
(Rom) Zwischen dem Vatikan und der Volksrepublik China scheint sich etwas zu bewegen. Der ehemalige Bischof von Hong Kong, Kardinal Joseph Zen, ist wenig erfreut über die jüngsten Annäherungsversuche. In mehreren Stellungnahmen warnte er vor einer Nachgiebigkeit gegenüber den kommunistischen Machthabern. Sie werde die romtreue Untergrundkirche schädigen, wie er in einem am 4. August veröffentlichten Aufsatz ausführte.
Sein Nachfolger, John Kardinal Tong Hon, veröffentlichte am selben Tag einen Aufsatz. Er äußerte sich zurückhaltender und war bemüht, die Linie des Vatikans gutzuheißen. Dagegen zeigte Kardinal Zen eine Reihe von Zweideutigkeiten in den offiziellen Gesprächen zwischen Rom und Peking auf und spricht von besorgniserregenden Signalen. Kardinal Zen hatte die Untergrundkatholiken im Sommer aufgefordert, standhaft zu bleiben und den Sirenengesängen des Regimes nicht nachzugeben, auch nicht für den Fall, daß Rom sie gutheißen sollte. Die Verweigerung aus Gewissensgründen stehe höher als die sich abzeichnende Einigung zwischen dem Heiligen Stuhl und der Kommunistischen Partei Chinas.
Das blieb in Rom nicht unbemerkt und brachte ihm eine indirekte Schelte als „Papst-Kritiker“ ein, der sich den päpstlichen Bemühungen entgegenstelle. Unter anderem wurde dem Kardinal zum Vorwurf gemacht, Priester und Katholiken aufgerufen zu haben, unter „absolut keinen Umständen“ der regimehörigen Christlichen Katholisch-Patriotischen Vereinigung beizutreten. Kardinal Zen drängte auch in den jüngsten Wortmeldungen darauf, lieber auf offizielle diplomatische Beziehungen zwischen Rom und Peking zu verzichten, als direkt oder indirekt anzuerkennen, was nicht anerkannt werden könne, und die wirklich treuen Katholiken zu opfern, die unter größter Mühsal ausharren.
Der Kardinal aus dem Salesianerorden, der von 2002–2009 Bischof von Hong Kong war, gilt als „Stimme der verfolgten Kirche“. Der Bischof von Hong Kong repräsentiert, aufgrund des Sonderstatus der Stadt, den einzigen freien Teil der katholischen Kirche im kommunistischen China. Bestens informiert über die Lage in der Volksrepublik, warnte er vor einer neuen „Ostpolitik“ des Vatikans.
Die vatikanischen „Ostpolitik“ Casarolis
Genau diese sieht er in den jüngsten Bestrebungen und Worten von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin heraufziehen. Architekt der vatikanischen „Ostpolitik“ in den 1960er und 1970er Jahren war der spätere Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli in seiner Funktion als Untersekretär und dann als Sekretär der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten, die 1989 von Johannes Paul II. abgeschafft und als Abteilung in das Staatssekretariat eingegliedert wurde. Casaroli war zudem Vorsitzender der vatikanischen Rußland-Kommission. Und um Rußland ging es, das damals offiziell Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) hieß.
Nach den angespannten 50er und frühen 60er Jahre, für die symbolisch die Gestalt des Primas von Ungarn, Kardinal Joseph Mindszenty und das Martyrium zahlreicher Kirchenvertreter stehen, wurde ein „Entspannungskurs“ eingeschlagen. Einen Höhepunkt fand er im Abkommen von Metz, auch als Vatikan-Moskau Vertrag bekannt. Darin erklärte sich der Vatikan bereit, auf eine öffentliche Verurteilung des Kommunismus zu verzichten. Damit sollte die Anwesenheit einer Delegation der russisch-orthodoxen Kirche, die damals in hohem Maße vom KGB unterwandert und vom kommunistischen Regime gelenkt wurde, beim Zweiten Vatikanischen Konzil sichergestellt werden.
Kritiker des neuen Kurses warfen Casaroli einen nachgiebige Anbiederung ohne wirklich erkennbaren Nutzen an die blutroten Machthaber in Moskau vor. Die unzähligen Märtyrer, die den kommunistischen Schergen zum Opfer gefallen waren, wurden damals offiziell „vergessen“, Kardinal Mindszenty aufgefordert, seinen Widerstand aufzugeben.
Kardinalstaatssekretär Parolin und die „neue Ostpolitik“
Ähnliches sehen besorgte chinesische Katholiken durch Aussagen von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin auf sie zukommen. Bereits im September 2013 hatte Parolin, damals noch Nuntius in Venezuela, aber schon an die Spitze der Römischen Kurie ernannt, in einem Gespräch mit der venezolanischen Zeitung Diario Catolico davon gesprochen, daß die „Ostpolitik“ von Kardinal Casaroli „neu erfunden“ werden müsse. Die Volksrepublik China erwähnte er zwar nicht namentlich. Beobachter sahen darin aber die Ankündigung, gegenüber Peking zu wiederholen, was einige Jahrzehnte zuvor gegenüber Moskau versucht worden war.
Ende August kam nun Kardinalstaatssekretär Parolin gleich dreimal auf China zu sprechen. Den Auftakt machte er am 24. August in der katholischen Tageszeitung Avvenire, am 27. August folgte der spanische Diario Castellanos und am selben Tag die italienischen Presseagentur ANSA. Auffällig war dabei, daß Parolin keinen Unterschied zwischen der romtreuen Untergrundkirche und der regimehörigen Patriotischen Vereinigung machte. Er stellte damit zwei ganz unterschiedliche Realitäten auf dieselbe Stufe, obwohl Papst Benedikt XVI. die Patriotische Vereinigung ausdrücklich verurteilt hatte.
Das Schreiben an die chinesischen Katholiken, mit dem Benedikt eine „Unvereinbarkeit“ proklamiert hatte, wurde von Papst Franziskus grundsätzlich bestätigt, doch scheint es in den „Details“ erhebliche Verständnisunterschiede zu geben. Eine Annäherung zwischen Vatikan und Peking sei „positiv für die Katholiken und für den Weltfrieden“, so Parolin. Chinas Untergrundkatholiken sehen das anders. Die „neuen Beziehungen“ brachten für sie ein Anziehen der Daumenschraube.
Die Regierung in Peking verlangt, daß sich alle katholischen Priester bis Ende des Jahres registrieren lassen. Sie brauchen eine neue „Genehmigung“, um ihr Amt ausüben zu dürfen. Die Abwicklung der Registrierung und die Ausstellung der „Genehmigung“ erfolgt durch die Patriotische Vereinigung. Die Regierung will absolute Kontrolle und die Monopolstellung der Patriotischen Vereinigung, als „offizielle“ katholische Kirche, durchsetzen. Mit der Registrierung ist faktisch die Zwangsmitgliedschaft in der Patriotischen Vereinigung verbunden. Die „Genehmigung“ erhält nur, wer registriert und Mitglied der kommunistisch kontrollierten, katholischen Vereinigung ist, mit der die Kommunistische Partei, nach einer langen und harten Verfolgungsperiode, seit 1957 die katholische Kirche zu spalten und zu kontrollieren versucht.
Benedikts Verurteilung – Franziskus‘ Schweigen
Papst Benedikt XVI. hatte die Patriotische Vereinigung verurteilt und als „unvereinbar“ mit der katholischen Kirche bezeichnet. Die Haltung des Pekinger Regimes, der Patriotischen Vereinigung eine vorrangige Stellung einzuräumen, stellt daher für sich bereits einen Affront gegen die Kirche dar. Im Rahmen der „neuen Ostpolitik“ scheint man dies im Vatikan aber zu überhören.
Viele Priester sind besorgt. Betroffen sind nicht nur die Untergrundpriester, von denen viele entschlossen sind, sich nicht registrieren zu lassen. Betroffen sind auch die „offiziellen“ Priester, die aber in der Einheit mit Rom stehen oder diese suchen. Eine Registrierung durch eine von der Kirche verurteilte Organisation stürzt auch sie in ein großes Dilemma.
Die Registrierungskampagne wurde von der Regierung am vergangenen 13. Februar gestartet. Nur eine Woche zuvor hatte Papst Franziskus dem Pekinger Regime in einem Interview mit der regimenahen Zeitung Asia Times geschmeichelt. Das Schicksal der seit bald 70 Jahren verfolgten Kirche wurde vom ihm mit keinem Wort erwähnt. Der wenige Tage später erfolgte Startschuß zur Regierungskampagne, hat den bitteren Beigeschmack, als habe das Regime die Papst-Worte als „grünes Licht“ verstanden.
In den offiziellen Gesprächen zwischen Vatikan und Peking wurde die Frage bisher ausgeklammert, offenbar um den „Dialog“ nicht zu belasten. Zahlreiche Untergrundpriester scharen sich um Kardinal Zen. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie die Sorge plagt, von Rom im Stich gelassen zu werden.
Regierungssprecherin „Beide Seiten halten“ Dialog „frei von Hindernissen“

Am 29. August wurde die Pekinger Regierungssprecherin Hua Chunying auf einer Pressekonferenz auf die jüngsten Aussagen von Kardinalstaatssekretär Parolin und die chinesisch-vatikanischen Beziehungen angesprochen.
Sie sagte wörtlich:
„China hat sich immer ehrlich um eine Verbesserung der Beziehungen mit dem Vatikan bemüht und sich unermüdlich dafür eingesetzt. Aktuell ist der Kanal des Kontaktes und des Dialogs zwischen beiden Seiten effizient und frei von Hindernissen. Wir sind bereit, zusammen mit dem Vatikan, an einem konstruktiven Dialog zu arbeiten, in dieselbe Richtung zu marschieren und neue Fortschritte im Prozeß einer Verbesserung der bilateralen Beziehungen zu fördern.“
Auf Nachfrage eines Journalisten, ob es den solche „Fortschritte“ bereits gebe, wiederholte Hua Chunying:
„Wie bereits gesagt, halten beide Seiten den Kommunikationskanal effizient und frei von Hindernissen. Wir sind bereit, zusammen mit dem Vatikan für eine konstanten Fortschritt im Prozeß der Verbesserungen der bilateralen Beziehungen zu arbeiten, in Übereinstimmung mit den entsprechenden Grundsätzen.
Die Worte „beide Seiten“ halten „den Kommunikationskanal frei von Hindernissen“ waren nicht dazu angetan, die ernsten Sorgen von Kardinal Zen und der Untergrundkatholiken zu beruhigen. Der Vatikanist Sandro Magister schrieb heute von einem „Frühling“ in den diplomatischen Beziehungen zwischen dem Vatikan und Peking, aber einem „Winter“ für die Kirche in China.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: AsiaNews