
(Damaskus) Ist eine Maria gewidmete Moschee in Syrien nicht ein Anachronismus? Syrien ist zum Inbegriff von Krieg und Flucht geworden. Die Christen des Landes werden brutal verfolgt. Nicht von der Regierung, sondern von islamistischen Kampfverbänden, die die Regierung von Baschar al-Assad stürzen wollen. Syrien ist ein mehrheitlich islamisches Land. Nur zehn Prozent der Bevölkerung sind Christen. 1920 waren es noch 30 Prozent. Die Moslems zerfallen jedoch in zwei Gruppen. 70 Prozent sind Sunniten, 20 Prozent sind Alawiten. Auf letztere geht die erste nach Maria benannte Moschee der Welt zurück.
Die Alawiten Syriens

Über die Alawiten ist im Westen wenig bekannt. Innerhalb des Islams gelten sie als den Schiiten nahestehend. Es gibt jedoch auch die These, daß es sich bei den Alawiten, wenn nicht um Nachkommen islamisierter Christen, so doch um eine religiöse Ausprägung mit erheblichem christlichen Einfluß handelt. Tatsächlich konzentrieren sie sich seit ihrer Frühphase im 10. Jahrhundert auf Syrien und die Türkei, zwei Gebiete, die im Gegensatz zu anderen Teilen der heutigen islamischen Welt einmal Kerngebiete des Christentums waren.
Die Alawiten leben im heutigen Syrien vor allem entlang der Mittelmeerküste, jenem Gebiet westlich der Orontes-Ebene, das im Hochmittelalter zu den Kreuzfahrerstaaten gehörte und somit historisch und kulturell eine andere Entwicklung erlebt hat, als das östlich davon gelegene islamische Herrschaftsgebiet. Die parallel zur Küste verlaufende Bergkette wird daher Alawitengebirge (Dschebel al-Alawia, Jabal an-Nusayriyah nach dem ursprünglichen Namen „Nusairier“ der Alawiten) genannt.
Die Kreuzfahrerstadt Tartus

An der syrischen Mittelmeerküste liegt auch die Stadt Tartus mit dem zweitgrößten Hafen des Landes. Tartus ist eine Gründung der Kreuzritter und gehörte ab 1102 zur Grafschaft Tripolis, dem jüngsten der vier Kreuzfahrerstaaten. 1157 übergab sie König Balduin III. von Jerusalem an den Templerorden. Die Tempelritter, der älteste unter den zur Kreuzzugszeit entstandenen geistlichen Ritterorden, baute die Hafenstadt zu einer mächtigen Festung aus. Saladin belagerte sie 1188 vergeblich. 1291 war Tartus nach dem Fall von Akkon kurzzeitig Hauptquartier der Templer. Die Stadt wurde zum letzten Festlandstützpunkt des Ritterordens, fiel aber noch im selben Jahr. 1300–1302 unternahmen die Templer einen letzten, erfolglosen Versuch, Tartus zurückzuerobern.
Der Templerorden ließ in der Stadt im romanisch-gotischen Stil die befestigte Kathedrale Unserer Lieben Frau von Tortosa (Tartus) erbauen. Sie entstand auf einem byzantinischen, der Gottesmutter Maria geweihten Vorgängerbau aus frühchristlicher Zeit, der laut Überlieferung vom Apostelfürsten Petrus geweiht worden sein soll. Nachdem die Mameluken die Stadt erobert hatten, wandelten sie die Kathedrale in eine Moschee um. 1516 wurde das Gebiet von den Osmanen erobert. Unter osmanischer Herrschaft wurde die Kathedrale als Viehstall benützt. Heute ist sie ein Museum. Sie gilt als eines der besterhaltenen Beispiele für Kreuzfahrerbauten im Osten. Hafiz al-Assad, von 1970–2000 Staatspräsident und Herrscher Syriens, der Vater des heutigen Staatspräsidenten Bachar al-Assad, hatte den Christen versprochen, ihnen die Kathedrale zurückzugeben. Sein Tod verhinderte die Rückgabe.
Erste nach Maria benannte Moschee der Welt – Marien-Verehrung im Koran

In diesem mehrheitlich alawitischen Tartus wurde die erste der Jungfrau Maria gewidmete Moschee der Welt errichtet. Laut der Beiruter Tageszeitung Daily Star wurde die neue Moschee Al-Sayyida Maryam genannt. Das ist einer der verschiedenen arabischen Namen der Mutter Jesu, wie der Minister für religiöse und kulturelle Güter, Mohammad Abdel-Sattar al-Sayyed bei der Eröffnungszeremonie am vergangenen Samstag sagte. Der Minister bezeichnete die neue Moschee als Zeichen „der Öffnung des Islams, jenes, der Abirrungen und Extremismen fernsteht“.
Bei der Eröffnung war mit Antoine Dib auch ein Vertreter der Eparchie Latakia des Maronitischen Patriarchats von Antiochien anwesend. Er erklärte, „stolz auf die Initiative“ zu sein und brachte die Hoffnung zum Ausdruck, daß die Maria gewidmete Moschee ein „Zeichen des Friedens“ für das ganze Land werden möge.
Die im Koran enthaltene Verehrung für die Jungfrau Maria, die Grundlage der Maria gewidmeten Moschee ist, wird von Islamwissenschaftlern auf den christlichen Kontext zurückgeführt, in dem der frühe Islam entstanden ist. Manche Wissenschaftler sehen im Islam überhaupt eine anti-trinitarische Häresie des Christentums.
Der Franziskaner Giulio Basetti-Sani (1912–20011), ein Schüler des Orientalisten Louis Massignon, hatte Studien vor allem der Marienverehrung im Islam gewidmet, darunter „Maria und Jesus, Sohn der Maria im Koran“, die ihn zum Schluß veranlaßten, im Islam einen „Schwesterglauben“ zu erkennen. In der Nachfolge des heiligen Franz von Assisi und dessen Missionsstreben bemühte sich der Franziskaner, die Gestalten Jesu und Mariens im Koran sichtbarer zu machen.
Islam kennt keinen personalen Gott, keinen Sohn Gottes, aber die Jungfrauengeburt des „Gesalbten“

Der Islam kennt keinen personalen Gott. Aus diesem Grund findet sich unter den 99 Anrufungen Allahs auch nicht jene des „Vaters“. Aus diesem Grund ist für den Islam ein „Sohn Gottes“, der einen Vater voraussetzen würde, undenkbar. Dennoch wird die Jungfrau Maria als „Auserwählte Gottes“ bezeichnet, die „unter allen Frauen des Geschaffenen erwählt“ (Sure 3,42) wurde. Die Gottessohnschaft Jesu wird vom Islam hingegen vehement geleugnet. Gott habe keinen Sohn. Jesus sei, das erkennt der Koran an, der „Sohn der Maria“, Isa ibn Maryam, wie es in der Sure 19,34–36 heißt. Anerkannt wird auch die Jungfrauengeburt Mariens, die den „Gesalbten“, einer der Namen für Jesus im Islam, gebar.
Seit einigen Jahren ist der 25. März, das Fest Mariä Verkündigung in Syrien Nationalfeiertag. Ein Zeichen für das verhältnismäßig gute Einvernehmen zwischen den Christen und dem regierenden alawitischen Islam Syriens.
Maria gilt heute als „Tür“ im interreligiösen Dialog zwischen Islam und katholischer Kirche.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Daily Star (Screenshots)/Wikicommons/Espen Lutken (Screenshot)