(New York) Gottesdienstbesuch als Touristenattraktion, so steht es in verschiedenen New York-Reiseführern und so wird in der Millionenstadt zwischen den Flüssen Hudson und East River geworben. Wer sich geschäftlich oder als Tourist in New York aufhält, dem wird an Sonntagen die „Teilnahme an einer Gospel-Messe“ angepriesen, wie sie in zahlreichen Baptisten-Kirchen als „typische Besonderheit“ der Stadt gefeiert werden. „Nicht irgendeine Messe“, sondern eine „Harlem Mass“, eine „Mischung aus Blues, Boogie Woogie, Funky“ und alles strikt „afroamerikanisch“, heißt es da im Tonfall der Touristikbranche. Die Bezeichnung „Messe“ ist für katholische Ohren befremdlich. Tatsächlich sprechen viele dieser „Kirchen“ zutreffender von Worship Services.
Tatsächlich sind im Stadtteil Harlem viele protestantische Kirchen bereits auf Touristen und Schaulustige eingestellt, die den Gottesdiensten beiwohnen oder auch nur kurz vorbeischauen, Fotos machen und weiterziehen.
In manchen Reisehandbüchern und Prospekten ist die „Attraktion“ mit dem Hinweis versehen, sich rechtzeitig einzufinden, denn die Warteschlange könnte lang sein.
Die Abyssinian Baptist Church. Inc. wird meist an erster Stelle empfohlen, wenn man einmal „eine echte Gospel-Messe miterleben“ will. Sie liegt am Odell Clarc Place, der ehemaligen 138th Street. Dort sei die Warteschlange für Schaulustige am längsten. Auf der Internetseite finden sich umfassende Informationen und Verhaltensregeln für Touristen samt dem Hinweis: „Is not a Gospel performance or entertainment of any kind.“ Die Abyssinian Baptist Church wurde 1808 gegründet und ist damit die älteste der New Yorker Gospel-Kirchen und überhaupt die älteste afroamerikanische Kirche des Staates New York. In ihr sprachen bereits Martin Luther King und Hillary Clinton. Die anderen „Gospel Churches“ sind meist jüngeren Datums und wurden nach dem Ersten oder erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet.
Worship Service mit viel Musik und notfalls auch ohne Kreuz
Die Mount Neboh Baptist Church zwischen der 1883 Seventh Avenue und der 114th Street und die New Mount Zion Baptist Church sind für ihre Gospel-Chöre bekannt. Sie gehören jeweils unterschiedlichen baptistischen Dachverbänden an. Eine der „schönsten Gospel-Messen Harlems“ werde jedoch im Greater Refuge Temple, dem Hauptsitz der Church of Our Lord Jesus Christ of the Apostolic Faith, Inc. gefeiert. Touristen werden dort nur jeweils im 20-Minuten-Takt eingelassen, um dann für die nächste Touristengruppe Platz zu machen.
Die First Corinthian Baptist Church bietet eigens eine Touristenempore, um die Schaulustigen von den Gläubigen zu trennen. Bei der FCBC ist man so „modern“, daß man auf das Kreuz oder andere christliche Symbole auf der Internetseite ganz verzichtet, wie überhaupt christliche Symbole, abgesehen von vereinzelten kleinen Kreuzen, in den „Churches“ kaum ausfindig zu machen sind.
Touristendienstleister haben sich darauf spezialisiert. Im Rahmen von Stadtführungen oder auch allein werden Gospel Tours, Rundfahrten durch Harlem „mit den eindrucksvollsten Gospel-Messen“ angeboten, „um nur 59 Dollar je Person“. Eine Mischung aus Mission und Business.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MMBC