(Rom) Im Vorfeld des Konklaves veröffentlichen wir die Redebeiträge einiger Kardinäle auf der jüngsten Bischofssynode, die zum zentralen Thema Neuevangelisierung vom 7. bis 28. Oktober 2012 in Rom tagte. Es werden die Beiträge jener Kardinäle veröffentlicht, auf die sich in besonderem Maße das Interesse konzentriert. Die Veröffentlichung soll zugänglich machen, was führende Kirchenmänner zum Thema Neuevangelisierung zu sagen haben und einen Vergleich zwischen diesen ermöglichen. Bereits vorgestellt wurden Timothy Kardinal Dolan, Erzbischof von New York (USA), George Kardinal Pell, Erzbischof von Sydney (Australien), Angelo Kardinal Scola, Erzbischof von Mailand (Italien), Marc Kardinal Ouellet, Präfekt der Bischofskongregation (Kanada/Vatikan) und Odilo Kardinal Scherer, Erzbischof von Sao Paulo (Brasilien).
Wir setzen fort mit Raymond Leo Kardinal Burke, seit 2008 Präfekt der Apostolischen Signatur. Kardinal Burke wurde 1948 im US-Bundesstaat Wisconsin als Sohn einer kinderreichen katholischen Familie geboren. Seine philosophischen und theologischen Studien absolvierte er an der Katholischen Universität von Amerika in Washington D.C. und an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. 1975 wurde er im Petersdom in Rom durch Papst Paul VI. zum Priester geweiht und in seiner Heimatdiözese La Crosse in Wisconsin inkardiniert. Nach Jahren in der Pfarrseelsorge und als Religionslehrer, nahm er 1980 an der Gregoriana das Studium des Kirchenrechts auf. 1984 promoviert, war er am Ordinariat seiner Heimatdiözese tätig. 1989 wurde er als erster US-Amerikaner als Ehebandverteidiger an die Apostolische Signatur nach Rom berufen. 1994 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Bischof von La Crosse und spendete ihm im Petersdom die Bischofsweihe, 2003 zum Erzbischof von Saint Louis. 2008 erfolgte durch Papst Benedikt XVI. seine Ernennung zum Präfekten der Apostolischen Signatur an der Römischen Signatur, am 20. November 2010 seine Erhebung in den Kardinalsstand.
Kardinal Burke ist ein Förderer der überlieferten Form des Römischen Ritus. 2007 war er neben Kardinal O’Malley einer der beiden amerikanischen Bischöfe, die im Vorfeld der Veröffentlichung des Motu proprio Summorum Pontificum zu Konsultationen nach Rom gerufen wurden. Der Präfekt der Römischen Kurie und Kardinal zelebriert, soweit bekannt, fast ausschließlich in der außerordentlichen Form des Römischen Ritus. Anfang Mai 2012 rief der Kardinal die Gläubigen auf, für die Einigung der Priesterbruderschaft St. Pius X. mit dem Heiligen Stuhl zu beten. Er ist Co-Autor des Buches Der leere Tanz um das Goldene Kalb. Verweltlichte Liturgie und das Recht für die liturgische Erneuerung im überlieferten Sinn.
Seine Rede legte Kardinal Burke in schriftlicher Fassung am 24. Oktober 2012 im Rahmen der fünften Circoli Minori vor.
Das Instrumentum laboris macht uns darauf aufmerksam, daß das Zeugnis des christlichen Glaubens die beste Antwort auf alle existentiellen Probleme ist, vor allem weil dieses Zeugnis den falschen Bruch zwischen Evangelium und Leben überwindet (vgl. Nr. 118). Doch damit dieses Zeugnis des Glaubens, das die Welt heute so sehr braucht, abgelegt werden kann, muß die Kirche konsequent ihren Glauben im täglichen Leben leben.
Zu den tiefsten Wunden der heutigen Gesellschaft gehört in der Kultur des Rechts die Loslösung von seiner objektiven bzw. metaphysischen Wurzel, das heißt vom moralischen Gesetz. In der letzten Zeit vertiefte sich diese Trennung noch und erwies sich als authentischer Antinomismus, der für sich in Anspruch nimmt, in sich schlechte Handlungen für gesetzlich zu erklären, wie z.B. Abtreibung, künstliche Befruchtung zum Zwecke von Forschungen über das Leben des menschlichen Embryos, die sogenannte Euthanasie derer, die unseren Beistand am meisten brauchen, die gesetzliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen, die der Ehe gleichgestellt werden, die Verweigerung des grundlegenden Rechtes der Gewissens- und der Religionsfreiheit.
Der heute in der Zivilgesellschaft herrschende Antinomismus hat in der nachkonziliaren Zeit leider auch das kirchliche Leben infiziert, und sich unglücklicherweise den sogenannten kulturellen Neuheiten verschrieben. Die nachkonziliare Euphorie, die eigentlich zur Erneuerung der Kirche unter dem Zeichen der Freiheit und der Liebe beitragen sollte, hat hingegen eine gleichgültige, wenn nicht sogar feindselige Haltung gegenüber der Disziplin der Kirche gefördert. Und so wurde die von den Konzilsvätern gewünschte Reform des kirchlichen Lebens in gewissem Sinne behindert, wenn nicht sogar verraten.
Wenn wir uns heute mit der neuen Evangelisierung befassen, müssen wir die Kenntnis der Tradition der Disziplin der Kirche und die Achtung vor dem Kirchenrecht als Grundlage nehmen. Die Sorge für die Disziplin der Kirche bedeutet keinen Gegensatz zur Mission der Kirche in der Welt, sondern nur die erforderliche Aufmerksamkeit, damit der Glaube in der Welt konsequent bezeugt werden kann. Das Kirchenrecht leistet für die Kirche einen bescheidenen, aber dennoch notwendigen Dienst. Wie könnten wir den Glauben in der Welt bezeugen, wenn wir die Erfordernisse der Gerechtigkeit in der Kirche ignorieren oder vernachlässigen wollten? Das Heil der Seelen, wichtigstes Ziel der neuen Evangelisierung, muß in der Kirche immer das “oberste Gesetz“ (Can. 1752) sein.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: maranatha.it