(Genf/Rom) Kritik am Vorschlag des Präfekten der Glaubenskongregation Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, in der katholischen Kirche ein Personalordinariat für Lutheraner zu errichten, die in die volle Einheit mit Rom zurückkehren wollen, übte der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes in Genf. Der katholische Vorstoß bringt die Vorbereitungen zu den 500-Jahr-Feiern des Reformationsjubiläums im Jahr 2017 durcheinander.
Auch einen Teil der Lutheraner zieht es zurück in die Einheit der Kirche und die Wiedervereinigung mit Rom. Die Gründe dafür sind jenen vergleichbar, die eine solche Rückkehrbewegung in der anglikanischen Gemeinschaft in Gang gesetzt haben. Sowohl bei Anglikanern als auch Lutheranern zeigt das christliche Profil durch liberale Tendenzen Auflösungserscheinungen. Eine fortschreitende Anpassung an den derzeit dominanten Relativismus drängt glaubenstreue Christen aus anderen christlichen Konfessionen in die Einheit mit Rom.
Nach Anglikanern wollen auch Lutheraner in die Einheit der Kirche zurück
Kardinal Koch, der Vorsitzende des Päpstlichen Rats für die Einheit der Christen, hatte als erster am 30. Oktober 2012 die Errichtung eines lutherischen Personalordinariats in der katholischen Kirche angeregt. Glaubenspräfekt Müller griff nun diese Idee auf. Die Reaktionen blieben nicht aus. Pastor Martin Junge, der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes kritisierte einen solchen Schritt. Eine solcher Schritt würde nicht nur zahlreiche „theologische Probleme“ aufwerfen. Er hätte auch „schwerwiegende Auswirkungen für die Ökumene“. Im Weltbund sind die weltweit etwa 70 Millionen Lutheraner zusammengeschlossen.
In der anglikanischen Weltgemeinschaft war man ebenso wenig glücklich über die „feindliche Übernahme“ durch die katholische Kirche. Es fehlten aber auch nicht Stimmen, die der Abwanderung „konservativer“ Anglikaner Richtung Rom Positives abgewinnen können. Ein Schritt, der den liberalen Umbau der anglikanischen Gemeinschaften beschleunigen dürfte, so die Überlegung.
Nach Kardinal Koch spricht auch Erzbischof Müller über Ordinariats-Lösung
Als Kardinal Koch die Personalordinariats-Lösung für Lutheraner ins Gespräch brachte, betonte er, daß es die Anglikaner waren, die sich mit der Bitte an den Papst gewandt hatten, in die Einheit mit Rom zurückkehren zu dürfen. Wenn eine solche Anfrage von Lutheranern kommen sollte, werde Rom auch diese prüfen. Die Präzisierung zielte auf die Ökumene hin. Von anglikanischer Seite war Rom vorgeworfen worden, eine Rückkehr-Ökumene zu betreiben. Der Heilige Stuhl antwortete, lediglich auf einen Wunsch anderer Christen reagiert zu haben.
Die Situation der Lutheraner ist allerdings nicht mit jener der Anglikaner deckungsgleich. Es handelt sich um zwei getrennte Strömungen der Reformation, mit einem völlig unterschiedlichen historischen, geographischen und kulturellen Kontext. Kurienerzbischof Müller betonte daher, daß es in der anglikanischen Gemeinschaft immer eine starke Strömung gab, die dem katholischen Glauben nahestand.
Verblassende christliche Identität bei Anglikanern und Lutheranern läßt nach Rom drängen
Eine solche Strömung gebe es so bei den Lutheranern nicht. Das hindere aber nicht daran, daß Gruppen von Lutheranern zum katholischen Glauben konvertieren, so Müller. Die kanonische Lösung von Personalordinariaten würde es auch ihnen wie bereits den Anglikanern erlauben, einige, im Lauf der Jahrhunderte entstandene legitime Traditionen zu bewahren.
Der Glaubenspräfekt bestätigte, daß es in seiner Heimat Deutschland in einem Teil der Lutheraner den Wunsch gebe, in die Einheit mit Rom zurückzukehren. Sie würden die von Luther geforderten Reformen durch das Zweite Vatikanische Konzil in der Kirche verwirklicht sehen, weshalb die Spaltung überwunden werden könnte. Gedrängt werden sie dazu, weil sie sich in den lutherischen Landeskirchen immer heimatloser fühlen. Ein katholisches Personalordinariat würde zudem Spannungen in gemischtkonfessionellen Familien beseitigen.
Reformationsjubiläum sollte katholische Kirche unter Druck setzen – Es kam anders
Der katholische Vorstoß irritiert den Lutherischen Weltbund und die lutherischen Landeskirchen vor allem in Deutschland, dem Kernland der lutherischen Reformation, da sich die Lutheraner auf die 500-Jahr-Feier der Reformation im Jahr 2017 vorbereiten. Von lutherischer Seite, zuletzt am lautesten von der ehemaligen EKD-Vorsitzenden Margot Käßmann wird seit längerem versucht, Druck auf die katholische Kirche auszuüben, mit Blick auf dieses Datum eine besondere Geste zu setzen. Gewünscht wäre eine Rehabilitierung Martin Luthers durch die katholische Kirche.
Die katholische Antwort sieht jedoch ganz anders aus und bringt die lutherische Seite in Verlegenheit und unter Zugzwang. Andernfalls ließe sich nicht erklären, weshalb Weltbund-Generalsekretär Junge so in „großer Sorge“ ist wegen Erzbischof Müllers Anregung, wenn es angeblich nur eine winzige Gruppe von Lutheranern gäbe, die vielleicht zu Rom zurückwollten.
Text: Giuseppe Nardi