(Berlin / Karlsruhe) „Trotz Freispruch: Wir sollten uns im Klaren darüber sein, daß nicht alles, was straflos bleibt, auch geboten ist“, kommentiert der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, das heute gesprochene Urteils des Bundesgerichtshofs im so genannten Sterbehilfe-Prozeß.
Vor Gericht stand ein Rechtsanwalt, der seiner Mandantin geraten hatte, den Schlauch der Magensonde ihrer im Wachkoma liegenden Mutter eigenmächtig zu kappen. Dieser Rat hinterließ nur Verlierer. Die schwerstkranke Patientin wurde in eine Klinik transportiert, wo ihr eine neue Magensonde gelegt wurde. Zwei Wochen später starb sie, ohne hospizlich-palliative Begleitung zu erhalten. Die Tochter fand sich vor Gericht wieder. Der Sohn nahm sich einige Monate nach dem Tod der Mutter das Leben.
„Ein spektakulärer Prozeß für den Rechtsanwalt, ein schwarzer Tag für die Schwerstkranken in Deutschland“, sagt Brysch. „Anstatt in Wild-West-Manier die Magensonde kappen zu lassen, hätte der Anwalt frühzeitig den Gerichtsweg beschreiten müssen.“ So hätten Zweifel am Willen der schwerstkranken Frau geklärt werden können.
Brysch hält fest: „Über allem muß der Wille des Patienten stehen. Diesen Kern hat der Bundesgerichtshof leider nicht erkannt. Das Urteil sendet ein fatales Signal aus, daß dem Grundrecht Schwerstkranker auf Selbstbestimmung und Fürsorge nicht Gerecht wird. Ohne Patientenverfügung dürfen lebenserhaltende Maßnahmen nur eingestellt werden, wenn der Betroffene früher glasklar gesagt hat, was er will und was nicht. Wenn zur Ermittlung des Patientenwillens aber wie in diesem Fall ein beiläufiges Vieraugengespräch ohne Zeugen ausreicht, ist dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet.“
Die Patientenschutzorganisation fordert den Gesetzgeber deshalb auf, unverzüglich zu handeln. „Jetzt ist die Politik am Zug. Der Prozeß hat gezeigt: Am Patientenverfügungsgesetz sind dringend Nachbesserungen nötig. Es ist genau festzuschreiben, daß bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens mehrere, dem Patienten nahestehende Menschen zu befragen sind. Aus den Aussagen, die sorgsam zu dokumentieren sind, muß sich ein einheitliches Bild ergeben“, fordert Brysch. „Alles andere setzt schutzbedürftigen Menschen einer unverantwortlichen Gefahr aus. Mutmaßungen anderer über den tatsächlichen Willen des Betroffenen dürfen nicht tödlich sein.“
(PM/ JB)