(Arbil) Im Westen, besonders im deutschen Sprachraum würde kein Sender es wagen, dergleichen auszustrahlen. Der kurdische Internetsender KurdSat Tv hat den Mut und sendet eine Parodierung des islamistischen Kampfverbandes Islamischer Staat. Seit einigen Monaten ist die mordende Dschihad-Truppe zum unheimlichen Nachbarn der Kurden geworden. Zu Kämpfen kam es zwar vorwiegend in Nordostsyrien, doch stehen auch die nordirakischen Kurden Gewehr bei Fuß. Als politische Korrektheit kaschierte Angst ließe westliche Programmdirektoren vor einem vergleichbaren Kabarett zurückschrecken. „Wir sind bärtig, schmutzig und abstoßend, wir sind hirnlos und haben nichts in unseren Köpfen“.
Mit diesem Liedtext macht sich KurdSat TV über die Krieger des neuen „Kalifats“ lustig. Eine sympathische und beißende Satire auf die Islamisten-Truppe, deren Entstehung und deren Aufstieg nur Dank mächtiger Unterstützer in den arabischen Emiraten und im Westen möglich wurde. Fünf Schauspieler treten im Video als bärtige Islamisten auf, schwarz gekleidet, Säbel schwingend und mit Totenköpfen spielend, im Hintergrund die schwarze Fahne des Dschihad. „Wir sind die Isis, wir melken die Ziegen auch wenn sie Böcke sind“, heißt es im Lied der „Dschihadisten“.
Die in ihrer großen Mehrzahl sunnitischen Kurden der schafilitischen Richtung leben auf mehrere Staaten des Nahen Ostens verteilt und verfügen über keine Eigenstaatlichkeit. Die Schätzungen gehen erheblich auseinander, weshalb Mittelwerte genannt werden sollen. Demnach beträgt der kurdische Bevölkerungsanteil mit rund 13 Millionen in der Türkei etwa 20 Prozent, fast ebenso viele sind es im Irak mit über sechs Millionen. Etwa sieben Millionen Kurden leben im Iran und machen dort ungefähr acht Prozent der Bevölkerung aus. In Syrien leben zweieinhalb Millionen Kurden, das entsprach vor dem Krieg ungefähr zwölf Prozent der Landesbevölkerung. Zu ihrem historischen Siedlungsgebiet gehört auch ein kleiner Grenzstreifen im westlichen Aserbeidschan. Der Anteil an der Bevölkerung dieses Landes beträgt allerdings nur etwa 1,5 Prozent. Die weitaus größte kurdische Diasporagemeinde lebt in der Bundesrepublik Deutschland, wohin sie im Zuge der deutsch-türkischen Gastarbeiter-Verträge gelangte. Gut 800.000 Kurden sollen in Deutschland leben und damit ein Prozent der Einwohner ausmachen.
Auf dem Weg zum eigenen Staat?
Am weitesten fortgeschritten ist das Bestreben nach einer eigenen Staatsbildung mit der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Sie geht auf ein Autonomieabkommen von 1970 zurück, das der damalige irakische Vize-Präsident Saddam Hussein mit den Kurden vereinbarte. Nach dem Zweiten Golfkrieg 1991 wurde ein innenpolitisch weitgehend selbstverwalteter Teilstaat daraus mit eigenem Parlament, eigener Regierung und eigener Armee. Innerkurdische Konflikte verhinderten über Jahre den Ausbau dieser Stellung.
Die irakischen Kurden versuchen 2014 die Auflösungserscheinungen des Irak zur Gründung eines selbständigen Staates zu nützen. Grund für den Zerfall ist die prekäre innenpolitische Lage eines religiös und ethnisch zerrissenen Landes. Mit dem Auftreten des islamistischen Kampfverbandes Islamischer Staat kippte das labile innere Gleichgewicht. Mit der Eroberung der von sunnitischen Arabern bewohnten Gebiete des mittleren Irak haben die Kurden einen unangenehmen „Nachbarn“ bekommen. Zu offenen Kampfhandlungen zwischen Islamischem Staat und Kurden kam es bisher vor allem in Nordost-Syrien. Im Süden und Westen vom IS und im Norden vom türkischen Staat bedrängt, befinden sich die Kurden im Nordirak und Nordsyrien in einer wenig beneidenswerten Situation. Da die Türkei separatistische Bestrebungen ihrer eigenen großen Kurdengebiete befürchtet, gilt sie als Freund aller Feinde der Kurden. Wirklich Unterstützung für ihre Eigenstaatlichkeit haben sie von keiner Seite.
Die Kurden beteiligten sich vor hundert Jahren am türkischen Armenier-Genozid und übernahmen große Teile des ursprünglich armenisch besiedelten Gebiets der heutigen Türkei.
Schwierige Gemengenlage im Nahen Osten
Die syrischen und irakischen Christen werden vom Islamischen Staat brutal verfolgt. Eine wirkliche Schutzallianz durch die Kurden kam bisher nicht zustande. Das irakische Kurdengebiet bietet den Christen zumindest eine Zuflucht. Internationale Institutionen und Hilfsorganisationen konnten dort Flüchtlingslager errichten.
Der Nahe Osten ist eine komplexe ethnische und religiöse Gemengenlage, die durch westliche Interessenpolitik, bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion auch des Ostblocks, in starke Bewegung geraten ist mit der Gefahr, selbst die labilen Gruppenausgleiche zusammenbrechen zu lassen, die über Jahrhunderte ein, wenn auch teils prekäres Zusammenleben ermöglichten.
Der kurdische Sender KurdiSat Tv wagt trotz der unmittelbaren Bedrohung mit einer Parodie des Islamischen Staates, was im deutschsprachigen Fernsehen vergebens zu suchen ist.
Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
Text: Andreas Becker
Bild: AsiaNews