(London/Rom) Die englische Presse berichtet bereits seit Wochen darüber. Ann Widdecombe könnte neue britische Botschafterin beim Heiligen Stuhl werden. Die resolute 62jährige, ehemalige konservative Unterhausabgeordnete konvertierte von der anglikanischen zur katholischen Kirche. Von den Freunden wird sie wegen ihres religiösen Eifers und ihren katholischen Positionen auch in der Politik „die Päpstin“ genannt.
Der bisherige Botschafter, Francis Campbell, war der erste Katholik in diesem Amt. Widdecombe wäre die erste Frau. Vatikanische Stellen gaben zu erkennen, daß ihre Ernennung mit Wohlwollen aufgenommen würde, berichtet Paolo Rodari von Il Foglio. Wenige Wochen vor dem Besuch Papst Benedikts XVI. in Großbritannien wirkt die mögliche Ernennung von Ann Widdecombe als Bemühen des Foreign Office um eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen. Diese hatten im letzten Jahre gelitten unter polemischen, öffentlichen Angriffen auf den Papst von atheistischer Seite, durch Spott, dem die katholische Kirche im öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehen ausgesetzt war und nicht zuletzt auch durch ein unverschämtes internes, jedoch öffentlich gewordenes Schreiben eines Beamten des britischen Außenamtes zum Papstbesuch. Das Außenamt mußte eine offizielle Entschuldigung aussprechen.
Die engagierte Lebensschützerin Widdecombe verließ 1993 die anglikanische Gemeinschaft, als dort die Frauenordination zugelassen wurde. Entscheidend für ihre Konversion war Pater Michael Seed, der auch Tony Blair, den ehemaligen Premierminister, in die katholische Kirche führte. Die ehemalige Abgeordnete setzt sich vor allem für die Verteidigung der Familie ein und ist Mitglied der Conservative Christian Fellowship. In diesen Wochen arbeitet sie an der Herstellung eines Dokumentarfilms über das Leben von Kardinal John Henry Newman mit, der von Papst Benedikt XVI. während seines Englandaufenthalts seliggesprochen wird. Widdecombe ist eine in England bekannte Romanautorin, die als Kolumnistin im „Daily Express“ schreibt, was sie früher auch im „Guardian“ tat. Entschieden tritt sie gegen Abtreibung und die Förderung von Homosexualität ein. Erst gestern kritisierte sie im „Daily Express“ die Entscheidung eines Richters, zwei Homosexuellen in Großbritannien Asyl zu gewähren. Laut Widdecombe ein „absurde“ und daher politische Entscheidung, weil für die beiden keinerlei Lebensgefahr bestand.
Andrew Brown vom „Guardian“ schrieb, daß die Aufgabe eines Botschafters beim Vatikan „äußerst delikat“ sei. Es gehe darum, mit ausgleichender Fähigkeit die verschiedenen Standpunkte der Regierung und der komplexen Institution Kirche zu interpretieren. Gleichzeitig sprach er Widdecombe diese Fähigkeit ab, denn Widdecombe wäre auf diesem Posten, so Brown, von der englischen Bischofskonferenz nicht gern gesehen. Die englische Bischofskonferenz hat seit Jahrzehnten Schwierigkeiten, der Linie des Vatikans zu folgen.
Die letzte Entscheidung steht dem Foreign Office zu. Es gibt allerdings Signale, daß eine solche erst nach dem Papstbesuch Mitte September erfolgen könnte. Damit hätte der scheidende Botschafter, „der Mann mit den makellosesten Manieren der britischen Diplomatie“, einen würdigen Abtritt. Ann Widdecombe erklärte jüngst dem Sunday Telegraph lediglich: „Derzeit gibt es nichts anzukündigen.“
(Il Foglio/GN, Bild: Brian Minkoff)