(Brüssel) Euthanasie, „dieses war der zweite Streich, doch der dritte folgt sogleich“. Soeben trat in Belgien das neue Euthanasiegesetz in Kraft, das auch die Euthanasierung von Kindern ohne Altersgrenze und von psychisch Kranken erlaubt. Auf deren Antrag hin. Doch die Todesideologen haben nach Erreichung dieses Ziels schon die nächste „Erweiterung“ zur Hand.
Am 23. September 2002 trat in Belgien das erste Euthanasiegesetz in Kraft. „Nur“ Erwachsene und keine psychisch Kranken sollen auf ausdrücklichen und geprüften Antrag hin, euthanasiert werden. Kritiker warnen seit Jahren, daß die Realität ganz anders aussieht und munter am Gesetz vorbei euthanasiert werde.
Etappenweise Enthemmung des Tötens
Dessenungeachtet beschloß das Parlament am vergangenen 13. Februar in letzter Lesung eine Ausdehnung des Gesetzes auf Minderjährige und psychisch Kranke. Kritiker hielten dagegen, daß beide Gruppen nicht in der Lage seien, eine so weitreichende und definitive Entscheidung zu treffen und deshalb ausdrücklich ausgeklammert wurden, um Mißbrauch zu verhindern. Doch eine große Mehrheit der belgischen Abgeordneten hält es für logisch und denkbar, daß ein in keiner Weise rechtsfähiges zweijähriges Kind entscheidungsfähig sei, aus freiem Willen einen Antrag auf Euthanasie zu stellen. Tatsächlich nimmt es diese Mehrheit billigend in Kauf, daß Dritte über die Tötung von Schutzbefohlenen entscheiden.
König Baudoin hatte sich 1990 noch geweigert das Abtreibungsgesetz zu unterschreiben. Wie bereits sein Vater, König Albert II., 2002 das Euthanasiegesetz unterzeichnete, setzte auch König Philippe 2014 das Todesgesetz ohne Zögern in Kraft. Anwendung findet die Neufassung des Gesetzes ab 25. Mai 2014.
Die Euthanasierung von Kindern ist für die Todesideologen aber bereits Schnee von gestern. Sobald sie den neuen Etappensieg in der Tasche hatten, holten sie bereits die nächste „Erweiterung“ aus der Schublade: die „Euthanasie ohne Antrag“.
Vom ausdrückliche Antrag zur „Euthanasie ohne Antrag“
Sowohl das Gesetz von 2002 als auch die Neufassung von 2014 beruhen auf dem Grundsatz, daß Euthanasie nur auf ausdrücklichen Antrag des Betroffenen erfolgen könne. Dem Mißbrauch sind dennoch bereits jetzt Tür und Tor geöffnet, weil die Kontrollmechanismen nicht funktionieren, wie zahlreiche Fälle belegen. Der staatliche Willen zur effektiven Kontrolle ist nicht gegeben. Die Euthanasie wird unausgesprochen in gewisser Hinsicht als im Interesse des Staates gesehen. Die Neufassung des Gesetzes setzt den Mißbrauch geradezu voraus.
Jean-Louis Vincent, der ehemalige Vorsitzende der belgischen Gesellschaft für Intensivtherapie fordert, „weiter zu gehen“ und den „süßen Tod“ zu erlauben, „ohne, daß der Patient Dokumente unterschreiben muß“.
In Belgien, so Vincent, soll die Euthanasie ohne Antrag erlaubt werden. Mit anderen Worten: willkürliche Euthanasie in Wild-West-Manier. Die Tageszeitung Le Soir veröffentlichte den Vorstoß von Jean-Louis Vincent, Primar der Abteilung für Intensivtherapie am Erasme-Krankenhaus. Er fordert ein Gesetz, das „therapeutische Verbissenheit verurteilt“ und daher „die Anwendung der Euthanasie erlaubt“, auch wenn kein Antrag des Patienten vorliegt.
Der nächste Propagandatrick
Ein neuer Propagandatrick. Als therapeutische Verbissenheit gilt therapeutische Unverhältnismäßigkeit in der Erreichung des therapeutischen Ziels, eine Besserung des Gesundheitszustandes oder die Heilung des Patienten zu erreichen. Eine solche Vorgangsweise wurde nie gutgeheißen und wird auch durch keine Rechtsordnung gestützt. Sie daher ins Spiel zu bringen, um Menschen euthanasieren zu können, die es gar nicht wollen, ist ein bloßer Vorwand.
Vincent fordert, daß es dem behandelnden Arzt oder der Krankenhausdirektion zustehen solle, willkürlich Patienten in ihrer Obhut zu töten. Der Vorstoß läßt brutale Realität werden, wovor Euthanasiegegner, vor allem die Katholische Kirche immer gewarnt haben: Die Legalisierung der Euthanasie führt schrittweise zur völligen Schutzlosigkeit des Menschen. Ein Kranker begibt sich ins Krankenhaus und muß fürchten, klammheimlich gemordet zu werden. Und dies ganz legal. Natürlich sieht Vincent „Regeln“ vor, doch die gesamte Euthanasielegalisierung Belgiens ist ein einziger Beweis, daß diese Regeln nicht funktionieren. Die Legalisierung der Euthanasie in Belgien offenbart zudem eine sytematische Salamitaktik, die scheibenweise die völlige Enthemmung des Tötens durchsetzt.
Sozial Schwache von Euthanasie bedroht
Die Tötung ohne Antrag wird letztlich zur Kostenfrage werden. Die Gesundheitsausgaben explodieren, die Neigung wir zunehmen, kostenintensive Fälle zu entsorgen. Die Euthanasie als Instrument nicht zur rassischen Hygiene wie im Nationalsozialismus, sodern als Instrument der „finanziellen Hygiene“ für die Finanzen von Staat und Krankenkassen mit knallharter Kassenkomponente: sozial Schwächere werden um ein Vielfaches mehr um Leib und Leben bangen müssen, als Reiche.
Vincent gibt in Le Soir offen zu, daß bereits heute die „nicht beantragte Euthanasie regelmäßig in Belgien praktiziert wird“. Seine Schulußfolgerung ist nicht ein Aufschrei, sondern die Forderung, daß es daher nur angemessen sei, diese Praxiss offiziell anzuerkennen. Was in den vergangenen 20 Jahren der Debatte von Euthanasiebefürwortern immer vehement bestritten wurde, wird nun, da die Euthanasie „für alle“ zum Gesetz geworden ist, offen zugegeben und sogar zur Begründung für noch mehr Tötungsmöglichkeiten herangezogen.
„Den Tod beschleunigen“
Vincent sagt es unumwunden: Es gehe nicht darum, den Patienten nur lebenserhaltende Maßnahmen vorzuenthalten, sondern „so große Dosierungen an Beruhigungsmittel zu verabreichen, um den Tod jener Menschen zu beschleunigen, deren Lebensqualität ungenügend geworden ist. Diese Patienten sind nicht ausreichend bei Bewußtsein, um einen ausdrücklichen Antrag zu stellen“. Es ist der Arzt, die Krankenhausdirektion, die Krankenkasse, der Staat, der für den Patienten die Entscheidung übernimmt und im Sinne eines „vorausgesetzten Todeswunsches“, den „Tod beschleunigt“, so Vincent.
Ärzte weisen in allen Ländern darauf hin, daß es heute keine Euthanasiedebatte brauche, die mit dem Vorwand geführt wird, daß Patienten von einem „unerträglichen Leiden“ zu befreien seien. Die Palliativmedizin ist heute imstande alle Schmerzsituationen in befriedirgender Form unter Kontrolle zu haben. Die Kosten für die Palliativmedizin sind allerdings höher als der „schnelle Tod“ des Patienten. Damit ist ein wesentlicher „Grund“ für die aktuelle Euthanasiedebatte genannt: das Geld.
Kultur des Todes: Leben in Belgien in allen Phasen bedroht
Die gesamte Euthanasiedebatte der vergangenen Jahre wurde unter dem Stichwort des selbstbestimmen Menschen geführt. Der Mensch solle selbst bestimmen können, sterben zu wollen. Die Euthanasie wird als Akt des freien Willens dargestellt. Eine offensichtliche Lüge, oder bestenfalls eine Teilwahrheit. Der von der Kultur des Lebens geforderte Schutz des menschlichen Lebens in jeder Phase des Lebens, ist in Belgien ins genaue Gegenteil verkehrt worden. Eine Kultur des Todes hat es durchgesetzt, daß das Leben heute in all seinen Phasen potentiell getötet werden kann. 1990 wurde die Tötung des ungeborenen Lebens im Mutterleib legalisiert, 2002 die Tötung der geborenen Erwachsenen, die nicht psychisch krank sind, und nun ab 2014 kategorisch alle Geborenen.
Mit einem Schlag wird das bisherige Argument der Selbstbestimmung des Menschen jedoch in das Gegenteil umgekehrt. „Nur“ wer ausdrücklich einen Antrag stellt, soll getötet werden, hieß es bis gestern. Doch gestern ist gestern und heute ist heute. Im positivistischen Denken ist alles im Fluß und wird zusehends zum tödlichen Strom. Nun heißt es, daß es ja Menschen gebe, die nicht mehr in der Lage seien selbst zu bestimmen. Was gestern noch explizit geleugnet wurde, ist heute Argumentationsgrundlage. Morgen wird es heißen, daß euthanasiert werden müsse, weil die Kosten für die Behandlung nicht mehr tragbar seien. Jedenfalls nicht die Kosten für die Armen, schließlich zähle letztlich nur das Geld.
Vincent demontierte in La Soir im Zusammenhang mit Euthanasie endgültig den Selbstbestimmungsmythos. Doch wen schert es. Das Euthanasiegesetz ist soeben in Kraft getreten. Nun kann man ehrlicher auftreten und zur nächsten Etappe übergeben.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Tempi