(Bischkek) Im „Kampf gegen den Terrorismus“ müssen sich im zentralasiatischen Kirgisien die moslemischen Imame einem Islam-Test unterziehen. Laut Regierungsangaben verfügen 70 Prozent der Imame des Landes über keine gründlichen Kenntnisse des islamischen Gesetzes. Bei den weniger gebildeten bestehe die Gefahr, daß sie extremistische Positionen im Land verbreiten.
In Wirklichkeit geht es laut Beobachtern nicht darum, die Ausbildung der Imame zu verbessern, sondern die Imame unter staatliche Kontrolle zu stellen. Religionsführer, die nicht Staatspräsident Almasbek Atambajew nahestehen, werden ihres Amtes enthoben.
Mehr als 80 Prozent der Staatsbevölkerung sind Moslems, zum größten Teil Sunniten. Tendenz steigend. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist der Anteil der nicht-kirgisischen Bevölkerung, vor allem der Russen, rapide gesunken. 1970 belief sich der Anteil der russischen Bevölkerung auf 30 Prozent. 2013 waren es nur mehr neun Prozent. Parallel dazu holten sich die Kirgisen die Mehrheit im Land zurück. 1989 stellten sie nur mehr 52 Prozent der Einwohnerschaft, heute sind es wieder mehr als 72 Prozent. Im Land gibt es 2.362 Moscheen und 75 Medressen.
Staat prüft, ob Imame über ausreichende Scharia-Kenntnisse verfügen
Die Imame des Landes müssen sich künftig einem Islam-Test unterwerfen, mit dem der Staat ihre Scharia-Kenntnisse prüfen will. Dieser Test soll der Verbesserung der Islam-Kenntnisse dienen, um die Verbreitung extremistischer Positionen zu verhindern, vor allem unter der Jugend. Laut Asianews gehe es gleichzeitig darum, islamische Religionsführer einzusetzen, die Staatspräsident Atambajew treu ergeben sind.
Im Oktober 2014 führte die Mufti-Vereinigung, eine halbstaatliche Organisation, die als „Islamischer Geistlicher Rat“ bekannt ist, für alle Imame die Islam-Prüfung ein. Die Prüfungskommission setzt sich aus Mitgliedern der regierungsnahen Mufti-Vereinigung, Vertretern der Religionsbehörde und des Nationalen Sicherheitsrats zusammen. 2014 hatte die staatliche Religionsbehörde 59 Imame einer Überprüfung unterzogen. 70 Prozent verfügten laut Behörde nicht über eine „angemessene Bildung“.
Einfluß des Islamismus zurückdrängen
Eine bessere Ausbildung diene einem besseren Funktionieren der Moscheen, so die Regierung. Ihre Sorge ist vor allem sicherheitspolitischer und politischer Natur. In den vergangenen drei Jahren ist die Zahl junger kirgisischer Moslems gestiegen, die sich dem Islamischen Staat (IS) und anderen islamistischen Gruppen angeschlossen haben, um den Dschihad zu kämpfen.
Alle islamischen, zentralasiatischen Staaten haben zur Eindämmung des Islamismus eine Reihe von Bestimmungen erlassen. Männer dürfen keine Bärte tragen, junge Männer unter 35 Jahren dürfen nicht an der traditionellen Wallfahrt nach Mekka teilnehmen, für die Grenzen zu Gefahrengebieten, besonders zu Afghanistan gilt erhöhte Wachsamkeit.
Die Moslems sehen darin eine Einschränkung ihrer Religionsfreiheit. Vor allem sehen sie darin die Fortsetzung der sowjetischen Religionspolitik. Tatsächlich wird Kirgisien von gewendeten Postkommunisten regiert. Staatspräsident Atambajew, seit 2011 im höchsten Staatsamt, war seit 1999 Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Kirgisiens. Alle bisherigen Staatspräsidenten des 1991 unabhängig gewordenen Kirgisien gehörten vor dem Ende der Sowjetunion dem Obersten Sowjet der Sozialistischen Sowjetrepublik Kirgisien an. Parteien sind mehr Honoratiorenverbände und dienen in erster Linie zur Unterstützung des regierenden Staatspräsidenten.
Bedeutung des Islams wächst, ebenso die Zahl der Moscheen und Medressen
„Auch zur Sowjetzeit mußten sich die Imame Tests unterziehen. Der Unterschied besteht darin, daß die Tests heute innenpolitische Ziele verfolgen“, zitiert Asianews den Imam einer kleinen Ortschaft nahe der Hauptstadt Bischkek, der ungenannt bleiben wollte.
Letztlich gehe es um Macht, so der Imam. Wer dem amtierenden Staatspräsident treu ergeben ist, könne bleiben, die anderen müßten gehen. Unter besonderer Kontrolle stehen auch Moslems, die an Medressen in der Türkei und auf der arabischen Halbinsel studiert haben.
Die Bedeutung des Islams nimmt in Kirgisien ständig zu, seit die russisch-orthodoxen Russen und die katholischen und protestantischen Deutschen abwandern. Die Zahl der Christen sank in den vergangenen 25 Jahren von mehr als 30 Prozent auf knapp zehn Prozent. 2011 gab es rund 1.700 registrierte Moscheen im Land. Heute sind es um 35 Prozent mehr. Ebenso nimmt die Zahl von Medressen zu, die der Staat kontrollieren will.
Text: Asianews/Giuseppe Nardi
Bild: Asianews
Ich stelle mir eine Frage: Was soll man denn in einem solchen Land mit diesem kulturellen Hintergrund auch anderes machen? Man hat die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Was Asianews nicht sagt: der Islam war in diesen Gebieten von Mittelasien früher total anders geprägt:
es bestanden sehr starke lamaistische und auch animistische Einflüsse und es gab starke synkretistische Tendenzen.
Über 70 Jahre kommunistische Diktatur mit Glaubensvernachlässigung, schwere sozioökonomische Probleme, der plötzliche Zerfall der Sowjetunion und ein vom Westen importierte und tatkräftig unterstützte wahabistisch orientierte Islam (Afghanistankrieg mit den Taliban vs. die Sowjets) haben die alte lokale Traditionen weggefegt.
Ähnliches spielt sich übrigens auch in dem Kaukasus ab.