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von Klaus Obenauer
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1. Hinführendes
Zu Ende vergangener Woche machte zusammen mit der Nachricht vom entsprechenden Pressecommuniqué die Rede von einem Ultimatum die Runde, das Msgr. Fellay FSSPX und mit ihm seiner Bruderschaft gestellt sei. Es gab Stimmen, die der Darstellung von einem Ultimatum widersprachen.
Wie dem auch sei: Der Text des Communiqués verrät ein gewisses Drängen (unterstrichen durch die Monatsfrist, von der kontextuell die Rede war), aber auch Wohlwollen gegenüber der Sache der Rekonziliation bzw. Regulierung. Und bemerkenswert, daß (im Communiqué jedenfalls) von keinen inhaltlichen Bedingungen die Rede ist: Bischof Fellay und seine Bruderschaft „möge seine Position klären“; Formulierungen wie „man möge endlich unzweideutig dies und jenes anerkennen etc.“ fehlen. Von daher scheint das „Ultimatum“ viel Spielraum für die inhaltlichen Positionen zu lassen, für den Beobachter von außen jedenfalls.
Wenngleich ich mir prinzipiell Zurückhaltung auferlegen möchte, um mir bewußt zu sein, daß ungefragte Einmischung schon mal mehr schadet als nützt, so bewegt mich eben doch die Dringlichkeit der Sache, einen Vorschlag zu unterbreiten, wie man Gehorsam und Loyalität gegenüber dem Lehramt bekunden beziehungsweise das ‚sentire cum ecclesia‘ ausdrücken kann, um dennoch den intrikaten Schwierigkeiten Rechnung zu tragen, die von seiten der Piusbruderschaft nun einmal gesehen und empfunden werden.
Und ganz gewiß will ich damit nicht irgendwie „Öl ins Feuer gießen“, um irgendwelche Renitenzen seitens der Piusbruderschaft zu unterstützen. Nichts liegt mir ferner als das. Aber es ist nun einmal nicht zu übersehen, daß die Erfüllung der Maximalerwartung seitens der Piusbruderschaft in puncto Anerkennung des konziliären und postkonziliären Lehramtes wenig realistisch ist. – Und meinerseits, von einer selbstverständlichen „konziliaren Observanz“ herkommend und deshalb nicht im Geiste einer Animosität agierend, kann ich, im Rahmen einer entschieden sachlichen Näherung an das Problem, nicht verhehlen, daß ich schon ‚fundamenta in re‘ für die Schwierigkeiten der Piusbruderschaft mit dem nach-/konziliären Lehramt sehe.
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2. Zu einer möglichen Formel
Deshalb möchte ich folgenden Vorschlag für eine „Versöhnungsformel“ an die Öffentlichkeit bringen, ohne freilich zu wissen, wie aussichtsreich er nach Lage der Dinge – bei der größtenteils nicht-öffentlichen Verhandlung – ist; und wenn er nur als Basis dafür dienen mag, die Möglichkeiten besser abzuklären. – Nach meinem gegenwärtigen Reflexionsstand sehe ich kaum eine bessere Weise, die Skylla eines für Rom unannehmbaren Minimalismus einerseits und die Charybdis eines von der FSSPX perhorreszierten Maximalismus andererseits zu umgehen, als folgende:
Was also die ‚Professio fidei et fidelitatis erga magisterium‘ betrifft, um die es hierbei ja zentral geht, so wird an die Standardformel (Nicaenum plus Zusätze), die an sich ja für die Piusbruderschaft alles andere als ein Problem darstellt, folgender Text angefügt:
„Finaliter, quod specialiter nos attinet: [principaliter] verae et genuinae Traditioni Apostolicae per omnia irrefringibiliter adhaerentes, etiam exercitum magisterium Concilii Vaticani Secundi et Summorum Pontificum recentium agnoscimus.“
„Schließlich, was insonderheit uns angeht: [in erster Linie] der wahren und genuinen Apostolischen Tradition zur Gänze unverbrüchlich anhängend, erkennen wir auch das ausgeübte Lehramt des Zweiten Vatikanischen Konzils und der jüngeren Päpste an.“
Zur Erklärung: Dieser Text bedeutet für die FSSPX gerade nicht, nun doch „die Kröte zu schlucken“. Bewußt habe ich für meinen Vorschlag die Partizipialkonstruktion gewählt, die sinngemäß übersetzt lautet: „indem wir / auf die Weise, daß wir [in erster Linie] der wahren und genuinen Apostolischen Tradition zur Gänze unverbrüchlich anhängen, …“. Das in der Partizipialkonstruktion Ausgedrückte bestimmt also den Modus der Anerkennung des nach-/konziliären Lehramtes (wo es nicht endgültig spricht [1]Die Fälle, wo es dies tut, sind nicht nur nicht verhandelbar, sondern auch für die FSSPX kein Problem. ), ein Modus, gegen den kein wahrer Katholik – auf seiten der hörenden wie der lehrenden Kirche – etwas haben kann. Die Benennung dieses Modus der Zustimmung hat aber, was entscheidend ist, zwei wichtige Implikationen:
- Die Beifügung dieses Modus der Anerkennung des nach-/konziliären Lehramtes (nach dessen faktischer Ausübung) salviert: indem er nämlich die Weise der Anerkennung bestimmt, und zwar so bestimmt, daß die Treue zur Tradition absolut unwiderrufen bleibt, suspendiert er eo ipso die besagte Anerkennung für den Fall und in dem Maß, daß bzw. als das Anzuerkennende (und somit die Anerkennung selbst) mit der Tradition diskohärent bzw. traditionswidrig wäre. – Damit sehe ich jedenfalls das entscheidende Anliegen der FSSPX gewahrt.
- Im Gegenzug besagt diese Formulierung nicht das Geringste über Tatsächlichkeit oder auch nur Möglichkeit jenes Falles, für den die Formel salviert: daß es im nach-/konziliären Lehramt solches gibt, das diskohärent mit der Tradition ist. – Damit ist das entscheidende Anliegen Roms gewahrt: Man läßt sich in der Entgegennahme eines solchen Bekenntnisses gerade nicht auf die Behauptung oder wenigstens Erwägung ein, das nach-/konziliäre Lehramt könne solche Diskohärenzen bzw. Traditionswidriges enthalten. Umgekehrt besagt das Absehen von dieser Tatsächlichkeit freilich auch nicht das Zugeständnis der Nichtfaktizität.
- Die in Klammern beigefügte Ergänzung „principaliter“ („in erster Linie“) würde zwar den Text der vorgeschlagenen Formel für die FSSPX attraktiver machen, ist aber zur Wahrung des hier beschriebenen eigentümlichen Vorteils besagter Formel keineswegs notwendig.
Sicherlich hat so etwas mit diplomatischen Gradwanderungen zu tun. Aber es ist kein Herumexperimentieren mit zweideutigen Formeln: Eindeutiges(!) Sich-Salvieren für einen Fall, von dessen Tatsächlichkeit abgesehen wird, hat mit Zweideutigkeiten nichts zu tun, auch wenn die „Parteien“ (sit venia verbo!) in bezug auf diese Tatsächlichkeit Gegenteiliges denken, welches Sich-Denken auf der Ebene der Erklärung und ihrer Entgegennahme nun aber irrelevant ist. Salviert ist man mit dieser Formel auf jeden Fall: Nur meinen die einen, daß es da etwas gibt, vor dem man sich zu salvieren hätte, die anderen, daß es da nichts gibt. Das ist alles, aber es ist keine zweideutige Formulierung: Denn sie läßt keine diversen Sinnunterstellungen zu, sondern nur diverse Hintergrundannahmen (was ein großer Unterschied ist).
Natürlich gibt es Alternativen, aber wohl nur zu dem Preis, daß sie die Formel für eine der beiden „Parteien“ jeweils weniger attraktiv bis problematisch machen. Hoffentlich ohne mein persönliches ‚sentire cum ecclesia‘ verdächtig zu machen [2]Dazu siehe auch nachfolgend: meinerseits habe ich nichts dagegen, so zu formulieren:
„Exercitum magisterium Concilii Vaticani secundi etc. agnoscimus, inquantum cum vera et genuina Traditione Apostolica bene cohaeret.“
„Das ausgeübte Lehramt des Zweiten Vatikanischen Konzils etc. erkennen wir an, insofern [/ insoweit] es mit der wahren und genuinen Apostolischen Tradition trefflich harmoniert.“
Es ist klar, daß die FSSPX diese Formel präferieren würde; jedoch wäre sie für Rom sicher weniger attraktiv, da hier der Fall der Diskohärenz wenigstens erwägungsweise in den Inhalt der Formel selber eingeht.
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3. Zu den Hintergründen
Ich führte oben aus: Meine oben (in erster Linie) vorgeschlagene Formel präjudiziere in keiner Weise, daß das nach-/konziliäre Lehramt Traditionswidriges oder ‑diskohärentes enthalte. Trotzdem: Diese Feststellung gilt für den Inhalt der Formel bzw. die inhaltlichen Implikationen ihrer Entgegennahme. Die Pragmatik des von mir vorgeschlagenen Vorgehens basiert nun aber auf der Voraussetzung, daß jene Gruppierung, für deren Regulierung besagte Maßnahme von mir ins Gespräch gebracht wird, sich – vorsichtig gesagt – zumindest nicht dazu verstehen kann, dem nach-/konziliären Lehramt hier Unbedenklichkeit zu attestieren; entsprechend bescheinigte das Römische Lehramt mit einer solchen Maßnahme, wie ich sie vorschlage, dem Verdacht oder ähnlich zwar nicht Legitimität, ließe sich jedoch auf ihn ein. – Und dabei geht schließlich die Frage an mich selber, wie ich vorschlagen kann, sich auf die entsprechende Unterstellung etc. einzulassen.
Damit lautet die Frage: Wie halte ich es selber mit der Möglichkeit oder Eventualität eines traditionswidrigen nach-/konziliären Lehramtes? – Dazu habe ich in meinen obigen Erläuterungen schon bewußt nuanciert: dem scharfen „traditionswidrig“ habe ich abmildernd ein „diskohärent mit der Tradition“ an die Seite gestellt. Vor allen Dingen aber: Mein katholisches Glaubensverständnis und ‚sentire cum ecclesia‘ gebietet mir – wenigstens – folgende Untergrenze zu ziehen:
- Dort, wo dieses Lehramt in der Weise endgültigen Verpflichtens spricht, tut es dies auch zurecht, sprich: es ist darin durch Gottes Beistand unfehlbar. – Dies ist auch bei allen (am engeren Diskurs Beteiligten) außer Diskussion.
- Dort, wo es dies nicht tut, ist es untersagt zu unterstellen, nahezu der ganze Lehrkörper (mit dem Papst an der Spitze) sei auf einem Ökumenischen Konzil durch eindeutigen Widerspruch zu dem, was als zum (göttlichen oder kirchlichen) Glauben gehörend sicher feststeht, von eben diesem Glauben abgefallen. – Einem allseits anerkannten Papst einen hartnäckigen Widerspruch zum ‚depositum fidei‘ zu unterstellen, ist kraft kirchlichen Glaubens („de fide ecclesiastica“ eben) ausgeschlossen.
Die so von mir gezogene Untergrenze ist auf jeden Fall mindestens so zu ziehen. Man mag nun fragen, ob sie derart in hinlänglicher Weise gezogen ist, ob also nicht doch vielleicht mit dieser Umschreibung das erforderliche Minimum unterschritten ist. Von der Antwort auf diese Frage hängt freilich einiges ab. Mir scheint aber – und da lasse ich mich gerne eines Besseren belehren –, daß eine solche Antwort auf jene Frage nicht ohne weiteres auf der Hand liegt. Jedenfalls wird man in den bewährten Manualien zur Ekklesiologie und theologischen Prinzipienlehre lange blättern müssen, bis man auf etwas Brauchbares zur möglichen Tragweite eines doktrinalen Irrtums seitens eines Ökumenischen Konzils, wo es nicht endgültig verpflichtend lehrt, stößt. Fälle, die diese Frage aufwerfen, wie eben eines hermeneutisch angelegten Konzils, als welches das Zweite Vatikanum fungierte, ein Fall wie zumal der von „Dignitatis humanae“, die waren darin nun einmal nicht vorgesehen. Von daher scheint mir: Die Untergrenze diesseits des von mir oben abgesteckten Minimums ist selber Diskursmaterie. Es wäre von daher nicht a limine ausgeschlossen, eben diesseits der von mir unter Punkt 2 benannten Grenzmarkierung wenigstens mit solchem zu rechnen, das als „Diskohärenz mit der Tradition“ zu bezeichnen ist.
Überdies: Wenngleich also (auch) auf der Ebene nicht endgültig verpflichtenden Sprechens die negative Anschlußfähigkeit der Lehre eines Ökumenischen Konzils zu einem (gleich wie exakt zu bestimmenden) Minimum stets zu unterstellen ist, so präjudiziert dies längst noch nicht die positive Anschlußfähigkeit oder Verläßlichkeit. Will sagen: Daß eine Lehraussage dem, was als zum Glauben gehörend schon festgestellt ist, sicher nicht widerspricht, garantiert noch nicht, daß diese Aussage überhaupt in (letzter) Sicherheit als Auslegung des ‚despositum fidei‘ bzw. als mit letzterem kohärent verläßlich ist.
Vor dem Hintergrund dieser prinzipiellen Erwägungen glaube ich nun, auch meinerseits folgende Behauptung verantworten zu können: Die Probleme in puncto Dis-/Kongruenz der Lehre zumal von „Dignitatis humanae“ mit dem vorausgehenden Lehramt sind viel zu intrikat, als daß die Verläßlichkeit (zumal) von „Dignitatis humanae“ einfach postuliert werden dürfte. Wenn man bedenkt, daß die Prinzipien und Praxen, welche „Dignitatis humanae“ implizit verwirft, durch höchstlehramtliche Zensuren in Schutz genommen waren, Zensuren, welche der (zumindest) neuscholastische Theologenkonsens als definitiv verbindlich ansah [3]Ohne daß deshalb (schon per se) der in Schutz genommene Lehrgehalt damit definitiv verbindlich gemacht ist (das Urteil „temerär“ z.B. bezieht sich [direkt] nur auf die Weise der … Continue reading, dann kann angesichts einer jahrhundertelangen Praxis solcher Zensurierung [4]Als Beispiele: DS 1214, 1272, 1483, 2915, welche den Prinzipien von „Dignitatis humanae“ diametral widerspricht, „Dignitatis humanae“ alles andere als zugebilligt werden, in der Lehrdarlegung methodisch legitim vorzugehen: insofern es sich nämlich über die Dringlichkeit jener Kontraindikation einfachhin hinwegsetzt, die mit der vorausgehenden Lehrpraxis nun einmal gegeben ist, beziehungsweise insofern etwaige Ansätze (unter Dign. Hum. 1 und 2) mehr als unzulänglich sind. Mit dem – an sich freilich richtigen – Hinweis, daß die Richtigkeit einer lehramtlichen Aussage auch diesseits der Infallibilitätsgarantie doch zu präsumieren sei, ist in solchen Fällen, für welche „Dignitatis humanae“ das markanteste Beispiel ist, einfach nicht gedient: eben weil in solchen Fällen die Präsumption durch erhebliche Kontradindikationen entschieden angefochten ist.
Von daher: Der Außenstehende kann um die Spielräume, die durch die berühmte „Präambel“ umschrieben sind, nicht genau wissen. Angesichts der nicht unerheblichen Fragen, wie sie allem voran durch „Dignitatis humanae“ aufgeworfen sind, sehe ich jedenfalls kaum eine Alternative dazu, den Spielraum für Vorbehalte großzügig zu umschreiben, sich (pragmatisch) auf die Erwägung eventueller Diskohärenzen mit der Tradition (bei besagter Untergrenze) einzulassen (was ich mit der von mir vorgeschlagenen Formel gewährleistet ansehe). Selbstredend könnte dieses großzügige Zugeständnis nur mit Hinblick auf eine längerfristige Klärung gemacht werden, eine Klärung, der all die intrikaten Fragen, die sich um die konziliären Innovationen auf doktrinalem Gebiet ranken, zuzuführen wären; Fragen, die allem voran die theologische Prinzipienlehre betreffen. Der kirchenpolitischen Probleme (mit den konkreten Folgen für die betroffenen Menschen), die solches in bezug auf „Dignitatis humanae“ hätte, bin ich mir wohl bewußt: in einer auf diesem Forum veröffentlichten Reflexion vor Weihnachten habe ich darüber ausführlicher Rechenschaft abgelegt.
Es geht hierbei eben nicht nur darum, auf Biegen und Brechen, ohne Rücksicht auf Verluste ein Einvernehmen mit der FSSPX herbeizuzwingen. Gerade für den, der sich dem Primat der sachlichen Transparenz verpflichtet weiß, und eben nicht einer Ideologie, gleich ob einer rechten oder einer linken, steht die dringende Klärung von Sachfragen an, die bis dato nur verschleppt wurden und welche nicht permanent rhetorisch überspielt oder mit suggestiv (aber nicht sachgemäß) herangezogenen Prinzipien abgewürgt werden dürfen.
Das Grundproblem für den Anstoß der „Traditionalisten“ am nach-/konziliären Lehramt ist ja, daß nicht nur eine tendenziöse Rezeption (dies sicher auch!), sondern wohl zu einem gewissen Teil auch das methodische Vorgehen auf dem Konzil selber eine Krise des Vertrauens hervorgerufen haben, eines Vertrauens in die Verläßlichkeit der Lehrkontinuität. Und damit verbinden sich echte Probleme, auch für den sachbezogen Denkenden, keineswegs nur für den ideologisch Voreingenommenen! Ja, es stellt sich vielmehr die Frage, ob nicht auch hie und dort auf dem Konzil ideologisch voreingenommenes Forcieren („den Anschluß an die Zeit nicht verlieren!“) die Probleme erst geschaffen hat, die immer noch nicht gelöst sind. Entsprechend sind keine Ideologie und keine Lieblingsidee, gleich ob von rechts oder von links, das Mittel zur Überwindung der Vertrauenskrise, sondern die konsequente Besinnung auf die Maßstäbe verläßlicher Lehrkontinuität, denen sich alle beugen müssen.
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4. Positive Ergänzungen
Ich möchte es nicht versäumen, abschließend noch – bei aller anzubringenden Kritik – für eine weitgehende Vertrauenswürdigkeit des Zweiten Vatikanischen Konzils zu plädieren, die bei aller Angemessenheit salvatorischer Klauseln eine prinzipielle Affirmation des Zweiten Vatikanischen Konzils rechtfertigt. Um nicht ausufernd zu werden, kann ich dies nur selektiv in stichpunktartigen Hinweisen tun:
Man mag nun nicht ganz zu Unrecht den Verdacht haben, bei vielem (zumal in vergleichsweise niederrangigen Dokumenten) sei Manipulation durch (damals) progressive Theologen im Spiel gewesen. Dies darf jedoch, gerade was die (vergleichsweise) hochrangigen Dokumente angeht, nicht über das hohe Maß an Verläßlichkeit hinwegtäuschen. Die komplexere Umschreibung von Sachverhalten (z.B. im Vergleich mit dem Ersten Vatikanum) mag von Anfang an durch progressiv-ideologische „Ausschlachtung“konzertiert gewesen sein; dies muß sie jedoch mitnichten schon dem Verdacht aussetzen, hier sei Manipulation im Spiel gewesen, der es darum gegangen sei, die Markanz der tradierten Lehre zu enervieren. Ich gehe auf zwei Beispiele ein:
- Die bei der Piusbruderschaft alles andere als beliebte Lehre von der Kollegialität war kein von Modernisten eingeschleustes trojanisches Pferd. Nachweislich nicht. Dazu verweise ich auf drei prominente neuscholastische Theologen: Johann Baptist Kardinal Franzelin (der berühmte Verfasser von Vat. I, „Dei Filius“) lehrt in seinem „Tractatus de divina traditione et scriptura“ (Rom 31882), unter Sectio I. thesis XII (loc. cit., [5]Das Konzil gebraucht „corpus episcoporum“ und „collegium episcoporum“ alternierend (siehe nur LG 21sq.). der (bischöflichen) Hirten und Lehrer = Apostelnachfolger, in Gemeinschaft und Unterordnung mit bzw. unter das sichtbare Haupt der Kirche (den Papst); andererseits freilich der Papst allein. – Christian Pesch trägt im ersten Band seiner „Praelectiones dogmaticae“ (Freiburg 41909) unter Nr. 459 (ad hoc 308sq.) folgendes vor: Es gibt zwei Adressaten zweier göttlicher Beistandsverheißungen und somit zwei Träger der Infallibilität, die sich inadäquat unterscheiden: das Kollegium der Bischöfe als Apostelnachfolger – wobei ausdrücklich das Wort „collegium“ fällt – im Verbund mit dem Papst und eben der Papst allein. Pesch lehrt sogar, daß dieses Kollegium unter dem Papst bzw. mit dem Papst als seinem Haupt auch unfehlbar wäre, wäre es der Papst für sich allein nicht. Persönlich mag ich dieser These, die materiell zwar nur zwei inadäquat unterschiedene Träger unterstellt, jedoch offensichtlich zwei formell distinkte Trägerschaften (zu Lasten der Angelstellung des päpstlichen Lehrprimates) ansetzt, so nicht zustimmen. – Um so mehr fällt mein Blick auf den Fürsten der Neuscholastik, Kardinal Louis Billot, der mir in „De ecclesia Christi, tomus 3“ [6]Ich beziehe mich auf die Ausgaben: Rom 1900 unter Qu. XIII. thesis 27 [7]Loc. cit., 91–95. – Man achte auch auf die Qu. XVI (225–230) ibd. die Konzilslehre in wesentlichen Punkten vorwegzunehmen scheint [8]Siehe auch meinen letzten Beitrag auf diesem Forum. Demnach gibt es eine göttlich-rechtliche Mitträgerschaft des Apostel- bzw. Bischofs-Kollegiums (auch hier fällt dieser Ausdruck ausdrücklich und wiederholt!) in bezug auf jene höchste Gewalt, die der heilige Petrus und sein Nachfolger schon alleine für sich besitzen. Billot beschreibt die Struktur dieser Doppel- bzw. ausgeweiteten Trägerschaft jedoch derart Petrus- bzw. Papst- zentriert, daß für mich folgende Deutung naheliegt: Es gibt, von der göttlichen Einsetzung her gesehen, eine Per-se-Inhaberschaft sowohl des Papstes allein als auch der kollegial bzw. korporal genommenen Bischöfe im Verbund mit ihm, derart, daß der Papst sie ‚per se primo‘ innehat, die Bischöfe jedoch ‚per se secundario‘ (insofern ihr Eintreten in die hierarchische Gemeinschaft mit dem Petrusnachfolger sie eo ipso in besagte Mitträgerschaft einsetzt, aber so, daß der Papst die volle und höchste Gewalt unabhängig von dieser Mitträgerschaft behält). – Das Zweite Vatikanum bestätigt meines Erachtens just diese göttlich-rechtliche Doppelträgerschaft, um jedoch ihre Struktur (wie ich sie im Anschluß an Billot zu bestimmen suche) offenzulassen. [9]Siehe LG 22–25, una cum Note expl. praev. 3 sq. Wenn jedoch die ‚Nota explicativa praevia‘ [10]Die gegen den Text der Konstitution auszuspielen ich keinen Grund sehe. unter Nummer 3 erklärt, daß der Satz, wonach das Kollegium ebenso Subjekt der höchsten und vollen Gewalt sei, schon deshalb zwingend zuzugestehen sei, damit die Gewaltenfülle des Römischen Pontifex nicht angetastet werde, ohne den als Haupt nämlich das Kollegium gar nicht begriffen werden könne: dann spricht dies sehr für eine Deutung der Verhältnisse nicht auf der Spur von Pesch, sondern von Billot! p. 115–118), daß Subjekt der Lehrinfallibilität die göttlichen eingesetzten Lehramtsträger sind; und letzteres sind: einerseits das ganze Corpus
- Noch ein ganz knapper Hinweis zur Lehre von der Kirchengliedschaft, die das Zweite Vatikanum unter LG 14sqq. ja bekanntlich etwas differenzierter umschrieb als z.B. „Mystici corporis“ (DS 3802). Es lohnt dazu ein Blick wiederum auf Franzelin, nämlich in seine „Theses de Ecclesia Christi. Opus posthumum“ [11]Roma 1887. Dort unter der Sectio IV §2 („De membris Ecclesiae Jesu Christi“) [12]Loc. cit., 377–460. Die Differenzierungen, mit denen dort gearbeitet wird, sind nicht schon durchwegs dieselben, wie sie nicht ein ganzes Jahrhundert später unter LG 14sqq. zu finden sein werden; aber sie gemahmen schon deutlich daran. Das Dokument widerlegt die simplifizierende Behauptung, wonach man „früher“ messerscharf zwischen drinnen und draußen unterschieden habe, laut Vatikanum II jedoch sozusagen jeder irgendwie dazugehöre. Die thesis XXIII [13]Ibd., 402 differenziert dort zwischen „pertinere ad Ecclesiam Christi in terris simpliciter et ex integro“ [14] „Zugehören zur Kirche Christi auf Erden einfachhin und zur Gänze“. und einem „pertinere seu referri ad illam secundum quid et ex parte“ [15]„Zugehören zu jener unter bestimmter Hinsicht und aufgrund irgendeines Teiles [/ Teilaspektes]“. – Dies nur als zusätzlicher Hinweis.
Eine Nachbemerkung dazu: Die Geschichtsschreibung zum Zweiten Vatikanum ist noch nicht zu Ende. Daß Roberto de Mattei der tendenziösen Darstellung von Alberigo e.a. eine andere, kritische Perspektive an die Seite stellte, ist durchaus zu begrüßen. Nicht jedoch, daß er sich dazu legitimiert sah, seinerseits „cum ira et studio“ zu schreiben. Und so muß ich mich im Namen seriös-normbewußten Theologietreibens gegen die posthume Verunglimpfung von Kardinal Pietro Parente verwahren, wonach er aus karrierepolitischem Opportunismus wider besseres Wissen und Gewissen auf dem Konzil die Kollegialität verteidigt hätte! [16]Dazu: Roberto de Mattei: Das Zweite Vatikanische Konzil (deutsch), Edition Kirchliche Umschau, 2011, 485–487. Denn angesichts der oben knapp dokumentierten theologiehistorischen Sachlage müßte für die unterstellte Charakterschwäche der eindeutige Nachweis erbracht werden, den man jedoch vermißt.
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Schlußwort
All dies, was ich oben geschrieben habe, weiß ich im Dienste der Aussöhnung der FSSPX mit dem Heiligen Stuhl geschrieben; und, im Verbund damit, im Dienste einer differenzierten, sachgemäßen, unideologischen Diskussion der Konzilsmaterie, vor allem, was die Fragen der theologischen Prinzipienlehre angeht, die sich damit immer noch verbinden.
Und noch einmal, was mir ganz wichtig ist: Ich will, nach meinen begrenzten Möglichkeiten, Hilfestellung geleistet haben, nicht „Öl ins Feuer gießen“. Sollte man auf seiten der FSSPX sich zu Zugeständnissen bereitfinden, die weitergehen als ich mit meiner Formel, und sollte dies für den Heiligen Stuhl unabdingbar sein: ich bin der Allerletzte, der sich dem entgegenstellt. Das Restrisiko, das ich mit der Publikation meines Vorschlages in Kauf nehme, gehe ich nur ein, weil ich nicht destruktiv, sondern konstruktiv ein wenig mitarbeiten will an der Überwindung eben doch zu vermutender Hindernisse. Ich will die Versöhnung wahrscheinlicher machen, nicht unwahrscheinlicher! Nicht Renitenzen will ich das Wort reden, sondern den Weg bahnen helfen zur Überwindung von Schwierigkeiten, für die denn auch ich sachliche Fundamente sehe.
Und bei allem Mühen um Umsicht und Perfektion (soweit es die Zeit erlaubt), ich weiß um die eigene Fehleranfälligkeit. Und nichts will ich „temerarie asserendo“ vorgetragen haben.
Bonn – zwischen Laetare und dem Fest des heiligen Joseph
Dr. theol. Klaus Obenauer ist Privatdozent an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn.
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↑1 | Die Fälle, wo es dies tut, sind nicht nur nicht verhandelbar, sondern auch für die FSSPX kein Problem. |
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↑2 | Dazu siehe auch nachfolgend |
↑3 | Ohne daß deshalb (schon per se) der in Schutz genommene Lehrgehalt damit definitiv verbindlich gemacht ist (das Urteil „temerär“ z.B. bezieht sich [direkt] nur auf die Weise der Urteilsbildung in bezug auf die entsprechende Sentenz). |
↑4 | Als Beispiele: DS 1214, 1272, 1483, 2915 |
↑5 | Das Konzil gebraucht „corpus episcoporum“ und „collegium episcoporum“ alternierend (siehe nur LG 21sq.). |
↑6 | Ich beziehe mich auf die Ausgaben: Rom 1900 |
↑7 | Loc. cit., 91–95. – Man achte auch auf die Qu. XVI (225–230) ibd. |
↑8 | Siehe auch meinen letzten Beitrag auf diesem Forum |
↑9 | Siehe LG 22–25, una cum Note expl. praev. 3 sq. |
↑10 | Die gegen den Text der Konstitution auszuspielen ich keinen Grund sehe. |
↑11 | Roma 1887 |
↑12 | Loc. cit., 377–460 |
↑13 | Ibd., 402 |
↑14 | „Zugehören zur Kirche Christi auf Erden einfachhin und zur Gänze“. |
↑15 | „Zugehören zu jener unter bestimmter Hinsicht und aufgrund irgendeines Teiles [/ Teilaspektes]“. |
↑16 | Dazu: Roberto de Mattei: Das Zweite Vatikanische Konzil (deutsch), Edition Kirchliche Umschau, 2011, 485–487. |