Der 100. Jahrestag der Erscheinungen von Fatima rückt näher. Während in protestantischen Kreisen für das Jahr 2017 die 500-Jahrfeiern zum Thesenanschlag Luthers vorbereitet werden, bringen katholische Kreise das Jahr vor allem mit 100 Jahren Marienerscheinungen in Fatima in Verbindung. Katholisches.info veröffentlichte zu Fatima einen dreiteiligen Aufsatz des Theologen Wolfram Schrems, der großes Interesse fand, aber auch Anlaß zu Diskussionen war. Als Ergänzung und als Replik auf Polemiken geben wir einem zweiteiligen Aufsatz von Hanna Jüngling zum selben Thema Raum und danken der Autorin für die Genehmigung zur Veröffentlichung.
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Gastkommentar von Hanna Jüngling*
Fatima als „Stachel im Fleisch“ der Kirche
Die aufrüttelnden Erscheinungen in Fatima 1917 und die Dinge, die sich zwischen den drei Seherkindern, der Gottesmutter und dem Engel abgespielt haben, sind Gegenstand heftiger ideologischer und theologischer Kämpfe und können nur im Rahmen der mannigfaltigen Traditionsabbrüche nach dem Vaticanum II in ihrer Tragik verstanden werden.
Die Botschaft von Fatima ist inhaltlich keine Privatsache, dient auch keineswegs der Erbauung einer überschaubaren Gruppe von angesprochenen Personen, sondern richtet sich an den Papst, an die Kirche im ganzen und schließlich an die Welt in Form eines deutlichen Appells, um nicht von einem Befehl zu reden. Die Nichtbeachtung des Befehls bedeutet für die ganze Menschheit, aber besonders für die ganze Kirche großes Leid. So hat es die Gottesmutter mitgeteilt. Und die Kirche hat diese Erscheinungen im Jahr 1930 mit dem „constat de supernaturalitate“ approbiert.
Immer wieder wird behauptet, es obliege bei kirchlich approbierten „Privatoffenbarungen“ dem Ermessen des Gläubigen, ob er sie für wahr hält oder nicht. Die kirchliche Anerkennung bedeute nicht, dass die Kirche die private Offenbarung positiv anerkenne, sondern nur ein „nihil obstat“, dass dem auf diese Weise Offenbarten nichts entgegen stehe. Man könne es nicht abweisen, weil es der eigentlichen göttlichen Offenbarung nicht widerspreche. Dennoch könne das privat Offenbarte auch falsch sein.
Diese Behauptung steht in Korrespondenz zu der nach dem Konzil entstandenen Verunklarung im Umgang mit den verschiedenen Typen von „Offenbarungen“, persönlichen mystischen Erfahrungen einerseits und übernatürlichen Eingriffen Gottes in eine Gemeinschaft andererseits. Nur für den ersten Typus trifft der Begriff „Privatoffenbarung“ im strengen Sinne zu. Anders gelagert sind alle Fälle, die inhaltlich und strukturell weit über eine bloße private Mitteilung oder Gnadenerfahrung hinausgehen. Es dürfte unmittelbar einleuchten, dass es etwas anderes ist, ob jemand ein bloßes Bild sieht, oder ob er einen Befehl Jesu oder der Gottesmutter entgegennimmt, der vom Papst oder einem Bischof ausgeführt werden soll. Dass solche „Offenbarungen“ der abgeschlossenen apostolischen Offenbarung im Sinne einer Erweiterung des Heilsnotwendigen oder der Heilslehre überhaupt nichts hinzusetzen dürfen, galt immer selbstverständlich. Es ist eigentümlich, dass man diese Selbstverständlichkeit in einem solchen Maße betonen muss. Selbst wenn manche Menschen „Privatoffenbarungen“ über die Lehre der Kirche stellen sollten (was vorkommt), ist diese beständige Betonung doch vor allem ein rhetorisches Mittel und suggeriert, eine „riesige“ Zahl von Menschen würden Privatoffenbarungen über die Lehre der Kirche stellen, und man müsse nun endlich damit aufräumen. In fast jedem Winkel der christlichen Welt aber kennt man den deutlichen und anerkannten Eingriff Gottes oder der Gottesmutter in das historische Geschehen. Stiftskirchen an vielen Orten zeugen davon, das Gedächtnis an wunderbare Bewahrungen in Kriegen; ja überhaupt die für Heiligsprechungen notwendigen Wunder und die Heiligsprechung an sich selbst bezeugen, dass die Kirche weder solche übernatürlichen Erfahrungen noch die Personen, denen sie zuteil werden, für eine Nebensache erachtet hat. Auch wenn solche nach-apostolischen, historischen Niederschläge des wundertätigen Gottes nicht den Status eines Dogmas haben, sind sie dennoch eine selbstverständliche und unabweisbare Realität in der Kirche von Anfang an. Allein ihr Charakter als Ereignisse oder Weisungen in die geschichtliche Situation hinein scheidet sie kategorial von der abgeschlossenen Heilslehre. Es kann nur als perfide bezeichnet werden, wenn die Kritiker solcher Offenbarungen permanent suggerieren, alle Welt verwechsle sie mit der abgeschlossenen apostolischen Offenbarung im Glaubensgut. Es trifft eher zu, dass heutzutage viele Gläubige durch die Hirten nicht mehr darüber informiert werden, was Lehre der Kirche ist.
Angesichts der verheerenden Lage in der Kirche sind weniger die „Privatoffenbarungen“ das primäre Problem als die heillose theologische Verwirrung, die das Lehramt selbst erzeugt, ein Abfall vom Glaubensgut in mannigfaltigen „Abflüssen“.
Zur Problematik illegitimer Zusätze zur Glaubenslehre
Die Frage, was als illegitimer Zusatz zur Glaubenslehre zu betrachten ist und was nicht, ist, wenn man genau hinsieht, ausgesprochen „haarig“ und ein Feld jahrhundertelanger Streitereien und Kirchenspaltungen. Immerhin wirft der Protestantismus der katholischen Kirche zentral vor, mannigfaltige „Hinzufügungen“ zur „biblischen“ Lehre gemacht zu haben und fordert ein militantes „sola scriptura“. Dieser protestantische Vorwurf rührt aus der faktischen Situation her, dass die Kirche die abgeschlossene Offenbarung über die Jahrhunderte erst definiert und entfaltet und dies auch für vollkommen legitim und sogar notwendig gehalten hat.
So fallen nicht nur die Inhalte von sogenannten „Privatoffenbarungen“ und Erscheinungen, sondern auch die der Lehrentfaltung in die Kategorie der „Hinzufügungen“, die aus einer bestimmten Sicht „unter Verdacht“ stehen. Wir bewegen uns also auf dünnem Eis und sollten wohl abwägen, was wir sagen. Kategorial sind diese „Hinzufügungen“ – wie bereits gesagt – allerdings keine Erweiterungen der Glaubenslehre, es sei denn, es würden tatsächlich fremde, heilsnotwendige Fakten behauptet. Die Kirche hat von Jesus Christus selbst die Legitimation, solche Entfaltungen, Deutungen und Vertiefungen vorzunehmen, anzuerkennen oder eben auch zu verwerfen, solange sie sich selbst dem depositum fidei demütig unterwirft. Manche dieser Entfaltungen haben den Status dessen, was objektiv und irrtumsfrei geglaubt werden muss („de fide“), andere haben diesen Status nicht, stehen deswegen aber nicht unter dem Verdacht, mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch zu sein. Das Lehramt würde wohl kaum etwas als „echt“ und „übernatürlich“ oder meinetwegen im Stande des „nihil obstat“ anerkennen, wenn es damit rechnete, dass das so Approbierte mit einer hohen Wahrscheinlichkeit falsch und damit schädlich für die Gläubigen sein könnte. Hätte das Lehramt von alters her diese Haltung an den Tag gelegt, müsste man eine kirchliche Approbation als reinen Zynismus und Fahrlässigkeit der Hirten bezeichnen.
Die katholische Kirche hat sich wenigstens bis zum Vaticanum II zur Lösung des Vorwurfs eindeutig auf ihre von Jesus selbst gestiftete Sendung hinsichtlich der Lehrbefugnis und der Begleitung durch den Hl. Geist berufen. Auch spricht die Schrift selbst davon, dass sowohl die schriftlichen als auch die mündlichen Traditionen bindend seien, wenn sie von den Aposteln, die der Herr eingesetzt hat, stammen. Wenn immer wieder aufgefordert wird in der Schrift, die Geister zu prüfen, zu unterscheiden, nicht jedem Geist zu glauben etc., dann ist damit ausgesagt, dass ein solcher Prozess nicht nur bevorsteht, sondern auch legitim ist. Aufgabe des Lehramtes war und ist, diese Prüfung mit Autorität zu erfüllen und zu einer klaren, für die Gläubigen eindeutigen Aussage zu kommen. Päpste und Konzilien nahmen daher Definitionen und Verwerfungen vor. Was einmal so ausgesprochen und geklärt war, galt. Die Bemerkung, dass niemand gezwungen sei, etwas „Privatoffenbartes“ zu glauben, schließt nicht ein, dass es öffentlich und ohne sachgemäße, gravierende Gründe bezweifelt oder verworfen werden dürfte. Diese Einschränkung meint vielmehr nur, dass es nicht heilsnotwendig sei, sich die „Privatoffenbarung“ zu eigen zu machen. Im selben Sinne ist es nicht heilsnotwendig, sich die tägliche Predigt oder sogar manche Schreiben der Päpste zu eigen zu machen! Nicht heilsnotwendig heißt aber nicht, dass es deswegen zu vernachlässigen sei.
Nun glauben viele, bei approbierten Offenbarungen mit „sachgemäßen“ Gegenargumenten aufwarten zu können. Bei genauem Hinsehen ergeben sich hier jedoch massive Probleme, die darin begründet liegen, dass mit dem Modernismus seit dem 19. Jh ein theologisches Chaos entstanden ist und die, die glauben triftige Gründe gegen eine kirchliche Approbation vorlegen zu können, oft selbst in einer massiven theologischen Verwirrung oder mindestens Unkenntnis stehen oder sie sogar bewusst hervorbringen wollen. Nach dem Konzil geriet das Lehramt vollends zum Tummelplatz von Kreativität und Eigenmächtigkeit, Zeitgeisthuldigung und frecher Vereinseitigung und Vermischung der Geister. Das ehemals klare Glaubensgut wurde entkernt, ausgehöhlt und hat seither als logische und erwartbare Folge einen beispiellosen Niedergang des kirchlichen Lebens erzeugt.
Das Lehramt hat sich selbst aus der Autorität verabschiedet
An dieser Stelle soll das gegenwärtige Problem schon benannt werden: das Lehramt hat sich aus der objektiven, demütigen, aber vollmächtigen Haltung, die es vor Gott einnehmen sollte, mit dem Vaticanum II verabschiedet und ist seither in dieser häretischen Haltung nicht mehr geeignet oder befugt, über übernatürliche Ereignisse oder Erfahrungen glaubwürdig zu urteilen. Damit ist das ganze gegenwärtige (seit dem Vaticanum II) Dilemma ausgesprochen. Die Verwirrung unter den Gläubigen besteht darin, dass sie, vom Lehramt verraten und verkauft, ihre Zuflucht zu direkten Offenbarungen der Wahrheit suchen, um ihr Heil zu finden. Dass ihnen dort auch der Satan entgegentreten könnte, bedenken sie nicht immer. Es bleibt dem Glaubenssinn der noch verbliebenen Gläubigen auferlegt, hier vorläufige, zutreffende Urteile zu formulieren. Aber jeder sieht sofort, dass dies ein unhaltbarer Zustand ist.
Was ist unter einer „Privatoffenbarung“ überhaupt zu verstehen?
Der KKK von 1993 äußert sich dazu ausgesprochen ungenau:
Im Laufe der Jahrhunderte gab es sogenannte ‚Privatoffenbarungen’, von denen einige durch die kirchliche Autorität anerkannt wurden. Sie gehören jedoch nicht zum Glaubensgut. Sie sind nicht dazu da, die endgültige Offenbarung Christi zu ‚vervollkommnen’ oder zu ‚vervollständigen’, sondern sollen helfen, in einem bestimmten Zeitalter tiefer aus ihr zu leben. Unter der Leitung des Lehramtes der Kirche weiß der Glaubenssinn der Gläubigen zu unterscheiden und wahrzunehmen, was in solchen Offenbarungen ein echter Ruf Christi oder seiner Heiligen an die Kirche ist. Der christliche Glaube kann keine ‚Offenbarungen’ annehmen, die vorgeben, die Offenbarung, die in Christus vollendet ist, zu übertreffen oder zu berichtigen, wie das bei gewissen nichtchristlichen Religionen und oft auch bei gewissen neueren Sekten der Fall ist, die auf solchen ‚Offenbarungen’ gründen. (§ 67)
Diese Erklärung wird nicht weiter ausgeführt und bleibt insofern enttäuschend unklar. Jedem logisch denkenden Leser stellen sich sofort mehrere Fragen:
Wie entscheidet der „Glaubenssinn der Gläubigen“ ganz genau „unter der Leitung des Lehramtes“, welche „Privatoffenbarung“ glaubwürdig, „ein echter Ruf Christi oder seiner Heiligen“ ist? Und vor allem: aufgrund welcher Kriterien? Und wie und wann treffen Glaubenssinn der Gläubigen und Lehramt beide zusammen?
Von welchen „gewissen nichtchristlichen Religionen“ oder „gewissen neueren Sekten“ ist hier die Rede? Spontan fällt jedem Kundigen sofort der Islam ein, der ausdrücklich eine „Vervollkommnung“ und „Korrektur“ des durch die Kirche verfälschten Monotheismus sein will. Jenen Islam aber hofieren die Päpste seit Johannes XXIII. und ordnen ihn gar unter die Religionen ein, die auch zum Heil führen können!
Die Kategorien der „Vervollständigung des bereits abgeschlossen Offenbarten“ und „Offenbarung zur Vertiefung des bereits abgeschlossen Offenbarten“ werden nicht klar und scharf voneinander geschieden. Daher hilft dann auch die gewundene Andeutung von „gewissen“ Religionen und Sekten nicht weiter. Hier hätte jeweils mindestens ein Beispiel ausgeführt werden müssen.
Immerhin aber gesteht der KKK zu, dass die abgeschlossene Offenbarung inhaltlich noch „nicht vollständig ausgeschöpft“ ist. „Es bleibt Sache des christlichen Glaubens, (…) nach und nach ihre ganze Tragweite zu erfassen.“ (§ 66)
Die dogmatische Konstitution Lumen gentium über die Kirche aus dem Jahr 1964 formuliert:
Derselbe Heilige Geist heiligt außerdem nicht nur das Gottesvolk durch die Sakramente und die Dienstleistungen, er führt es nicht nur und bereichert es mit Tugenden, sondern „teilt den Einzelnen, wie er will“ (1 Kor 12,11), seine Gaben aus und verteilt unter den Gläubigen jeglichen Standes auch besondere Gnaden. Durch diese macht er sie geeignet und bereit, für die Erneuerung und den vollen Aufbau der Kirche verschiedene Werke und Dienste zu übernehmen gemäß dem Wort: „Jedem wird der Erweis des Geistes zum Nutzen gegeben“ (1 Kor 12,7). Solche Gnadengaben, ob sie nun von besonderer Leuchtkraft oder aber schlichter und allgemeiner verbreitet sind, müssen mit Dank und Trost angenommen werden, da sie den Nöten der Kirche besonders angepaßt und nützlich sind. Außerordentliche Gaben soll man aber nicht leichthin erstreben. Man darf auch nicht vermessentlich Früchte für die apostolische Tätigkeit von ihnen erwarten. Das Urteil über ihre Echtheit und ihren geordneten Gebrauch steht bei jenen, die in der Kirche die Leitung haben und denen es in besonderer Weise zukommt, den Geist nicht auszulöschen, sondern alles zu prüfen und das Gute zu behalten (vgl. 1 Thess 5,12.19–21).“ (LG 12)
Es ist unschwer zu erkennen, dass auch diese wortreiche Erklärung keine Präzisierung leistet: Wohl wird zugestanden, dass es zum Aufbau der Kirche „Gnadengaben“ gibt, aber was das konkret bedeutet, wird umgangen. Insbesondere scheint der Satz „Man darf auch nicht vermessentlich Früchte für die apostolische Tätigkeit von ihnen erwarten“ die gerade noch zugestandene Nützlichkeit für das Leben der Kirche wieder aufzuheben. Abgesehen davon ist dieser Satz abwertend formuliert, präzisiert aber sein Ziel nicht. Dass das Urteil über solche Gnadengaben die Kirche fällen soll, ist banal, berücksichtigt aber nicht, inwieweit der im späteren KKK genannte Glaubenssinn hier mit in die Entscheidung des Lehramtes einfließen kann oder soll. Unbeantwortet bleiben alle anderen Fragen: Was sind überhaupt außerordentliche Gaben? Was folgt daraus, wenn jemand aufgrund solcher Gaben eine Mission nicht nur für sich selbst, sondern für alle haben sollte?
Immerhin wird aber in diesem Text, so verschwommen er formuliert, angedeutet, dass diese Gnadengaben von unterschiedlichster Art sein können und das irreführende pauschale Wort „Privatoffenbarung“ für ein vielgestaltiges Phänomen vermieden.
Im Jahre 1978 erließ Paul VI. Richtlinien zum Umgang mit Erscheinungen und Offenbarungen, die insgesamt eine Zurücknahme und Verdunklung der bisherigen kirchlichen Praxis zu enthalten scheinen:
Andererseits machen es die heutige Mentalität und die Notwendigkeit einer kritischen wissenschaftlichen Untersuchung schwieriger, wenn nicht fast unmöglich, mit der gebotenen Schnelligkeit jenes Urteil zu fällen, das in der Vergangenheit die Untersuchungen zur Sache abgeschlossen hat (constat de supernaturalitate, non constat de supernaturalitate) und den Ordinarien die Möglichkeit bot, den öffentlichen Kult oder andere Formen der Verehrung durch die Gläubigen zu gestatten oder zu verbieten.
Wenigstens gibt dieser Text kund, dass die Kirche sich bisher ein definitives Urteil zu sprechen vornahm, wenn ein Mensch oder Menschen mit außergewöhnlichen Eingebungen allgemein wahrgenommen wurden und die Gemeinschaft, in der dies geschah, stark bewegte. Entweder eine Erscheinung wurde irgendwann mit dem Satz „constat de supernaturlitate“ anerkannt oder aber mit dem Satz „non constat de supernaturalitate“ abgelehnt – so sagt es das Dokument jedenfalls. Ursprünglich hieß eine Ablehnung bis in die 70er Jahre hinein allerdings „constat de non supernaturalitate“. Dieser Wandel von einer harten zu einer weichen Ablehnungsformel sollte beachtet und auf den Grund hin befragt werden, der zu ihm geführt haben mag. Die weiche Formel lässt offen, dass irgendwann die Übernatürlichkeit doch noch festgestellt wird. Die alte harte Formel schloss dies weitgehend ein für allemal aus. Nur eine völlig neue Erkenntnis über die Sachlage, neues Material und neue Zeugen hätten dann noch einmal zu einer Änderung führen können.
Interessant ist, dass die Richtlinien im Verlauf ein klares und eindeutiges Urteil erst einmal umgehen und ein vages „für den Augenblick steht nichts entgegen“ festhalten wollen:
„Sobald die kirchliche Autorität über irgendwelche mutmaßlichen Erscheinungen oder Offenbarungen Kenntnis erhält, ist es ihre Aufgabe: (…) sofern diese Prüfung zu einem positiven Ergebnis führt, einige Ausdrucksformen des öffentlichen Kultes oder der Verehrung zu erlauben, wobei diese zugleich weiterhin mit großer Klugheit überwacht werden müssen (dies ist gleichbedeutend mit der Formel „pro nunc nihil obstare“).
Eine endgültige Entscheidung wird wegen der „Notwendigkeit einer kritischen wissenschaftlichen Untersuchung schwieriger, wenn nicht fast unmöglich“, und es verbiete sich, in der „gebotenen Schnelligkeit jenes Urteil zu fällen, das in der Vergangenheit die Untersuchungen zur Sache abgeschlossen hat“. Sie wird also vorzugsweise vertagt:
Die Kirche ist gehalten, „im Licht der mit der Zeit gewonnenen Erfahrung und unter besonderer Berücksichtigung der geistlichen Fruchtbarkeit, die aus der neuen Verehrung hervorgeht ein Urteil über die Wahrheit und Übernatürlichkeit zu fällen, wo der Fall es erfordert.“
Damit ist die Möglichkeit eingeräumt, keine definitive Entscheidung zu formulieren. Das hat die Kirche auch immer so praktiziert und nur dann ein Urteil abgegeben, wenn die „Privatoffenbarung“ von einer gewissen Brisanz oder Wichtigkeit für die gesamte Kirche oder mindestens eine Kirchenregion war.
Es kann nicht übersehen werden, dass diese Fassung der Normen unter Paul VI. zur Verwirrung der Lage beigetragen haben und tragen.
Das Schreiben bietet – um etwas Positives zu nennen – einige Kriterien zur Unterscheidung echter und unechter Privatoffenbarungen.
In eine große Ungenauigkeit sinkt dagegen wieder das nachsynodale Schreiben „Verbum Domini“ aus dem Jahre 2010 ab. Benedikt XVI. schreibt da unter Punkt 14:
Der Wert der Privatoffenbarungen ist wesentlich unterschieden von der einer öffentlichen Offenbarung: Diese fordert unseren Glauben an, denn in ihr spricht durch Menschenworte und durch die Vermittlung der lebendigen Gemeinschaft der Kirche hindurch Gott selbst zu uns. Der Maßstab für die Wahrheit einer Privatoffenbarung ist ihre Hinordnung auf Christus selbst. Wenn sie uns von ihm wegführt, dann kommt sie sicher nicht vom Heiligen Geist, der uns in das Evangelium hinein- und nicht aus ihm herausführt. Die Privatoffenbarung ist eine Hilfe zu diesem Glauben, und sie erweist sich gerade dadurch als glaubwürdig, daß sie auf die eine öffentliche Offenbarung verweist. Die kirchliche Approbation einer Privatoffenbarung zeigt daher im wesentlichen an, daß die entsprechende Botschaft nichts enthält, was dem Glauben und den guten Sitten entgegensteht; es ist erlaubt, sie zu veröffentlichen, und den Gläubigen ist es gestattet, ihr in kluger Weise ihre Zustimmung zu schenken. Eine Privatoffenbarung kann neue Akzente setzen, neue Weisen der Frömmigkeit herausstellen oder alte vertiefen. Sie kann einen gewissen prophetischen Charakter besitzen (vgl. 1Thess 5,19–21) und eine wertvolle Hilfe sein, das Evangelium in der jeweils gegenwärtigen Stunde besser zu verstehen und zu leben; deshalb soll man sie nicht achtlos beiseite schieben. Sie ist eine Hilfe, die angeboten wird, aber von der man nicht Gebrauch machen muß. Auf jeden Fall muß es darum gehen, daß sie Glaube, Hoffnung und Liebe nährt, die der bleibende Weg des Heils für alle sind.
Fatima wird ins Reich des „Doppeltsehens“ verschoben
In ähnlicher Weise äußert sich Kardinal Ratzinger anlässlich der Veröffentlichung des dritten Teils der Botschaft von Fatima im Jahr 2000. Er zitiert ausgerechnet den Mann, der alles getan hat, und dies mit höchst fragwürdigen Argumenten aus der Hexenküche modernistischer Methoden um die approbierte Botschaft von Fatima herabzuwürdigen: „Der flämische Theologe E. Dhanis, herausragender Kenner dieser Materie, stellt zusammenfassend fest, daß die kirchliche Approbation einer Privatoffenbarung drei Elemente umfaßt: Die betreffende Botschaft enthält nichts, was dem Glauben und den guten Sitten entgegensteht; es ist erlaubt, sie zu veröffentlichen, und die Gläubigen sind autorisiert, ihr in kluger Weise ihre Zustimmung zu schenken (Sguardo su Fatima e bilancio di una discussione, in: La Civiltà cattolica104, 1953 II. 392–406, hierzu 397). “ Dhanis ist eine selbsternannte theologische Größe, von keinerlei besonderer Autorität. Des Weiteren muss man sich fragen, ob in der Kirche Sätze nicht mehr in ihrer präzisen Bedeutung verstanden werden dürfen? Wenn die Kirche also eine Erscheinung mit einem „constat de supernaturalitate“ approbierte, dann heißt das nicht nur, dass dem nichts entgegensteht. Es heißt präzise: „Die Übernatürlichkeit steht fest.“ Kardinal Ratzinger widerspricht damit, verschanzt hinter dem Modernisten Dhanis, dem, was die Kirche klar anders formuliert hat. Nun hat die Kirche bislang nicht mit ungenauen und doppeldeutigen Aussagen operiert, sondern mit Aussagen, deren Meinung ihrem präzisen sprachlichen Sinn so weit wie nur möglich entsprach. Ratzinger dagegen verlagert seine Erklärung der Ereignisse von Fatima weit ins Psychologische: „Das Subjekt, der Schauende (…) sieht mit seinen Möglichkeiten, mit den für ihn zugänglichen Weisen des Vorstellens und Erkennens. In der inneren Schau liegt noch weit mehr als in der äußeren ein Übersetzungsvorgang vor, so dass das Subjekt an der Bildwerdung dessen, was sich zeigt, wesentlich mitbeteiligt ist. Das Bild kann nur nach seinen Maßen und seinen Möglichkeiten ankommen. Deswegen sind solche Schauungen nie die reine „Fotografie“ des Jenseits, sondern sie tragen auch die Möglichkeiten und Grenzen des wahrnehmenden Subjekts an sich.“
Inflation von Marienerscheinungen nach Fatima
Nun lässt sich allerdings nicht bestreiten, dass wir neuerdings geradezu überschwemmt werden von Erscheinungen und Offenbarungen.
Was ist davon zu halten?
Grundsätzlich könnte ein häufigeres Erscheinen der Gottesmutter eine eschatologische Begründung haben. Sie ist schon in der Zeit des historischen Wandels Jesu Christi Garantin und Gnadenmittel für etwas, und dieses Etwas hat sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert lehramtlich noch einmal außerordentlich entfaltet, gipfelnd in den beiden Dogmen von der „Unbefleckten Empfängnis“ (1854) und der Leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (1950), brach aber mit dem Konzil radikal ab. Es ist ein eigenes Thema, das genau zu untersuchen und auch in Beziehung zum Papsttum und seiner Krise zu setzen. Es geht dabei um die Verehrung des unbefleckten Herzens Mariae als letzter Zuflucht in einer geistlich total verfinsterten Zeit. Es war wichtig, 1870 die Unfehlbarkeit des Papstes festzustellen: „Denn Petri Nachfolgern ward der Heilige Geist nicht dazu verheißen, dass sie aus seiner Eingebung heraus neue Lehren verkündeten. Ihre Aufgabe ist vielmehr, die von den Aposteln überlieferte Offenbarung oder das anvertraute Glaubensgut unter dem Beistand des Heiligen ‚Geistes gewissenhaft zu hüten und getreu auszulegen.“ (Pastor aeternus, XVII). Es sind mit dieser unfehlbaren Gewalt nur jene Urteile gemeint, die mit einer bestimmten Formel eingeleitet werden und als solche „ex cathedra“ verkündet werden. Alles, was ein Papst sonst verkündet, verpflichtet keinen Gläubigen, sollte aber alleine aufgrund des Respekts und der Klugheit nicht ohne triftigste Gründe in Frage gestellt werden. Die geistliche Verfinsterung, in der wir leben, hängt an der Krise des Papsttums. Die Päpste vollziehen mit dem Vaticanum II keine ausdrücklichen ex cathedra-Akte mehr, – mit Ausnahme der Aussage Johannes Pauls II., dass das Priesteramt nur dem Mann zukommen könne, was jedoch auch durchgehende Praxis und Überzeugung der Kirche von Anfang an war – , entwickeln aber eine solche Vielzahl von angeblich „pastoralen“, weichen Aussagen und Begriffsumdeutungen, die den harten Normen der Kirche nicht offen widersprechen, sie aber klammheimlich so unterlaufen und aushöhlen, dass kein Gläubiger sich mehr auf das alltägliche Wort des Papstes ohne weiteres verlassen kann. Widersprüchlichkeit, Zweideutigkeit, faktische Sakrilegien (wie z. B. der Korankuss Johannes Pauls II.), Unaufrichtigkeit (die geradezu absurde Deutung Johannes Pauls II., das vorgebliche 3. Geheimnisses von Fatima weise auf das Attentat auf ihn hin, das er jedoch überlebt hat, wohingegen der weißgekleidete Bischof in der Fatima-Vision tot zu Boden fällt) haben das Vertrauen der Gläubigen gründlich zerstört. Benedikt XVI. hat mit seinem Rücktritt 2013 und den damit verbundenen Unwahrheiten (er zieht sich eben nicht für immer unsichtbar ins Kloster zurück, wie behauptet, trägt nach wie vor Papstkleidung, lebt wie ein weltlicher Pensionär mit Feierabend vor dem Fernsehen, anstatt wie behauptet, sein Leben dem Gebet zu widmen etc., und wird von Franziskus unwidersprochen als „Institution“ papa emeritus bezeichnet und nicht als ein Mann, der nicht mehr Papst ist). Wir erleben nun eine faktische päpstliche „Doppelspitze“, die unmöglich „Petrus“ sein kann, die all das, was an Benedikt hoffnungsvoll schien, in Finsternis taucht. Franziskus offenbart mit nahezu jedem seiner widersprüchlichen, polarisierenden und sakrilegischen Worte und Gesten, dass er mit der Lehre der Kirche nur noch von Ferne zu tun hat.
In diesem päpstlichen und lehramtlichen Desaster wird nun möglicherweise das unbefleckte Herz der Gottesmutter als der Schutzschild, der lange still beim Papsttum stand und es stabil hielt, so, wie die Gottesmutter schon auf Golgotha treu unter dem Kreuz stand und ausharrte und den Glauben nicht aufgab, sichtbar. Wir haben zwar Päpste, aber keine päpstliche Autorität mehr. So ist es die Gottesmutter, an die wir uns als unser „Lehramt“ wenden. Ihre Forderung, Ihr unbeflecktes Herz zu verehren und den klassischen Rosenkranz zu beten, der das Glaubensgut kurz und prägnant in jeden Beter einprägt, erscheinen angesichts der Lage als eine kluge und hilfreiche Forderung für jedermann.
So wahr es also ist, dass wir derzeit überschwemmt werden von unglaubwürdigen und nicht-anerkannten, teilweise sogar anerkannten (!) Erscheinungen und Offenbarungen, so wahr ist es andererseits, dass es dem Herrn seit jeher gefallen hat, sich Menschen, die IHM nahestehen, in besonderer Weise zu zeigen. Die Heilige Schrift ist voll von solchen Erzählungen. Es wäre aus der Sicht des katholischen Glaubens völlig verfehlt, dies als Realität zu bestreiten. Die Lehre der Kirche ist uns Gläubigen ja nicht nur ein kasuistisches Abstraktum, sondern ein lebendiger Glaube, der uns durch das Opfer Jesu Christi im Heiligen Geist erleuchtet, verwandelt, reinigt und dies so, wie es Gott gefällt. Es wäre andererseits verfehlt, jedes Erlebnis eines Menschen für eine solche übernatürliche Erfahrung zu halten. Denn der Satan gibt sich als Engel des Lichtes und kann solche Offenbarungen kopieren oder vorschützen.
Es bedarf hier also nicht eines militanten und trotzigen Kampfes gegen Falschmystik und Pseudoerscheinungen oder aber einer ebenso militanten Erscheinungssucht, sondern einer nüchternen, vorsichtigen und sorgsamen Prüfung der Geister.
Wer weidet die Lämmer noch?
Die Gläubigen sind spätestens seit dem Vaticanum II im Hinblick auf die kirchliche Anerkennung oder Ablehnung von Privatoffenbarungen tief verunsichert: das Lehramt widerspricht schon seit einigen Jahrzehnten in grundlegenden Dingen dem traditionellen Lehramt so fundamental, dass wir einen massiven Glaubensabfall erleben. Man belehrt uns von päpstlicher Seite her, eindeutige logische Widersprüche in Kontinuität sehen zu sollen („Hermeneutik der Kontinuität“). Im Klartext: die noch verbliebenen Glaubentreuen sollen in die Schizophrenie getrieben werden, in die geistige und geistliche Krankheit, und wie es aussieht, gelingt dies.
Viele Menschen verweigern sich in diesem Chaos nach Desperado-Manier, folgen einem ihrer selbstgewählten Glaubenshelden, die das vor sich hertragen, was ihnen aus einer „konservativen“ Sicht wichtig erscheint, ohne sich weiter in die wahre und immer gültige Lehre der Kirche zu vertiefen. Und unter denen, die sich ihren eigenen Reim auf die tradierte Lehre machen, sind wiederum viele, die dem, was sie für die tradierte Lehre halten, allerhand beimischen, was dort gar nicht hineingehört. Wer hat das Wissen, die Intelligenz und die Zeit, hier zu prüfen?
Diese katastrophale Situation, die allein durch die Autoritätsverweigerung der Hirten unter dem Motto „ab jetzt nur noch pastoral“ ausgelöst wurde, begünstigt in den Gläubigen die Annahme, dass die bischöfliche Ablehnung oder Anerkennung einer Erscheinung dem Geist des Irrtums entstammen könnte, den das Lehramt ja auch sonst so unbestreitbar an den Tag legt.
Die Behauptung, Privatoffenbarungen seien allenfalls zur Unterstützung dessen gedacht, was ohnehin schon gelehrt werde, seien also verzichtbar, verkennt die heilsgeschichtlich vielleicht sogar notwendige Dimension prophetischer Charismen. Immerhin nimmt der heilige Paulus von allen frühchristlichen „Geistesgaben“ nur eine einzige ausdrücklich aus seiner Zurückweisung und Kritik aus: das prophetische Reden. Prophetisches Reden soll etwas ins Licht heben, das, obwohl es bekannt ist, doch vergessen und nicht mehr verstehbar schien. Manchmal aber ermöglicht das prophetische Reden auch eine Zukunftsschau, eine rechtzeitige Weisung, um nicht fehlzugehen. Der rüde Hinweis darauf, man brauche so etwas nicht, das gebe schon die abgeschlossene Offenbarung her, würde tatsächlich dem Herrn am Ende noch vorschreiben wollen, was Er in Seiner Barmherzigkeit Menschen zur Hilfe geben kann und darf.
Dennoch, bei aller nachkonziliaren, dem gesunden Hausverstand gebotenen Vorsicht bei neueren „Erscheinungen“, noch dazu, wenn sie in dasselbe nachkonziliar-häretische Horn tuten, muss doch sachlich festgestellt werden:
Fatima ist apokalyptisches Sinnbild für die mannigfaltigen Frontlinien in der Kirche
Auf Fatima trifft die Verworrenheit, die moderne Erscheinungen wie Medjugorje aufweisen, noch nicht zu. Es wurde, wie bereits gesagt, 1930 vom Ortsbischof anerkannt und mit dem Urteil „constat de supernaturalitate“ versehen. Die Wirren um Fatima entsprechen nur den mehrdimensionalen Frontlinien, die sich in der Kirche kurz vor und vor allem nach dem Konzil ausgebildet haben. Sie nachzuzeichnen ist einen eigenen Aufsatz wert. Eine ganz besondere Rolle spielt dabei die auch von scheinbar konservativen Theologen kompromittierte Opfertheologie des Konzils von Trient. Die Botschaft von Fatima richtet sich an die Kirche und die ganze Welt. Wenn sie wahr ist – und das hat uns das kirchliche Urteil darüber bezeugt – dann sollte sie befolgt werden, weil ihr Inhalt ein klarer, präziser Appell ist. Sie ist nicht befolgt worden. Kein Papst hat andererseits gewagt, ihre Wahrheit noch einmal zu leugnen. Fast alle nachkonziliaren Päpste haben Fatima irgendwie einbezogen in ihre Handlungen, wenn auch nicht so, wie gefordert. Zugleich versucht das Lehramt bis heute, die Unbedingtheit der Forderungen der Gottesmutter zu umschiffen und abzuwiegeln. Der schlimme Zustand der Kirche scheint förmlich zu beweisen, dass man sie hätte getreulich befolgen sollen.
* Hanna Jüngling, freischaffende Musikerin, Schriftstellerin und Künstlerin Bild: Una Fides
Der zentrale Satz ist, dass sich das Lehramt mit dem Zweiten Vatikanum von seiner Aufgabe verabschiedet hat. Die Modernisten wollen keine Erscheinungen. In diesem Pontifikat haben sie dabei volle Unterstützung.
Sehr interessant und lehrreich, besten Dank – bin gespannt auf Teil 2!
Der Grundkonflikt zwischen den Vertretern des überlieferten katholischen Glaubens und der Konzils- und Nachkonzilskirche lässt sich in den Sätzen zusammenfassen: Der katholische Glaube verändert sich inhaltlich nicht mehr. Mit dem Tod des letzten Apostels ist die Offenbarung abgeschlossen. Der Glaube vertieft sich jedoch im Laufe der Zeit. Das Konzil brachte Veränderungen.
Diese Vertiefung kann geschehen, wenn die Kirche gegen Häretiker den Glauben präzisiert, sie kann geschehen durch Privatoffenbarungen.
Ein herausragendes Beispiel ist das Fronleichnamsfest. In der Diözese Lüttich gab es im Mittelalter eine reichhaltige Verehrung des Allerheiligsten Altarssakraments. Es gab Gruppen von Frauen, die das Allerheiligste Sakrament verehrten unter der geistlichen Leitung eines Priesters, es gab Theologen, die diese Verehrung durch theologische Argumente förderten. In dieser Atmosphäre hatte die kluge, gebildete, fromme Nonne Juliana von Lüttich Visionen bei der Verehrung des heiligsten Sakramentes. Sie kannte Papst Urban IV. bevor er Papst wurde. Auch beeinflusst von ihr setzte er 1264 das Fronleichnamsfest als gebotenen Feiertag Donnerstag nach Pfingsten für die Universalkirche ein.
„Fatima“ ist damit überhaupt nicht zu vergleichen. Die „Engelsbotschaften“ werden sich wegen ihrer theologischen Fehler nie durchsetzen.
Angeblich ist „Fatima“ 1930 approbiert worden? Es mag sein, aber was genau? Alles, was Sr. Lucia dos Santos nach 1930 behauptet hat, und das ist eine ganze Menge, kann ja nicht gemeint sein. Soviel Kredit hat das Lehramt noch keiner Person eingeräumt, das alles, was sie gesehen haben will, schon im Voraus zu glauben ist.
Kein Katholik ist verpflichtet zu glauben, dass Russland auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Gefahr für die Menschheit darstellt.
Kein Katholik ist verpflichtet, Sr. Lucia dos Santos zu glauben, Papst Pius XII. habe eine ungültige Weihe an Russland vollzogen.
Ich habe eine Bitte: Hierauf sachlich zu argumentieren und nicht mit Unterstellungen.
Wer Sr. Lucia dos Santos in vollem Umfang Glauben schenken will, der möge das ungehindert tun.
Er möge sich aber hüten: Diejenigen zu diskriminieren, die den widersprüchlichen Aussagen dieser Nonne keinen Glauben schenken.
Die Kirche lässt uns hier Freiheit. Anders als beim Fronleichnamsfest. Hier hat ein Papst 1264 endgültig für die Universalkirche entschieden.
Das ist die kirchenrechtliche Seite.
Das Fronleichnamsfest mit seiner Tiefe ist ein kostbarer Schatz der katholischen Kirche. Eine wirkliche Vertiefung des Glaubens an die Gegenwart unseres Herrn im Allerheiligsten Sakrament des Altares.
Man möge es mir nachsehen, dass ich Visionen der Sr. Lucia dos Santos, von ihr offenbart Jahrzehnte nach den Erscheinungen, nicht auf eine Stufe stelle mit den Visionen der heiligen Juliana von Lüttich.
Die Engelsbotschaften enthalten keine theologischen Fehler. Durch ständiges Wiederholen wird Ihre Behauptung nicht wahrer.
Die kirchliche Anerkennung von Privatoffenbarungen erfolgt meist durch den Bischof. Heißt das, daß ein Bischof nicht irren kann? Heißt das, daß ein solcher Entscheid nicht später einmal revidiert werden kann, wenn Vorgänge zutage treten, die damals noch nicht sichtbar waren? Ein Bischof weiht zB auch Männer zu Priestern, von deren Untadeligkeit er überzeugt ist, unter denen aber auch ein Pädophiler beispielsweise sein kann.
Es würde mich interessieren, ob diese kirchlich anerkannten Phänomene ein für alle mal als geklärt anzusehen sind? Oder könnte sich einmal herausstellen, daß es sich um eine Täuschung gehandelt hat? Ein Bischof ist ja kein Papst, der ex cathedra spricht.
Weiß dazu jemand genaueres?
Es gibt dazu wissenschaftliche Literatur. Ich persönlich habe von Laurenz Volken profitiert (Lit.-Verz. II)
5. Laterankonzil 1516/XI. Sitzung:
„Wir wollen, dass die göttlichen Mitteilungen, von denen man berichtet, bevor man sie veröffentlicht oder dem Volke predigt, von jetzt ab ordnungsgemäß und gesetzmäßig der Prüfung durch den Hl. Stuhl vorbehalten bleiben. Nur (…) in einem dringenden Fall möge man sie dem bischöflichen Ordinariat des Ortes mitteilen. Dieses soll sie mit drei oder vier gelehrten Beratern sorgfältig untersuchen. Und dann können sie im geeigneten Zeitpunkt nach bestem Gewissen die Erlaubnis zur Veröffentlichung geben.“
5. Juli 1634 Verfahrensänderung hinsichtlich verstorbener Seher, galt aber auch für noch Lebende Visionäre:
„Die Bücher, die von Wundern und Offenbarungen an Menschen berichten, die im Rufe der Heiligkeit verstorben sind, müssen vom Ordinariat der Diözesen approbiert werden. Dieses muss sich mit einem Rat von Theologen und Experten umgeben, um sie zu prüfen. Die Sache muss sodann an den Hl. Stuhl gesandt und die Antwort abgewartet werden.“ Die Regeln gehen zurück auf Benedikt XIV. in „Über die Seligsprechung + die Kanonisation der Heiligen“.
Die Formel für die Erlaubnis zur öffentlichen Predigt und Verbeitung einer Botschaft lautet in der Regel so: „…dass die Gläubigen berechtigt sind, sie für gewiss zu halten…“ (Lourdes) oder „… dass die Gläubigen berechtigt sind, sie für unzweifelhaft und gewiss zu halten…“ (La Salette) oder „… wir haben die Überzeugung gewonnen, dass die Erscheinung übernatürlich und göttlich ist…“ (Lourdes)
Es ist ein komplexe philosophische Frage, was unter „Gewissheit“ zu verstehen ist. Sie meint immer die natürliche menschliche Gewissheit über etwas. Sie setzt sich zusammen aus Zeichen, Tatsachen, einer Häufung von Wahrscheinlichkeiten etc. Was die kirchliche Zustimmung letztendlich bedeuten kann, ist in den vergangenen Jahrhunderten different diskutiert worden. Ein Beispiel von F. Suarez SJ (1548.1617): „Wenn die Privatoffenbarung in genügender Weise proponiert wird, ist sie von gleicher Natur wie der katholische Glaube und kann das formale Objekt des Glaubens bilden.“ Das sagt er hinsichtlich dessen, der diese Eingebung erhalten hat.
Das Tridentinum überrascht mit folgendem Bericht von Pater Laurenz Mazochius:
„Die Mehrzahl der Theologen und fast alle Konzilsväter urteilten, dass ohne eine besondere Offenbarung niemand mit Glaubensgewissheit sicher sein kann, dass er wirklich im Stande der Gnade ist.“ (Canon 16 über die Rechtfertigung)
Was heißt das alles?
Es heißt, dass „Privatoffenbarungen“ eben nichts Statisches sind, die immer nach denselben Mustern ablaufen würden. Wenn der Hl. Stuhl die Erlaubnis zur öffentlichen Verehrung und Predigt gibt und der Inhalt ist an alle gerichtet, ist das gültig, wenn auch nicht im strengen Sinne „heilsnotwendig.“
Eine Erlaubnis unter Zweifel ergibt keinen Sinn. Die Folgen einer Verehrung mussten übrigens immer mitgeprüft werden.
Ich möchte hier an der Stelle feststellen, dass ich an der Anerkennung von Erscheinungen vor dem Konzil keine Zweifel hege, weil die Linie der Kirche damals trotz einiger Abstriche rechtgläubig war. Wenn die Kirche etwas ablehnte oder erst mal in der Schwebe ließ, kann man noch nichts Endgültiges schließen. Schon vor Jahrhunderten gab es da Irrtümer und Rehabilitationen – denken wir nur an die tragischen Vorgänge um Jeann d’Arc. Es ist also unzulässig, sich auf eine bloße Zurückhaltung oder Ablehnung festzufrieren, wie Frau Küble das stets tut. Kirchliche Praxis war hier, in langen Zeiträumen zu denken, abzuwarten, die Sache erst mal laufen zu lassen. Oft sind gar keine Entscheidungen getroffen worden, aber durch die Faktizität des bischöflichen und päpstlichen Handelns wurde die Richtung klar. Wenn also z.B. Pius X. einen Gedenktag für Lourdes einführt, kommt das einer vollen Anerkennung durch den Papst gleich, die dann sehr wohl auch bindend ist. Andererseits kann man nicht schließen, wenn ein Papst das nicht tut, dass dann die bischöflich anerkannte oder noch nicht anerkannte Erscheinung faktisch abgelehnt sei. Nur eine definitive und auch langfristige Ablehnung war eine definitve Ablehnung.
Etwas völlig anderes ist nach dem Konzil eingetreten: ein Lehramt, dass förmliche Glaubensirrtümer verkündet, ist ja selbst nicht mehr glaubwürdig. Wir leben in der schizophrenen Situation, dass seit 1965 sowohl Ablehnungen als auch Anerkennungen falsch sein können.
Ein solcher Fall ist einerseits Marienfried, das theologisch eigentlich nicht wirklich angreifbar ist (und so auch vom Ortspfarrer und Bischof Graber angesehen wurde), andererseits hat der Ortsbischof nicht die vorgeschriebene Untersuchung eingeleitet und ohne sorgsame Forschung und Begründung alles auf die lange Bank geschoben.
Typisch nachkonziliar wirkt auf mich Amsterdam, das erst abgelehnt wurde, dann aber vom neuen Ortsbischof Punt 2002 anerkannt wurde. Daraufhin hat die Glaubenskongregation den Text der Erscheinung korrigieren müssen! So etwas finde ich merkwürdig. Diese Korrektur aber ist tatsächlich sehr nachvollziehbar, denn es heißt in dem offenbarten Text „Frau aller Völker, die einst Maria war“ und Rom korrigierte zu „Frau aller Völker, die selige Jungfrau Maria“. Die Amsterdamer Erscheinung war reselig wie die in Medjugorje. Allein das schon passt nicht zu Maria, die ein stiller Geistesmensch war, wie das NT sie zeichnet.
Hier ist nun ein Beispiel dafür, dass man eine nachkonziliar mit dem „constat de supernaturalitate“ versehene Erscheinung doch bezweifeln muss – eine Maria, die sagt, dass sie nicht mehr Maria ist, kann nicht Maria sein, denn wir alle bleiben, wer wir sind…auch im Himmel. Das ist ausdrücklich Lehre der Kirche. Das heißt nun wieder nicht, dass der Titel „Miterlöserin“ bzw. „Mittlerin der Gnaden“ falsch ist, denn der ist schon lange in der Diskussion und wurde vor dem Konzil von vielen Bischöfen als Verhandlungsgegenstand hinsichtlich eines Dogmas angegeben.