetzentwurf stößt auf den heftigen Widerstand der Regierung Obama. Der Entwurf sieht eine Änderung eines Gesetzes von 1976 vor, das ausländischen Staaten Immunitätsrechte einräumt und Klagen vor amerikanischen Gerichtshöfen verhindert. Der Entwurf will die Änderung einfügen, daß die Immunität nicht gilt, wenn ein ausländischer Staat für schuldig befunden wird für Terroranschläge in den USA, bei denen amerikanische Staatsbürger getötet wurden.
Sollte das Gesetz beschlossen und vom US-Präsidenten unterzeichnet werden, riskiert Saudi-Arabien sehr viel, denn 15 der 19 islamischen Attentäter von 2001 waren Saudis.
Es existiert ein 28 Seiten langer Bericht aus dem Jahr 2002, der das Ergebnis eines Untersuchungsausschusses des US-Parlaments ist, aber nie veröffentlicht wurde. Laut der New York Times werden darin sichere Beweise aufgelistet, daß in den USA ansässige saudische Offiziere an der Tragödie des 11. September beteiligt waren. Riad leugnete stets jede Beteiligung und wies in offiziellen Erklärungen alle Behauptungen zurück, daß „die saudische Regierung als Institution oder führende Funktionäre die Organisation finanziert“ hätten.
US-Präsident Obama widersetzt sich Gesetzentwurf
Barack Obama widersetzt sich dem Gesetzentwurf energisch und warnt vor einem „gefährlichen Präzedenzfall“. Andere Staaten könnten zur Vergeltung ihrerseits den USA die Immunität entziehen. Damit würden die amerikanischen Soldaten und amerikanischen Staatsbürger „gefährdet“. Die Einbringer des Gesetzentwurfes kontern mit dem Hinweis, daß die Immunität keineswegs generell entzogen werde, sondern nur für ein konkretes Verbrechen.
Mehr noch besorgen wirtschaftliche Sanktionen durch Saudi-Arabien. Sollte das wahabitische Königreich tatsächlich ernstmachen und die Anteile an US-Vermögenswerten verkaufen, könnte das negative Folgen für die US-Wirtschaft und den Dollar haben. Der saudische Außenminister Adel al-Jubeir reiste im vergangenen März persönlich nach Washington, um mitzuteilen, daß es seine Regierung ernst meint.
Amerikanische Wirtschaftsexperten sind skeptisch: 750 Milliarden an Staatsschulden, Anleihen und Beteiligungen zu verkaufen, sei eine gigantische Finanztransaktion. Edwin Truman vom Peterson Institute for International Economics spricht von einer „leeren Drohung“. Damit würde Saudi-Arabien auch große Verluste haben: „Der einzige Weg um auf diese Weise uns zu bestrafen, hieße, sich selbst auch zu bestrafen.“
Waffenverkauf an Riad einschränken, das den Islamischen Staat (IS) beliefert
Die Frage ist vielschichtig. Es geht um die bilateralen Beziehungen. Saudi-Arabien gilt seit Jahrzehnten als treuester Verbündeter der USA unter den arabischen Staaten. Im Gegenzug dulden die USA die weltweite Ausbreitung des Wahabismus, der radikalsten Form des sunnitischen Islams, unter Moslems. Es geht aber auch um die Hinterbliebenen der Opfer und damit um das kollektive Selbstverständnis der USA. Obama läuft in den USA Gefahr, den Eindruck zu vermitteln, daß ihm die Verteidigung der saudischen Interessen wichtiger sei, als die amerikanischen Opfer. „Die Vorstellung ist verrückt, daß unsere Regierung die Saudis unterstützt und nicht unsere Bürger“, so Mindy Kleinberg, deren Mann beim Einsturz der Twin Towers ums Leben kam. Sie könnte mit dem neuen Gesetz gegen Saudi-Arabien vor Gericht ziehen. Ihr Ärger über Obama wird von anderen Opferangehörigen geteilt.
Am kommenden Mittwoch fliegt Obama in die saudische Hauptstadt Riad, um das zuletzt strapazierte Bündnis mit dem wahabitischen Königshaus zu festigen. Neben dem Atomkontrollabkommen, das der Westen mit dem saudischen Erzfeind Iran erzielte, wird der amerikanische Präsident auch über einen anderen Gesetzentwurf sprechen, den zwei Senatoren vergangene Wochen eingebracht haben. Sie wollen damit den Waffenverkauf an Riad einschränken.
Riad gilt als Financier und direkter Waffenlieferant für den Islamischen Staat (IS), der für die größte Christenverfolgung in der arabischen Welt seit den Jungtürken vor hundert Jahren verantwortlich ist.
Text: Andreas Becker
Bild: Tempi