(Rom) Während Kardinal Gianfranco Ravasi, der Vorsitzende des Päpstlichen Kulturrats, mit seiner Idee eines Vorhofs der Völker international Veranstaltungen durchführt und das Gespräch mit Agnostikern und Atheisten sucht, tut sich noch vieles mehr im Grenzbereich zwischen Glauben und Nicht-Glauben. Auf ein besonderes Phänomen weist der Vatikanist Sandro Magister hin. Es handelt sich um Ereignisse, die weniger Schlagzeilen verursachen und weniger spektakulär sind, dafür aber weitreichender und tiefergehend. Sie beschränken sich nicht darauf, die Meinungen bekannter Zeitgenossen zu hören und zu ergründen. Sie stellen vielmehr alles in Frage, die Position eines jeden Einzelnen und vor allem: sie haben keine Angst vor dem Wort „Bekehrung“.
Hohe Einschaltquoten für Sendung: „Die Wende“
Ein Beispiel liefert TV2000, der Fernsehsender der italienischen Bischöfe. Eine Sendung erlebt hohe und steigende Einschaltquoten: „Die Wende“, so der Name der Sendung, stellt in jeder Folge einen Konvertiten vor, der zum christlichen Glauben gefunden hat. Diese Konvertiten kommen aus den verschiedensten religiösen Realitäten, waren Agnostiker oder Atheisten.
In der katholischen Kirche spielten Konvertiten stets eine herausragende Rolle. Die persönliche Bekehrung steht am Anfang der Kirche und am Anfang jedes einzelnen Christen. Es waren Juden und Heiden, die Christus erkannten und sich zu ihm bekehrten. Die Lebensgeschichte des Apostelfürsten Paulus steht stellvertretend für die persönliche Bekehrungsgeschichte jedes einzelnen Apostels.
Nachkonzilszeit beendete große Zeit der Konvertiten
Vor allem im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Phänomen der Konvertiten stark ausgeprägt, die aus anderen Religionen, vor allem auch aus anderen christlichen Konfessionen in die Einheit mit Rom zurückkehrten. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde das Thema Bekehrung mit dem Schleier des Schweigens verhüllt. Die Zahl der Konvertiten ging schlagartig zurück. Konversionen wurden geradezu zu einem Tabu, Konvertiten nicht selten als Störenfriede empfunden. Im deutschen Sprachraum ist der Strom der Konvertiten und dessen weitgehendes Versiegen gut nachvollziehbar. Die Beispiele mögen Einzelfälle sein, doch es gibt sie, wo etwa zur Konversion entschlossene Protestanten von katholischen Pfarrern nahegelegt wurde, doch lieber dort zu bleiben, wo sie waren, da dies dem interkonfessionellen Dialog „dienlicher“ sei.
Die erwähnte Fernsehsendung „Die Wende“ ist eines der Signale für eine erkennbare Trendumkehr. Dem Thema wird neue Aufmerksamkeit geschenkt. Das Thema Konversion wird enttabuisiert. Schritte in diese Richtung setzte Papst Benedikt XVI., als er konversionsbereiten Anglikanern 2009 eine neue Heimstatt in der katholischen Kirche bot und damit die lange Zeit verachtete Rückkehrökumene wiederbelebte, oder als er in der Osternacht 2008 den zu Christus bekehrten Moslem Magdi Allam auf den Namen Cristiano taufte und in die katholische Kirche aufnahm.
Neue Aufmerksamkeit für das Phänomen der Konvertiten
Zu den in der Sendung bisher vorgestellten Konvertiten gehören zum Beispiel der Rechtsphilosoph Pietro Barcellona, der Journalist Jean-Claude Guillebaud, der Liedermacher Giovanni Lindo Ferretti, die Schauspielerin Claudia Koll, der Literaturkritiker Patrick Kechichian, die Opernsängerin Cristina Alfano, der Biophysiker Alister McGrath, der Bildhauer Etsuro Sotoo, der Philosoph Fabrice Hadjadi, der Regisseur Guido Chiesa, der Schriftsteller Francois Taillandier, die Dirigentin Claire Gibault, nicht zuletzt auch die deutsche Soziologin Gabriele Kuby und als besondere Ausnahme auch die russisch-orthodoxe Philosophin Tatjana Goritschewa, die auch vielen Katholiken ein Begriff ist.
Einer der genannten Konvertiten, der Italiener Pietro Barcellona, Universitätsprofessor, 1979–1983 Parlamentsabgeordneter der Kommunistischen Partei, Mitglieder des Obersten Gerichtsrats der italienischen Richter und Staatsanwälte und früher einer der bekanntesten Vertreter des atheistischen Materialismus ist gemeinsam mit drei weiteren post-marxistischen Denkern, Verfasser eines Manifests zum anthropologischen Notstand, das für großes Aufsehen sorgte.
Manifest zum anthropologischen Notstand von vier „Ratzingerschen Marxisten“
Magister macht in diesem Zusammenhang auf ein weiteres Phänomen aufmerksam. Die anderen drei Autoren des Manifests sind ebenfalls Universitätsprofessoren, der Historiker Giuseppe Vacca, der Politologe Mario Tronti und der Soziologe Paolo Sorbi. Letzterer ist Katholik, die beiden anderen nicht. Alle vier waren in der Kommunistischen Partei aktiv und gehören nun deren größter, sozialdemokratisch gewandelten Nachfolgeorganisation, der Demokratischen Partei, der wichtigsten Linkspartei Italiens an. Vacca ist Direktor des Gramsci-Instituts, Tronti Vorsitzender des Zentrums für die Reform des Staates und war einer der führende Theoretiker der Arbeiterbewegung. Er zeigte jedoch stets auch ein ausgeprägtes Interesse für die politische Theologie von Carl Schmitt, besuchte den intellektuellen Zirkel der linkskatholischen Zeitschrift Bailamme, aber auch das Kamaldulenserkloster von Monte Giove rund 70 Kilometer nördlich des Marienwallfahrtsortes Loreto.
Alle vier werden als „Ratzingersche Marxisten“ bezeichnet. Ihr Manifest ist eine ausdrückliche Anerkennung des Denkens von Papst Benedikt XVI. Sie stellten es erstmals am 16. Oktober 2011 vor und wählten dafür nicht von ungefähr die Tageszeitung der italienischen Bischöfe. Das Manifest, 2012 auch in Buchform erschienen, ist eine Art Offener Brief an die politische Linke und fordert zu einer neuen Allianz zwischen Gläubigen und Ungläubigen auf. Gleich das erste im Manifest angesprochene Thema ist dem Lebensrecht gewidmet und fordert einen Schutz der „Freiheit und der Würde des Menschen von seiner Zeugung an“. „Es ist der am meisten kritisierte Teil unseres Textes“, wie Giuseppe Vacca in einem Interview mit der Tageszeitung Avvenire die Stimmung rund um eine der größten Herausforderungen unserer Zeit auf den Punkt bringt.
Politische Linke soll sich mit Benedikt XVI. konfrontieren, nicht mit ihr nahestehenden „Randtheologen“
Die „Ratzingerschen Marxisten“ werfen der westlichen Linken vor, einer „falschen Kultur der Freiheit nachgegeben zu haben, für die es kein anderes Recht gibt außer dem Recht des Individuums“. Folge dieser Fehlentscheidung sei der herrschende „anthropologische Notstand“. Die vier Autoren fordern zum Wiederaufbau der Fundamente der menschlichen Gemeinschaft auf. Entscheidend dafür sei, daß die politische Linke sich nicht mehr mit irgendwelchen nahestehenden „Randtheologen“ konfrontiert, sondern mit Benedikt XVI. und damit mit der höchsten Autorität der katholischen Weltsicht. Eine Konfrontation, die vor allem zwei Themen zum Mittelpunkt haben müsse: „die Zurückweisung des ethischen Relativismus und das Konzept der nichtverhandelbaren Werte.“
Zu diesem Zweck haben die vier Autoren bereits angekündigt, 2013 eine große Tagung mit führenden gläubigen und nichtgläubigen Köpfen zu veranstalten, die sich mit der anthropologischen Sicht Benedikts XVI. befassen wird.
Die neuen Konvertiten kommen durch Lebensrechtsbewegung und katholische Tradition
Das neue Interesse am Phänomen der Konvertiten macht deren Vielschichtigkeit sichtbar. Ihr Weg führt meist über mehrere Etappen. Die Konvertiten kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Heute vor allem auch aus der Lebensrechtsbewegung, wie der deutsche Arzt Siegfried Ernst, Gründer der Europäischen Ärzteaktion oder die deutsche Familientherapeutin Sonja Dengler, Begründerin der systemisch-lösungsorientierten Schwangerschaftskonfliktberatung und Gründerin des Beratungsvereins Tiqua. Auf einer Tagung wurde jüngst in Rom darauf aufmerksam gemacht, daß die traditionsnahen katholischen Gemeinschaften und Vereine und die „Alte Messe“ eine neue, reiche Quelle von Konversionen sind. Das Zusammenwirken beider Elemente verkörperte die im August verstorbene Amerikanerin Nellie Gray. Die Gründerin des Marsches für fas Leben konvertierte im Erwachsenenalter, nachdem sie sich für den Schutz ungeborener Kinder einzusetzen begann, zur katholischen Kirche. Auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin, wurde ihr Requiem in der außerordentlichen Form des Römischen Ritus zelebriert.
Das Buch: Pietro Barcellona/Paolo Sorbi/Mario Tronti/Giuseppe Vacca: Emergenza antropologica. Per una nuova alleanza tra credenti e non credenti, Mailand 2012.
Text: Settimo Cielo/Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/Controcorrente
Wenn sich die Kirche vom Konzilsungeist befreit – wie immer das geschehen mag – und zur Tradition, zum tradierten Glauben und zur „Alten Messe“ als Zentrum des geistlichen Lebens vertieft zurückfindet, dann wird die Zahl der Konvertiten weiter steigen. Sie wird dann noch mehr angegriffen werden als Zeichen des Widerspruchs, aber von Menschen, die wirklich nach Gott fragen, gesucht und gefunden werden.
Hans Küng hat Bischofskonferenzen geraten, die Kirche müsse sich der Zeit anpassen, um nicht zur Sekte zu schrumpfen. Davon abgesehen, dass ein rein quantitatives Denken der Kirche Jesu Christi total widerspricht, dürfte er sich auch rein soziologisch geirrt haben. Die Kirche, die allen theologisch-philosophischen Moden hinterherläuft, kommt immer zu spät. Sie kann den Menschen keine geistig-geistliche Heimat bieten, denen rein innerweltliche Lösungen für ihr Leben nicht genügen.
„Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde das Thema Bekehrung mit dem Schleier des Schweigens verhüllt. Die Zahl der Konvertiten ging schlagartig zurück. Konversionen wurde geradezu zu einem Tabu, Konvertiten nicht selten als Störenfriede empfunden. Im deutschen Sprachraum ist der Strom der Konvertiten und dessen weitgehendes Versiegen gut nachvollziehbar.“
Dieses Zweite Vatikanische Konzil mag wohl das katholische nicht. Sie mag wohl lieber nur die „Kirche Jesu Christi“, die sich, oh Wunder, in der katholischen Kirche verwirklicht hat. Diese V2-Rösser sind ganz schön raffiniert in ihrem Unglauben vor Christus. Die katholische Kirche ist die Kirche Jesu Christi. Punkt.
Per Mariam ad Christum.