Die koptischen Christen nach Shenouda – Rückzug oder Zeugnis?


(Kai­ro) Der ver­stor­be­ne Patri­arch von Alex­an­dri­en und Ober­haupt der kop­tisch-ortho­do­xen Kir­che, She­nou­da III. regier­te die kop­tisch-ortho­do­xe Kir­che für 40 Jah­re. In die­ser Zeit erleb­te die ägyp­ti­sche Kir­che ein Wachs­tum an Spi­ri­tua­li­tät, Beru­fun­gen und Got­tes­dienst­teil­neh­mern. Patri­arch She­nou­da III., der von den ortho­do­xen Kop­ten als Papst der Kathe­dra des hei­li­gen Mar­kus geehrt wird, war ein ägyp­ti­scher Patri­ot von anti-zio­ni­sti­scher Gesin­nung. Er scheu­te nicht den Kon­flikt mit dem frü­he­ren Staats­prä­si­den­ten Anwar as-Sadat, der ihn ein­sper­ren ließ. Mit des­sen Nach­fol­ger Hos­ni Muba­rak ging er ein Bünd­nis ein, um neue Kir­chen bau­en zu kön­nen. In einem mehr­heit­lich isla­mi­schen Land kei­ne Klei­nig­keit. Wie sieht die Zukunft der Kop­ten nach She­nou­das Tod aus? Ägyp­ten befin­det sich zwi­schen Mili­tär­dik­ta­tur und isla­mi­schem Fun­da­men­ta­lis­mus. Zwei Mühl­stei­ne, zwi­schen denen die Chri­sten auf­ge­rie­ben zu wer­den dro­hen. Die Mis­sio­nie­rung der Gesell­schaft und der Schutz der Frau­en stel­len vor­dring­li­che Her­aus­for­de­run­gen dar, wie der ägyp­ti­sche Jesu­it und Nah­ost-Exper­te, Pater Samir Kha­lil Samir in einer ersten Ana­ly­se betont.

Anzei­ge

She­nou­da III. wur­de am 3. August 1923 in Abnub in der ägyp­ti­schen Pro­vinz Asyut mit dem Namen Nazir Gay­ed Rafail gebo­ren. Er stu­dier­te bis 1949 Geschich­te und Archäo­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Kai­ro sowie Theo­lo­gie an der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der kop­tisch-ortho­do­xen Kir­che. Für eini­ge Jah­re war er im Schul­dienst tätig. 1954 wur­de er Mönch und trat in das Klo­ster Deir es-Suryan ein, das in der Wüste von Nitra etwa 120 Kilo­me­ter von Kai­ro auf dem Weg nach Alex­an­dria liegt. Das Klo­ster ist mit dem Klo­ster Deir Anba Bis­hoy ver­bun­den. Als Patri­arch wähl­te er alle Bischö­fe der ägyp­ti­schen Diö­ze­sen aus die­sen bei­den Klöstern.

1962 wur­de er vom 116. Patri­ar­chen Kirel­los VI. zum Bischof für Kir­chen­stu­di­en ernannt und nahm den Namen She­nou­da an. Am 14. Novem­ber 1971 erfolg­te schließ­lich sei­ne Wahl zum 116. Patri­ar­chen der kop­tisch-ortho­do­xen Kir­che. Das war ein Jahr nach dem Tod von Gam­al Abdel Nas­ser, dem Begrün­der des moder­nen ägyp­ti­schen Staates.

Die Patri­ar­chen der Kop­ten wie auch alle Bischö­fe sind Mön­che. Selbst wenn sie einen Lai­en zum Bischof bestim­men, muß er eini­ge Mona­te in einem Klo­ster leben, bevor er geweiht wird.

Die Zeit sei­nes Patri­ar­chats fällt mit den Amts­zei­ten von Sadat und Muba­rak als Staats­prä­si­den­ten zusam­men. In die­ser Zeit gab She­nou­da III. sei­ner Kir­che einen star­ken geist­li­chen Impuls. Haupt­in­stru­ment dafür waren wöchent­li­che Kate­che­sen, die er dem Papst in Rom gleich, übri­gens auch jeweils am Mitt­woch, hielt und wor­in er Fra­gen der Gläu­bi­gen beant­wor­te­te. Die Neue­rung fand gro­ßen Anklang, sodaß jede Woche meh­re­re Tau­send Men­schen dar­an teil­nah­men. Mit dem tech­ni­schen Fort­schritt wur­den die Kate­che­sen spä­ter auf­ge­zeich­net und als Video­kas­set­ten ver­brei­tet, zuletzt auch im Internet.

Der Patri­arch ver­faß­te min­de­stens 50 Bücher, in denen er zu allen wich­ti­gen reli­giö­sen Fra­gen Stel­lung nahm. Der kop­ti­schen Mönchs­tra­di­ti­on ent­spre­chend kann­te er die Hei­li­ge Schrift und die Über­lie­fe­rung fak­tisch aus­wen­dig. Häu­fig wuß­te er das Kapi­tel und sogar den genau­en Vers einer Bibel­stel­le zu nen­nen, auf die er ange­spro­chen wur­de. Er kann­te die geist­li­chen Schrif­ten und Hei­li­gen­vi­ten, auf die er aus­gie­big in sei­nen Pre­dig­ten und Kate­che­sen zurück­griff. Er war kein Theo­lo­ge im moder­nen Sinn, schenk­te sei­ner Kir­che jedoch rei­che spi­ri­tu­el­le Anstöße.

Die Erneue­rung der Diö­ze­sen war ihm ein Anlie­gen, indem er zahl­rei­che neue grün­de­te und die bestehen­den ver­klei­ner­te. Das erlaubt den Bischö­fen mehr all­täg­li­chen Kon­takt mit ihren Gläu­bi­gen zu haben und damit eine stär­ke­re pasto­ra­le Füh­rung ihrer Diö­ze­sen umzu­set­zen. Kri­ti­ker war­fen ihm vor, dies auch zu tun, um mehr sei­ner Gefolgs­leu­te ein­zu­set­zen und sich damit eine Mehr­heit in der kop­ti­schen Syn­ode zu sichern.

Sein Ruf war bereits als Bischof groß und wuchs noch wei­ter mit sei­ner Wahl zum Patri­ar­chen („Baba She­nou­da“). Sei­ne Kir­che regier­te er im besten Sinn des Wor­tes. Er nahm die Ent­schei­dungs­ge­walt, die ihm durch die apo­sto­li­sche Suk­zes­si­on über­tra­gen wor­den war, wört­lich. Eini­ge Lai­en nah­men ihm das übel.

Die Ordens­be­ru­fun­gen nah­men wäh­rend sei­ner Amts­zeit deut­lich zu, eben­so die Prie­ster­be­ru­fun­gen. Er ver­stärk­te die Stu­den­ten­seel­sor­ge, emp­fahl immer wie­der, daß jeder Jugend­li­che einen geist­li­chen Bei­stand haben und häu­fig das Sakra­ment der Beich­te nüt­zen soll­te. Mit der Stär­kung der Beich­te nahm auch die Zahl der Kom­mu­nion­emp­fän­ger zu: nach der Beich­te. Auf­tre­ten­de Kon­flik­te mit Lai­en oder Mit­brü­dern im Bischofs­amt konn­ten stets gelöst werden.

Bezie­hun­gen zu ande­ren Christen

Die Bezie­hun­gen zu ande­ren christ­li­chen Kir­chen und Gemein­schaf­ten waren pro­ble­ma­ti­scher. Pro­te­stan­ten gegen­über konn­te er nie eine beson­de­re Bezie­hun­gen auf­bau­en. „Wir müs­sen von den Pro­te­stan­ten ler­nen, die Bibel zu stu­die­ren“, doch von der Refor­ma­ti­on und deren Prä­mis­sen hielt er nicht viel, wes­halb es auch zu kei­nen For­men nen­nens­wer­ter Zusam­men­ar­beit kam. Mit den Katho­li­ken waren die Bezie­hun­gen besser.

1973 besuch­te er Papst Paul VI. und gemein­sam unter­zeich­ne­ten die bei­den “Päp­ste“ die erste offi­zi­el­le Ver­ein­ba­rung zwi­schen der katho­li­schen Kir­che und einer ortho­do­xen Kir­che. Man ver­ein­bar­te gegen­sei­tig, kei­nen Pro­se­ly­tis­mus zu betrei­ben. Der Vor­wurf der Pro­se­ly­ten­ma­che­rei wur­de oft von ortho­do­xen Kir­chen gegen die Katho­li­ken erho­ben. Bei umstrit­te­nen Fäl­len, so das Abkom­men, wür­de sich She­nou­da III. an Rom wen­den, mit dem die Lösung gefun­den werde.

Ein­mal droh­te ein ortho­do­xes Dorf bei Day­rut in Ober­ägyp­ten, rund 300 Kilo­me­ter süd­lich von Kai­ro, das seit Jah­ren vom zustän­di­gen ortho­do­xen Bischof ver­ges­sen wor­den war: „Wenn ihr nicht kommt, wer­den wir Mos­lems.“ Zuvor hat­ten sie jedoch bereits Kon­takt mit der katho­li­schen Kir­che des Nach­bar­or­tes auf­ge­nom­men und ange­fragt, ob sie katho­lisch wer­den könn­ten. Pfar­rer und Bischof der Diö­ze­se Asyut rie­ten davon ab und bestärk­ten sie, ortho­dox zu blei­ben. Als sich nichts ver­bes­ser­te, droh­ten sie erneut ihrer Kir­che, Mos­lems zu wer­den. Da gab der katho­li­sche Bischof nach und schick­te einen katho­li­schen Prie­ster in das Dorf. Die­ser Vor­fall führ­te aller­dings zu einer ernst­haf­ten Ver­stim­mung zwi­schen She­nou­da und Rom. Rom ver­mit­tel­te, wie im Abkom­men von 1973 ver­ein­bart, eine Lösung: die kop­tisch-ortho­do­xe Kir­che ver­pflich­te­te sich, inner­halb von sechs Mona­ten eine Lösung für das Dorf zu fin­den. Als die Frist ver­stri­chen und den­noch nichts gesche­hen war, tra­ten die Gläu­bi­gen, zumin­dest ein beträcht­li­cher Teil, zur mit Rom unier­ten kop­tisch-katho­li­schen Kir­che über. Von Pro­se­ly­ten­ma­che­rei konn­te kei­ne Rede sein. Es ging um die Sor­ge, die Seel­sor­ge die­ser Gläu­bi­gen zu sichern, die sonst Mos­lems gewor­den wären.

Die Bezie­hun­gen zwi­schen Katho­li­ken und Ortho­do­xen ver­schlech­ter­ten sich eini­ge Jahr nach She­nou­das Wahl zum Patri­ar­chen wegen der von ihm auf­er­leg­ten Richt­li­ni­en für gemischt­kon­fes­sio­nel­le Ehen. Im Nahen Osten sind Ehe­schlie­ßun­gen zwi­schen Katho­li­ken und Ortho­do­xen sehr häu­fig und stel­len für die Fami­li­en kei­ne Pro­ble­me dar, weil der Glau­be iden­tisch ist, wenn auch mit unter­schied­li­chen Riten und Tra­di­tio­nen. Es ist im gesam­ten Ori­ent Brauch, daß die Hoch­zeit in der Kir­che des Bräu­ti­gams statt­fin­det. Die Kin­der fol­gen der Tra­di­ti­on des Vaters. Es gibt aller­dings die Mög­lich­keit zu Ver­ein­ba­run­gen zwi­schen den Ehe­part­nern. Jeden­falls blei­ben die Ehe­part­ner auch nach der Ehe­schlie­ßung in ihrer jewei­li­gen Kon­fes­si­on. She­nou­da ent­schied jedoch, daß im Fal­le einer gemisch­ten Ehe der katho­li­sche Ehe­part­ner noch ein­mal in der kop­tisch-ortho­do­xen Kir­che getauft wer­den müs­se. Kon­kret bedeu­tet dies in den mei­sten Fäl­len die katho­li­sche Frau. Sei­ne Theo­lo­gen mach­ten ihn bald auf­merk­sam, daß die Über­lie­fe­rung der Kir­chen­vä­ter kei­ne zwei­te Tau­fe ken­ne. Den­noch behielt She­nou­da III. die­se im gesam­ten Chri­sten­tum unbe­kann­te, ja als Wider­spruch abge­lehn­te Neu­erfin­dung bei, bis heute.

In der Pra­xis folg­ten ihm sei­ne Prie­ster meist nicht dar­in. Was die Öku­me­ne anbe­langt, wur­den unter sei­nem Patri­ar­chat nicht gro­ße Fort­schrit­te Rich­tung Ein­heit von Katho­li­ken und Ortho­do­xen gemacht. 1984 kri­ti­sier­te er offen ein Abkom­men, das der syrisch-ortho­do­xe Patri­arch Zakkha Iwas mit Papst Johan­nes Paul II. unter­zeich­ne­te. Seit­her stu­die­ren zahl­rei­che syrisch-ortho­do­xe Prie­ster­amts­an­wär­ter und Prie­ster an katho­li­schen Hoch­schu­len und Seminaren.

She­nou­da hielt Zakkha vor allem vor, ihn nicht vor einem so weit­rei­chen­den Abkom­men kon­sul­tiert zu haben. Syrisch-Ortho­do­xe, Kop­ten und Arme­ni­er sind als pro-kal­ze­do­ni­sche Kir­che stark mit­ein­an­der ver­bun­den. Patri­arch Zakkha ant­wor­te­te, daß ihre Kir­chen wohl Schwe­stern sei­en, doch unab­hän­gig. Gleich­zei­tig erin­ner­te er She­nou­da dar­an, daß die­ser 1973 auch ein Abkom­men mit Rom unter­zeich­net hat­te, ohne die Syrer zu fragen.

Bezie­hun­gen zum Islam

Was die Bezie­hun­gen zum Islam betrifft, sind zahl­rei­che Begeg­nun­gen mit dem Imam der Al-Azhar-Uni­ver­si­tät in Kai­ro zu nen­nen. She­nou­da kann­te den Koran und die ara­bi­sche Spra­che sehr gut. Er ver­faß­te selbst Gedich­te in ara­bisch. Er wuß­te mit den Mos­lems zu ver­han­deln, ohne in Glau­bens­fra­gen nach­zu­ge­ben. Die lan­ge Tra­di­ti­on der Unter­wer­fung der ägyp­ti­schen Chri­sten und eine mos­le­mi­sche Ober­herr­schaft schu­fen eine aus­ge­präg­te, not­ge­drun­ge­ne Geschick­lich­keit im Umgang mit Mos­lems. She­nou­da III. beherrsch­te die­se Geschick­lich­keit, die es ihm ziel­si­cher ermög­lich­te, Gesten und Wor­te zu wäh­len, ohne die Mos­lems zu provozieren.

Trotz der fort­ge­setz­ten Angrif­fe gegen Kir­chen, Mor­de und Gewalt an Chri­sten durch mos­le­mi­sche Extre­mi­sten, gelang es She­nou­da gute Bezie­hun­gen zur isla­mi­schen Welt zu bewah­ren, ohne des­halb in zen­tra­len Fra­gen fal­sche Kom­pro­mis­se einzugehen.

Bezie­hun­gen zu Anwar as-Sadat

Das Ver­hält­nis zum Staat war stets beson­ders hei­kel. She­nou­da wur­de unter Staats­prä­si­dent Anwar as-Sadat zum Patri­ar­chen gewählt. In poli­ti­scher Hin­sicht hat­te er stets eine kla­re Mei­nung zu den Bezie­hun­gen zwi­schen Ägyp­ten und Isra­el. Ein Abkom­men zwi­schen den bei­den Staa­ten lehn­te er kate­go­risch ab.

Als Sadat nach Jeru­sa­lem ging, vor der Knes­set sprach und Staats­ver­trä­ge abschloß, ver­ur­teil­te She­nou­da die­se Poli­tik ent­schie­den. Dabei lei­te­ten ihn kei­nes­wegs nur tak­ti­sche Über­le­gun­gen. Die Chri­sten Ägyp­tens sind eine Min­der­heit, die inzwi­schen wenig mehr als zehn Pro­zent der Bevöl­ke­rung aus­macht. Die Mos­lems betrach­ten die Chri­sten stets als Ver­bün­de­te des Westens und damit Isra­els. She­nou­das Hal­tung erlaub­te es ihm und damit den Kop­ten, aus die­ser Scha­blo­ne aus­zu­bre­chen und sich bis zu einem bestimm­ten Grad als Teil der in Ägyp­ten star­ken anti­zio­ni­sti­schen Bewe­gung zu präsentieren.

Sadat ließ den Patri­ar­chen dafür ein­sper­ren und in das Klo­ster­An­ba Bis­hoy in der Wüste Wadi an-Natroun ver­ban­nen. Vier Jah­re von 1981 bis zur Ermor­dung Sadats muß­te She­nou­da dort blei­ben. Sadat hat­te auch meh­re­re Bischö­fe ein­sper­ren las­sen. Das lai­zi­sti­sche Ägyp­ten kann­te nie eine ver­gleichs­wei­se ange­spann­te­re Situa­ti­on zwi­schen Staat und Kop­ti­scher Kirche.

Sadat stütz­te sich zudem in sei­ner Regie­rung auf die Mus­lim­brü­der, die stets ein har­ter Feind der Chri­sten waren. Es läßt sich daher sagen, daß die gesam­te Regie­rungs­zeit von Prä­si­dent Sadat für She­nou­da aus­ge­spro­chen schwie­rig war.

Bezie­hung zu Hus­ni Mubarak

Mit der Macht­über­nah­me durch Hus­ni Muba­rak vor 31 Jah­ren änder­te sich die Situa­ti­on. Der Patri­arch unter­stütz­te den neu­en Prä­si­den­ten und umge­kehrt. Die bei­den schlos­sen einen per­sön­li­chen Pakt, mit dem She­nou­da das Ver­bot zum Bau neu­er Kir­chen über­win­den konn­te. In Ägyp­ten schreibt das Gesetz vor, daß eine Kir­che nur gebaut wer­den kann, wenn zehn Vor­schrif­ten erfüllt wer­den. Die Bestim­mung kommt einem staat­li­chen Bau­ver­bot gleich. Der Pakt zwi­schen She­nou­da und Muba­rak sah vor, daß sie Jahr für Jahr die Zahl der Kir­chen­neu­bau­ten ver­ein­bar­ten. Als die Abma­chung öffent­lich bekannt wur­de, gab es wüten­de Kri­tik von mos­le­mi­scher Sei­te. Muba­rak konn­te sich jedoch durchsetzen.

Der Pakt sah umge­kehrt jedoch vor, daß der Patri­arch fak­tisch alle Ent­schei­dun­gen des Prä­si­den­ten gut­hei­ße. Als im ver­gan­ge­nen Jahr der „Ara­bi­sche Früh­ling“ aus­brach und vie­le Chri­sten an den Kund­ge­bun­gen auf dem Tah­r­ir-Platz teil­nah­men, hielt sich der Patri­arch zurück mit einer Unter­stüt­zung die­ser Bewe­gung, weil sie sich immer stär­ker gegen Staats­prä­si­dent Muba­rak richtete.

Das Pro­blem der Chri­sten ist im Nahen Osten immer das glei­che: Sie befin­den sich zwi­schen zwei Feu­ern, zwi­schen einer auf das Mili­tär gestütz­ten Dik­ta­tur und dem isla­mi­schen Fundamentalismus.

“Unse­re Situa­ti­on im Nahen Osten war immer so schwach und die kop­ti­sche Kir­che ist das Bei­spiel dafür: unfä­hig zu Per­spek­ti­ven, zu Initia­ti­ven, zum Ein­satz in Gesell­schaft und Poli­tik. Die kop­ti­sche Kir­che ist häu­fig in sich abge­schlos­sen, sie lebt in einem Ghet­to um sich zu schüt­zen und in Ruhe leben zu kön­nen. Sie ver­sucht nicht die Gesell­schaft zu ver­än­dern aus Sor­ge, es nicht zu schaf­fen, weil sie eine Min­der­heit ist“, so Pater Samir. Die Angst vor einer unkon­trol­lier­ba­ren, exi­stenz­be­dro­hen­den mos­le­mi­schen Reak­ti­on kenn­zeich­net die christ­li­chen Gemein­schaf­ten im gesam­ten Nahen Osten.

In der Ver­gan­gen­heit war dem nicht so. Vor 80 oder 50 Jah­ren war die kop­ti­sche Kir­che viel leben­di­ger. Erst in der „Moder­ne“ begann ihr ver­stärk­ter Rück­zug in die Klö­ster, in das Gebet, in das inne­re Leben der Kir­che. Der „Ara­bi­sche Früh­ling“ weck­te vie­le Hoff­nun­gen auf eine ande­re Zukunft, auf eine neue Frei­heit für Chri­sten und Mos­lems durch die Ableh­nung einer mos­le­mi­schen Theo­kra­tie. Wie es scheint, wur­de der „Früh­ling“ jedoch zum ent­schei­den­den Ven­til für die Schaf­fung eines mos­le­mi­schen Staa­tes. Das demo­kra­tisch gewähl­te Par­la­ment befin­det sich mit Zwei­drit­tel­mehr­heit in der Hand von Mus­lim­brü­dern und Salafiten.

Dem mos­le­mi­schen Extre­mis­mus steht das Mili­tär gegen­über. Das Mili­tär bestimmt in Ägyp­ten seit den Zei­ten Nas­sers. Der „moder­ne“ Staat Ägyp­ten grün­det seit 60 Jah­ren auf der Macht des Hee­res. Und es sieht nicht danach aus, als sei es bereit die­se Macht­po­si­ti­on zu räu­men. Noch haben sie alle ent­schei­den­den Schalt­he­bel in der Hand. Das neue Par­la­ment kann zwar Beschlüs­se fas­sen, aber nichts durch­set­zen. Ägyp­ten befin­det sich an einem heik­len Schei­de­weg. Es könn­te end­gül­tig zur Mili­tär­dik­ta­tur wer­den oder sich in ein isla­misch-fun­da­men­ta­li­sti­sches Regime ver­wan­deln. Die Per­spek­ti­ven erklä­ren, war­um vie­le Chri­sten nach einem ersten Moment der Begei­ste­rung vor einer Unter­stüt­zung der „Revo­lu­ti­on“ zurück­schrecken. Patri­arch She­nou­da hat­te von Anfang an Bedenken.

Die Zukunft der ortho­do­xen Kopten

Unter den kop­ti­schen Bischö­fen fin­den sich fähi­ge und star­ke Per­sön­lich­kei­ten, die die Füh­rung der kop­tisch-ortho­do­xen Kir­che über­neh­men könn­ten. Der bis­he­ri­ge Stell­ver­tre­ter She­nou­das gehört die­sem Kreis mög­li­cher Nach­fol­ger nicht an.

Die kop­ti­sche Kir­che ist von spi­ri­tu­el­ler Stär­ke, stark im lit­ur­gi­schen Gebet und im Fasten. Die Kop­ten hal­ten fast 200 Fast- und Buß­ta­ge im Jahr. Fasten bedeu­tet bei ihnen, daß von Mit­ter­nacht des Vor­ta­ges bis 15 Uhr des nach­fol­gen­den Tages nichts zu sich genom­men wird, weder Nah­rung noch Flüs­sig­keit. Die Gerich­te, die nach dem Fasten berei­tet wer­den, sind sehr leicht. Die­ses Fasten, das in Ein­heit mit Jesus Chri­stus gehal­ten wird, stärkt den Glau­ben und die Kraft der Kop­ten und ist ein zen­tra­les Ele­ment, das sie in ihrer Iden­ti­tät aus­har­ren läßt.

Die Kop­ten ver­ber­gen ihr Fasten nach außen, doch wenn die Mos­lems den­noch davon bemer­ken, sind sie posi­tiv erstaunt. Im Ver­hält­nis zwi­schen den bei­den Reli­gio­nen ein kaum zu unter­schät­zen­der Aspekt. Das Essen der Kop­ten ist vege­ta­risch, selbst Eier, Käse und Milch sind aus­ge­schlos­sen. Die­ses reli­giö­se Zeug­nis der Kop­ten beein­druckt die Mos­lems sehr, die all­ge­mein die Chri­sten mit einem deka­den­ten und athe­isti­schen Westen gleichsetzen.

Für die kop­tisch-ortho­do­xe Kir­che fällt der Wech­sel an der Spit­ze der Kir­che mit gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen zusam­men. Es sind Fra­gen danach, wie die Kir­che nach innen gestärkt wer­den, aber auch nach außen wir­ken kann. Wel­che Rol­le kann die kop­ti­sche Kir­che im Ägyp­ten von mor­gen ein­neh­men? Wel­chen Ein­satz in Gesell­schaft und Poli­tik vor allem für die Men­schen­rech­te muß sie dafür brin­gen, auch aus ihrer Min­der­hei­ten­po­si­ti­on her­aus und auf die rea­le Gefahr hin, dafür neu­er Ver­fol­gung aus­ge­setzt zu wer­den? Die Kop­ten zögern, sich die­sen Her­aus­for­de­run­gen zu stel­len. Die Grün­de dafür sind ver­ständ­lich. Pater Samir sieht für die Chri­sten Ägyp­tens jedoch eine „sehr wich­ti­ge Funk­ti­on“, der Frau ihre Wür­de zurück­zu­ge­ben, die ihr vom Islam meist ver­wei­gert und in dem sie häu­fig sogar ernied­rigt wird.

Das Ver­hält­nis zu den Mos­lems müs­se viel „leben­di­ger“ wer­den, so Pater Samir. Es genü­ge nicht, ein­fach nur neben­ein­an­der zu leben. In Ägyp­ten kann zum Bei­spiel aus­schließ­lich der Islam für sich wer­ben in Auto­bu­sen, auf Taxis und Wer­be­flä­chen aller Art. Die Chri­sten, so Pater Samir, müs­sen den Mos­lems sagen, daß es Zeit ist, eine Gesell­schaft zu schaf­fen, in der Platz für alle ist.

Ein wei­te­rer Aspekt ist die Mis­si­on. In Ägyp­ten fin­det kei­ne Mis­sio­nie­rung statt. Die Grün­de sind bekannt. Der Islam dul­det kei­ne Evan­ge­li­sie­rung. Um so drin­gen­der ist das aus­drück­li­che Glau­bens­zeug­nis der Chri­sten. Das wür­de auch Mög­lich­kei­ten zur Zusam­men­ar­beit mit den ande­ren christ­li­chen Kon­fes­sio­nen bie­ten. Die Chri­sten sind eine Min­der­heit, die in zen­tra­len Fra­gen geschlos­sen auf­tre­ten soll­te, um sich nicht zusätz­lich zu schwä­chen, so der ägyp­ti­sche Jesu­it und Nah­ost­ex­per­te Pater Samir Kha­lil Samir.

Text: Asianews/​Giuseppe Nardi
Bild: Asianews

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