Der triumphale Sieg von Wien 1683 – erzählt durch eine Medaille

Ein Schicksalstag für Europa


Polnische Flügelhusaren in der Schlacht am Kahlenberg bei Wien
Polnische Flügelhusaren in der Schlacht am Kahlenberg bei Wien

Am 12. Sep­tem­ber 1683, heu­te vor 342 Jah­ren, ereig­ne­te sich die Befrei­ung Wiens, das von einem osma­ni­schen Heer (Tür­ken und Ver­bün­de­te) bela­gert wor­den war. Das Staats­ar­chiv von Mode­na in der Lom­bar­dei bewahrt in sei­nem Fun­dus eine Medail­le und Kor­re­spon­denz auf, die den Sieg der katho­li­schen Ver­tei­di­ger doku­men­tie­ren, einen Sieg, der nach mensch­li­chem Ermes­sen aus­sichts­los schien. Das Her­zog­tum Mode­na, regiert vom Haus Este, war damals ein sou­ve­rä­nes Für­sten­tum im Hei­li­gen Römi­schen Reich. Zum 340. Jah­res­tag der Befrei­ung ver­öf­fent­lich­te das Staats­ar­chiv von Mode­na fol­gen­den Arti­kel:

Eine Medaille erzählt die Belagerung von Wien

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Ein beson­de­res Stück aus der Münz­samm­lung des Staats­ar­chivs von Mode­na führt uns zurück in die Zeit der Bela­ge­rung Wiens, die am 12. Sep­tem­ber 1683 mit einem über­wäl­ti­gen­den Sieg der christ­li­chen Hee­re über die Tür­ken ende­te. Die Medail­le stammt von Paul Seel, der zwi­schen 1660 und 1695 – dem Jahr sei­nes Todes – als Gra­veur und Medail­leur in der Münz­stät­te von Salz­burg tätig war. Er war sprich­wört­lich ein Sohn sei­ner Kunst, denn bereits sein Vater Peter Seel hat­te von 1632 bis 1665 als Münz­mei­ster in Salz­burg gewirkt. Neben sei­ner offi­zi­el­len Tätig­keit begann Peter Seel, Andachts­me­dail­len her­zu­stel­len und zu ver­kau­fen. Anfangs waren die­se für Theo­lo­gie­stu­den­ten der Stadt gedacht, erfreu­ten sich aber bald über deren Gren­zen hin­aus auch in Öster­reich und Bay­ern gro­ßer Beliebtheit.

Die Medail­le, um die es hier geht, stammt – wie gesagt – von Paul Seel. Sie wur­de aus Bron­ze gefer­tigt und zeigt auf der einen Sei­te das Ende der Bela­ge­rung: Die Hei­lig­ste Drei­fal­tig­keit blickt vom Him­mel her­ab auf die flie­hen­den Mus­li­me, die das Lager um die Haupt­stadt ver­las­sen. Wien ist anhand sei­ner mar­kan­ten Sil­hou­et­te mit Tür­men und Kir­chen klar erkenn­bar, allen vor­an der Ste­phans­dom. Die Rück­sei­te zeigt die Got­tes­mut­ter von Maria­zell, die Schutz­pa­tro­nin der Stadt. Wie bei vie­len Medail­len jener Zeit wur­de auch bei die­ser das klei­ne Auf­hän­ge­öse ent­fernt, um sie bes­ser in einem Münz­schrank auf­be­wah­ren zu können.

Ein kur­zer Rück­blick auf das Ereig­nis, das auch in zahl­rei­chen zeit­ge­nös­si­schen Doku­men­ten bezeugt ist.

Die militärischen Operationen

Am 8. Juli 1683 grif­fen die Osma­nen das Hei­li­ge Römi­sche Reich an. Sie mar­schier­ten von Ungarn aus und erreich­ten Wien am 13. Juli. Das osma­ni­sche Heer, unter der Füh­rung des Groß­we­sirs Kara Musta­fa, war mit etwa 200.000 Sol­da­ten außer­ge­wöhn­lich stark. Den Wie­nern stan­den hin­ge­gen nur etwa 11.000 Ver­tei­di­ger zur Ver­fü­gung. Es begann eine erbit­ter­te Bela­ge­rung, die haupt­säch­lich durch Minen­krieg geführt wur­de. Die ver­al­te­te tür­ki­sche Artil­le­rie konn­te den star­ken Stadt­mau­ern nichts anha­ben, doch die osma­ni­schen Inge­nieu­re gehör­ten zu den besten, was den Bau von Annä­he­rungs­grä­ben sowie den Ein­satz von Minen betraf. Ergänzt wur­de die­se Stra­te­gie durch Sturm­an­grif­fe auf die Bastio­nen und Nah­kämp­fe. In der Stadt brach zudem eine Dys­en­te­rie-Epi­de­mie aus.

Tür­ki­sches Lager wäh­rend der Bela­ge­rung von Wien 

Die internationale Lage und Frankreichs Doppelspiel

Kai­ser Leo­pold I. hat­te Wien ver­las­sen und dem Gra­fen Ernst Rüdi­ger von Starhem­berg die Ver­tei­di­gung anver­traut. Er selbst zog sich nach Linz zurück, um dort den Wider­stand zu orga­ni­sie­ren. Unter­stützt wur­de er dabei von Papst Inno­zenz XI., der in Rom diplo­ma­ti­sche Initia­ti­ven ergriff. Die Chri­sten­heit war jedoch gespal­ten, denn der fran­zö­si­sche König Lud­wig XIV. hat­te sich ins­ge­heim mit den Osma­nen ver­bün­det – in der Hoff­nung, aus der mög­li­chen Nie­der­la­ge des Hei­li­gen Römi­schen Reichs poli­ti­sches Kapi­tal zu schla­gen. Frank­reich lei­ste­te kei­nen Bei­trag zur Ver­tei­di­gung Wiens, son­dern beschränk­te sich auf einen sym­bo­li­schen und nutz­lo­sen Angriff einer Flot­te auf Algier. [Und noch jemand war abwe­send, die pro­te­stan­ti­schen Staa­ten. Für die Ver­tei­di­gung und Befrei­ung Wiens kämpf­ten nur katho­li­sche Staa­ten, Anm. GN.]

Die päpst­li­che Ver­mitt­lung trug jedoch Früch­te. Geist­li­che Gesand­te aus Rom, unter ihnen Mar­co d’Aviano, konn­ten vie­le Strei­tig­kei­ten zwi­schen den christ­li­chen Für­sten – ein Erbe des Drei­ßig­jäh­ri­gen Krie­ges – beilegen.

Marco d’Aviano – der Vermittler Gottes

Der Kapu­zi­ner­pa­ter Mar­co d’Aviano erwies sich als außer­ge­wöhn­li­cher Diplo­mat. Sein größ­ter Erfolg, der für die Mus­li­me ver­häng­nis­voll war, bestand dar­in, die Riva­li­tä­ten zwi­schen Polen und Öster­reich zu über­win­den. Er über­zeug­te den Kai­ser und Her­zog Karl V. von Loth­rin­gen, auf das Ober­kom­man­do über das christ­li­che Heer zu ver­zich­ten, um die­ses dem pol­ni­schen König Johann III. Sobie­ski zu über­tra­gen. Nur so ließ sich Polen als ent­schei­den­der Bünd­nis­part­ner gewin­nen – ein Ziel, das auch durch diplo­ma­ti­sche Zuge­ständ­nis­se ver­folgt wurde.

Der wundersame Sieg

Wien stand kurz vor dem Fall: Die Bastio­nen gaben nach, immer mehr Bre­schen taten sich in den Mau­ern auf, und die Ver­tei­di­ger waren durch die stän­di­gen Angrif­fe völ­lig erschöpft. Am Mor­gen des 12. Sep­tem­ber zele­brier­te Mar­co d’Aviano eine Feld­mes­se – als Mini­strant dien­te nie­mand Gerin­ge­res als der König von Polen. Nach dem Segen stell­te sich das christ­li­che Heer von nun ins­ge­samt 65.000 Mann gegen 200.000 osma­ni­sche Sol­da­ten. In den Rei­hen der Chri­sten kämpf­te auch der jun­ge Eugen von Savoy­en, der hier sein erstes Gefecht erlebte.

Die Medail­le zum Geden­ken an die Befrei­ung von Wien 1683

Die Schlacht dau­er­te den gan­zen Tag und ende­te schließ­lich mit dem ver­hee­ren­den Sturm­an­griff der geflü­gel­ten pol­ni­schen Husa­ren, ange­führt vom König per­sön­lich. Die Osma­nen wur­den voll­stän­dig über­rannt und muß­ten über 20.000 Tote, dazu Waf­fen, Aus­rü­stung und rie­si­ge Men­gen an Beu­te zurück­las­sen. Die Ver­lu­ste der Chri­sten waren mit nur etwa 2.000 Gefal­le­nen ver­gleichs­wei­se gering. Die­ser – auf dem Papier unwahr­schein­li­che, wenn nicht gar unmög­li­che – Sieg wur­de sofort als Wun­der gedeutet.

Der Jubel in den zeitgenössischen Berichten

Die Nach­richt vom Sieg wur­de in fast ganz Euro­pa mit gro­ßer Begei­ste­rung auf­ge­nom­men. Nur der Son­nen­kö­nig in Frank­reich zeig­te sich ver­bit­tert – für den Rest des Kon­ti­nents war es ein Freudenfest.

Davon zeu­gen die Brie­fe aus dem Archiv­be­stand „Avvi­si e noti­zie dall’estero“, einer Samm­lung diplo­ma­ti­scher Kor­re­spon­den­zen, in denen Gesand­te an den Hof von Mode­na über die Ereig­nis­se in ihren jewei­li­gen Län­dern berich­te­ten – eine Auf­ga­be, die bis heu­te zum diplo­ma­ti­schen All­tag gehört.

Eini­ge Beispiele:

  • 21. Sep­tem­ber, Graf del­la Tor­re aus Vene­dig berich­tet, daß ein Bote aus Graz die „völ­li­ge Nie­der­la­ge des tür­ki­schen Hee­res“ gemel­det habe, das „alles – Gepäck, Kano­nen und die Stan­dar­te des Sul­tans – ver­lo­ren“ habe, sowie Tau­sen­de von Män­nern. In Vene­dig sei nach einem fei­er­li­chen Te Deum eine Freu­de aus­ge­bro­chen, „wie sie selbst bei Sie­gen der Repu­blik in eige­nen Krie­gen nie erlebt wurde“.
  • 25. Sep­tem­ber, aus Rom heißt es, die Sie­ges­nach­richt sei am 21. ein­ge­trof­fen: „Die Jubel­ru­fe des from­men Vol­kes waren in der Nacht groß, beglei­tet von Feu­er­werk und Lich­tern, und wären am näch­sten Tag noch grö­ßer gewe­sen, hät­te man auf genaue­re Nach­rich­ten gewar­tet.“ Als die­se ein­tra­fen, wur­de die Fei­er fort­ge­setzt: Am 2. Okto­ber wird von einem wah­ren Spek­ta­kel berich­tet – Lich­ter, Feu­er­wer­ke und „Gauk­ler­trup­pen, die den Groß­we­sir in aller­lei Kostü­men ver­spot­te­ten: mal auf einem Esel, mal in einem Käfig, stets beglei­tet vom neu­gie­ri­gen Volk“.
  • 4. Okto­ber, aus Lon­don: „Alle Gesprä­che dre­hen sich um den Sieg gegen die Tür­ken und die Befrei­ung Wiens. Die Nach­richt wur­de mit all­ge­mei­nem Bei­fall auf­ge­nom­men – mit Aus­nah­me eini­ger Fran­zo­sen und ihrer Anhänger.“
  • 9. Okto­ber, aus Genua: Auch hier fei­er­te man die Nach­richt am 2. und 3. Okto­ber mit Feu­er­wer­ken und Lich­ter­spie­len. Sogar der fran­zö­si­sche Gesand­te Mon­sieur de Saint-Olon betei­lig­te sich dar­an – er ließ sein Haus beleuch­ten und ver­teil­te Brot an die Armen, was eini­gen miß­fiel, da es als Ver­such gedeu­tet wur­de, sich bei der Mas­se einzuschmeicheln.

Obwohl die Bevöl­ke­rung meist nur die unmit­tel­ba­re Freu­de über den Sieg wahr­nahm und nicht des­sen tie­fe­re poli­ti­sche Bedeu­tung erkann­te, mar­kier­te das Ereig­nis tat­säch­lich einen Wen­de­punkt in der Geschich­te: Die Zeit des mus­li­mi­schen Expan­sio­nis­mus war vor­bei, und die Grund­la­gen für die spä­te­re Befrei­ung Ungarns, Sie­ben­bür­gens und Kroa­ti­ens wur­den gelegt. Das Osma­ni­sche Reich ent­wickel­te sich nun zum „kran­ken Mann am Bos­po­rus“, der nur noch aus geo­po­li­ti­schem Kal­kül am Leben erhal­ten wur­de – das Kreuz­zugs­den­ken hat­te end­gül­tig dem poli­ti­schen Rea­lis­mus Platz gemacht.

Der Nachhall im Alltag bis heute

Die Bela­ge­rung Wiens war ein bedeu­ten­der Mei­len­stein der euro­päi­schen Geschich­te – und ihr Nach­klang zeigt sich bis heu­te, selbst in über­ra­schen­den Alltagsaspekten.

Papst Inno­zenz XI., der wie erwähnt die­se mili­tä­ri­sche Akti­on för­der­te, war über­zeugt, daß der Sieg auf die Für­spra­che der Jung­frau Maria zurück­ging. Des­halb setz­te er den 12. Sep­tem­ber als Fei­er­tag zu Ehren des Hei­lig­sten Namen Mari­ens fest – und ließ in Rom, am Tra­jans­fo­rum, eine gleich­na­mi­ge Kir­che errichten.

Auch die Aus­ge­stal­tung der ersten Mahl­zeit des Tages soll eine Fol­ge die­ses Ereig­nis­ses sein – zumin­dest der Legen­de nach. So erzählt man, daß der Cap­puc­ci­no am 12. Sep­tem­ber 1683 in Wien ent­stand, als man dem Kapu­zi­ner Mar­co d’Aviano eine Tas­se Kaf­fee reich­te. Der fand ihn zu stark und mil­der­te ihn mit Milch – die Far­be der Mischung erin­ner­te an die Far­be sei­nes Ordens­ge­wan­des, wes­halb das Getränk nach ihm „Kapu­zi­ner“ benannt wurde.

Ähn­lich soll es mit dem Gebäck gewe­sen sein: Das Kip­ferl, ein öster­rei­chi­sches Hörn­chen, soll auf Wunsch von König Sobie­ski eigens zur Erin­ne­rung an den Sieg kre­iert wor­den sein – in Halb­mond­form, zur Ver­höh­nung der besieg­ten Tür­ken. Es ver­brei­te­te sich spä­ter in ganz Euro­pa in ähn­li­cher Form – dar­un­ter auch als fran­zö­si­scher Crois­sant, was wört­lich „zuneh­men­der Mond“ bedeutet.

Ob die­se kuli­na­ri­schen Anek­do­ten nun Legen­den sind oder nicht, sei dahin­ge­stellt. Wahr­schein­lich ist eine mitt­le­re Deu­tung: Ein bereits vor­han­de­nes Gebäck oder Getränk wur­den sym­bo­lisch umge­deu­tet, weil ihre Form oder Far­be an das Sym­bol des Geg­ners bzw. einen ent­schei­den­den Motor der christ­li­chen Ver­tei­di­ger erin­ner­te – und wurd­ne so Teil eines kol­lek­ti­ven Erin­nerns an einen Sieg, der die Geschich­te Euro­pas mit­ge­prägt hat.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL/filodiritto.com (Screen­shot)

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