(Washington/Vatikan) Im Vatikan wird das Dossier als eines der derzeit heikelsten Dokumente herumgereicht. Der Heilige Stuhl überläßt den amerikanischen Bischöfen den Kampf gegen die Vergewaltigung der Gewissensfreiheit durch die Regierung Obama. Mit einer Entscheidung will die US-Regierung auch katholische Gesundheitseinrichtungen ab dem Jahr 2013 zwingen, die Tötung ungeborener Kinder als „Dienstleistung“ anzubieten und künstliche Verhütungsmittel auszugeben.
Der Vorsitzende der amerikanischen Bischofskonferenz, New Yorks Erzbischof Timothy Dolan, verurteilte den Anschlag auf die Gewissensfreiheit scharf und rief die Katholiken der USA auf, ihren Widerspruch hörbar und sichtbar zu äußern. Dahinter steht auch der Heilige Stuhl. Ein Kardinal, der sich vor allem mit bioethischen Fragen befaßt, äußerte zu Vatican Insider: „Das Weiße Haus wird es nie schaffen, die amerikanischen Katholiken zu zwingen, gegen das kirchliche Lehramt zu handeln. Lieber als gegen das eigenen Gewissen zu handeln, werden viele katholische Krankenhäuser zusperren.“ Die Frage sei vielmehr, ob der Regierung Obama der ideologische Kampf wichtiger ist als der wertvolle Nutzen, den katholischen Gesundheitseinrichtungen seit Jahrhunderten für die US-Bevölkerung leisten.
An der eigentlichen Spitze des katholischen Widerstandes stellte sich jedoch der neue Erzbischof von Los Angeles, José Gómez. Er forderte die Katholiken auf, einen Schutzschild gegen die „Verletzung der unverhandelbaren Werte“ durch das Weiße Haus zu errichten. Erzbischof Gomez, ein Hispanoamerikaner, wurde von Papst Benedikt XVI. mit der wichtigen Westküsten-Diözese betraut, weil er ein „Verfechter der neuen Linie Ratzinger“ ist, wie es im Vatikan heißt. Er steht in der ersten Reihe der neuen „kreativen Konservativen“, die Benedikt XVI. an die Spitzen der US-Diözesen stellt.
Der gebürtige Mexikaner Gomez gehört dem Opus Dei an. Ihm vertraute der Vatikan den praktischen Kampf gegen die „ethisch inakzeptable“ Entscheidung der Regierung Obama an. Msgr. Gomez wurde vom Time-Magazin bereits 2005 unter die 25 einflußreichsten Hispanoamerikaner der USA gereiht. Für CNN gilt er als einer der zehn Spitzenvertreter der hispanischen Gemeinschaft der USA. Die Beziehungen zwischen den USA und dem Heiligen Stuhl gestalten sich im großen Wahlkampfjahr besonders delikat. Zwei der vier Bewerber um die republikanische Präsidentschaftskandidatur sind mit Rick Santorum und Newt Gingrich Katholiken. Gingrich betonte jüngst sogar ausdrücklich vor der zum größten Teil evangelikalen Wählerschaft von South Carolina, daß ein Buch und der USA-Besuch von Papst Benedikt XVI. entscheidender Anstoß für seine Konversion zur katholischen Kirche waren, und wurde Sieger der Vorwahlen in diesem Südstaat.
Solange der republikanische Herausforderer Obamas jedoch nicht feststeht, hält sich der Vatikan zurück, wohl wissend, daß Wahlen ein komplexer Vorgang sind, in dem zahlreiche Faktoren die Entscheidung an der Wahlurne bestimmen. Auch unter den Katholiken. Deshalb fällt es derzeit vor allem den amerikanischen Bischöfen zu, den Kampf für die Gewissensfreiheit zu führen.
Für die katholische Kirche, Papst und Bischöfe steht bereits fest, daß es sich um den bisher schwerwiegendsten Angriff auf die Gewissensfreiheit und die Religionsfreiheit in den USA handelt. „Es wäre ein Armutszeugnis, wenn Obama mit einem solchen Ruf in die US-Geschichte eingehen würde“, heißt es im Vatikan. In den USA hört man noch viel deutlichere Worte. Ein Jurist sagte vor wenigen Tagen auf Radio Vatikan: „Es steht nicht nur die amerikanische Verfassung auf dem Spiel, sondern auch die internationale Erklärung der Menschenrechte. In beiden stellt die Freiheit des Gewissens einen Eckpfeiler dar.“ Der Jurist erinnerte zudem an eine der ersten Formen organisierter Gewissensverweigerung, als sich junge Männer weigerten, das Vaterland zu verteidigen. Diese Gewissensverweigerung wurde umgehend anerkannt, auch in den USA. “Und nun tut man so, als würde sie nicht existieren? Der Angriff auf die Gewissensfreiheit erfolgt auf verschiedenen Fronten, und ich meine, daß diese Erosion immer größere Ausmaße annimmt. Es wäre angebracht, das Thema auf internationaler Ebene anzugehen, sonst werden die Menschenrechte bald nicht mehr universal gelten“, so der Jurist Carlo Cardia.
Auf der einen Seite zielen ständige Angriffe auf die Gewissensfreiheit auf die Erosion dieses zentralen Rechts- und Freiheitsprinzips ab, auf der anderen Seite versuchen dieselbe ideologischen Kräfte, die Tötung ungeborener Kinder zu einem Recht zu erheben. „Wenn das Recht auf Gewissensverweigerung in Klammern gesetzt wird, wird das Gegenteil zum Recht“, präzisierte Cardia auf Radio Vatikan und erinnerte an die Rechtfertigungspropaganda zur Legalisierung der Abtreibung. Die Abtreibungsbefürworter betonten damals ausdrücklich, daß die Legalisierung nur bestehendes „Leid“ lindern solle, aber kein Recht darstelle. In der Bundesrepublik Deutschland wurde diese Verlogenheit auf die Spitze getrieben, indem die Tötung ungeborener Kinder offiziell zwar als nicht rechtmäßig gilt, was in der Praxis den jährlichen Massenmord in keiner Weise behindert.
Text: Vatican Insider/Giuseppe Nardi
Bild: Vatican Insider