(Berlin/Rom) Gestern saß halb Deutschland vor dem Fernseher, um im ARD ab 22.45 Uhr die Talk-Show Beckermann zu sehen. Dort fand ein Duell zwischen dem bekannten Kriminologen Christian Pfeiffer und dem Jesuiten Pater Hans Langendörfer, dem Sekretär der deutschen Bischofskonferenz statt.
Die Anklage Pfeiffers war hart. Er hatte sie bereits in den vergangenen Tagen durch alle Medien getragen. Er war vor kurzem vom Auftrag entbunden worden, für die deutschen Bischöfe die Fälle von sexuellem Mißbrauch durch Priester zu untersuchen. Ein Auftrag, der ihm 2010, als der Pädophilieskandal medial auf seinem Höhepunkt war, erteilt worden war und die Bischofskonferenz 500.000 Euro kostete.
Ein Kriminologe sollte sich hüten, Spekulationen in Umlauf zu setzen
Pfeiffer wiederholte im Fernsehen, die Gründe seiner Abberufung nicht zu verstehen, aus der er seinerseits eine Anklage gegen die Kirche machte und vom Ermittler zum Ankläger wurde. Pfeiffer hätte als Kriminologe davor gefeit sein müssen, Spekulationen freien Lauf zu lassen. Statt dessen schürte der offenbar in seiner Eitelkeit gekränkte, von den Bischöfen aber fürstlich bezahlte Fachmann in den vergangenen Tagen Spekulationen, wo er nur konnte. So äußerte er die Befürchtung, seine Abberufung diene dazu, zu einem System der Vertuschung zurückzukehren, das er einfach unterstellte.
Da halfen selbst die Worte eines Kardinals Lehmann nichts, der betonte, daß die Kirche nichts zu verbergen habe. Deutlicher wurde der Münsteraner Bischof Felix Genn, der die Beschuldigung Pfeiffers zurückwies, die Kirche betreibe „Zensur“. Wenn schon sei das Gegenteil der Fall, so Genn.
Zensuren haben andere ausgeteilt, nicht die Kirche
Es war im Jahr 2010. Die deutsche Kirche sah sich einem medialen Tsunami ausgesetzt. Die großen Nachrichtenagenturen und Massenmedien berichteten jeden Tag über neue, angebliche Mißbrauchsfälle. Zahlreiche Anschuldigungen entsprachen den Tatsachen, viele jedoch nicht. Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt wurde im medialen Aufschaukeln irgendwann nicht mehr gestellt. Katholische Kirche wurde zu einer Art Synonym für Pädophilie umgeschrieben. Eine geradezu perverse Gleichung, die Ausnahmen, wo sich Priestern auf schwerwiegende und strafrechtliche Weise verfehlt haben, einfach zur Regel verkehrte.
In diesem Klima einer Hexenjagd beauftragten die deutschen Bischöfe den namhaften Kriminologen Pfeiffer mit den Untersuchungen. Dabei machten sie in der aufgeheizten Situation Zugeständnisse, die ihm Zugang zu den Personalakten von mehr als 100.000 deutschen Priester verschafften, einschließlich deren Jugendzeit vor dem Eintritt in das Seminar und der Priesterweihe. Nicht einmal ein Prozent von diesen hatte sich verfehlt, doch alle sollten am Pranger entblößt werden. Konkret wurde damit ein ebenso unhaltbarer wie untragbarer Generalverdacht gegen alle Priester ausgesprochen.
„Welle kollektiver Hysterie“ verschaffte Pfeiffer unhaltbare Zugeständnisse
„Auf einer Welle kollektiver Hysterie hatte die Kirche beschlossen, sich uneingeschränkt den Inspektionen zu öffnen, mit allen Risiken, die damit verbunden sind“, zitiert der Vatikanist Paolo Rodari den Chefredakteur des Vatican Magazins Guido Horst. Zu den Risiken gehörte die ganz konkrete Gefahr, daß der Bildungsweg, alle Vorzüge, aber auch alle Schwächen eines Priesters, selbst wenn er nichts mit den Skandalen zu tun hatte, gewissermaßen öffentliches Gut wurde. Tatsächlich tauchten Informationen ohne jede Vorwarnung plötzlich in den Medien auf. Die Privatsphäre der Priester, fundamentaler Bestandteil der Menschenwürde, war aufgehoben.
Klerus wehrte sich gegen Verletzung seiner Menschenwürde – Intervention Roms
Womit Pfeiffer nicht gerechnet hatte, war aber die Reaktion der Priester. Eine beachtliche Gruppe wollte sich das nicht bieten lassen und wandte sich direkt an Rom. Den Anstoß dazu gab im Sommer 2011 das romtreue Priesternetzwerk. Das Netzwerk, in dem bundesweit mehr als 500 Priester zusammengeschlossen sind, begrüßte ausdrücklich „wirksame Maßnahmen zur Verhinderung des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen durch katholische Geistliche“. „Mit Entschiedenheit“ werde man sich jedoch „gegen das juristisch wie menschlich höchst bedenkliche Vorgehen der deutschen Bischöfe“ zur Wehr setzen, das durch Gewährung umfassender Personalakteneinsicht an Außenstehende einen ganzen Stand einer generellen Verdächtigung aussetzte. Ein Auftreten, das einige Bischöfe in Verlegenheit brachte. Die Priester protestierten gegen ihre Behandlung und baten Rom um ein Einschreiten.
Rom brauchte wie immer einige Zeit, doch dann stellte man sich schützend vor die Priester, die sich nichts zuschulden kommen haben lassen. Und tat damit das, wozu sich der maßgebliche Teil der Bischofskonferenz unter dem Druck der Öffentlichkeit nicht aufraffen konnte. Rom machte dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch von Freiburg und dem Sekretär der Bischofskonferenz Langendörfer klar, daß es so nicht gehe. Diese entzogen darauf Pfeiffer seinen Auftrag.
Schlechte Pressearbeit begünstigte Aufkochen der antikirchlichen Kampagne
Die Bischofskonferenz legte bei der Entlassung Pfeiffers ein schlechtes Medienmanagement an den Tag. Das erleichterte es den Massenmedien, noch einmal an die antikirchliche Kampagne von 2010 anzuknüpfen. Durch die römische Intervention scheinen einige Kirchenverantwortliche im Gegenzug ihre Aufgaben nicht gemacht zu haben. Damit wurde Pfeiffer zunächst das Feld überlassen, seine Giftpfeile abzuschießen. Für ihn war es aufgrund des Themas und der Vorgeschichte ein Leichtes, mit wenigen gezielten Stichworten, die Medienaufmerksamkeit auf seine Seite zu ziehen.
Laut Guido Horst war es vor allem Bischofsvikar Peter Beer von München, der mit Rom auf eine Kursänderung drängte und sich schließlich durchsetzen konnte. Wie die Deutsche Presseagentur berichtete, erfolgte der Bruch, nachdem Pfeiffer jede Einschränkung seiner Arbeit und jedes Mitspracherecht der Bischöfe abgelehnt hatte. Die Bischöfe hatten ein Einsichtsrecht in die Ergebnisse vor ihrer Veröffentlichung gefordert und die Möglichkeit eine solche überhaupt untersagen zu dürfen. Dabei ging es nicht um Mißbrauchsfälle, sondern um die berechtigte und in jeder Rechtsordnung anerkannte Privatsphäre.
Untersuchungen gehen weiter, aber mit intaktem Vertrauensverhältnis
Pfeiffer behauptete, daß einige Diözesen sogar Akten vernichtet oder sich gegen die Aushändigung von Akten gewehrt hätten. In Wirklichkeit, so Horst, werden die Ermittlungen kompetenteren Personen übergeben und fortgesetzt. Die Kirche habe die Zusammenarbeit mit Pfeiffer beendet, weil das Vertrauen in ihn zerbrochen war. Das Vertrauen der Bischöfe und das Vertrauen des Klerus.
Zeit der Großinquisitoren sollte auch in Deutschland vorbei sein
Die Zeiten uneingeschränkter Großinquisitoren sind vorbei, das mag Pfeiffer, der sich persönlich auf den Schlips getreten fühlt, langsam zu dämmern. Erstaunlicher ist, mit welcher Selbstverständlichkeit gewisse deutsche Massenmedien nach dem Großinquisitor gerufen haben, den sie sonst vorgeben, zu bekämpfen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Osservatore Romano