Liebe Brüder und Schwestern!
Mit dem heutigen Aschermittwoch, den wir katholische Christen als Fast- und Abstinenztag begehen, treten wir in die 40tägige Fastenzeit ein: Ursprünglich war es eine Vorbereitungszeit für die Taufbewerber, die an Ostern getauft wurden und schrittweise auf die Taufe und das volle Christsein hingeführt worden sind. Dann war es auch zugleich immer mehr eine Zeit der Büßer, die in dieser Zeit sich wieder reinigen ließen, um zur vollen Kommuniongemeinschaft mit der Kirche zurückzukommen. Und endlich ist es eine Zeit der inneren Erneuerung für alle Getauften geworden. Wir alle brauchen immer wieder dieses Neuwerden unseres Christseins. Die 40 Tage erinnern an einen in der Bibel weit verstreuten Symbolismus der Zahl 40, an verschiedene Episoden intensiver Gotteserfahrung in der Geschichte Israels und an die Versuchung Jesu in der Wüste, in die er sich zurückgezogen hatte. Wir können diese Phasen »Wüstenzeiten« nennen, die durch eine gewisse Ambivalenz gekennzeichnet sind: einerseits eine besondere Nähe zu Gott, andererseits auch Gefährdung und Versuchung. Auch Jesus hat diese Ambivalenz auf sich genommen: Er geht in die Wüste, um ganz beim Vater zu sein, um im Alleinsein mit dem Vater sich innerlich zu bereiten auf den großen Auftrag, den er in der Welt zu erfüllen hatte. Aber zugleich ist es die Zeit, in der der Versucher auf ihn zugeht und ihm ein alternatives messianisches Programm vorlegt, ihm sagt: »Was ist denn das mit dem Kreuz und all diesen Sachen? Das ist doch nicht gut. Du mußt als großer König auftreten, als Mann, der Macht hat, der Geld gibt, der Wohlstand gibt. Das ist der richtige Messianismus. Darauf warten die Menschen.« In diese Alternative zwischen zwei Messianismen, zwei Weisen, das Menschsein zu verstehen, Gott zu sehen oder nicht zu sehen, wird er hineingestellt und muß für die Geschichte und vor der ganzen Geschichte für uns alle entscheiden zwischen dem einen und dem anderen. Und wir alle stehen immer wieder in diesem Dilemma, daß es zwei Weisen des Menschseins gibt. Gewiß, wir sehnen uns irgendwo alle nach dem Heiligen, nach der Nähe Gottes, und doch drängt sich uns das Nähere, das Angenehmere, das Bequemere, das Greifbare auf, eine Weltlichkeit, die im Hier und Jetzt schon ihre Erfüllung finden will. Liebe Freunde, die Fastenzeit oder österliche Bußzeit, wie wir sagen, will uns dazu helfen, unsere Freundschaft mit Gott tiefer zu leben, nicht aus eigener Leistung und nicht allein, sondern im Hören, im Voneinander und Füreinander eines gemeinsamen Weges des Glaubens und des Betens, in dem wir auch die Alternative begreifen lernen und lernen, daß das scheinbar Glanzlose das Wahre und das Gute ist. Gott kommt durch Menschen zu den Menschen. Er will, daß er durch uns zu anderen kommt, so wie er durch andere zu uns kommt. Öffnen wir uns diesem Zuspruch, dieser Erwartung Gottes, und hoffen wir, daß er uns die Begegnungen schenkt, deren wir bedürfen.
Herzlich grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache, mit besonderer Freude natürlich die große Schar Südtiroler Ministranten in Begleitung von Bischof Muser. Ich freue mich, daß ihr da seid! Herzlich willkommen! Und wir freuen uns natürlich alle, daß Bischof Muser heute am Tag der Kathedra Petri seinen 50. Geburtstag begeht. Herzlichen Glückwunsch! Wir alle wollen diese Fastenzeit als Gelegenheit sehen, dem Herrn entgegenzugehen. Wir können es besonders im Gebet und in der Hinwendung von uns weg zum Nächsten hin. Gott schenke euch schöne und gesegnete Tage in Rom.