Wo Dan Brown noch nie war: Das Geheimarchiv der Päpste


(Vati­kan) Dan Brown, der ame­ri­ka­ni­sche Schrift­stel­ler, schrieb in sei­nem Roman „Illu­mi­na­ti“ zwar aus­gie­big dar­über, doch selbst setz­te er nie einen Fuß in das Geheim­ar­chiv des Vati­kans. Wahr­schein­lich aus gutem Grund. Die Wirk­lich­keit holt die aus­ge­schmück­te­ste Fik­ti­on bein­hart wie­der zurück auf den Boden der Realität.

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Das Archi­vio Segre­to des Vati­kans eig­net sich nicht für intri­gen­ge­la­de­ne Ver­schwö­rungs­theo­rien von Fan­ta­sy-Autoren aus New Hamp­shire. Das Gehei­me Archiv des Hei­li­gen Stuhls ist ein viel grö­ße­res, weil rea­les Aben­teu­er, und das für Histo­ri­ker. Man­che Doku­men­te zwin­gen, die Geschich­te neu zu schrei­ben. Aller­dings meist in einem ande­rem Sinn, als es sich Kir­chen­kri­ti­ker ger­ne vorstellen.

Das beginnt bereits beim Namen „Geheim­ar­chiv“. Geheim ist dar­an gar nichts. Der Name wur­de ledig­lich aus histo­ri­schen Grün­den bei­be­hal­ten und meint eigent­lich nur „pri­vat“. Das Geheim­ar­chiv ist gewis­ser­ma­ßen nichts ande­res als das Pri­vat­ar­chiv der Päp­ste. Ursprüng­lich hat­ten nur Kar­di­nä­le Zugang zu den Akten. 1881 öff­ne­te Papst Leo XIII. das Archiv und mach­te es all­ge­mein zugäng­lich. Alle Doku­men­te kön­nen seit­her ein­ge­se­hen wer­den. Zutritt zum Archiv erhält man durch Vor­la­ge eines Emp­feh­lungs­schrei­bens von einer Ver­ei­ni­gung oder einem Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor, die ein wis­sen­schaft­li­ches Inter­es­se bezeu­gen. Der­zeit for­schen mehr als 1500 Wis­sen­schaft­ler aus aller Welt in den Akten­ber­gen aus 12 Jahrhunderten.

Das 1612 von Papst Paul V. gegrün­de­te Geheim­ar­chiv fei­ert in die­sem Jahr sei­nen 400. Geburts­tag. Es umfaßt heu­te etwa 85 Regal­ki­lo­me­ter an Akten, die kost­bar­sten sicher geschützt in Bun­kern und durch ein aus­ge­klü­gel­tes System an Kli­ma­an­la­gen, um die idea­le Tem­pe­ra­tur und Trocken­heit zur Kon­ser­vie­rung alter Hand­schrif­ten sicher­zu­stel­len, wie Andrés Bel­tra­mo àlvarez berich­tet. Der Vati­kan gewähr­te einer Grup­pe von Jour­na­li­sten von Vati­can Insi­der Ein­blick in den Ort, der laut Dan Brown das geheim­ste Wis­sen der Mensch­heit birgt. Durch die Bun­ker, Gän­ge, Stu­di­en­räu­me und Rega­le führ­te Alfre­do Tuzi, der Sekre­tär der Vati­ka­ni­schen Schu­le für Paläographie.

Am Geheim­ar­chiv ist alles histo­risch. Das gilt auch für die den Wis­sen­schaft­lern zur Ver­fü­gung ste­hen­den, im Lau­fe der Jahr­hun­der­te mit den Metho­den der jewei­li­gen Zeit erstell­ten Hilfs­mit­tel. Da heißt es schon Mal Geduld haben. Um einer bestimm­ten Fähr­te zu fol­gen, braucht es manch­mal Wochen. Archiv­for­schung als Aben­teu­er in jeder Hinsicht.

Die Bun­ker, die selbst einem Atom­an­griff stand­hal­ten wür­den, befin­den sich unter dem Bel­ve­de­re-Hof des Vati­kans, über den täg­lich Tau­sen­de von Tou­ri­sten und Besu­cher der Vati­ka­ni­schen Muse­en spa­zie­ren. Der zwei­te Bun­ker ist noch zur Gän­ze leer. Der Vati­kan hat für die Zukunft vor­ge­dacht und aus­rei­chend Platz zur Siche­rung sei­ner Doku­men­te geschaf­fen. Im ersten Bun­ker befin­den sich auch zahl­rei­che ver­schlos­se­ne Akten­bün­del, als wären sie nie geöff­net wor­den. „Das Archiv des Pap­stes ist das umfang­reich­ste der Welt, eine uner­schöpf­li­che Quel­le für die For­schung“, wie Tuzi nicht von unge­fähr erklärte.

Frei zugäng­lich sind alle Archiv­be­stän­de bis zum Jahr 1939, also bis zum Ende des Pon­ti­fi­kats von Papst Pius XI. Der Tra­di­ti­on ent­spre­chend steht allein dem Papst die Ent­schei­dung zu, einen noch unzu­gäng­li­chen Teil der Öffent­lich­keit zugäng­lich zu machen. Eine Öff­nung umfaßt stets ein gesam­tes Pon­ti­fi­kat mit den zur Ver­fü­gung gestell­ten Hilfsmitteln.

Im Geheim­ar­chiv lau­fen die Arbei­ten auf Hoch­tou­ren, die Doku­men­te des Pon­ti­fi­kats von Papst Pius XII. zugäng­lich zu machen, das die Zeit­span­ne von 1939 bis 1958 umfaß­te. Papst Bene­dikt XVI. hat­te am Beginn sei­nes Pon­ti­fi­kats die Arbei­ten dafür beschleu­nigt. Ein untrüg­li­ches Zei­chen dafür, daß er die­sen heik­len Zeit­ab­schnitt zugäng­lich machen will. In das Pon­ti­fi­kat Pius XII. fal­len ent­schei­den­de Pha­sen des Natio­nal­so­zia­lis­mus und des Bol­sche­wis­mus, vor allem auch der Zwei­te Welt­krieg und die Shoah.

Das Ver­hält­nis von Pius XII. und den Juden ist seit den 60er Jah­ren des vori­gen Jahr­hun­derts schwer bela­stet durch den Vor­wurf, zur Juden­ver­fol­gung „geschwie­gen“ zu haben. Bene­dikt XVI. beauf­trag­te nam­haf­te Histo­ri­ker, die Fra­ge genau zu unter­su­chen. Die dabei zum Vor­schein gekom­me­nen Doku­men­te las­sen Schritt um Schritt ein ganz ande­res Bild von jenem Papst ent­ste­hen: Das Bild eines Pap­stes, der sich inten­siv für die Juden ein­setz­te, offen­sicht­lich mehr als die mei­sten Poli­ti­ker sei­ner Zeit. Der Rest wird viel­leicht ein­mal als Lehr­bei­spiel für eine dis­kre­di­tie­ren­de Pro­pa­gan­da­le­gen­de in die Geschich­te ein­ge­hen, die aller­dings mei­ster­haft und jahr­zehn­te­lang funk­tio­nier­te und erst lang­sam ent­larvt zu wer­den scheint.

Noch bis zum 9. Sep­tem­ber 2012 kann die Aus­stel­lung Lux in arca­na anlä­ßich des 400. Grün­dungs­jah­res des Vati­ka­ni­schen Geheim­ar­chivs besich­tigt werden:
Palaz­zo die Con­ser­va­to­ri – Palaz­zo Cle­men­ti­no Caffarelli
Diens­tag – Sonn­tag 9.00–20.00 Uhr (Ein­laß bis 19 Uhr)
Mon­tag Ruhetag

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: luxin​ar​ca​na​.org

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