(Bogota) Vor einem Jahrhundert wurde am 18. Mai 1913 Nicolas Gomez Davila geboren, jener unorthodoxe katholische Denker, der von Kolumbien aus die Welt beobachtete und deren Entwicklung in scharfsinnigen Aphorismen auf den Punkt brachte. Davila war ein „Genie“, ein „Meister“, „originell“. Aber solche Zuschreibungen machen heute inflationär die Runde, so daß sie an Aussagekraft verloren haben. Gomez Davila war das alles, entscheidend aber ist seine Spur, die er hinterlassen hat. Wie jede Spur weist sie den Weg zu einem Ziel. Und auf dieses Ziel kommt es an. Es hebt Nicolas Gomez Davila über die inflationären „Großen“ weit hinaus.
Es war der polyglotte, altösterreichische Weltreisende Erik von Kuehnelt-Leddihn (1909–1999), der auf seiner katholischen Fährtenlese rund um den Erdball in Lateinamerika auf den faszinierenden, einzelgängerischen Davila stieß und dessen Gedankenwelt und Wortmächtigkeit in Europa bekanntmachte. Es ist daher kein Zufall, daß es dem in Wien ansässigen Karolinger-Verlag zu danken ist, die Werke dem deutschsprachigen Publikum seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre zugänglich gemacht zu haben. Zu einem Zeitpunkt, als Gomez Davila noch weit davon entfernt war, in Mitteleuropa den Status eines Kultautors zu erlangen.
Gomez Davila sah sich selbst als Streiter „auf verlorenem Posten“, einem Posten, der in Wirklichkeit immer siegreich ist.
Aus diesem Anlaß veröffentliche Marco Respinti, der Leiter des Russell Kirk Center for Cultural Renewal in Mailand den nachstehenden Aufsatz:
Gomez Davila, ein lebenslanges Werk
von Marco Respinti
Für die biographischen Angaben sei auf das 2008 erschienene Buch Für eine christliche Kultur des dritten Jahrtausends von Giovanni Cantoni, den Gründer der traditionsverbundenen Katholischen Allianz verwiesen. Cantoni gelang ein Pionierwerk, das über die vielfache, mehr oder weniger profunde Wiedergabe von Davilas Lebensdaten hinausgeht, weil es ihm bei seinem Studium der Ideengeschichte der katholischen Gegenrevolution gelungen ist, Davilas Ideenwelt auf bisher noch ungekannte Weise zu durchdringen.
Cantoni vertiefte die kulturelle Idee, die der niederländische Romanist und Vordenker des europäischen Einigungsgedankens, Hendrik Burgmans (1906–1997) als Magna Europa bezeichnete. Eine glückliche, allerdings derzeit kaum beachtete Begriffsprägung, die vergleichbar der Magna Graecia in Süditalien und auf Sizilien ein Europa außerhalb Europas annimmt. Magna Europa beschreibt jene Ökumene, die von Europa, dem Kontinent der Kultur, wie ihn Papst Johannes Paul II. nannte, ausging und sich auf anderen Erdteilen fortpflanzte. Jenes vom Christentum geformte abendländische Europa, das durch starke kulturelle, sprachliche und religiöse Bande den alten Kontinent mit allen Ländern verknüpfte, wo Europäer sich niederließen und eine im Christentum verwurzelte Zivilisation aufrichteten.
In einer Familie der Oberschicht in Cajicá in Kolumbien geboren, absolviert Gomez Davila nur die Grund- und Mittelschule und das privat in Frankreich, wo er vom 6. bis 23. Lebensjahr lebte. Eine höhere Schule sollte er nie besuchen und daher auch nie einen akademischen Abschluß erwerben. Sein Leben verbrachte er als eine Art Rekluse in seinem eigenen Haus in Santa Fe de Bogota, der Hauptstadt seines Geburtslandes. In dieser Zurückgezogenheit las, studierte, reflektierte und schrieb er. Dazu erlernte er Sprachen. Als er stirbt, studierte er gerade Dänisch, um sich direkt mit den Gedanken des Philosophen Sören Kierkegaard (1813–1855) auseinandersetzen zu können. Übersetzungen gegenüber hegte er Zeit seines Lebens Vorbehalte. Er beherrschte vortrefflich Altgriechisch, Latein, Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Portugiesisch und natürlich Spanisch. Der konservative Katholik, der sich selbst gern als Reaktionär bezeichnete, stirbt am 17. Mai 1994 am Vorabend seines 81. Geburtstags, ein Jahr nach seiner Frau Maria Emilia Nieto de Gomez. Er hinterließ drei Kinder.
Gomez Davila schrieb praktisch nur ein einziges Werk
Gomez Davila schreibt nur ein einziges Werk. Ein Werk, das er ständig fortschreibt und vertieft, bis an sein Lebensende. Nicht weil es unvollständig und unfertig war, sondern weil es durch seine Verknüpfung mit der Dimension der Seele, des Geistes, der Geographie des Bewußtseins und den Grenzen des Denkens auf Endlosigkeit angelegt war. Obwohl Gomez Davila aus freien Stücken die stabilitas loci wählte, war er Zeit seines Lebens ein Wanderer. In seinem Denken bedeutete dies, ein Pilger sein. Obwohl Mensch der Moderne, war Gomez Davila jedoch aus innerster Überzeugung ein Mensch des Mittelalters, in dem das ganze menschliche Sein religiös verstanden wurde von der Geburt bis zum Übergang in das eigentliche Leben.
Sein Leben war eine Pilgerschaft von Herz und Geist zu Gott, ausgehend von jener ursprünglichen Dimension, mit der die Metaphysik aus der Sokratischen Intuition hervorging.
Sein einziges und permanentes Werk erscheint erstmals 1954 mit den Notas und 1959 mit den Textos I im Druck. Das ist verhältnismäßig spät, Gomez Davila ist 51, wenn man bedenkt, daß er bereits seit Jahrzehnten studierte, reflektierte und sich Notizen machte. Aber Gomez Davilas Denken ist wie ein konzentriertes Destillat. Es bedarf der langsamen Gärung, der langen Lagerung und der spannungsgeladenen Reifung. 1977 folgt die umfangreiche Ausgabe mit dem Titel Escolios a un texto implicito. Seine Texte sind Anlaß für immer neues Staunen. Vor den Augen des Lesers entfalten sich hochkonzentriert prägnante Wortspiele, die eine unentrinnbare Faszination auf die menschliche Intelligenz ausüben, der sich kein Betrachter entziehen kann. Das liegt darin, daß Gomez Davila das allgemeine Drama des menschlichen Daseins auf eine Weise zu benennen weiß, sodaß der Leser die Realität in konziser Weise wiedererkennt, wie er es so knapp formuliert meist noch nie gehört hat. Dem modernen Reklusen gelingt es anscheinend chaotische, für die meisten intuitiv wahrnehmbare, aber intellektuell nicht wirklich durchdringbare Aspekte in eine klare Ordnung zu bringen. Eine Ordnung, die eine ungeahnte Schönheit wiedergewinnt, eine Restauration der Schönheit, die sich dem Menschen in seinem Erdendasein meist bis zur Unkenntlichkeit entzieht, weil sie von den Ablenkungen des Lebens verdeckt wird. In den Worten Gomez Davilas wird sie sichtbar und neu aufgerichtet. Es ist die in seinen Worten vor dem geistigen Auge wiederrichtete ewige Ordnung des Schöpfergottes. Eine virtuelle Rekonstruktion, die aber durch die Göttlichkeit des Dargestellten jenes faszinierende Faszinosum entfacht, das den Betrachter gefangennimmt. Er tut es immer neu, so erscheinen 1986 die Nuevos escolios a un texto implàcito und 1992 der dritte und letzte Teil mit den Sucesivos escolios a un texto implàcito. Trotz formaler Unterschiede sind auch die beiden Veröffentlichungen El reaccionario auténtico von 1995 und De iure von 1988 fester Bestandteil ein und desselben Werkes.
Gott diskutiert man nicht
Der kolumbianische Denker wählte den Aphorismus als literarische Gattung oder vielleicht auch als Wafffe seines Denkens. Jeder zu Papier gebrachte Gedanken scheint ein treffsicherer Hieb mit dem Schwert des Geistes. Er stellt die geballte Ladung einer Momentaufnahme einer ganz bestimmten Dimension der Realität dar. Meist eine menschliche Unordnung, durch deren Sichtbarmachen Gomez Davila implizit die Ordnung sichtbar macht und durch die ihm eigene Fähigkeit unsichtbar innere Saiten zum Schwingen zu bringen, als erstrebenswert vermittelt. Die Moderne reizt er mit spitzen Provokationen und bringt das Weltbild einer jeden Ideologie ins Wanken. Denn Ideologien, ob Kommunismus, Kapitalismus oder Nationalsozialismus sind für ihn nur stümperhafter Abklatsch menschlicher Überheblichkeit und des Wahns der Selbsterlösung. Nur Gott allein kann die bis ins letzte schlüssige Weltsicht bieten.
Das geistige Genie Gomez Davilas hat die Fähigkeit, die Welt mit jenem staunenden Blick zu betrachten, als wäre er der erste Mensch auf Erden, der seine erste stürmische Nacht erlebt und davon berichtet. Es ist derselbe Blick eines jeden neugeborenen Kindes und jedes Menschen, der seine Freiheit ernst nimmt und sich nach dem Sinn seines Daseins fragt.
Über die Bedeutung von implicito in den Titeln seiner Scholien wurde schon viel gerätselt. Gemeint ist damit offenbar „der gesamte kulturelle Korpus des Abendlandes von Homer bis zu Gomez Davilas Zeitgenossen“ (Cantoni). Es drückt das ständige und fortgesetzte, wörtlich zu nehmende Sich-messen an der kulturellen Leistung, in der der Mensch – befähigt Gott zu erkennen – Handelnder ist, indem er sich mit dem Sinn seines Daseins und der Dinge auseinandersetzt. Man kann sagen, daß Gomez Davila sein ganzes Leben lang in einem Dialog stand mit jenen Denkern, die in höchstem Maße das Menschliche zum Ausdruck gebracht hatten und damit „das, was zählt“, und „das, was Sinn hat“. Sein Denken und Schaffen war die Suche nach diesem höchsten Ausdruck und der Dialog mit jenen, die ihn hervorgebracht haben. Aber auch Gewehr bei Fuß die Verteidigung dessen, „was Sinn stiftet“ und dessen „was nicht diskutabel“ ist. Geprägt von einem tiefen katholischen Glauben, der sein Denken durch und durch modelliert, ist und bleibt er Beobachter. Er übt keine Zensur, deckt aber schonungslos auf und stellt jeden Verstoß gegen die Ordnung bloß.
Der „Reaktionär“ Gomez Davila verweigert sich der „Demokratie als Religion“
Gott ist kein Diskussionsgegenstand und schon gar nicht von Mehrheiten oder Volksabstimmungen. Gomez Davila ist kein Demokrat. Demokratie ist eine göttliche Kategorie. Er verweigert sich der „Demokratie als Religion“, woher auch seine bevorzugte Selbstbezeichnung als „wirklicher Reaktionär“ rührt. Wie Thomas Stearns Eliot (1888–1965) in dessen The Idea of a Christian Society (1939) vertritt der Kolumbianer die Überzeugung, daß Gott eifersüchtig ist und seinen Thron nicht mit dem Mammon, Robespierre, Marx, Hitler oder Stalin teilen will, auch nicht mit einem Parlament. Gott ist vielmehr der Unaussprechliche. Der Kirchenvater Augustinus (354–430) ist der Ansicht, daß man Gott besser betrachtet, indem man versucht, auszudrücken, was er nicht ist als damit, definieren zu wollen, was er ist. Anders ausgedrückt: das Gleichgewicht zwischen den Dingen, die er gemacht hat und der Vernunft, die er uns geschenkt hat, indem jeder sich auf eine Wanderschaft durch sein persönliches Mittelalter begibt, das Teil des großen Mittelalters ist, nämlich der Zeit, deren Anfang und deren Ende Gott festgesetzt hat und innerhalb derer er wiederum für jeden Menschen dessen Zeit festgesetzt hat.
Der italienische Mediävist Marco Tangheroni (1946–2004) entwickelte aus den „Glossen“ Gomez Davilas sogar eine Methode, mit der er das 2008 posthum erschienene Buch Della Storia: in margine ad aforismi di Nicolás Gómez Dávila (Über die Geschichte: am Rande der Aphorismen von Nicolas Gomez Davila) verfaßte. Vom großen katholischen Denker aus dem fernen Kolumbien, in dem Gomez Davila das Magna Europa am Werk sah und Europa atmete, nicht anders als hätte er all die Jahre seines geistigen Schaffens in Europa verbracht, bleibt ein großes geistiges Erbe. Sein Erbe ist eine Methode. Jene Methode, die Zeit zu begreifen als jene ständige, fortdauernde, drängende, ja sogar quälende Frage des Psalmisten: ‚Wächter, an welchem Punkt ist die Nacht?‘ Mit dem unvergleichbaren Vorteil, sie direkt an den einzigen Tröster richten zu können, der darauf zu antworten weiß, indem er den strahlenden Sonnenaufgang auslösen kann.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
Schön zu wissen, dass es auch scharfsinnig denkende, polyglotte Lateinamerikaner gibt. Mit seinem Vermögen, „anscheinend chaotische, für die meisten intuitiv wahrnehmbare, aber intellektuell nicht wirklich durchdringbare Aspekte in eine klare Ordnung zu bringen“, steht er geistig Seiner Heiligkeit, unserem Papst emeritus, sehr nahe. Diese besondere intellektuelle Kraft ist es, die die beiden genialen Gelehrten zu solch singulären Erscheinungen, solchen Koryphäen macht.
Das war natürlich zu erwarten, daß Sie selbst so ein abseitiges Thema zu einem kräftigen Seitentritt gegen einen anderen Lateinamerikaner nutzen, der I.E. weder scharfsinnig denken“ kann noch „polyglott“ ist.
Lassen Sie den Papst doch einfach mal in Ruhe oder rmeinetwegen einen guten Mann sein. Sie dürfen seinen Vorgänger ja loben und verehren ohne Ende.
Ohne Zweifel ist unser ehemaliger Papst Benedikt XVI. nicht nur ein tiefgläubiger, sondern auch ein herausragender Intellektueller.
Doch man kann die Positionen Davila – Ratzinger nicht auf einen Nenner bringen, meine ich. Ratzinger steht für den Versuch, die katholische Kirche und die ‚Moderne‘ zu versöhnen. Ich sage das an dieser Stelle wertneutral, ohne Bewertung.
Davila entzieht sich vehement diesem Versuch, er besteht darauf, ein „Reaktionär“ zu sein. Ein Mensch, der von der Ordnung des Mittelalters herkommt, ein vormoderner Kritiker der Moderne. Unglaublich originell und anregend…
Ich hatte, bevor ich hier angefangen hatte, zu posten, in den Grundsätzen dieser Seite gelesen, dass sie G. Davila folgen. Daraufhin forschte ich ein bisschen über ihn und fand das, was ich las, faszinierend.
Ganz gewiss kann man die geistige Kraft Benedikts xvi. mit der Davilas vergleichen. Aber ich denke, Davila hat sich von vornherein nicht auf das Projekt der Moderne eingelassen. In diesem Punkt ist er weit entfernt von Bxvi. Der nämlich hat zunächst seine große intellektuelle Kraft einem – aus Sicht der Progressisten meinetwegen „konservativen“ – Modernismus zur Verfügung gestellt, und dies bei sicherlich tiefem Glauben.
Die Tragik Bxvi. ist, dass er im Laufe seines Lebens erkennen musste, ja: durfte, dass die Synthese in den Frontkategorien unserer Zeit, nicht gelingen kann! Es war, als wolle er einen Teig kneten aus Material, das immer wieder auseinanderfällt.
Sein Rückzug auf die Frage nach Glaube und Vernunft war ein Ausweg – denn die Vernunft ist nicht gebunden an die wahnhaften Irrtümer der Neuzeit. Ich liebe und schätze ihn sehr, diesen Emeritus. Aber ich sehe auch diese Tragik, die in seiner Person ein fast finaler Erkenntnisprozess eines modernen Menschen über die enorme Verirrung der Moderne ist.
Wie es scheint, hat Davila das von vornherein intuitiv erfasst und gar nicht erst versucht, dem widersprüchlichen Erbe Europas gerechtwerden zu wollen. Er hat eine Reduktion vorgenommen. Die synthetische Kraft des europäisch-christlichen Anfangs ist nicht zu verwechseln mit der Synthese-Hybris der Moderne. Vielleicht würde Davila sagen (wie ich es annehmen könnte), nur die radikale Zentrierung auf den Herrn schafft haltbare Synthesen, aber diese „Haltbarkeit“ gestaltet Gott permanent um, ohne dass wir die Zielgestalten kennen könnten.
Folgerung: Wir können die Glaubenskrise nicht intellektuell und nicht kreativ lösen. Totale persönliche Ergebung bei maximalem Einsetzenlassen der geschenkten Talente genügt!
Sie sprechen mir – teilweise – aus dem Herzen. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass Benedikt XVI. sein Ziel nie aufgeben konnte. Und so wurde er für die liberalen Katholiken, ob Theologen oder Gremienkatholiken, zum Feindbild Nr. 1. Wütende, ungerechte, boshafte Angriffe von dieser Seite hörten nie auf. So wenig, wie der Hass der Medien. Weil er die Tradition der Kirche weder aufgeben konnte, noch wollte. Weil er genauso wenig sein Ziel aufgeben konnte, die Kirche mit der Moderne zu versöhnen, bleibt er aber widersprüchlich.
Früh litt er unter den nachkonziliaren Fehlentwicklungen, er benannte sie und zog sich den Zorn der Liberalen zu, denen alles nicht weit genug ging. Aber er weigerte sich und weigert sich bis heute, die Ursache der Krise in den Konzilstexten selbst zu sehen. Eher muss die in sich unlogische „Hermeneutik der Kontinuität“ herhalten, als dass die in sich widersprüchlichen Konzilstexte auf den Prüfstand kommen. Davon abgesehen, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist, halte ich dies für seine persönliche Tragik. Aber nicht nur. Denn an seiner persönlichen Tragik hat die Kirche schwer zu tragen. Die „Hermeneutik der Kontinuität“ spiegelt eine ‚Harmonie‘ zwischen Kirche und Neuzeit vor, zwischen vorkonziliarer Kirche und Konzilskirche vor, die es nicht gibt. Und stiftet dadurch Verwirrung.
Davila war nie bereit, sich in seinem Denken auf unlogische Scheinkompromisse einzulassen.
Erzbischof Lefebvre übrigens auch nicht, sei nur hinzugefügt.
Ich denke, am Ende ging es Benedikt vor allem darum, nicht die Tradition mit der Moderne, sondern die Moderne mit der Tradition zu versöhnen, dafür hat er als wahrer Pontifex die Brücke „Hermeneutik der Kontinuität“ gebaut. Denn was konnte er in seiner Situation auch anderes tun? Das Konzil anathematisieren, wie von den radikalen Traditionalisten gefordert, also den Bruch mit der Moderne vollziehen? Welch ein Aufschrei hätte es gegeben! Wieviel Chaos, wieviel neue Brüche wäre darurch entstanden. In der sukzessiven Überwindung des Konzils sah er wohl den einzig gangbaren Weg. Dazu musste der Tradition zunächst ein Freiraum für ihre Entfaltung in der Kirche gegeben werden. Nur so konnte ein geistig-geistlicher Wettkampf mit den Progessisten entstehen, der am Ende jedem evident gemacht haben würde, wo in Wahrheit das fruchtbare Land zu finden ist und wo sich Ödniss und Dürre breit machen, wo neues Leben, wo die Schönheit blühen und wo der Verfall herrscht, worin also die wahre Zukunft der Kirche und der Menschheit besteht: nicht im Bruch, nicht in der Relativierung, sondern in der Fortführung des christliches Erbes, das die Wahrheit der göttliche Ordnung enthält . Bei diesem zugegebenermaßen heiklen Versuch, dem Chaos der Moderne wieder Richtung und Ziel zu geben, wurde er schmählich im Stich gelassen. Auch er also ein Streiter auf verlorenem Posten, auch darin Davila ähnlich, wenngleich beider Denken und beider Lebensentwürfe natürlich nicht auf einen Nenner zu bringen sind.
Das mag sein, dass Benedikt keinen anderen konstruktiven Weg sehen konnte. Man könnte es ja auch so sehen: man nimmt das Konzil offiziell noch mit, lässt es aber auf dem Weg nach vorn einfach fallen, es verliert sich von selbst, es ist nicht viel wert, es war viel Lärm um nichts. Wozu es nun groß bekämpfen oder anathematisieren? Es lohnt nicht, wirbelt bloß Staub auf, die Konzilsopas sterben eh bald aus, die jüngeren Generationen haben damit fast nichts mehr „am Hut“. Es verdorrt und fällt irgendwann ab wie ein toter Ast…
Die Strategie ist nicht abwegig…
Genau so. So war der Plan. Wie sähe es wohl heute in der Kirche aus, hätte es überhaupt einen Papstrücktritt gegeben, wenn man diesen Plan verstanden und von Anfang an kraftvoll mitverfolgt hätte, anstatt sich hinter dokrinellen Fragen zu verstecken? Kann denn ein Papst ein Konzil, und seien dessen Texte noch so unpräzise und adogmatisch, einfach als Irrtum in den Mülleimer der Kirchengeschichte werfen, ohne an den Grundfesten der Kirche selbst zu rütteln? Nunja, im Grunde sind diese Überlegungen müßig, denn die Chance zur Überwindung des Konzils und damit zu einer gesamtkichlichen Reform aus dem Geist der Tradition sind nach menschlichem Ermessen (vorerst) ohnehin passé. Und unter dem gegenwärtigen Pontifikat wird man schon dafür sorgen, dass eine solch gefährliche Anknüpfung an die Tradition zukünftig gänzlich verunmöglicht wird, dass vielmehr der Herren eigener Geist endlich voranschreitet, auf dass das Konzil bis in die letzte Konsequenz vollendet, anstatt überwunden werde.
Es ist den Postern hier zu danken, daß sie in erfrischender Offenheit sich hier als entschiedene Feinde der „Moderne“ (oder was sie so für die „Moderne“ halten) erklären und der Moderne nichts als Verfall, Chaos und Antikatholisches abgewinnen können. Damit sagen sie immerhin in wünschenswerter Klarheit, daß sie – wie Davila – die Demokratie verachten, die eine der Haupterrungenschaften der Moderne ist. Wie andere Wirkungen der Moderne auch, die ansonsten 95% der Menschheit als Errungenschaft ansieht.
Das ist immerhin ehrlich.
Entschiedenes Nein zu Ihren grob-unzulässigen Schlüssen!
Demokratie ist übrigens keine moderne Erfindung, Dunkelmann. Und schon gar nicht die „Haupterrungeschaft“ der Moderne. Was in den letzten 200 Jahren alles als „demokratisch“ bezeichnet wurde, ist äußerst heterogen und hat Millionen Ermordete auf dem Konto. Das Konto wird heute durch die demokratisch legitimierten Abtreibungsermordeten täglich sprung- und schmerzhaft erweitert.
Es wäre zu fragen, was die „Errungeschaften der Moderne“ genau sind. Es gibt einen ausgewachsenen Mythos der Moderne, dem ein geschichtsphilosophisches Entwicklungs- und Fortschrittsmodell zugrunde liegt, das so verlogen wie unedarft ist und ohnehin von keinem Katholiken geteilt werden kann, wenn er genau über seinen Glauben informiert ist.
Wo jemand von Versöhnung spricht, wittern Sie Feindschaft gegenüber der Moderne und Verachtung der Demokratie. Sie tun mir ehrlich leid. Dunkel assoziiert man gern mit Schwarz. Und in der Tat erinnert mich Ihre Argumentationsstruktur mehr und mehr an das hier: http://www.youtube.com/watch?v=2htGoERa-f4