Plus XII.
Rundfunkbotschaft vom 24. Dezember 1942
Die Kirche hat stets aus religiösen Beweggründen die verschiedenen Formen des marxistischen Sozialismus verurteilt. Sie tut es auch heute, weil es ihre unabänderliche Rechtspflicht ist, die Menschen vor Strömungen und Einflüssen zu bewahren, die ihr ewiges Heil gefährden. Aber die Kirche kann auch nicht übersehen oder verkennen, daß der Arbeiter beim Streben nach Besserung seiner Lage gegen ein Triebwerk angeht, das, weit davon entfernt, der Natur zu entsprechen, vielmehr der Ordnung Gottes und dem von ihm in die Erdengüter hineingelegten Sinn widerstreitet. So falsch, so verurteilenswert und verhängnisvoll die Wege waren und sind, die man beschritt, wer, welcher Christ und welcher Priester vor allem könnte den Schrei aus der Tiefe überhören, der in der Welt eines gerechten Gottes nach Gerechtigkeit und Brudersinn ruft? Es wäre ein schuldhaftes Schweigen, nicht zu verantworten vor Gott und im Widerspruch mit dem erleuchteten Sinn des Apostels, der zwar Unerbittlichkeit gegenüber dem Irrtum fordert, dabei sich aber bewußt ist, daß er dem Irrenden Schonung, Rücksicht und Verständnis für seine Wünsche, Hoffnungen und Beweggründe schuldet.
Als Gott unsere Stammeltern segnete, sprach er zu ihnen: „Wachset und mehret euch und erfüllet die Erde und macht sie euch untertan“ (Gen 1, 28). Und zum ersten Familienvater sagte er später: „Im Schweiße deiner Stirne sollst du dein Brot essen“ (Gen 3, 19). Die Persönlichkeitswürde des Menschen erheischt also das persönliche Nutzungsrecht an den Gütern der Erde als normale und naturgemäße Lebensgrundlage. Dem entspricht die grundsätzliche Forderung des Privateigentums, soweit möglich für alle. Die einzelrechtlichen Bestimmungen zur Regelung des Privateigentums mögen wechseln und eine mehr oder weniger gebundene Nutzung gestatten. Wollen sie jedoch ihre Friedensaufgabe im Dienste der Gemeinschaft erfüllen, so haben sie zu verhindern, daß der arbeitende Mensch, der gegenwärtige oder zukünftige Familienvater, einer wirtschaftlichen Abhängigkeit und Unfreiheit verfällt, die mit seinen Persönlichkeitswerten unvereinbar ist.
Ob diese Unfreiheit von der Übermacht des Privatkapitals oder von der Staatsmacht ausgeht, ist für die Wirkung selbst ohne Belang. Im Gegenteil, unter dem Druck eines Staates, der alles beherrscht und das Gesamtgebiet des öffentlichen und privaten Lebens regeln will, bis hinein selbst in den Gesinnungs‑, Überzeugungs- und Gewissensbereich, könnte diese Unfreiheit noch viel schwerwiegendere Folgen zeitigen, wie die Erfahrung lehrt und bezeugt. [1]U.F. Utz – J.F. Groner, Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens, Soziale Summe Pius XII., Paulusverlag Freiburg/Schweiz 1954, S. 108 f.
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↑1 | U.F. Utz – J.F. Groner, Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens, Soziale Summe Pius XII., Paulusverlag Freiburg/Schweiz 1954, S. 108 f. |
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