Der Rücktritt Benedikts XVI., die „Lobby“ und ihr zersetzendes Unwesen – Gespräch mit Ariel Levi di Gualdo


Ariel Stefano Levi di Gualdo, Priester der Diözese Rom und bekannt für seine unverblümte Analyse. Er kritisiert eine Lobby in der Kirche, die Papst Benedikt XVI. die Leitung der Kirche unmöglich gemacht habe und durch seinen Amtsverzicht ihr zersetzendes Unwesen ungestört fortsetzen könne(Paris) Die fran­zö­si­sche Zeit­schrift Catho­li­ca führ­te ein Gespräch mit dem Prie­ster Ari­el Ste­fa­no Levi di Gual­do, einem jüdi­schen Kon­ver­ti­ten, der katho­li­scher Prie­ster wur­de. Um genau zu sein, wur­de er nach der Geburt getauft, ent­deck­te dann sei­ne jüdi­schen Wur­zeln und kehr­te schließ­lich zum katho­li­schen Glau­ben zurück. Das Gespräch wur­de bereits am ver­gan­ge­nen 28. Juni in der Num­mer 120 der Zeit­schrift ver­öf­fent­licht. Den­noch lohnt ein Blick auf das, was Levi di Gual­do zu sagen hat, der bekannt für sei­ne unge­schmink­te Ana­ly­se ist. In dem Gespräch geht es um eine inner­kirch­li­che Lob­by, die wäh­rend des Pon­ti­fi­kats von Papst Bene­dikt XVI., so Levi di Gual­do, oft aggres­si­ve und bedrücken­de Medi­en­kam­pa­gnen gegen den Papst aus­lö­ste. Seit dem Amts­ver­zicht des deut­schen Pap­stes herr­sche hin­ge­gen völ­li­ges Still­schwei­gen. Die Lob­by scheint ihr Ziel erreicht zu haben und kön­ne, so der Prie­ster der Diö­ze­se San Mari­no – Mon­te­fel­t­ro, der in Rom wirkt, unge­stört ihr zer­set­zen­des Unwe­sen fortsetzen.

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In den Jah­ren nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil habe, so Levi di Gual­do, eine Rück­kehr zu einer Situa­ti­on statt­ge­fun­den, wie sie vor dem Kon­zil von Tri­ent herrsch­te. Eine Situa­ti­on, die durch Ver­fall und besorg­nis­er­re­gen­de inter­ne Macht­kämp­fe gekenn­zeich­net ist. Der Amts­ver­zicht von Bene­dikt XVI. stellt ein nie dage­we­se­nes Ereig­nis dar, am Höhe­punkt einer Kri­se und zeit­gleich mit den 50-Jahr­fei­ern des Kon­zils. Kein Zufall, wie der Prie­ster meint. Vor allem, wenn man bedenkt, daß die­ses Kon­zil die kirch­li­chen Insti­tu­tio­nen eigent­lich ver­jün­gen und ihnen neu­en gläu­bi­gen Elan geben woll­te. Der Rück­tritt Bene­dikts XVI. blei­be schwer ent­zif­fer­bar. Vie­le hät­ten in die­sem Zusam­men­hang von Unre­gier­bar­keit gespro­chen in einem Augen­blick, da zahl­rei­che Span­nun­gen und Macht­kämp­fe schritt­wei­se sicht­bar gewor­den sei­en, so Catho­li­ca.

Unter den Autoren, die zur Lage der Kir­che Stel­lung neh­men, fiel der Zeit­schrift der Prie­ster Ari­el Levi di Gual­do „wegen sei­ner kla­ren Spra­che“ auf. Er ist Autor meh­re­rer Bücher. Dar­un­ter ein Buch über das „zio­ni­sti­sche Jahr­hun­dert“ und die 2012 erschie­ne­ne Abhand­lung „Und Satan mach­te sich drei­ei­nig“ gegen die „sata­ni­sche Tri­ni­tät“ Rela­ti­vis­mus, Indi­vi­dua­lis­mus und Unge­hor­sam (sie­he eige­nen Bericht Vom „ego­me­ni­schen“ Kon­zil zur Homo­se­xua­li­sie­rung der Kir­che – Ari­el Levi di Gual­dos neue Streit­schrift). 2013 erschien vom ihm wäh­ren der Zeit der Sedis­va­kanz zwi­schen dem Amts­ver­zicht Bene­dikts XVI. und der Wahl von Papst Fran­zis­kus die Klein­schrift „Quan­ta cura in cor­di­bus nostris. Eine Enzy­kli­ka in der Form eines Motu pro­prio“. In der „Enzy­kli­ka“ eines fik­ti­ven Pap­stes namens Bee­ne­dikt XVII. skiz­zier­te Ari­el Levi di Gual­do die Grund­sät­ze, die sei­ner Ansicht nach für eine grund­le­gen­de Erneue­rung der Kir­che not­wen­dig wären.

Catho­li­ca: In Ihrem jüng­sten Buch schrei­ben Sie über die Rol­le bestimm­ter römi­scher Dik­aste­ri­en hin­ter vie­len schwer­wie­gen­den Skan­da­len. Könn­ten Sie die­se Situa­ti­on genau­er erklä­ren und vor allem dar­le­gen, wor­in der Man­gel eini­ger kuria­ler Dien­ste besteht und wor­in die beun­ru­hi­gen­den Kompromittierungen?

Levi di Gual­do: In die­sem Buch erklä­re ich, daß wir zwar das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil gemacht haben, aber in der Pra­xis in den Jah­ren danach in die Epo­che vor dem Kon­zil von Tri­ent zurück­ge­kehrt sind mit all ihren kor­rup­ten Machen­schaf­ten, ihrem mora­li­schen Ver­fall und ihren besorg­nis­er­re­gen­den inter­nen Macht­kämp­fen. Nach­dem nun seit einem hal­ben Jahr­hun­dert bis zum Erbre­chen über Dia­log und Kol­le­gia­li­tät gere­det wur­de, sind bis­her unbe­kann­te For­men von Kle­ri­ka­lis­mus und Auto­ri­ta­ris­mus auf­ge­tre­ten. Die pro­gres­si­ven Mei­ster des Dia­logs und der Kol­le­gia­li­tät set­zen Aggres­si­vi­tät und Zwang gegen jeden ein, der nicht „reli­gi­ös kor­rekt“ wie sie denkt. Man kann immer auf die Glau­bens­dog­men pfei­fen, man kann sie immer gemäß einer anthro­po­zen­tri­schen Logik dekon­stru­ie­ren, aber wehe dem, der den „hei­li­gen“ und „unfehl­ba­ren“ Cha­rak­ter des Lehr­am­tes eini­ger Theo­lo­gen kri­ti­siert, das mit Hege­lia­nis­mus und der Theo­lo­gie von Karl Rah­ner durch­tränkt ist, ein Den­ken, das sie an die Sei­te des Moder­nis­mus und von Hete­ro­do­xien jeg­li­cher Art führt: der­je­ni­ge wird von die­ser geein­ten und sowohl an der Römi­schen Kurie als auch an den päpst­li­chen Uni­ver­si­tä­ten mäch­ti­gen Cama­ril­la geächtet.
Dem ist hin­zu­zu­fü­gen, daß seit 1970 homo­se­xu­el­le Geist­li­che zuge­las­sen wur­den, deren Zahl durch Koop­tie­run­gen im Lauf der Jah­re beacht­lich ange­wach­sen ist. Heu­te bil­den sie eine regel­rech­te Lob­by mafiö­sen Stils, mäch­tig und bereit, jeden zu ver­nich­ten, der sich ihnen in den Weg stellt.
Es wer­den Pro­zes­se zur Umwer­tung von Wer­ten erkenn­bar – das Gute wird zum Bösen, die Tugend ver­kehrt in Laster und umge­kehrt -, die soweit fort­ge­schrit­ten sind, daß die gesun­de Leh­re in Hete­ro­do­xie umge­wan­delt wird, wenn einer die­ser Geist­li­chen bei der zustän­di­gen Auto­ri­tät mit Bewei­sen und Bela­stungs­zeu­gen zur Anzei­ge gebracht wird; denn die Ver­ur­tei­lung eines ein­zi­gen von ihnen wür­de genü­gen, um ihr gan­zes System zu gefähr­den. So sah man in vie­len Fäl­len Unschul­di­ge, die bestraft und aus­ge­grenzt wur­den, und Schul­di­ge, die geschützt wur­den, obwohl sie sich schwe­rer mora­li­scher Ver­feh­lun­gen schul­dig gemacht hat­ten. Wenn es sich als oppor­tun erwies, jeman­den von der Römi­schen Kurie zu ent­fer­nen, wur­den sie von den Bischö­fen auf­ge­nom­men und geschützt, in deren Diö­ze­sen sie ein­fluß­rei­che Zir­kel bil­den und sich vor­wie­gend mit Homo­se­xu­el­len umge­ben. Noch ein­mal: kor­rupt wie die­ses System ist, ist es gar nicht mög­lich, anders zu han­deln, denn wenn ein Schul­di­ger bestraft wird, wür­de er sich rächen und in sei­nen Sturz alle ande­ren Mit­glie­der die­ser Mafia mit­rei­ßen. Man muß ihn daher schüt­zen, koste es, was es wol­le. Der Gesamt­ein­druck ist der einer Wider­sprüch­lich­keit in der Lei­tung der Kir­che: das kommt in der Beför­de­rung eini­ger Prä­la­ten zum Ausdruck.

Catho­li­ca: Was sind Ihrer Ansicht nach die Grün­de, die die Frei­heit der kirch­li­chen Auto­ri­tät durch sol­chen Zwang einschränken?

Levi di Gual­do: Es ist para­dox, daß gera­de wäh­rend des Pon­ti­fi­kats des „Theo­lo­gen­pap­stes“ die Ernen­nung von Per­so­nen in Schlüs­sel­po­si­tio­nen der Kir­chen­lei­tung zunah­men, die in völ­li­gem Wider­spruch zu den theo­lo­gi­schen Prä­mis­sen Bene­dikts XVI. ste­hen: Prä­la­ten von zwei­fel­haf­ter Theo­lo­gie oder einem blas­sen Pro­fil ange­sichts der aktu­el­len Her­aus­for­de­run­gen wie der Neue­van­ge­li­sie­rung. Ein gemein­sa­mer Zug cha­rak­te­ri­siert sie: hin­ter einer äußer­li­chen Demut steckt eine Vor­lie­be, aber nicht für die Kir­che, son­dern für ihre eige­ne Per­son. Ich weiß nicht, wie man in eini­gen Jahr­zehn­ten die­ses Pon­ti­fi­kat mit sei­nem so leuch­ten­den Lehr­amt beur­tei­len wird, das durch die Prä­senz die­ser Per­so­nen wider­legt wird.
Der­zeit aber fra­ge ich mich, wie der ver­steck­te Ein­fluß eini­ger (im Stil von Strip­pen­zie­hern) über­haupt so mäch­tig wer­den konn­te, unse­ren Petrus so ohn­mäch­tig wer­den zu las­sen, zu einem See­fah­rer ohne Besat­zung in einem durch die Wel­len und die stür­mi­schen Win­de leck­ge­schla­ge­nen Schiff.
Sicher ist jedoch, daß das Evan­ge­li­um kei­nen Spiel­raum für Miß­ver­ständ­nis­se läßt: Gott wird uns nicht nach unse­ren Wor­ten beur­tei­len, son­dern nach der Weis­heit unse­rer Wer­ke (Mt 11,19). Wir wer­den uns vor Gott zu ver­ant­wor­ten haben für die Talen­te, die er uns geschenkt hat, und even­tu­ell auch für das Talent, das wir aus Angst vor den Die­ben ver­gra­ben haben (Mt. 25,14ff). Ich glau­be, daß der Papst als Sou­ve­rän von Gott ein Talent erhal­ten hat, das zugleich schwer, aber auch kost­bar ist und das er frucht­bar ein­set­zen soll: „Du bist Petrus und auf die­sen Fel­sen wer­de ich mei­ne Kir­che bau­en“. Ein Talent, das ver­langt, daß der­je­ni­ge, der es emp­fan­gen hat, sich vor allem dafür ein­zu­set­zen hat, daß „die Mäch­te der Unter­welt sie nicht über­wäl­ti­gen“ (Mt. 16,18).
Ohne jeden Zwei­fel wer­den die Histo­ri­ker, wenn sie die­ses Pon­ti­fi­kat stu­die­ren, das in einer so schwie­ri­gen und schmerz­li­chen Epo­che statt­fand, in die­sem Kon­text tie­fer Deka­denz, die auf der Kir­che lastet, den Nach­weis erbrin­gen, daß Bene­dikt mit gro­ßer Anstren­gung bemüht war, im besten Sinn für die Kir­che Chri­sti zu han­deln, im Rah­men des­sen, was ihm die Umstän­de zu tun erlaub­ten. Die Mas­sen wer­den bei sei­nem Tod ohne Zwei­fel nicht „San­to subi­to“ rufen. Es ist aber wahr­schein­lich, daß es in eini­gen Jahr­zehn­ten „San­to sicu­ro“ hei­ßen und er sicher hei­lig­ge­spro­chen wer­den wird […].

Text/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Fides et Forma

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