(Rom) Der Vatikanist Giacomo Galeazzi führte ein Interview mit dem bisher kaum bekannten Erzbischof von Ancona, Msgr. Edoardo Menichelli, den Papst Franziskus am vergangenen Samstag zum Kardinal kreiert hat. Das Interview wurde von Vatican Insider veröffentlicht. Kardinal Menichelli gilt als „Veteran der Progresssisten“ (Huffington Post). Er war lange Jahre persönlicher Sekretär von Kardinal Achille Silvestrini, einem „Herold der Ostpolitik“ (Huffington Post). Nun läßt er mit Kapitalismuskritik aufhorchen, die sich mit päpstlichen Aussagen und dem Empfang für Alexis Tsipras durch Papst Franziskus deckt.
„Belohnt“ für „Einsatz für die Letzten“
Wie die derselben Richtung angehörende italienische Wochenzeitschrift Famiglia Cristiana schrieb, habe Papst Franziskus mit der Kardinalserhebung den „Einsatz für die Letzten“ auf besondere Weise „belohnen“ wollen. Wer ist mit den „Letzten“ gemeint? Menichelli ist 75 und hat bereits seinen Rücktritt eingereicht. Für welche Verdienste er belohnt wurde, gab Beobachtern einiges Rätselraten auf. Den Hinweis lieferte der Papst vielleicht selbst: Franziskus hatte Menichelli persönlich zum Synodalen der Bischofssynode vom Oktober 2014 ernannt. Dort ergriff der Erzbischof in einer teils hitzigen Debatte das Wort für die Zulassung der „wiederverheiratet“ Geschiedenen zur Kommunion und für die Homosexuellen. Vier Monate später ist er Kardinal und Papstwähler.
Auch gegenüber den Gläubigen des überlieferten Ritus zeigte sich der Erzbischof von Ancona „liberal“. Als alle anderen Bischöfe der Marken eine Zelebration im Alten Ritus behinderten, gewährte er großzügig Gastfreundschaft.
Kapitalismuskritik von Evangelii gaudium bis Tsipras?
Die Antworten des Interviews ähneln jenen von Berufspolitikern der hinteren Reihen, was den Versuch einer inhaltlichen Einordnung erschwert. Oder überflüßig macht, weil unklar bleibt, ob die Kofferträger so denken oder nur wiederholen, was die Vorgesetzten gerne hören. So scheinen die aneinandergereihten Schlagworte vordringlich für bestimmte Ohren gedacht, vielleicht die päpstlichen. Franziskus hatte am vergangenen 28. Oktober den griechischen Linksradikalen Alexis Tsipras im Vatikan empfangen und ihm damit „höhere Weihen“ erteilt. Das Signal galt nicht der winzigen Schar griechischer Katholiken, sondern einer politischen Richtung in Europa und weltweit. Tsipras ist heute Ministerpräsident im Land der Hellenen.
Was verschlimmert die Krise?
Wenn das Geld im Mittelpunkt steht, verliert die Person an Bedeutung und die Gesellschaft wird zu einer Wüste der Werte. Die zur bloßen Finanz reduzierte Wirtschaft tötet und die Schäden sind vor aller Augen sichtbar. Die Politiker sollen an die Menschen und nicht an die Parteien denken. Es braucht Solidarität und Nüchternheit: eine Politik für Arbeit für alle. Man muß bei den Letzten neu beginnen, der Person ihre Würde wiedergeben und Ungerechtigkeiten beseitigen.
Mehr Einsatz im Sozialen?
Die soziale Dimension ist Bestandteil des Glaubens. In „Evangelii gaudium“ warnt Franziskus vor den Ideologien, die eine absolute Autonomie der Märkte und der Finanzspekulation verteidigen. Bereits Benedikt XVI. forderte eine politische Institutaion, die das Finanz- und Währungssystem auf die Funktion zurückführt, den Arbeitern, Familien, Unternehmen und örtlichen Gemeinschaften Kredite zu gewähren.
Was kann die Kirche mehr tun?
Die Barmherzigkeit muß jede Handlung leiten, um jenen zu Hilfe zu eilen, die ihre Arbeit verloren haben, die ein menschliches Leid erleben und riskieren, ihre soziale Identität zu verlieren. Die Kirche ist gerufen, sich sensibel und aufmerksam zu zeigen. Es dürfen nicht politische Oligarchien vorherrschen, die die Bedürfnisse der Zivilgesellschaft mißachten und einen Abstand zwischen Führungsklasse und Bevölkerung schaffen. Die Globalisierung ist am Allgemeinwohl auszurichten. Und die Kirche, „die hinausgeht“, muß immer gegen Egoismus und Relativismus auftreten.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican Insider