(Berlin) Starker Kritik war die Bundesregierung am Mittwochabend im Menschenrechtsausschuss ausgesetzt. Anlaß war eine Unterrichtung eines Vertreters des Bundesinnenministeriums über den Stand der Aufnahme besonders schutzbedürftiger irakischer Flüchtlinge aus Syrien und Jordanien. Die Bundesregierung hatte den Abgeordneten angekündigt, daß vom 1. bis 7. November eine Tatsachenfindungsmission unter Leitung der EU-Kommission nach Amman und Damaskus geschickt werde, um vor Ort unter anderem mit Flüchtlingen, Nichtregierungsorganisationen und Regierungsvertretern zusprechen. Abschließend soll ein Bericht mit Empfehlungen für das weitere Vorgehen der EU erarbeitet werden. An der Mission, die in enger Abstimmung mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) vorbereitet werde,sollen auch drei deutsche Experten teilnehmen.
Die Mission kommt nach Ansicht der Abgeordneten jedoch viel zu spät. Die Lage der Flüchtlinge in den Nachbarstaaten des Irak,darüber herrschte über Fraktionsgrenzen hinweg Einvernehmen, sei bereits jetzt so bedrohlich, daß sofort dringender Handlungsbedarf bestehe. Derzeit halten sich 1,3 Millionen Flüchtlinge in Syrien und 600.000 in Jordanien auf. Vielen von ihnen sind Christen, die wie andere nicht-muslimische Minderheiten seit Beginn des Irak-Krieges im Jahr 2003 von aufständischen Islamisten massiv verfolgt werden.
„Wir können es uns aus humanitären Gründen nicht erlauben, weitere Verzögerungen im Rahmen der EU abzuwarten“, warnte die SPD-Fraktion. An die Bundesregierung gewandt fragte sie, ob es eine Möglichkeit gebe, schon vor der Entscheidung auf EU-Ebene eine nationale Lösung zufinden.
Auch die CDU/CSU-Fraktion forderte die Bundesregierung auf, möglichst schnell zu handeln. Die Situation habe sich mittler weile merklich verschärft und die Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge lebten, seien katastrophal. Sie hätten weder Geld, noch könnten sie arbeiten gehen. Auch könnten die Kinder oft keine Schule besuchen. Deutschland solle daher aus humanitären Gründen „notfalls im Alleingang“ und noch im Oktober Kontingentflüchtlinge aufnehmen. „Dies wäre ein Akt der Humanität“, so die Unionsabgeordneten.
Die Bundesregierung verwies darauf, daß eine nationale Lösung nur unter Mitwirkung der Länder möglich sei. Diese hätten jedoch auf der letzten Innenministerkonferenz am 17./ 18. April 2008 den Beschluß gefaßt, daß sie eine Aufnahmeaktion zwar grundsätzlich befürworteten, allerdings nicht im nationalen Alleingang. Sie würden sich nur beteiligen, wenn es eine Lösung auf EU-Ebene gebe, da die Dimension der Aktion zu groß sei, um sie national zu bewältigen. „Diese Beschlußlage besteht nach wie vor“, so die Bundesregierung.
Bündnis 90/ Die Grünen betonten, daß erst vor einiger Zeit im Bundestagsplenum ein Antrag ihrer Fraktion abgelehnt worden sei, der gefordert hatte, besonders schwer verfolgte Flüchtlinge aus dem Irak in Deutschland aufzunehmen. Außerdem erinnerten sie daran, daß es wiederholt deutsche Vertreter im EU-Ministerrat gewesen seien, die einen Beschluß auf EU-Ebene verhindert hätten.
Einstimmig beschloß der Menschenrechtsausschuss die Verabschiedung einer Ausschußresolution. Darin wollen die Abgeordneten Bund und Länder auffordern, irakische Flüchtlinge – hauptsächlich christliche, aber auch andere nicht-muslimische Flüchtlinge – zeitnah aufzunehmen. Noch in dieser Woche wollen sich die Ausschußmitglieder auf einen Text einigen.
(Parlamentskorrespondenz)