(Damaskus) Homs wurde zum Symbol des syrischen Bürgerkrieges, dessen Ausgang noch völlig offen ist. Die Bilder der umkämpften Stadt gingen um die Welt. Was die wenigstens jedoch wissen: die drittgrößte Stadt Syriens hat eine reiche christliche Vergangenheit. Aus Homs kam sogar ein Oberhaupt der gesamten Christenheit.
Er hieß Anicetus und war der zehnte Nachfolger des Apostels Petrus und damit der elfte Papst der katholischen Kirche. Anicetus stammte aus der Stadt Emesa, wie Homs in der Antike hieß, im Tal des Orontes. Er bestieg im zweiten nachchristlichen Jahrhundert den Stuhl Petri und lenkte die von Christus gestiftete Kirche zwischen 155 und 168. Eine Kirche, die mit Blick auf die heutigen Konfessionen noch eine Einheit bildete. Deshalb wird er sowohl im Westen als auch im Osten als Heiliger verehrt. Sein Gedenktag ist der 17. April. Der Überlieferung nach wurde er wegen seines Widerstandes gegen die Gnosis mit dem Exil bestraft. Ein „wunderbares“ Exil, das ihn nach Rom führte und damit auf den Papststuhl. Sein griechischer Name bedeutet ja auch soviel wie „der nicht Eroberte“. Sein Pontifikat war geprägt von entschiedenem Widerstand gegen die Häresien seiner Zeit, vor allem jenen des Markion, die damals starke Verbreitung fanden. Als erster Papst verurteilte er formell eine Irrlehre. Sein Wirken galt der Wiederherstellung der Glaubensdisziplin. Dabei bemühte er sich vor allem um das Priestertum und das Diakonat.
Der große Geschichtsschreiber des frühen Christentums, Eusebius von Caesarea berichtet von einer Reise des Bischofs Polykarp von Smyrna nach Rom. Zweck der Reise war es, mit Papst Anicetus die Frage des Datums zu klären, an dem das Osterfest zu feiern sei. Eine Frage, die bereits damals die Christen teilte. Polykarp hielt mit dem ganzen Osten am 14. Tag des jüdischen Monats Nisan fest, dem Tag des jüdischen Pessach-Festes. Papst Pius I, der Vorgänger Anicetus, hatte hingegen festgelegt, daß die Auferstehung des Herrn am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling gefeiert wird. Polykarp hoffte vielleicht, mit einem syrischen Papst eine Einigung finden zu können: „Weder gelang es Polykarp den Papst zu überreden noch dem Papst Polykarp. Die Meinungsverschiedenheit blieb ungelöst, die Beziehungen wurden aber nicht abgebrochen“, so Eusebius. Papst Anicetus starb der Überlieferung nach als Märtyrer unter der Christenverfolgung durch Kaiser Mark Aurel. Nähere Angaben zu seinem Tod sind aber nicht bezeugt. Er wurde als erster Papst in den Kalixtus-Katakomben außerhalb der römischen Stadtmauern begraben. 1604 wurden seine sterblichen Überreste gehoben und in die Kapelle des Palazzo Altemps an der Piazza Sant’Apollinare überführt, wo sie heute noch ruhen.
Neben diesem Papst ist Homs in frühchristlicher Zeit besonders mit Bischof Nemesios von Emesa verbunden, der als Philosoph des 4. Jahrhunderts einen Namen hatte. Von seinen Schriften ist vor allem „Peri physeos anthropou“ («Über die Natur des Menschen“) bekannt, die erste anthropologischen Abhandlung aus christlicher Sicht. Ein Werk, das großen Einfluß auf das nachfolgende theologische Denken hatte, sowohl im Orient als auch im Okzident. Er verwarf darin den platonischen Mythos von einer vom Körper getrennten Seele. Nemesios vertrat den Standpunkt, daß zum eigentlichen Verständnis dieser Beziehung von der Christologie ausgegangen werden mußte. Zwischen Seele und Körper bestehe dieselbe Beziehung, die in der Menschwerdung Christi beide vereint sehe, den göttlichen Logos und die menschlichen Natur.
Mit dem christlichen Emesa, dem heutigen Oms ist jedoch ein herausragendes Ereignis verknüpft. Im 5. Jahrhundert, um genau zu sein im Jahr 452, erschien im alten Emesa, der heilige Johannes der Täufer dem Archimandriten des örtlichen Klosters und zeigte ihm den Ort, wo sein Kopf vergraben lag. An der Fundstelle der Reliquie wurde eine Kirche erbaut, die den Täufer zum Patron hat. Mehrere Jahrhunderte hindurch gehörte die Kirche zu den wichtigsten Pilgerstätten der Christenheit. 637, als die Stadt von den Moslems erobert wurde, beschlagnahmten sie die halbe Kirche und machten eine Moschee daraus. Die großen Wallfahrten nach Emesa endeten erst im 9. Jahrhundert, als die Kopfreliquie des Täufers nach Konstantinopel gebracht wurde.
Das Christentum verschwand jedoch keineswegs in Homs, wo die Christen im Hochmittelalter noch die Mehrheit hatten. Im 20. Jahrhundert war Homs nach dem Ende der türkischen Christenverfolgungen das Zentrum für den Wiederaufbau unter den Christen des chaldäischen Ritus. Ignace Kardinal Moussa Daoud, der Präfekt der Kongregation für die Ostkirchen war, bevor er zum Patriarchen von Antiochien gewählt wurde, war von 1994 bis 1998 Erzpriester in Homs.
Was wird von der großen christlichen Geschichte nach dem Bürgerkrieg überleben?, fragte bereits vor einigen Wochen Oeuvre d’Orient, eine französische Hilfsorganisation, die den orientalischen Kirchen sehr verbunden ist. Heute sind die Christen auf der Flucht vor der Gewalt, die nicht nur von der Armee Assads verübt wird, sondern genau so von islamistisch-sunnitischen Milizen. Homs ist durch die Berichterstattung der Medien weltbekannt und zum Synonym für den Bürgerkrieg in einem islamischen Land geworden, den viele Journalisten gerne als Fanal für eine Demokratisierung sehen würden.
In Homs spielt sich jedoch auch eine christliche Tragödie ab, von der kaum berichtet wird. Und mit ihr droht ein weiteres kostbares Stück der Kirchengeschichte ausgelöscht zu werden.
Text: Vatican Insider/Giuseppe Nardi
Bild: Vatican Insider