(London) „Unerklärlich“, so bezeichnete der Katholik Clifford Longley, Kommentator der BBC und ehemaliger Korrespondent für Religionsfragen der Tageszeitungen „Times“ und „Daily Telegraph“ gegenüber der Presseagentur SIR die Erklärungen von Rowan Williams, dem geistlichen Oberhaupt der anglikanischen Weltgemeinschaft, mit denen dieser die teilweise Einführung der Sharia in die britische Rechtsordnung angeregt hatte.
Longleys Aussage erfolgte nur wenige Stunden vor dem Beginn der Synode der Kirche von England am heutigen Montag. Auf der Tagesordnung stehen zwar andere Themen, doch dürften die Aussagen des anglikanischen Erzbischofs von Canterbury eine nicht unwesentliche Rolle spielen. „Ich könnte Williams Position verstehen, wenn die islamische Gemeinschaft mit den Gesetzen dieses Landes unzufrieden wäre und sich der Erzbischof zum Fürsprecher ihres Standpunktes machen würde. Aber es gibt keine Fälle, in denen die Sharia Rechtsfragen besser lösen könnte als die britische Rechtsordnung“, erklärte der BBC-Kommentator, wenngleich er zugibt, daß „einige Kommentatoren mit ihrer Kritik übertrieben und Williams nicht den nötigen Respekt entgegengebracht haben“.
Mit Blick auf die erhobenen Rücktrittsforderungen meinte Longley, daß es „undenkbar“ sei, daß Williams jetzt zurücktrete. „Im kommenden Juli muß er die Lambeth-Konferenz leiten, die er selbst einberufen hat, um über das Problem der Berufung von homosexuellen Pastoren zu entscheiden, das die anglikanische Gemeinschaft spaltet.“ In der nur alle zehn Jahre stattfindenden Konferenz versammeln sich alle anglikanischen Bischöfe.
Die Sharia-Aussage habe Williams Ansehen jedoch schwer beschädigt, ist Longley überzeugt. „Er weiß zum Beispiel, daß der katholische Primas von England und Wales, Kardinal Murphy‑O’Connor große Sorge zum Ausdruck brachte, als vor zwei Jahren im Süd-Irak die Einführung der Sharia drohte“, so Longley. Mit entsprechend großer Spannung erwarte Großbritannien daher die Rede Williams, mit der er am heutigen Nachmittag die Synode eröffnen werde.
Laut der Tageszeitung „Guardian“ habe Williams die bereits vorbereitete Rede über die schwierige Lage der Christen in Simbabwe fallengelassen, um auf die aktuell aufgetretene Debatte um seine Sharia-Aussage und seine Person einzugehen.
(SIR/RP)