(Karaganda) In der Kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik befand sich eines der größten und brutalsten Konzentrationslager der Sowjetunion. Die junge Amerikanerin Jackie Burns, Studentin der Kommunikationswissenschaften von der Northwestern University von Illinois erforschte jüngst die Tragödie dieses Lagers. Sie suchte nach Überlebenden des KARlag. Deren Berichte zeichnete sie auf. Darunter befanden sich zahlreiche, die wegen ihres Glaubens inhaftiert waren und im KARlag gefoltert wurden. Diese Zeugen des Glaubens geben heute auch Zeugnis für die vielen, die im KARlag ums Leben kamen. Den Opfer des Lagers ist die neue Kathedrale von Karaganda gewidmet, die am Sonntag, den 9. September durch den ehemaligen Kardinalstaatssekretär Angelo Kardinal Sodano geweiht wird, den Papst Benedikt XVI. dafür als seinen Delegaten beauftragte.
Im Gegensatz zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern sind die kommunistischen Konzentrationslager zwar auch erforscht, finden aber in der Öffentlichkeit kaum Aufmerksamkeit. Die Stadt Karaganda entstand als Siedlung zwar bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, die heutige Stadt wäre jedoch ohne die Lagergefangenen nicht zu denken. Karaganda mit heute fast einer halben Million Einwohnern ist gewissermaßen aus dem immensen Lagerkomplex des KARlag entstanden. Alexander Solschenizyn bezeichnete Karaganda als „die größte Provinzhauptstadt des Archipel Gulag“. Im Sonderlager Nr. 8 des Karaganda-Lagerkomplexes war der russische Schriftsteller selbst inhaftiert. „Die Erde von Karaganda ist getränkt vom Blut und den Tränen von Millionen Opfern aus 50 Nationen, die dorthin verschleppt wurden“, wie der rußlanddeutsche Athanasius Schneider, bis 2011 Weihbischof von Karaganda, seither von Astana in Kasachstan in einem Interview mit K‑TV sagte.
Das Lager Karaganda wurde 1930 von der GPU, dem Nachfolger der Tscheka errichtet. Ausgesucht hatte die Geheimpolizei des sowjetischen Staatsterrors eine weit von Europa abgelegene, unwirtliche Gegend in der zentralasiatischen Steppe. Das erst ein Jahrzehnt später errichtete KZ Auschwitz ähnelt in seiner Entstehungsphase verblüffend dem stalinistischen Vorläuferprojekt Gulag Karaganda. Beide entstanden als landwirtschaftliche Versuchsgelände der Sowchose „Gigant“ . Mit dem Befehl 527/285 der GPU vom 17. September 1931 wurde die „Sowchose“ offiziell in ein Konzentrationslager umgewandelt. Der riesige Lagerkomplex im engsten Sinn umfaßte eine Fläche von 1780 Hektar. Das militärische Sperrgebiet, das direkt der Lagerverwaltung und damit der sowjetischen Staatssicherheit unterstand, hatte fast die Größe Frankreichs. Die direkt vom Lager genutzte landwirtschaftliche Nutzfläche betrug mehr als 20.000 km2. 1934 wurde die Staatssicherheit in NKWD umbenannt, und schließlich nach weiteren Umbenennung 1954 als KGB bezeichnet.
Wie viele Häftlinge bis zur Auflassung des Lagers im Jahr 1960 im Lager eingesperrt waren und wie viele dabei ums Leben kamen ist nicht genau bekannt. Das Lager hatte mit 30 Jahren eine Bestandszeit, die ein Vielfaches der nationalsozialistischen KZ im Osten umfaßte. Einzelne Zahlenfragmente aus dieser langen Zeit lassen bestenfalls erahnen, wie viele Schicksale, Tod und Leiden damit verbunden sind. Ende der 1940er Jahre werden in einer Liste als Höchststand 66.000 Gefangene ausgewiesen. Hinzu kamen die Deportierten, die ethnischen Gruppen angehörten, die vom KP-Regime als „unzuverlässig“ eingestuft und kollektiv verschleppt worden waren, darunter eine Million Rußlanddeutsche, Tataren, Tschetschenen und andere Völker. Viele von ihnen wurden in das GPU-Sperrgebiet von Kasachstan gebracht. Bis 1949 bestand im KARlag ein eigenes Kriegsgefangenenlager für deutsche Soldaten des Zweiten Weltkrieges.
Die Inhaftierten waren als „konterrevolutionäre“, als „sozial-gefährliche“, als „sozial-schädliche“ Elemente verurteilt worden. Die Gefangenen und Deportierten mußten für die Lagerverwaltung Arbeitsdienst leisten und für den Sowjetstaat in der Landwirtschaft, in der Industrieproduktion, in Glaswerken, in der Zucker- und Dörrgemüseherstellung, in Bergwerken und Kalksteinbrüchen arbeiten. Sie lebten in einem rechtsfreien Raum als Freiwild. Die Menschen wurden zum Teil schutzlos in der Steppe ausgesetzt und hatten selbst für ihre Unterkunft und ihre Ernährung zu sorgen. Entsprechend hoch war die Todesrate.
Nach der Oktoberrevolution war zwischen 1921 und 1935 die Struktur der katholischen Kirche in der Sowjetunion vollständig zerschlagen. Offiziell existierte die Kirche nicht mehr. Die nicht sofort ermordeten Priester wurden vor allem im KARlag in Zentralasien inhaftiert.
Jackie Burns, die Tochter amerikanischer christlicher Missionare, die nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems nach Zentralasien gingen, um am moralischen Wiederaufbau mitzuwirken, war gerade drei Jahre alt, als sie 1993 mit ihrer Familie nach Almaty in Kasachstan kam. In die USA zurückgekehrt, mußte Burns feststellen, wie wenig die Menschen über die unmenschliche Hölle des kommunistischen KZ-Systems wissen. Nach ihrem ersten Studium entschloß sie sich, nach Kasachstan zurückzukehren, um nach Überlebenden des Gulag zu suchen und deren Lebensberichte aufzuzeichnen, wofür ihr ein Forschungsstipendium der Universität gewährt wurde. Die Zusammenkunft mit den ehemaligen Lagerinsassen und ihre Erzählungen „waren viel emotionaler, als ich zunächst gedacht hatte“, so Burns, die fließend Russisch spricht. „Es gibt viel Schmerz, an dem ich durch die Interviews gerührt habe.“ Aus ihren historischen Forschungen und Kontakten vor Ort gestaltete Burns unter dem Projektnamen „Remembering the Gulag“ eine Radiosendung und einen Dokumentarfilm, der im Dezember 2011 in den USA ausgestrahlt wurde. Burns arbeitet derzeit an ihrer Abschlußarbeit an der Northwestern Universität.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Religion en Libertad