Der Heilige Rosenkranz – Eine Schule des Gebets

Antwort auf zwei Haupt­einwände


Von P. Ser­a­fi­no Maria Lanzetta*

Anzei­ge

Das Gebet des Hei­li­gen Rosen­kran­zes erfreut sich einer lan­gen Tra­di­ti­on und gro­ßer Zunei­gung unter den Chri­sten. Am Ende die­ses Monats Okto­ber wol­len wir über die­ses Gebet nach­den­ken, das so vie­le Hei­li­ge her­vor­ge­bracht hat und von so vie­len Hei­li­gen geliebt und ver­brei­tet wurde.

Seit sei­ner anfäng­li­chen Ent­fal­tung in der klö­ster­li­chen Welt – als Gebets­form, die die 150 Psal­men beglei­te­te, indem sie die­sen gleich­sam „maria­ni­sche Psal­men“, das „Gegrü­ßet seist du, Maria“, an die Sei­te stell­te, um das Leben Jesu zu betrach­ten – ist der Rosen­kranz eines der wich­tig­sten Andachts­ge­be­te des Katholizismus.

Doch seit der Refor­ma­ti­on – beson­ders unter dem Ein­fluß des Cal­vi­nis­mus – sind Ein­wän­de auf­ge­kom­men, die sowohl die Recht­gläu­big­keit (Ortho­do­xie) als auch die rech­te Pra­xis (Orthop­ra­xie) die­ser Andacht in Fra­ge stellen.

Im Lau­fe der Jahr­hun­der­te haben sol­che Ein­wän­de immer wie­der ein unter­schwel­li­ges Miß­trau­en genährt, selbst unter Katho­li­ken, sobald der Rosen­kranz erwähnt oder als wesent­lich für das Glau­bens­le­ben emp­foh­len wird. Es scheint, als ob in uns, sobald die Auf­for­de­rung ertönt, den Rosen­kranz zu beten, bei­na­he instink­tiv ein Geist des Wider­spruchs erwacht – bereit, wie mit einem Schild, eine ver­meint­lich „ein­fa­che­re“ Wei­se des Betens zu verteidigen.

Der Rosen­kranz – so flü­stert uns unser Instinkt zu – betrifft Maria, nicht Jesus. Wie kann man es wagen, Maria an die erste Stel­le zu set­zen und Jesus zu ver­ges­sen?
Doch stimmt das wirklich?

Und dar­aus erwächst eine zwei­te, eben­so häu­fi­ge Ein­wen­dung:
Anstatt die „Ave Maria“ unzäh­li­ge Male zu wie­der­ho­len – womög­lich mecha­nisch –, wodurch wir ris­kie­ren, vie­le Wor­te zu ver­schwen­den oder gar Schmer­zen in den Fin­gern zu bekom­men, wenn wir die Per­len durch­glei­ten, wäre es da nicht bes­ser, ein­fach ein „Vater­un­ser“ zu beten und das zu tun, was wich­ti­ger ist als alles ande­re – näm­lich den Wil­len Got­tes zu erfüllen?

Zwei Haupteinwände gegen den Rosenkranz

Es gibt also zwei Haupt­ar­gu­men­te gegen die­ses ehr­wür­di­ge Gebet, die uns ent­mu­ti­gen kön­nen, wenn wir ver­su­chen, es zu beten.
Begin­nen wir mit dem zwei­ten, eben beschrie­be­nen Ein­wand, und wen­den uns danach dem ersten zu – nach­dem wir bedacht haben, was es eigent­lich bedeu­tet, den Wil­len Got­tes zu tun.

Sehen wir uns also die­sen zwei­ten Ein­wand näher aus bibli­scher Per­spek­ti­ve an – jener Sicht­wei­se, die gewöhn­lich her­an­ge­zo­gen wird, um den Rosen­kranz zu entmutigen.

Zwei Bibel­stel­len wer­den dabei meist als Beleg für eine angeb­lich „mecha­ni­sche“ Gebets­pra­xis zitiert:

  • Mt 7,21: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Him­mel­reich ein­ge­hen, son­dern nur, wer den Wil­len mei­nes Vaters im Him­mel tut.“
  • Mt 6,7: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plap­pern wie die Hei­den; sie mei­nen, sie wer­den erhört, wenn sie vie­le Wor­te machen.“

Eini­ge Kri­ti­ker wer­fen dem Rosen­kranz also vor, er wider­spre­che dem Evan­ge­li­um, indem er immer wie­der „Herr, Herr“ rufe, ohne den Wil­len Got­tes zu tun – und ver­wech­sel­ten dabei die Men­ge der Wor­te mit ech­tem Gebet.

Doch die ent­schei­den­de Fra­ge lau­tet:
Was bedeu­tet es, den Wil­len Got­tes zu tun?
Und wie kön­nen wir den Wil­len Got­tes erfül­len?
Durch das Gebet.

Nur durch beharr­li­ches Beten ler­nen wir, den gött­li­chen Wil­len zu tun.
Wir müs­sen beten, um in den Wil­len Got­tes hin­ein­zu­wach­sen – sonst ergeht an uns der­sel­be Tadel, den die drei schläf­ri­gen Apo­stel im Gar­ten Getse­ma­ni emp­fin­gen:
Nicht eine Stun­de mit dem Herrn wachen zu kön­nen bedeu­tet, nicht zu begrei­fen, daß der Vater dem Sohn die­sen Kelch zu trin­ken gege­ben hat – jene Pas­si­on, die er zu erdul­den hatte.

„Nicht mein, son­dern dein Wil­le gesche­he“, ler­nen wir mit Jesus im Gebet zu spre­chen (vgl. Lk 22,42).

Die Wiederholung als Schule des Herzens

Der Hei­li­ge Rosen­kranz besteht aus fünf­zig „Ave Maria“ – tat­säch­lich also aus einer lan­gen Wie­der­ho­lung der­sel­ben Bit­te.
Doch wenn wir beten – ganz gleich, in wel­cher Form –, begin­nen wir dann nicht stets mit einem Gebets­ruf zum Herrn?
Brau­chen wir nicht das gespro­che­ne Gebet, eine kur­ze Anru­fung, um in das Geheim­nis des Betens einzutreten?

Und um unse­ren Geist und unser Herz auf das gött­li­che Geheim­nis zu rich­ten, müs­sen wir uns nicht immer wie­der sagen, daß wir den Herrn lie­ben, sei­ne Barm­her­zig­keit erfle­hen, ihn als unse­ren Erlö­ser bekennen?

Je mehr unser Gebet zu einer Lita­nei wird – zu einer Wie­der­ho­lung kur­zer Anru­fun­gen –, desto mehr hilft uns die­ser rhyth­mi­sche Gang, das betrach­te­te Geheim­nis zu ver­in­ner­li­chen und dabei gesam­melt zu bleiben.

Der Rosenkranz als Methode des Betens

Der Hei­li­ge Rosen­kranz ist vor allem eine Metho­de des Gebets: Er lehrt uns – wie es schon die Kir­chen­vä­ter taten – Gebet und Betrach­tung über das Leben unse­res Herrn mit­ein­an­der zu ver­bin­den und so einen voll­stän­di­gen Gebets­weg zu bilden.

Papst Pius V. beton­te in sei­ner Bul­le Con­sue­verunt Roma­ni Pon­ti­fi­ces (1569) die Bedeu­tung des Rosen­kran­zes zunächst als Gebets­me­tho­de, noch bevor er ihn als heil­sa­me Andacht bezeich­ne­te, die uns zu rech­ter Glau­bens­hal­tung und Umkehr führt. Er schrieb:

„So schau­te Domi­ni­kus auf jene ein­fa­che Wei­se, Gott zu bit­ten und anzu­fle­hen – für alle zugäng­lich und ganz fromm –, die man Rosen­kranz oder Psal­ter der seli­gen Jung­frau Maria nennt. In ihm wird die seli­ge Jung­frau geehrt durch den Engel­gruß, der hun­dert­fünf­zig­mal wie­der­holt wird, ent­spre­chend der Zahl des Psal­ters Davids, und durch das Vater­un­ser zu jeder Zeh­ner­rei­he. Zwi­schen die­se Gebe­te sind Betrach­tun­gen ein­ge­fügt, die das gan­ze Leben unse­res Herrn Jesus Chri­stus beleuch­ten – so daß ein voll­stän­di­ger Gebets­weg ent­steht, wie ihn die Väter der hei­li­gen römi­schen Kir­che gestal­tet haben.“

Selbst wer aus einer cha­ris­ma­ti­sche­ren Hal­tung betet, wird zustim­men, daß auch in sol­chen „spon­ta­nen“ Gebets­for­men häu­fig kur­ze Anru­fun­gen wie­der­holt wer­den – etwa „Jesus ist der Herr“, „Ehre sei dir, Herr Jesus“ usw.

Sol­che affek­ti­ven, lita­nei­ar­ti­gen Rufe sind nötig, um absichts­voll zu beten und die eige­ne See­le mit dem Herrn in Ein­klang zu brin­gen. Die­se Metho­de ver­mag unse­ren Wil­len zu ent­flam­men und unse­ren Geist auf Gott zu richten.

Auch wenn das Gebet frei­er ist – es hat doch stets eine inne­re Ord­nung. Denn unser Ver­stand braucht Wie­der­ho­lung, um das Gesag­te zu ver­in­ner­li­chen und in der gedank­li­chen Bewe­gung Gott zu begegnen.

Kurz gesagt: Je öfter wir beten, desto bes­ser beten wir; je bes­ser wir beten, desto mehr erfül­len wir den Wil­len Got­tes. Jedes Gebet, ob kurz oder lang, ist letzt­lich ein Mit­tel zu einem Ziel: der Ver­ei­ni­gung mit Gott und sei­nem gött­li­chen Willen.

Das lita­nei­ar­ti­ge Beten ist daher nicht mecha­nisch, son­dern päd­ago­gisch und wirk­sam, weil es Geist und Herz zugleich in das Gebet hineinführt.

Der Rosen­kranz ist eine lita­nei­ar­ti­ge Wie­der­ho­lung des Engel­gru­ßes in sei­ner ersten Hälf­te; in sei­ner zwei­ten Hälf­te bekennt er den Glau­ben der Kir­che an die Für­spra­che der Got­tes­mut­ter – jetzt und in der Stun­de unse­res Todes.

Das wie­der­hol­te „Ave Maria“ ist wie ein Ein- und Aus­at­men mit der seli­gen Jung­frau: „Sie­he, ich bin die Magd des Herrn; mir gesche­he nach dei­nem Wort“ (Lk 1,38). Wer eine Schu­le des Gebets sucht, fin­det sie im Hei­li­gen Rosenkranz.

Zweiter Einwand: Der Rosenkranz sei „zu marianisch“

Ein wei­te­rer Ein­wand behaup­tet, der Rosen­kranz kon­zen­trie­re sich zu sehr auf Maria statt auf Chri­stus.
Man müs­se doch Jesus anru­fen, nicht Maria.
Gewiß – unse­re Gebe­te rich­ten sich an Jesus, denn er ist unser Gott.
Aber man ver­gißt leicht, daß Jesus zugleich der­je­ni­ge ist, der für uns und in uns betet, als Mitt­ler des Heils beim Vater.

Jedes christ­li­che Gebet, ins­be­son­de­re jedes lit­ur­gi­sche, steigt zum Vater durch unse­ren Herrn Jesus Chri­stus im Hei­li­gen Geist auf.
Jedes Gebet ist daher tri­ni­ta­risch und wird immer „per Domi­num nostrum Jesum Chri­s­tum…“ – „durch unse­ren Herrn Jesus Chri­stus, dei­nen Sohn, der mit dir lebt und herrscht in der Ein­heit des Hei­li­gen Gei­stes in alle Ewig­keit“ – dargebracht.

Was lehrt uns die­se Gebets­form?
Zwei Din­ge:

Unse­re Gebe­te brau­chen einen Mitt­ler und Für­spre­cher – Jesus Chri­stus –, um zur aller­hei­lig­sten Drei­fal­tig­keit zu gelangen.

Jede ande­re Form von Für­spra­che, etwa durch Hei­li­ge und beson­ders durch die seli­ge Jung­frau Maria, ist nur inner­halb der Mitt­ler­schaft Chri­sti möglich.

Eine höhe­re Mitt­ler­schaft schließt die nied­ri­ge­re nicht aus, son­dern begrün­det sie.
Maria aus­zu­schlie­ßen ergä­be nur dann Sinn, wenn es über­haupt kei­ner Mitt­ler­schaft bedürf­te, um zu Gott zu gelangen.

Dar­in liegt die tie­fe Bedeu­tung des Rosen­kran­zes: In sei­ner Schlicht­heit spie­gelt er das Geheim­nis der hei­lig­sten Drei­fal­tig­keit wider – in der wun­der­ba­ren Ver­bin­dung des Engel­gru­ßes mit dem Vater­un­ser und dem Ehre sei dem Vater.

Die­se uralte katho­li­sche Andacht ist daher tri­ni­ta­risch: Im Mit­tel­punkt steht Jesus Chri­stus, der Mitt­ler.
In allen betrach­te­ten Geheim­nis­sen steht das Leben Jesu im Zen­trum. Und im Her­zen jedes „Ave Maria“ leuch­tet sein hei­li­ger Name als Mit­tel­punkt auf.

Maria – der Weg zur Dreifaltigkeit

Dar­über hin­aus zeigt sich das tri­ni­ta­ri­sche Ele­ment des Rosen­kran­zes auch sicht­bar in der Gegen­wart und Anru­fung Mari­ens. „Gegrü­ßet seist du, Maria, voll der Gna­de, der Herr ist mit dir“ – dies ist ein Lob­preis der hei­lig­sten Drei­fal­tig­keit, die sich in unse­rer Geschich­te offen­bart hat.

Die seli­ge Jung­frau führt uns in das Geheim­nis der Drei­fal­tig­keit ein und ent­hüllt uns die­ses geseg­ne­te Geheim­nis. Wie? Bei der Ver­kün­di­gung – dem Beginn unse­res Heils – begeg­ne­te sie:

Gott dem Vater, der durch sei­nen Boten sprach,
Gott dem Sohn, der sich in ihr zu inkar­nie­ren bereit war,
und Gott dem Hei­li­gen Geist, der sie mit sei­ner Kraft über­schat­te­te, damit sie die Mut­ter Got­tes werde.

So ist das Mei­ster­werk der „Theo­to­kos“ ein Wider­hall des Lob­prei­ses auf den drei­ei­nen Gott.

Maria ist der Weg zu Gott.
Ihr „Fiat“ ist das Echo des gött­li­chen „Fiat“ unse­res Heils.
Wenn wir den Rosen­kranz beten, wie­der­ho­len wir unser eige­nes „Fiat“ zu Gott und spre­chen mit Maria:
„Komm, Hei­li­ger Geist, komm, hei­lig­ste Drei­fal­tig­keit, und nimm Besitz von unse­rem Leben.“

Der Hei­li­ge Rosen­kranz ist daher nicht nur tief chri­sto­lo­gisch, son­dern auch tri­ni­ta­risch.
Mit Maria gehen wir zu Chri­stus; mit dem Sohn – im Hei­li­gen Geist – zum Vater.
Kurz gesagt:
Durch Maria zum drei­fal­ti­gen Gott.

*P. Ser­a­fi­no M. Lan­zet­ta wirkt in der Diö­ze­se Ports­mouth (Eng­land), ist Pri­vat­do­zent für Dog­ma­ti­sche Theo­lo­gie an der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät Luga­no und Chef­re­dak­teur der theo­lo­gi­schen Zeit­schrift Fides Catho­li­ca. Eine aktu­el­le Liste sei­ner Ver­öf­fent­li­chun­gen fin­det sich auf sei­nem Pro­fil auf der Web­site der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät Lugano.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!

 




 

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*