Obamas Gesundheitsreform vor dem Obersten Gerichtshof – Was wird aus Gewissensfreiheit?


(Washing­ton) Die von US-Prä­si­dent Barack Oba­ma am 23. März 2010 unter­schrie­be­ne Gesund­heits­re­form wird seit gestern, 26. März 2012 vom Ober­sten Gerichts­hof geprüft. Nach­dem die Reform von einer brei­ten Mehr­heit des Abge­ord­ne­ten­hau­ses abge­lehnt, aber im Febru­ar 2011 vom Senat mit knap­per Mehr­heit ange­nom­men wur­de, wird nun geprüft, ob die Oba­mac­a­re ver­fas­sungs­kon­form ist. Auf­ga­be des Ober­sten Gerichts­hofs ist es, über die Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit der vom Par­la­ment beschlos­se­nen und vom Prä­si­den­ten unter­zeich­ne­ten Geset­ze zu wachen. Was aller­dings zahl­rei­che Fäl­le von Miß­brauch der rich­ter­li­chen Inter­pre­ta­ti­ons­frei­heit nicht ver­hin­der­te. Zu die­sen gehört auch das Urteil vom Janu­ar 1973 im Fall Roe gegen Wade, mit dem der Ober­ste Gerichts­hof mit gesell­schafts­po­li­ti­schem Akti­vis­mus allen 50 Bun­des­staa­ten die Abtrei­bungs­frei­ga­be auf­zwang, obwohl es dafür kei­ne recht­li­che Grund­la­ge gab.

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Höchst­rich­ter als Garan­ten oder gesell­schafts­po­li­ti­sche Aktivisten?

Ohne die, wenn auch nicht immer dem Buch­sta­ben des Geset­zes ent­spre­chend erfüll­te Über­wa­chungs­auf­ga­be durch die neun Höchst­rich­ter wür­de sich auch in den USA die Demo­kra­tie inner­halb kür­ze­ster Zeit zu einer Herr­schaft des Stär­ke­ren ver­kom­men. Der Gerichts­hof aber wacht und bestä­tigt oder ver­wirft die Geset­ze des Par­la­ments und garan­tiert so die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Ordnung.

Die Oba­mac­a­re sieht vor, daß inner­halb 2014 alle Staats­bür­ger eine Gesund­heits­ver­si­che­rung abschlie­ßen müs­sen. Dabei dür­fen sie nur zwi­schen den von der Regie­rung beschlos­se­nen Ver­si­che­run­gen aus­wäh­len. Dem Par­la­ment wird dabei die Macht gege­ben, die Bür­ger zu besteu­ern, um die finan­zi­el­le Abdeckung der Maß­nah­me sicher­zu­stel­len, aber auch um jenen, die der Bestim­mung nicht fol­gen, saf­ti­ge Stra­fen aufzuerlegen.

Grund­sätz­li­che Fra­gen zur Zustän­dig­keit des Par­la­ments zu klären

Die Höchst­rich­ter müs­sen nun die Fra­ge klä­ren, ob die­se Rege­lung mit der Ver­fas­sung in Ein­klang ist, die ein­deu­tig die Gewal­ten­tei­lung und damit auch die Zustän­dig­kei­ten des Par­la­ments defi­niert. Dem Bun­des­par­la­ment steht laut Ver­fas­sung eine Steu­er­ho­heit nur soweit zu, als damit die Han­dels­frei­heit im gesam­ten Bun­des­ge­biet sicher­ge­stellt wird. Die Ame­ri­ka­ner wol­len daher vom Ober­sten Gerichts­hof wis­sen, ob es ver­fas­sungs­kon­form ist, daß der Bun­des­staat sei­nen Bür­gern, Pri­va­ten also, durch den Abschluß von Ver­si­che­rungs­po­li­cen zum Abschluß von Pri­vat­ver­trä­gen zwin­gen kann, des­sen Kosten sie zudem selbst tra­gen müs­sen. Mit ande­ren Wor­ten, ob der Staat vom Schieds­rich­ter selbst zum Spie­ler wer­den kann.

Außer­halb der USA mag die Fra­ge­stel­lung ver­wun­dern. In Euro­pa sind sol­che Ein­grif­fe durch den Staat selbst­ver­ständ­lich. In den USA geht es jedoch um eine Grund­satz­fra­ge. Ein­mal um die Fra­ge der Gesund­heits­ver­si­che­rung und einen Zwang dazu. Dar­über hin­aus aber um eine grund­sätz­li­che Fra­ge, bis wohin das Bun­des­recht und damit die Zustän­dig­kei­ten von Prä­si­dent und Par­la­ment rei­chen. Es geht um die Fra­ge, wel­che Rol­le einem wirk­lich gerech­ten Staat in der poli­ti­schen Gestal­tung einer frei­en Gesell­schaft zukommt.

Urteil könn­te sich wegen poli­ti­scher Impli­ka­tio­nen verzögern

Ein Urteil des Höchst­ge­richts könn­te sich wegen der damit ver­bun­de­nen poli­ti­schen Fra­gen hin­zie­hen. Eine Ver­wer­fung der Oba­mac­a­re wäre ein Mühl­stein um den Hals des amtie­ren­den und im Novem­ber sich um eine zwei­te Amts­zeit bewer­ben­den Prä­si­den­ten. Wür­de die Gesund­heits­re­form bestä­tigt, wäre das ein Schlag für die poli­ti­schen Geg­ner des Prä­si­den­ten und der Reform, von dem sie sich nicht so schnell wie­der erho­len wür­den, jeden­falls nicht bis zu den Prä­si­dent­schafts­wah­len im Herbst 2012.

So rich­ten sich die Augen aller Ame­ri­ka­ner auf das Höchst­ge­richt, wobei sie sich im Ver­lauf des 20. Jahr­hun­derts dar­an gewöh­nen muß­ten, daß die neun auf Lebens­zeit ernann­ten Rich­ter nicht nur und aus­schließ­lich ihrer ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Pflicht als Ver­fas­sungs­wäch­ter nach­kom­men, son­dern zu oft selbst in den poli­tisch-ideo­lo­gi­schen Ring hin­ab­ge­stie­gen sind. Mit Nach­druck und nicht immer erhoff­ter For­tü­ne ver­su­chen amtie­ren­de Staats­prä­si­den­ten ihnen nahe­ste­hen­de Rich­ter am Ober­sten Gerichts­hof zu instal­lie­ren. Das Ernen­nungs­ver­fah­ren ist jedoch kom­pli­ziert und an so vie­le Vor­be­din­gun­gen geknüpft, daß der prä­si­dia­le Erfolg begrenzt bleibt. Die neun Rich­ter wer­den de fac­to auf Lebens­zeit beru­fen. Der­zeit sind sechs von ihnen­Ka­tho­li­ken (ernannt von den Prä­si­den­ten Reagen, Bush sen. und Bush jun.), drei Juden (ernannt von Clin­ton und Oba­ma). Fünf Rich­ter wur­den von repu­bli­ka­ni­schen Prä­si­den­ten ernannt, vier von demo­kra­ti­schen, was aller­dings noch nicht zwin­gend etwas über das Stimm­ver­hal­ten im Rich­ter­kol­le­gi­um aus­sagt, da es neben den ein­deu­ti­ger rech­ten oder lin­ken Posi­tio­nen zunei­gen­den Rich­tern, „Wech­sel­wäh­ler“ gibt.

Denk­schu­le wider den posi­ti­vi­sti­schen Richteraktivismus

In den USA ent­stand im vori­gen Jahr­hun­dert eine eige­ne Denk­rich­tung und kul­tu­rel­le Bewe­gung, die sich mit der Rol­le des Höchst­ge­richts und den Pflich­ten, Mög­lich­kei­ten und Gren­zen des Schut­zes der Ver­fas­sung vor posi­ti­vi­sti­schem Rich­ter­ak­ti­vis­mus befas­sen. Eine kon­ser­va­ti­ve Denk­schu­le, kon­ser­va­tiv auf juri­sti­sche und kul­tu­rel­le Fra­gen bezo­gen, die beacht­li­ches Gewicht errin­gen konn­te, nicht zuletzt auch inner­halb des Ober­sten Gerichts­hofs. Sie wird unter ande­rem von Ste­ven M. Tales: The Rise of the Con­ser­va­ti­ve Legal Move­ment: The Batt­le for Con­trol of the Law, Prin­ce­ton Uni­ver­si­ty Press, Prin­ce­ton [New Jer­sey] 2008 oder Ste­ven G. Cala­bre­si (Hg.): Ori­gi­na­lism: A Quar­ter-Cen­tu­ry of Deba­te, mit einem Vor­wort des Höchst­rich­ters Anto­nin G. Sca­lia, Reg­nery, Washing­ton 2007 dargestellt.

Oba­mas Gesund­heits­re­form neu­er Schlag gegen Lebens­recht und Atten­tat auf die Gewis­sens- und Religionsfreiheit

Mit der gan­zen Fra­ge, die nun auf dem Tisch der Höchst­rich­ter in Washing­ton liegt, hängt auch die Gebur­ten­kon­trol­le zusam­men. Die Regie­rung Oba­ma ver­sucht mit der Gesund­heits­re­form einen wei­te­ren Schlag gegen das Lebens­recht, aber auch gegen die Gewis­sens- und Ent­schei­dungs­frei­heit. Die Bür­ger sol­len nicht nur gezwun­gen wer­den, eine Gesund­heits­ver­si­che­rung abzu­schlie­ßen. Sie sol­len auch gezwun­gen wer­den, sie nur aus einer von der Regie­rung beschlos­se­nen Liste tun zu kön­nen. In die Liste kom­men nur sol­che Ver­si­che­rungs­po­li­cen, die als Gesund­heits­dienst­lei­stun­gen auch die Tötung unge­bo­re­ner Kin­der, die Ste­ri­li­sie­rung und den frei­en Zugang zu Ver­hü­tungs­mit­tel aller Art, auch jenen mit direkt oder indi­rekt abtrei­ben­der Wir­kung finanzieren.

Wur­de mit dem Urteil Roe gegen Wade abtrei­bungs­ent­schlos­se­nen Frau­en die Mög­lich­keit ein­ge­räumt, ihr eige­nes Kind töten zu las­sen, so sol­len nun alle Bür­ger, aus­nahms­los, auch jene, die aus guten Gewis­sens­grün­den die Tötung unge­bo­re­nen Lebens ableh­nen, in den Abtrei­bungs­sumpf einer Kul­tur des Todes hin­ein­ge­zwun­gen werden.

Jeder soll vom Staat zur Aner­ken­nung und Finan­zie­rung des hero­dia­ni­schen Kin­der­mor­des gezwun­gen werden

Seit Mona­ten bestimmt die Fra­ge einen guten Teil der öffent­li­chen Debat­te in den USA. Sie erklärt die ent­schie­de­nen Mah­nun­gen von Papst Bene­dikt XVI., der bereits mehr­fach von einem bis­her unge­ahn­ten Angriff auf die Reli­gi­ons- und Gewis­sens­frei­heit sprach. Die katho­li­sche Kir­che, aber auch ande­re christ­li­che Gemein­schaf­ten und Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten ver­wei­gern dem staat­li­chen, aber auch poli­tisch-ideo­lo­gi­schen Dik­tat des amtie­ren­den Prä­si­den­ten ihre Zustim­mung. Sie sehen dar­in einen Angriff auf das erste aller Grund­rech­te, auf die Reli­gi­ons­frei­heit, die von der Ver­fas­sung der USA garan­tiert wird.

Pro­test gegen Gesund­heits­re­form ist star­ker Gegen­wind für Oba­mas Wiederwahl

Am 23. März, dem zwei­ten Jah­res­tag der Unter­zeich­nung der Oba­mac­a­re durch Prä­si­dent Barack Oba­ma und damit kurz vor Auf­nah­me des Ver­fah­rens vor dem Ober­sten Gerichts­ho­fes, pro­te­stier­ten Tau­sen­de Ame­ri­ka­ner in 140 Städ­ten mit Demon­stra­tio­nen gegen die Gesund­heits­re­form und die dar­in ent­hal­te­nen Zwangs­klau­seln. The Ral­ly for Reli­gous Free­dom, wie sich die lan­des­wei­ten Kund­ge­bun­gen nen­nen, wur­den von der Pro-Life Action League und den Citi­zens for a Pro-Life Socie­ty koor­di­niert. Der Pro­test hat alles von einer gro­ßen ame­ri­ka­ni­schen Wider­stands­be­we­gung an sich, die nicht nur ein Stroh­feu­er ist. Wenn bei Prä­si­dent­schafts­wah­len letzt­lich auch unzäh­li­ge und völ­lig unter­schied­li­che Kri­te­ri­en für die Wahl­ent­schei­dung aus­schlag­ge­bend sind, Prä­si­dent Oba­ma sieht sich mit dem Pro­test gegen sei­ne Gesund­heits­re­form der brei­te­sten geg­ne­ri­schen Front gegen­über. Sei­ne Wie­der­wahl hängt der­zeit weni­ger von sei­nen eige­nen Lei­stun­gen als viel­mehr von der Fähig­keit oder Unfä­hig­keit sei­ner gemäß ame­ri­ka­ni­schem poli­ti­schen System ein­zi­gen Her­aus­for­de­rer von der Repu­bli­ka­ni­schen Par­tei ab.

Text: BQ/​Giuseppe Nardi
Bild: catho​licvo​te​ac​tion​.org

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