(Rom) Das politische und wirtschaftliche Diskussionsthema ist derzeit der Brexit. Auch Papst Franziskus nahm auf dem Rückflug aus Armenien dazu Stellung.
Die Mehrheit des britischen Wahlvolkes stimmte am vergangenen Donnerstag für den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union (EU). Ein Ergebnis, das sich die meisten großen Medien auf dem Kontinent nicht erwartet hatten, waren sie doch bis zum Wahltag mit dem Werben für den Verbleib in der EU beschäftigt.
Die katholische Kirche hielt sich im Vorfeld der Volksabstimmung auffällig zurück. Lediglich einige Bischöfe des deutschen Sprachraumes fühlten sich berufen, hörbar die Werbetrommel für den Verbleib in der EU zu rühren, allen voran Münchens Erzbischof, Reinhard Kardinal Marx, in seiner Doppelfunktion als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE).
Auf Nachfragen wurde auf die Ansprache von Papst Franziskus vor dem Europäischen Parlaments am 25. November 2014 und besonders auf die Dankesrede zur Verleihung des Karlspreises am vergangenen 6. Mai verwiesen.
Papst Franziskus: „In der EU stimmt etwas nicht“
Erst auf dem Rückflug aus Armenien nahm Papst Franziskus bei der improvisierten, aber schon traditionellen fliegenden Pressekonferenz dazu Stellung. Dabei differenzierte das katholische Kirchenoberhaupt: Es solle einerseits keine „Balkanisierung“ Europas geben, andererseits brauche es aber vor allem eine „neue Europäische Union“.
„Etwas stimmt nicht in der Europäischen Union“, griff der Papst eine verbreitete Mißstimmung auf und zeigte sich dabei im Vergleich und im Gegensatz zu den EU-Eliten erstaunlich kritisch.
Die Einheit stehe für ihn immer über dem Konflikt. „Es gibt aber verschiedene Arten des Zusammenseins.“ Es gebe etwas, was in dieser EU nicht funktioniere, weshalb es „Kreativität“ und „Fruchtbarkeit“ brauche. „Es braucht eine neue Union.“ Der Hinweise auf die „Fruchtbarkeit“ könnte eine Anspielung auf die Rede vom „alten Europa“ sein, das zum Greis geworden sei.
Der Zusammenhang zwischen den Unabhängigkeitsbestrebungen Schottlands und Kataloniens und einer „Balkanisierung“ wirkt zwar wie ein künstlich konstruierter Gegensatz, um die eigentliche Aussage treffen zu können, und um die geht es Franziskus in der Beantwortung: die Forderung nach einer anderen, einer „neuen EU“.
Der Papst wurde gefragt, ob er die Sorge habe, daß der Brexit „zur Auflösung Europas und auch zum Krieg führen könnte“. Korrekterweise hätte die Frage lauten müssen, ob der Brexit zur „Auflösung der EU“ führen könnte. Die EU ist eine Institution, Europa ein Kontinent. Es war allerdings kein Versprecher, sondern eine bewußte Sprachregelung, der EU-Befürworter. Bereits vor der Volksabstimmung, und nicht minder seither, werden die Begriffe „Europa“ und „EU“ mit konsequenter Absicht durcheinandergebracht. Wenn die EU gemeint ist, wird Europa gesagt und geschrieben. Diese intellektuelle Unredlichkeit ist um so bemerkenswerter angesichts von Größe und Alter Europas. Während die EU nur knapp 40 Prozent der Fläche und 70 Prozent der Bevölkerung Europas umfaßt, ist sie gerade einmal sieben Jahre alt. Sie wurde im Lissabon-Vertrag von 2007 grundgelegt, der 2009 in Kraft trat.
„Es braucht eine gesunde ‚Uneinigkeit‘: mehr Unabhängigkeit und mehr Freiheit für die EU-Mitgliedsländer“
Wörtlich sagte das Kirchenoberhaupt auf die Frage:
„Der Krieg herrscht bereits in Europa. Zudem liegt ein Teilungsklima in der Luft, nicht nur in Europa. Erinnern Sie sich an Katalonien, im vergangenen Jahr an Schottland … Ich sage nicht, daß diese Teilungen gefährlich sind, aber man muß sie genau studieren, und bevor man einen Schritt in Richtung Teilung setzt, muß man reden und gangbare Lösungen suchen. Ich habe nicht die Gründe studiert, weshalb das Vereinigte Königreich diese Entscheidungen getroffen hat. Es gibt Entscheidungen, die man trifft, um sich zu emanzipieren: zum Beispiel alle unsere lateinamerikanischen Länder, oder die afrikanischen, haben sich von den Kolonien emanzipiert. Das ist verständlicher, weil dahinter eine Kultur steht, eine Art zu Denken. Die Sezession von einem Land, denken wir an Schottland, ist eine Sache, der die Politiker, ohne den Balkan beleidigen zu wollen, einen Namen geben: ‚Balkanisierung‘. Für mich steht die Einheit immer höher als der Konflikt, aber es gibt verschiedene Formen der Einheit. Die Brüderlichkeit ist besser als die Distanz. Die Brücken sind besser als die Mauern. Das alles muß uns nachdenken lassen: Ein Land kann sagen, ich bin in der Europäischen Union, ich will bestimmte Dinge haben, die meine Kultur sind. Den Schritt, den die EU setzen muß, um die Kraft ihrer Wurzeln wiederzufinden, ist ein Schritt der Kreativität und auch der gesunden ‚Uneinigkeit‘, das heißt, den Ländern der Union mehr Unabhängigkeit und mehr Freiheit zu geben, an eine andere Form der Union zu denken. Man muß am Arbeitsplatz und in der Wirtschaft kreativ sein: In Italien haben 40 Prozent der unter 25-Jährigen keine Arbeit. Etwas funktioniert nicht in dieser massiven Union, aber schütten wir das Kind nicht mit dem Bad aus, und versuchen wir neu zu gründen. Kreativität und Fruchtbarkeit sind die beiden Schlüsselworte für die Europäische Union.“
Text: Andreas Becker
Bild: FGQ (Screenshot)