
(Rom) Erneut scheint eine Entscheidung zum Phänomen Medjugorje in die Ferne, eine kanonisch-administartive Entscheidung aber näher zu rücken. Papst Franziskus ernannte gestern den polnischen Erzbischof Henryk Hoser zum Apostolischen Sondervisitator für die Pfarrei Medjugorje.
Erzbischof Hoser, ein Pallottiner, war bereits im Vorjahr von Franziskus als Sondergesandter nach Medjugorje entsandt worden. Am 11. Februar 2017 hieß es, sein Auftrag sei rein pastoraler Natur. Er habe die pastorale Betreuung der Pilger und Gläubigen vor Ort zu studieren und dem Heiligen Stuhl pastorale Vorschläge zu unterbreiten, um die Seelsorge zu garantieren und zu verbessern. Der Auftrag war auf einen Zeitraum bis Sommerende 2017 beschränkt.

Der ehemalige Vatikandiplomat Hoser war damals noch Bischof von Warschau-Praga. Ein Amt, von dem er am 8. Dezember 2017 aus Altersgründen von Franziskus emeritiert wurde. Die Emeritierung wurde in Zusammenhang mit Aussagen über die Anerkennung zu Medjugorje gesehen, was durch die erneute Beauftragung durch den Papst widerlegt wurde.
Wenig mehr als ein halbes Jahr später sendet der Papst Hoser erneut nach Medjugorje. Der polnische Erzbischof äußerte sich in der Vergangenheit sehr wohlwollend über das herzegowinische Phänomen. Seinen Worten zufolge hätte eine Anerkennung als Marienerscheinungsort noch 2017 erfolgen sollen. Dazu kam es aber nicht.
Bereits Papst Benedikt XVI. hatte eine internationale Untersuchungskommission beauftragt, sich inhaltlich mit den behaupteten Marienerscheinungen zu befassen. Der Abschlußbericht der von Kardinal Camillo Ruini geleiteten Kommission liegt seit 2012 vor, wurde bisher aber nicht veröffentlicht.
Angeblich unterscheide der Bericht zwischen den ersten sieben behaupteten Erscheinungen und den zahlreichen weiteren, die bis zum heutigen Tag andauern. Es wurde daher spekuliert, daß nur diese ersten Erscheinungen von 1981 anerkannt werden, die Frage der übrigen aber offenbleiben könnte.
Papst Franziskus äußerte sich in den vergangenen Jahren mehrfach abschätzig über die Gottesmutter als „Postbotin“, „Leiterin eines Postamtes“, die pünktlich zu vorgegebener Stunde „Botschaften“ übermittle, und über Formen von „Sensations- und Botschaftensucht“. Beobachter brachten solche Papst-Aussagen jeweils mit Medjugorje in Verbindung. Franziskus nannte den herzegowinischen Ort nicht namentlich.
Genannt haben soll er ihn bei seiner ersten Aussage dieser Art in einer morgendlichen Predigt in Santa Marta im Herbst 2013. Die Erwähnung wurde aber in keinen der beiden zusammenfassenden Berichte von Radio Vatikan und Osservatore Romano übernommen. Andere Aufzeichnungen zu den Papst-Worten gibt es nicht, weshalb ein sicherer Beleg fehlt.
Durch den Rücktritt von Benedikt XVI. und der Wahl von Franziskus blieb der Schlußbericht der Ruini-Kommission fast anderthalb Jahre liegen. Im Frühjahr 2014 rief Franziskus Ruini zu sich und ließ sich über die Kommissionsergebnisse unterrichten. Eine Entscheidung traf er aber nicht.
Währenddessen schränkte die Glaubenskongregation die Auftritte der Seher im Ausland ein. Eine Maßnahme, die sicher nicht ohne päpstliche Zustimmung erfolgte. Im Rahmen seines Sarjewo-Besuches im Juni 2015 kündigte Franziskus eine baldige Entscheidung in den kommenden Monaten an. Seither sind drei Jahre vergangen. Die zuständige Ortskirche lehnt das Phänomen seit dessen Auftreten ab. Das Negativurteil wurde in jüngster Zeit bekräftigt.
Mit einem Motu proprio nahm Franziskus im Frühjahr 2017 einige rechtliche Änderungen zugunsten des Heiligen Stuhls im Zusammenhang mit „internationalen Heiligtümern“ vor. Darin wurde – zusammen mit der ersten Ernennung Hosers – ein Signal gesehen, daß eine konkrete Entscheidung vorbereitet werde. Gestützt auf Aussagen von Mitgliedern der Ruini-Kommission ist seit einiger Zeit von einer „pastoralen Lösung“ die Rede. Sie könnte darin bestehen, die Frage der Echtheit der behaupteten Marienerscheinungen ganz oder weitgehend auszuklammern. Tatsächlich stößt eine definitive Entscheidung an Grenzen, da das Phänomen auch nach mehr als 35 Jahren noch nicht abgeschlossen ist, sondern regelmäßig von Erscheinungen berichtet und Botschaften veröffentlicht werden.
Das Phänomen echter oder vermeintlicher Marienerscheinungen erlebt starke Veränderungen, die zu einem nicht unerheblichen Teil in direktem Zusammenhang mit Medjugorje zu stehen oder darauf zurückzugehen scheinen. Insgesamt ist seit dem 20. Jahrhundert eine deutliche Zunahme tatsächlicher oder vermeintlicher Marienerscheinungen festzustellen, unter die sich auch Medjugorje einreiht.
Mit Medjugorje kam es in mehrerlei Hinsicht zu einem Qualitätssprung. Das betrifft vor allem die Anzahl der Erscheinungen und Botschaften. Ein exakter Überblick ist nicht möglich, da die „Seher“ sie teilweise getrennt und mit unterschiedlicher Frequenz erleben. Sie werden insgesamt aber auf mehrere tausend geschätzt.
Diese erstmals in Medjugorje aufgetretene Botschaftsflut ist seither zum Wesensmerkmal zahlreicher weiterer „Erscheinungsorte“ geworden. Insgesamt waren zahlreiche Erscheinungen in der Regel botschaftslos, jedenfalls ohne allgemeine Botschaft für die Welt.
Neu ist auch die lange Dauer des Phänomens. Frühere Phänomene dieser Art beschränkten sich auf eine einmalige Erscheinung, oder mehrere, die aber zeitlich innerhalb weniger Wochen oder Monate stattfanden. Das Phänomen Medjugorje dauert bereits seit Jahrzehnten an. Am kommenden 24. Juni wird der 37. Jahrestag der ersten Erscheinungen begangen. Ein Ende ist nicht absehbar.
In der gestrigen Mitteilung des vatikanischen Presseamtes heißt es zum neuen Auftrag an Erzbischof Hoser, daß er „in Fortsetzung mit der Mission“ vom Februar 2017 zu sehen ist. Die Ernennung erfolgte ohne zeitliche Beschränkung ad nutum Sanctae Sedis.
Hoser selbst sagte gestern zu SIR, der Presseagentur der Italienischen Bischofskonferenz:
„Die Mission, die mir anvertraut wurde, zielt auf die praktische Implementierung der pastoralen Lösungen ab, sodaß die Kirche besser den Bedürfnissen der 2,5 Millionen Pilger, die jedes Jahr nach Medjugorje kommen, entgegenzukommen.“
Daraus läßt sich folgern, daß von Papst Franziskus auf der Grundlage des Hoser-Berichts vom Vorjahr bestimmte „pastorale Lösungen“ gutgeheißen wurden, die nun von Hoser in die Tat umgesetzt werden sollen. Mit anderen Worten: Der Heilige Stuhl übernimmt direkt die Kontrolle in Medjugorje, was gleichzeitig auf die Erhebung zum internationalen Heiligtum unter vatikanischer Aufsicht hinweist.
Gegenüber SIR „betonte der Prälat vor allem die Dringlichkeit, die kirchlichen Werke zu koordinieren und zu rationalisieren, die bisher unabhängig voneinander funktionieren, sei es auch administrativer als auch finanzieller Sicht“.
Zudem sei laut Hoser, wegen der großen Zahl von Büßern, die gerade in Medjugorje sich entscheiden, das Sakrament der Versöhnung in Anspruch zu nehmen, „dringend die Zahl der Beichtväter zu erhöhen, die fähig sind das Sakrament der Vergebung in verschiedenen Sprachen zu spenden, besonders in jenen, die in Europa am meisten gesprochen werden“.
Die „kleine Pfarrei“ von Medjugorje sei, so der polnische Erzbischof, nicht geeignet, die große Zahl von Pilgern aufzunehmen, und der Vorplatz zur Kirche verfüge über kein Dach, das die Pilger vor Sonne und Regen schützt.
Die Aussagen des ehemaligen Vatikandiplomaten verstärken die Mutmaßungen, daß der Vatikan die Rechtsstruktur von Medjugorje ändern und selbst die Kontrolle, jedenfalls die Oberaufsicht, übernehmen wird.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons