(Vatikan) Papst Benedikt XVI. entschied sich für die deutsche Muttersprache, damit seine Botschaft zur Wiederherstellung der Wandlungsworte alle Bischöfe, nicht nur die im deutschen Sprachraum erreicht. Die Sprachwahl ist keine Nebensächlichkeit. Seine Worte sollen vor allem von den Bischöfe im Herzen Europas gehört und verstanden werden, jenem Herz mit seinem nach wie vor philosophisch-theologischen Gewicht, dem er selbst entstammt. Der Papst weiß um die besondere Hartnäckigkeit der Kontroverse und die starken Widerstände. In den vergangenen Jahren wurde immer deutlicher ein spezifischer Regierungsstil sichtbar, der mit dem Namen dieses Papstes verbunden ist und jene widerlegt, die dem herausragenden Denker und Theologen mangelnde Regierungskompetenz unterstellten. Der Papst denke und handle nicht in kirchenpolitischen Kategorien, erklärte jüngst der dem Papst nahestehende Theologe Don Nicola Bux in einem Interview. Daher rühre dieses Mißverständnis.
Schreiben des Papstes an Bischöfe in deutscher Sprache
Das Schreiben zur korrekten Übersetzung der Wandlungsworte trägt das Datum des 14. April. Detailliert legt der Papst darin seine Entscheidung dar und zeichnet die gesamte Frage der nachkonziliaren Wandlungsworte des Weines während des heiligen Meßopfers nach. Eine entsprechende Entscheidung hatte er bereits am Beginn seines Pontifikats getroffen. Zeichen dafür, daß es ihm ein dringendes Anliegen war und das schon länger. Bisher haben sich die Bischöfe jedoch weitgehend taub gestellt, sogar die italienischen Oberhirten, die sonst bemüht sind, den liturgischen und pastoralen Empfehlungen des Vatikans zu folgen.
Im Mittelpunkt der Frage stehen die Wandlungsworte im Hochgebet, mit denen der Wein zum Blut Christi wird. Der lateinische Ritus gebrauchte seit den ersten Jahrhunderten in getreuer Anlehnung an die griechische Überlieferung des Einsetzungsberichtes in den Evangelien die von Christus selbst den Aposteln anvertrauten Worte, daß Sein Blut pro multis („für viele“) vergossen wurde, der exakten Entsprechung des griechischen pollòn. Im nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in die verschiedenen Landessprachen übertragenen Missale wurde das pro multis aber mit „für alle“ übersetzt.
Gottesdienstkongregation forderte bereits 2006 zur Wiederherstellung der Wandlungsworte auf
So blieb es bis zum Jahr 2006, als die Gottesdienstkongregation mit einem vom damaligen Präfekten Francis Kardinal Arinze unterzeichneten Schreiben diese sprachliche Verzerrung zu korrigieren versuchte. Er erteilte den Bischofskonferenzen der einzelnen Länder Weisung, in den Neuausgaben des Missale Romanum die Konsekrationsformel dem Original entsprechend wortgetreu zu korrigieren.
Die Umsetzung dieser vom Heiligen Stuhl gewünschten Wiederherstellung ging seither ausgesprochen schleppend und unkoordiniert vor sich, wie eben die Neuausgaben des Missale Romanum in den einzelnen Landessprachen erfolgten. Am schnellsten war Ungarn. Seit Pfingsten 2009 ist die Wiederherstellung der Wandlungsworte in der ungarischen Übersetzung des Missale umgesetzt. Es folgten einige Kirchen Lateinamerikas, so Chile, Argentinien, Paraguay, Uruguay, Bolivien, nachdem die von ihnen durchgeführte Neufassung des Missale Romanum auf spanisch von Rom approbiert worden war. In Chile erfolgte der Wechsel von „por todos“ zu „por muchos“ am ersten Adventsonntag 2009, in Argentinien am ersten Sonntag der Fastenzeit 2010.
Ungarn und angelsächsische Länder haben Korrektur durchgeführt
Für die angelsächsischen Länder erfolgte die Approbation der Neuausgabe des Missale nach einem langwierigen Weg erst im Vorjahr. Der Wechsel von „for all“ zu „for many“ trat im Advent 2011 in Kraft.
In Italien wurde die Wiederherstellung des pro multis während der Vollversammlung der Bischofskonferenz im November 2010 in Assisi zur Abstimmung gestellt. Laut durchgesickerten Informationen, die der Vatikanist Sandro Magister veröffentlichte, hätten 171 von 187 Bischöfe für die Beibehaltung des „für alle“ gestimmt. Ein Widerstreben, das sich zuvor bereits in den regionalen Bischofskonferenzen gezeigt hatte.
Kardinal Ranjith: Korrektur notwendig gegen „übertriebenen Heilsoptimismus, daß alle ins Paradies kommen“
Eine unterschiedliche Sensibilität zum Thema wurde in jüngster Zeit auch im Kardinalskollegium sichtbar. Einer der Verfechter der „ersten Stunde“ einer Wiederherstellung des pro multis in den verschiedenen Landessprachen ist der singalesische Kardinal Malcolm Ranjith Patabendige Don. Der derzeitige Erzbischof von Colombo vertrat diese Position bereits in seiner Zeit an der Römischen Kurie, als er Sekretär der Gottesdienstkongregation war. Für Kardinal Ranjith stellt die Wiederherstellung des pro multis auch eine notwendige Ermahnung zum „Ernst der christlichen Berufung“ dar in einer Zeit, in der seiner Meinung nach „ein übertriebener Heilsoptimismus verbreitet sei, laut dem alle ins Paradies gelangen ohne die Gnade des Glaubens zu erbitten und ohne die Anstrengung der persönlichen Bekehrung“.
Anderer Meinung war der Jesuit und Kardinal Albert Vanhoye in einem Interview, das er im Frühjahr 2010 der Zeitschrift 30Giorni gewährte. Der bekannte Exeget meinte, daß die Übersetzung von für viele in für alle in der Nachkonzilszeit von vielen Landeskirchen angewandt wurde und dies mit nicht unbedeutenden Gründen. Jesus sprach aramäisch und nicht griechisch. In vielen Sprachen, so auch im Italienischen, stellen „per molti“ und „per tutti“ einen Gegensatz dar, wie der emeritierte Rektor des Istituto Biblico von Rom ausführte. „Wenn viele Schüler eine Prüfung bestanden haben, bedeutet das, daß nicht alle durchgekommen sind. Im Aramäischen fehlt dieser dialektische Bezug. Das Wort rabàm bedeutet nur eine große Zahl, ohne genauere Angabe, ob sich diese große Zahl auf alle oder nicht alle bezieht.“ Für Kardinal Vanhoye sei es die Absicht Jesu gewesen, sich nicht an eine bestimmte, wenn auch große Gruppe zu wenden. „Seine Absicht war universal. Jesus will die Rettung aller“.
Kardinal Arinze: „Rettung ist kein Automatismus“
In Wirklichkeit läßt sich die römische Vorgabe, das pro multis wortgetreu zu übersetzen, nicht als Wortfixiertheit abtun. Die wortgetreue Übersetzung bedeutet auch, die Übereinstimmung mit den meisten Ostkirchen wiederherzustellen. Es geht jedoch nicht um Wortklauberei, sondern um eine inhaltliche Frage grundsätzlicher Natur. Vor allem bedeutet es nicht, die universale Absicht des Christus zu schmälern. Bereits im Schreiben von Kardinal Arinze aus dem Jahr 2006 wies der Präfekt diesbezügliche Anspielungen als unangebrachte Unterstellung zurück. Ebenso wies er auch jene Stimmen zurück, die Zweifel an der Gültigkeit des mit dem „für alle“ zelebrierten heiligen Meßopfers äußerten. Der nigerianische Kardinal führte aus, daß die Übersetzung „für viele“ unter anderem deshalb vorzuziehen sei, weil die Wandlungsworte sehr wohl potentiell jeden einzelnen Menschen miteinbeziehen, aber auch die Tatsache widerspiegeln, daß diese Rettung nicht wie ein Automatismus erfolge, ohne das eigene Wollen und die eigene Mitwirkung des einzelnen.
Schon der junge Theologe Ratzinger mißtraute einer Theologie mit deterministischem Heilsmechanismus
Das ist der theologische und pastorale Kern, der Papst Benedikt XVI. veranlaßte, direkt einzugreifen, indem er sich an die deutschen Bischöfe wandte, aber keineswegs nur sie meinte, um die anhaltenden Widerstände gegen die Wiederherstellung des „für viele“ statt des „für alle“ zu überwinden.
In seinem Schreiben bringt der Papst alle Einsprüche und Gegenargumente auf den Punkt („Ist nun Christus nicht für alle gestorben? Hat die Kirche ihre Lehre verändert? Kann und darf sie das? Ist hier eine Reaktion am Werk, die das Erbe des Konzils zerstören will?“) und widerlegt sie, indem er den Nachweis erbringt, daß sie letztlich jeder Grundlage entbehren. Für Joseph Kardinal Ratzinger war es ein großes Anliegen, die Selbstlosigkeit des von Jesus geschenkten Heils herauszustreichen. Als junger Theologe mißtraute er bereits theologischen Thesen, die die Heilsgeschichte in einem deterministischen Schlüssel interpretierten, wie einen zwingenden Mechanismus, dem alle unterworfen seien, ob sie wollen oder nicht, und sich damit für alle die Türen zum Paradies öffnen würden.
Als Präfekt der Glaubenskongregation reagierte Kardinal Ratzinger allergisch auf Apriorismus
Auch als Präfekt der Glaubenskongregation reagierte er „allergisch“ auf theologische Strömungen, laut denen die Gnade a priori allen Menschen geschenkt sei. Ein Apriorismus, der für ihn die selbstlose und geschichtliche Dynamik der durch Christus gewirkten Erlösung entstellt, dem christlichen Abenteuer jeden Geschmack raubt und die gegenüber den Nicht-Christen die Gefahr eines religiösen und ethischen Imperialismus in sich birgt.
Deshalb drängte er bereits lange bevor er Papst wurde, die authentische Intention von Jesus Christus in den Wandlungsworten wiederherzustellen. 2001 schrieb er: „wenn es die eine oder die andere Formel („für alle“ oder „für viele“ gibt), müssen wir auf alle Fälle die Gesamtheit der Botschaft hören: daß der Herr wirklich alle liebt und für alle gestorben ist. Und die andere Sache: daß er unsere Freiheit nicht in einer lustigen Magie beiseite schiebt, sondern uns in seiner großen Barmherzigkeit ja sagen läßt.“
Text: Vatican Insider/Giuseppe Nardi
Bild: Ermanno Longo