(Rom) Für Wiens Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn war der jüngste Aufenthalt in Rom eine intensive Zeit. In die Ewige Stadt reiste er wegen der Vollversammlung der Glaubenskongregation, der er angehört, und die gestern ihre Meinung zur Versöhnung mit der Priesterbruderschaft St. Pius X. äußerte. Ihre Antwort war positiv, wenn auch nicht ohne einen Seitenhieb, mit dem man gewissermaßen auf der Zielgeraden noch etwas Unruhe in die Piusbruderschaft zu tragen versuchte, durch eine ebenso unerwartete wie unübliche Pressemitteilung nach erfolgter Sitzung.
Der Erzbischof von Wien war aber auch in Rom, um Gespräche über die Lage der Kirche in Österreich zu führen. Die Glaubenskongregation hatte ihn aufgefordert, zu seiner Entscheidung Stellung zu nehmen, einen bekennenden Homosexuellen als Pfarrgemeinderat zu akzeptieren.
Der Vatikanist Andrea Tornielli führte aus diesem Anlaß ein Interview mit dem Erzbischof von Wien über diese Entscheidung, über die Position der Kirche zur Homosexualität, über die österreichische „Pfarrer-Initiative“ und den Aufruf zum Ungehorsam.
Können Sie erklären, warum Sie entschieden haben, die Wahl Stangls in den Pfarrgemeinderat zu bestätigen?
Das war eine „Nicht-Entscheidung“, ich habe lediglich entschieden, nicht in die erfolgte Wahl einzugreifen. Es ist die Pfarrei, die ihre Kandidaten für den Pfarrgemeinderat gut auswählen muß, in Übereinstimmung mit den vorgesehenen Voraussetzungen. Im Fall, über den wir sprechen, ist dies leider nicht geschehen.
Sie haben Stangl getroffen. Was hat Sie beeindruckt?
Ich beabsichtige nicht in Details zu gehen, weil die Menschen ein Recht auf ihre Privatsphäre haben.
Der Fall hat Hoffnungen bei jenen ausgelöst, die sich eine Positionsänderung der Kirche zu den Homosexuellen wünschen …
Gegenüber ungeordneten Fällen von Personen, die zusammenleben, Geschiedenen, die sich wiederverheiraten oder Paaren von Menschen des gleichen Geschlechts müssen wir Hirten die Lehren der Schrift und der Kirche bekräftigen, nicht aus Fideismus , sondern weil wir überzeugt sind, daß sie den Weg zum Glück darstellen. Und wir müssen versuchen, allen zu helfen, ein Leben in Übereinstimmung mit diesen Lehren zu führen.
Warum haben Sie dann entschieden, nicht einzugreifen?
Weil wir erkennen müssen, daß nicht nur jene, die in einer objektiv moralisch ungeordneten Situation leben, sondern wir alle Vergebung und Barmherzigkeit brauchen. Wir sind unterwegs zu einem Ziel, das wir mit dem Herzen und dem Verstand erkennen, wir sind uns aber auch bewußt, daß es Schritte der Umkehr und der Geduld braucht. Wir dürfen bestimmte Situationen nicht rechtfertigen, aber eine Änderung verlangen. Als Hirte habe ich die besondere Situation, über die wir sprechen, beurteilt, in der ein Prozeß im Gange ist.
Sie werden zugeben, daß es sich um einen Präzedenzfall handelt …
Die Position der Kirche zu diesen Themen hat sich nicht geändert und es handelt sich nicht um einen Präzedenzfall. Es ist nur ein besonderer Fall, wie es auch andere gibt.
Sollte die Kirche gegenüber den Homosexuellen eine barmherzigere Haltung zeigen?
Die Kirche hatte immer Barmherzigkeit gegenüber den Sündern gezeigt, und wir sind alle Sünder. Auch wenn wir uns auf bestimmte Sünden und Situationen von moralischer Unordnung konzentrieren, müssen wir alle, als Christen beichten. Es gibt aber keine Barmherzigkeit ohne Wahrheit. Es bedarf eines Weges der Umkehr: das gilt für die wiederverheiratet Geschiedenen aber auch für jene, die in einer homosexuellen Beziehung leben. Man muß ihnen helfen, zu erkennen, daß das nicht der Plan Gottes ist und wenn sie sich für unfähig halten, der Lehre der Kirche zu folgen, daß sie es in Demut zugeben, indem sie um Gottes Hilfe bitten, beichten und sich bemühen, nicht mehr zu sündigen. Wir können nicht seinen Plan ändern, wir müssen uns aber ins Gedächtnis rufen, daß Gott unendlich barmherzig mit unseren Sünden ist.
Die Homo-Vereinigungen werfen der Kirche eine diskriminierende Haltung vor. Was antworten Sie?
Die Kirche muß dem folgen, was in der Schrift offenbart ist. Sie verurteilt die Sünde, aber nicht den Sünder. Dann gibt es da noch die Lobby, die „politische Korrektheit“, exhibitionistisches Verhalten, mit dem übrigens nicht alle, die homosexuelle Neigungen haben, einverstanden sind. Ein bestimmter Lärm, eine bestimmte Homo-Propaganda, die Absicht, in den Schulen eine bestimmte Form der Sexualerziehung zu verbreiten, die auch die Homosexualität fördern will … Ich frage mich: Wenn das die Normalität ist, warum hat sie dann soviel Lärm nötig? Wenn das das Glück ist, das Gott für den Menschen wollte, warum braucht es dann soviel Propaganda?
Manche sagen, daß die Kirche heute zuviel über die Sexualmoral spricht. Was meinen Sie?
Wichtig ist eine Beziehung der Freundschaft mit Jesus, die persönliche Begegnung mit ihm. Benedikt XVI. hält sich nicht lange bei Fragen, die mit der Sexualität verbunden sind auf, sondern beharrt auf der Freundschaft mit Jesus, das heißt beim Glauben. Mich beeindruckte, daß der Papst bei seiner ersten Begegnung mit den Jugendlichen in Köln 2005 nie Sexualthemen erwähnte. Und ich erinnere mich, daß Johannes Paul II. 2001 sagte, daß alle Morallehren ohne die Erfahrung des Glaubens, der Beziehung mit Jesus äußerliche und unverständliche Gesetze bleiben.
In der österreichischen Kirche herrscht viel Widerspruch, Hunderte von Priestern haben einen Aufruf zum Ungehorsam unterzeichnet. Was wird geschehen?
Ich möchte vor allem klären, daß die „Pfarrer-Initiative“ von 2006 , die von 350 Priestern unterschrieben wurde, eine Sache ist, und der Aufruf zum Ungehorsam, die mit großem Medienaufsehen vor einem Jahr gestartet wurde, eine andere Sache ist: Letztere, von Msgr. Helmut Schüller vorangetrieben, wurde gemacht, ohne die Unterzeichner vorher zu informieren, die davon überhaupt nichts wußten. Ich habe sofort klargestellt, daß man nicht mit den Worten spielen kann und daß der Aufruf zum Ungehorsam inakzeptabel ist. Als Bischöfe waren wir sehr geduldig – für manche auch zu sehr – und jetzt bereiten wir einen Hirtenbrief vor, der während des Jahrs des Glaubens bekanntgegeben wird, in dem wir auf alle Punkte antworten werden, die von denen, die Widerspruch üben, aufgeworfen wurden.
Der Papst hat sie am Gründonnerstag erwähnt …
Benedikt XVI. hat uns in jener Predigt ein Dialogmodell gegeben, indem er versuchte auf deren Beweggründe einzugehen, ihren Einwänden zu antworten und letztlich indem er sie aufforderte, Christus im Gehorsam nachzufolgen, ein Weg der Erlösung und der Freiheit.
Und wenn die Unterstützer der „Pfarrer-Initiative“ nicht nachgeben sollten?
Wir sagen ihnen: Jetzt ist der Augenblick der Klärung. Danach werden wir unsere Entscheidungen treffen, die eventuell auch Schritte mit Disziplinarmaßnahmen mit einschließen. Ich hoffe, daß solche nicht notwendig sein werden.
Im Falle von Sanktionen, wird der Eingriff von Ihnen oder vom Heiligen Stuhl kommen?
Von uns Bischöfen, nicht von Rom. Es ist eine Pflicht, die uns Hirten zukommt.
Wie beurteilen Sie das Umsichgreifen des Widerspruchs, der die Abschaffung des Zölibats, das Frauenpriestertum, die Ersetzung der Priester in der Liturgie durch Laien fordert?
Die Bewegung ist verbreitet, es existiert sogar so etwas wie ein „Michelin“-Führer des Widerspruchs, mit den Namen der Vereinigungen in den einzelnen Ländern. Es handelt sich zum Großteil um Priester der 68er-Generation: Das sage ich ohne jede Abwertung als anagraphische Tatsache. Viele von ihnen leiden, es gilt sie zu respektieren und häufig werfen sie wirkliche Probleme auf. Wir sind uns einig in der Diagnose: es gibt eine Krise. Wir teilen aber nicht die Therapie. Mir scheint, sie haben eine Situation der Kirche im Kopf, wie sie in den 50er und 60er Jahren war, als sie viel stärker, lebendiger und verwurzelter war.
Welche ist Ihrer Meinung nach die richtige Therapie?
Eine Wiederentdeckung des Glaubens, der akzeptiert, das Licht der Welt zu sein. Das wirkliche Kontrastprogramm zur „Pfarrer-Initiative“ sind die vielen lebendigen Realitäten der österreichischen Kirche, über die niemand spricht. Die wachsende Zahl von jungen Familien, die ihren Glauben in der Welt leben im Bewußtsein eine kreative Minderheit zu sein. Die Jugendlichen, die von der Spiritualität und der Liturgie der Klöster fasziniert sind. Wir waren daran gewöhnt, Mehrheit zu sein und zu allem und allen etwas zu sagen. Jetzt ist der Moment, anzuerkennen, daß wir eine Minderheit sind und unseren Glauben jeder an seinem Platz zu bezeugen.
Text: Interview von Andrea Tornielli/Vatican Insider
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Radio Vatikan