von Klaus Obenauer
Schon wiederholt habe ich mich in diesem Forum zugunsten der Versöhnung der FSSPX mit Rom ausgesprochen – ein Anliegen, das mir nach wie vor ungebrochen am Herzen liegt.
Ich habe dabei auch zu verstehen gegeben, daß ich selber mich nicht prinzipiell der Erwägung verschließe, das Zweite Vatikanische Konzil ganz oder teilweise einer Überprüfung zu unterziehen; allerdings unter Wahrung bestimmter Prämissen und Untergrenzen (wonach es vor allem nicht in Frage kommt zu behaupten, nahezu der ganze Lehrkörper mit dem Papst an der Spitze habe sich in einen eindeutigen Widerspruch zum ‚depositum fidei‘ gesetzt – was freilich ohnedies nur relevant ist, wo diesseits ‚de fide‘ gesprochen wurde).
In meiner Beschäftigung mit der Konzils- und Konfliktmaterie, die für das Leben der ganzen Kirche von Bedeutung ist, war für mich stets die größte Herausforderung die notwendige Trennschärfe der doktrinalen Selbstbeschreibung der Kirche im Verhältnis zu denen „draußen“: Ist das konfrontative Gegenüber der römisch-katholischen Kirche als exklusiver Stiftung Christi zu allem, was (einfachhin gesprochen) außerhalb ihrer befindlich ist, in hinreichender Weise ebenso transparent wie markant umschrieben? Wobei diese Frage in kritischer Instanz meines Erachtens weit weniger an ‚Lumen gentium‘ als an die konzertierenden Verlautbarungen (wie „Unitatis Redintegratio“ und „Nostra aetate“) zu richten ist. – In zweiter Linie ist da freilich das große Problem der Un-/Zulänglichkeit von „Dignitatis humanae“ in Sachen Lehrkontinuität.
Die Lehre zur Kollegialität der Bischöfe hingegen hat als Konfliktmaterie, wie ich gestehen muß, meine Aufmerksamkeit stets mehr am Rande gefunden. Von der (nicht zu gering zu veranschlagenden) Verbindlichkeit der Konzilslehre einmal ganz abgesehen – bis zur Stunde jedenfalls kann ich in der Lehre von ‚Lumen gentium‘ zu Primat und kollegialem Episkopat nichts erblicken, das mit dem Dogma von ‚Pastor aeternus‘ (Vat. I) beziehungsweise in sich selber diskohärent wäre. – Etwas anderes ist das Fluidum der Zeit, welches die Kollegialitätslehre de facto zu einer Art die „égalité“ einschleußendem trojanischem Pferd degenerieren ließ.
Da jedoch die Kollegialität immer wieder als Gegenstand der Kontroverse benannt wird, zumal von der FSSPX, deshalb will ich mich nachstehend des Themas noch einmal eigens annehmen – und zwar in eigener Art:
Ich verstehe diesen Beitrag als freundschaftliches Diskussionsangebot (in erster Linie) an die Theologen der FSSPX. Es soll der Klärung im Dienste der Aussöhnung dienen; herabsetzende Versuche zur theologischen „Nachhilfe“ liegen mir fern. Jedoch hege ich die zaghafte Hoffnung, daß mein Hinweis auch etwas Hilfestellung zur Überwindung der Differenzen – und sei es über den Umweg der adäquateren Fokussierung des Konfliktgegenstandes – leisten kann.
Mein Hinweis besteht in seiner Substanz im Referat einer These, wie sie ein (gerade für die FSSPX) höchst unverdächtiger neuscholastischer Theologe vorgetragen hat: im Auge habe ich dabei keinen geringeren als Kardinal Louis Billot. In seinem Traktat „De ecclesia“ trägt er unter der Quaestio XIII folgende thesis XXVII vor, wobei ich in deutscher Übersetzung zitiere [1]auf Seite 91 der Ausgabe von 1900 [Dritter Teil / „tomus tertius“ des Traktates] :
„Dennoch, um jene Einheit zu empfehlen – von welcher Er [scil. Christus] beim letzten Mahle, für die Apostel betend, sagte: ‚auf daß sie eins sind wie auch Wir, auf daß sie in Uns eins sind, auf daß sie zu einem vollendet sind‘ –, verfügte Christus in beständiger und immerwährender Einsetzung, daß das apostolische Kollegium [‚collegium apostolicum‘], insofern es dem [Apostel-]Fürsten Petrus geeint ist, mitteilhaftig [‚consors‘] wäre der höchsten Vollmacht. Von daher ist die Monarchie der Kirche eine Monarchie eigener Art [‚sui generis‘], welche, wenngleich sie den vollen und keineswegs geminderten Charakter des Monarchenrechtes [/ der monarchischen Rechtsordnung] durch alles hindurch beibehält, dennoch überdies die Regierung der Partikularbischöfe so [mit sich] verbunden hat, daß sie auch zur einzelnen Ausübung der höchsten Autorität die mit dem Haupt zusammenhängende Bischofskörperschaft [‚episcopale corpus‘] zuläßt.“
Wie nun der zitierte Text und die nachfolgenden Ausführungen [2]bes. Seite 92 Mitte, 93 zur Mitte hin zu verstehen geben, handelt es sich laut Billot um eine Struktur der Kommunikation beziehungsweise Ausübung der höchsten Gewalt, die göttlichen Rechtes ist, beruhend auf Christi Einsetzung. Daß sich hier substantiale Konvergenzen mit der Lehre von ‚Lumen gentium‘ (22sqq.) abzeichnen, steht außer Frage. Um so mehr, als Billot, wie später das Zweite Vatikanum (LG 22), ausdrücklich die göttlich-rechtliche Perpetuierung des Zueinanders ‚Petrus – Apostel‘ im Zueinander ‚Römischer Pontifex – Bischöfe‘ anspricht; wiederum auf deutsch [3]loc. cit., 94, unter §2 :
„Nun aber ist es kaum nötig zu beweisen, daß jene Einsetzung [‚institutio‘], die im apostolischen Kollegium ihren Anfang nahm, bis zum Ende [der Zeiten] im Episkopat immerdar fortgesetzt [‚perpetuari‘] werden mußte. Und fürwahr betreffen die angeführten Zeugnisse des Evangeliums zweifelsohne die immerdauernde und fortwährende Verfassung der Kirche. Darüber hinaus gibt es nichts Expliziteres im katholischen Glauben von Anfang an als das Dogma von der höchsten Autorität des Gesamtepiskopates, sei er zum ökumenischen Konzil geeint, sei er auch durch den ganzen Erdkreis hindurch versprengt.“
Nachfolgend ist dann noch ausdrücklich von der „kollegialen Autorität aller Bischöfe, die an Petrus dem Haupt hängen“ sowie vom „ökumenischen Kollegium der Bischöfe“ die Rede (womit noch einmal am Wortlaut dokumentiert ist, daß der Name „Kollegium“ bzw. „kollegial“ bei Billot keine apostolische Prärogative ist). Frappierend die Parallele zum Vaticanum II bis dahin, daß das Ökumenische Konzil Träger höchster Gewalt als Organisationsform der Ausübung der Autorität des Kollegiums ist [4]wiederum LG 22.
Im Geiste eines redlich gemeinten Diskussionsbeitrages müssen aber auch die Grenzen der Konzilsprolepse seitens der neuscholastischen Theologie (festgemacht an Louis Billot) benannt werden. Denn die Konkurrenzlosigkeit der Trägerschaft höchster Gewalt von seiten des Kollegiums zum päpstlichen Universalprimat, welche das Konzil nicht minder herausstellt [5]LG 22 una cum Nota expl. praev. 3 et 4, beschreibt Billot im Sinne eines gleichsam pleromatisch ausgeweiteten Primates. Dies widerspricht nicht dem, was das Konzil später sagen wird, geht jedoch im Wortlaut deutlich über es hinaus, wie Billots Erläuterungen unverkennbar eine andere Akzentsetzung verraten. Hören wir wiederum Billot:
„Zu Christi Einsetzung gehörte es, daß die höchste Vollmacht allerselbst, welche als ganze in Petrus allein [genommen] war, auch in ihm wäre als jenem, der mit den anderen, untergeordneten Gliedern des apostolischen Senats einen Körper, einen Gerichtshof und ein Voll- und weiträumigstes Subjekt der Autorität bildet.“ [6]92, Mitte
Ausdrücklich spricht Billot nicht nur, wie das Konzil, davon, daß das Kollegium ohne Haupt der höchsten Vollmacht entbehrt, vielmehr ist Petrus (bzw. der Römische Pontifex) „Quelle und Titel [‚fons et ratio‘] der höchsten Autorität des ganzen Kreises [der Apostel bzw. Bischöfe]“ [7]92, gegen Ende. Ja, in einem sachlichen Vorausgehen („per prius“) liegt die höchste Gewalt bei Petrus bzw. dem Papst, im Unterschied zum Kollegium [8]93 gegen Mitte. – Noch markanter heißt es unter Quaestio XVI §3 [9]Seite 230, daß das Ökumenische Konzil die höchste Gewalt „ratione Summi Pontificis“ („kraft des höchsten Pontifex“, sprich des Papstes) habe, dessen Autorität die konziliaren Bestimmungen „in-formiere“.
Allerdings: Damit will schwerlich gesagt sein, daß die Mitträgerschaft der Bischöfe in bezug auf die höchste Gewalt auf einer Delegation beruhe; beziehungsweise daß sich die Mitträgerschaft der Bischöfe auf die Präsentierung der Materie für die päpstliche Bestätigung beschränke, auf daß sich die Ausübung der höchsten Gewalt förmlich dann doch auf den primatialen Akt der Konfirmierung reduzierte. Denn dann wäre doch wohl der (von Billot ja eigens geltend gemachte) göttlich-rechtliche Charakter dieser episkopalen Kooperation, eben als auf der Einsetzung Christi beruhend, sehr in Frage gestellt: zumindest mit Blick auf die erwähnte Vorstellung einer rein materiellen Mitwirkung. – Es liegt also ungleich näher, an eine förmliche Einbeziehung der Bischöfe in die Ausübung der höchsten Gewalt seitens des Römischen Pontifex zu denken, wobei die entsprechende Einbeziehbarkeit auf Christi Einsetzung beruht (wenngleich durch das rein menschliche Kirchenrecht der Kreis der Einbezogenen erweiterbar ist). Dafür spricht ohnedies die Formulierung von Billots These, wie sie eingangs zitiert wurde. Ebenso der Satz:
„Da dies sich also so verhält, so darf man nicht fragen, warum die Ausübung der höchsten Autorität dem ganzen apostolischen Kollegium [von Christus nämlich: s.u.] zugeschrieben wurde, wo doch diese selbige höchste Autorität schon voll und ganz, und zwar im voraus, auf Petrus allein ruhte. Der Ratschluß Christi nämlich erhellt genügend aus eben dem Evangelienkontext …“ [10]93, gegen Mitte
Billots Vorstellung scheint vielmehr die zu sein, daß sowohl Petrus beziehungsweise der Römische Pontifex für sich als auch die übrigen Apostel beziehungsweise Bischöfe in Gemeinschaft mit ersterem per se, wesentlich (gemäß der von Christus vorgesehenen Struktur der Kirchenverfassung) Träger der einen höchsten Gewalt sind, jedoch strukturiert [11]vgl. 92, Mitte / gegen Ende; derart, daß (schon gemäß dem Wortlaut von Billots Ausführungen) Petrus beziehungsweise der Papst per se primo Träger dieser Gewalt ist, die übrigen Apostel beziehungsweise Bischöfe, und zwar in Gemeinschaft mit, ihm per se secundario. Das heißt: Die Stiftung Christi ordnet den Mit-Apostel bzw. Mit-Bischof dem Petrus bzw. seinem Nachfolger so zu, daß die Unterordnung beziehungsweise hierarchische Gemeinschaft dieses Mitbischofs unter bzw. mit Petrus oder dessen Nachfolger die Einbezogenheit in die höchste Gewalt konstituiert, die Petrus bzw. der Papst schon für sich alleine besitzt. – Wörtlich Billot:
„Das mit höchster Autorität ausgestattete apostolische Kollegium ist nichts anderes als das ganze Korpus der untergeordneten Prälaten, insofern es herangenommen ist [‚prout assumptum‘!] zum Haupte, dem Petrus, in der Einheit [nur] eines Agierenden und Lenkenden; und dies zur Empfehlung und Offenbarung jener festgefügten Verbindung durch alle Bande des sich unterordnenden Dienstes hindurch, welche Christus wollte, daß sie die eigentümliche Kennmarke seiner Kirche und ein immerwährendes Wunder sei.“ [12]93, oben [man beachte die christologischen Anspielungen!]
Es ist also geradezu vom Wesen der Kirche her erfordert, daß sie eine Verfassung hat, die ihren Charakter als Einheit in Vielfalt widerspiegelt (dazu im Folgetext des letzten Zitates!), mithin die Leitung einerseits kollegial verfaßt ist; aber dies so, daß diese kollegiale Trägerschaft der höchsten Gewalt sich „ereignet“ als „wesentliches“ Überfließen der im primatialen Haupte schon präsenten vollen und höchsten Gewalt (auf die mit ihm hierarchische Gemeinschaft haltenden Mit-Apostel bzw. ‑Bischöfe), worin die Prinzipalstellung Christi, des Hauptes ihr Realsymbol hat.
Von daher ist es klar, daß es an diesem Haupt liegt, entweder durch sich allein von jener höchsten Gewalt Gebrauch zu machen, die in ihrer Fülle „ursprünglich“ in ihm verortet ist, oder die episkopalen Mit-Träger qua Träger des Über-Flusses in die Ausübung miteinzubeziehen; und letzteres selbstredend unter Wahrung seiner Stellung als desjenigen, der diese Gewaltenfülle vor und unabhängig von den Mitträgern innehat (nicht ohne und gegen das Haupt, nur unter seiner Zustimmung etc.).
Wie schon gesagt: Diese entschieden pleromatische Deskription des Zueinander von Primat und demselben kollegial zugeordneten Episkopat, nämlich als wesentliches Überfließen (ohne Verlust) der höchsten Autorität vom Haupt her, geht in ihrem Wortlaut entschieden über das Zweite Vatikanum hinaus. – Jedoch, ohne riskant-vorschnell urteilen zu wollen: Es spricht manches dafür, in Billots Erläuterungen die einzig sinnvolle Interpretation des Konzils zu sehen. Denn: Wie kann die höchste und volle Gewalt schon beim Papst allein liegen, so daß er sie jederzeit frei ausüben kann, mithin souverän darüber verfügen kann, ob sie rein primatial oder kollegial ausgeübt wird [13]LG 22 sowie Nota 3 et 4, wenn sie per se primo beim ganzen Kollegium liegt (und sei es unter Wahrung der Prärogativen des Hauptes; und ganz gleich, ob sie per se primo auch beim Papst allein liegt oder nicht)? Denn dann müßte sachlogisch doch wohl erst ein kollegialer Akt durch eine Art Rezeß den Weg für eine rein primatiale Ausübung frei machen (was dann aber mit einer Per-se-primo-Inhaberschaft des Römischen Pontifex schon nicht mehr vereinbar wäre).
Diese inzwischen etwas lang geratenen Ausführungen nur als Denk- und Diskussionsanstoß. Und ich gestehe, daß ich selbst kein Spezialist für diese Materie bin. Entsprechend kann ich nur anregen, diesbezüglich die Literatur der neuzeitlich- und vor allem neuscholastischen Theologie eingehender zu durchforsten. Man konsultiere auch: Hermann Josef Sieben, Katholische Konzilsidee im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 1993. – Zusätzlich noch folgender Hinweis: (was es auch immer mit der kollegialen Vollmachtsträgerschaft auf sich haben mag:) Entschieden kollegiale Deskriptionen des Apostel- bzw. Bischofsamtes finden sich auch in Johann B. Franzelins posthum erschienenem Kirchentraktat sowie in Theodor Innitzers Artikel „Apostel“ im „Lexikon für Theologie und Kirche“ (erste Auflage!). – Schließlich: Mein Stichwort „pleromatische Ausweitung“ ist entlehnt aus bzw. angeregt von Joseph Ratzingers Beitrag „Primat, Episkopat und Successio Apostolica“ [14]in: Wort Gottes. Schrift – Tradition – Amt, hgg. Von Peter Hünermann und Th. Söding, Freiburg 2005, 32sqq..
„Dr. theol. Klaus Obenauer ist Privatdozent an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn.“
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↑1 | auf Seite 91 der Ausgabe von 1900 [Dritter Teil / „tomus tertius“ des Traktates] |
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↑2 | bes. Seite 92 Mitte, 93 zur Mitte hin |
↑3 | loc. cit., 94, unter §2 |
↑4 | wiederum LG 22 |
↑5 | LG 22 una cum Nota expl. praev. 3 et 4 |
↑6 | 92, Mitte |
↑7 | 92, gegen Ende |
↑8 | 93 gegen Mitte |
↑9 | Seite 230 |
↑10 | 93, gegen Mitte |
↑11 | vgl. 92, Mitte / gegen Ende |
↑12 | 93, oben |
↑13 | LG 22 sowie Nota 3 et 4 |
↑14 | in: Wort Gottes. Schrift – Tradition – Amt, hgg. Von Peter Hünermann und Th. Söding, Freiburg 2005, 32sqq. |