
Gestern setzte Papst Leo XIV. eine wichtige Geste, indem er in einem Moment größter Anspannung ein Telefongespräch mit Rußlands Präsidenten Wladimir Putin führte. Dieser Umstand dürfte für eine ungewöhnliche „Panne“ im Vatikan verantwortlich sein.
Das vatikanische Presseamt veröffentlichte gestern eine „Letzte Mitteilung“, also aktuellste Nachricht. Doch die Seite ist auch einen Tag später noch immer leer. Der Grund dafür dürfte in dem Telefonat zu suchen sein, das Leo XIV. mit Putin führte.
Am 2. Juni fanden nach über drei Jahren erstmals wieder direkte Gespräche zwischen Rußland und der Ukraine statt. Putin hatte sich damit gegen die „Drei Großen“ der EU (BRD, Frankreich und Großbritannien) durchgesetzt.
Die Retourkutsche erfolgte am Tag zuvor, als die Ukraine mit westlicher Unterstützung in einer spektakulären Aktion russische Luftwaffenstützpunkte angriff.
Eine Seite will offensichtlich keine Verhandlungen. Bereits die ersten Gespräche Ende März 2022 waren vom Westen hintertrieben worden, damals noch mit Unterstützung der USA. Die Fäden sowohl beim diplomatischen Sperrfeuer als auch bei aufsehenerregenden Militäraktionen scheinen in London zusammenzulaufen.
Es gibt offensichtlich ein Interesse, den Krieg fortzusetzen, einschließlich der damit verbundenen Risiken seiner Ausweitung, möglicherweise sogar zu einem Flächenbrand. Dessen sind sich zwar alle Seiten bewußt, doch die geschichtlichen Erkenntnisse, die aus dem Ausbruch des Ersten und des Zweiten Weltkrieges gewonnen werden konnten, scheinen in den Köpfen einiger Regierender zu verblassen. Die ökonomischen Interessen scheinen zumindest in manchen Kreisen Friedens‑, Entspannungs- und Sicherheitsbemühungen zu überwiegen. Den Preis dafür zahlen auf beiden Seiten immer alle.
Das vatikanische Presseamt scheint, soweit rekonstruierbar, eine Stellungnahme über das Telefongespräch vorbereitet zu haben, die im letzten Moment zurückgezogen wurde, ohne die technischen Spuren ganz zu verwischen. Zur Diplomatie gehört vor allem auch zu schweigen. Eine Sekundärtugend, die in einer geschwätzigen Welt von Narzißten und Selbstdarstellern zunehmend Seltenheitswert zu haben scheint. Im Vatikan weiß man sie hingegen noch zu pflegen.
Man begnügte sich etwas später eine indirekte Meldung über Vatican News zu veröffentlichen, in der das Telefongespräch bestätigt wurde. Darin heißt es knapp:
„Heute nachmittag fand ein Telefongespräch zwischen Papst Leo XIV. und Präsident Putin statt. Während des Telefonats wurde neben Themen von gegenseitigem Interesse auch der Situation in der Ukraine und dem Frieden besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Der Papst forderte Rußland auf, eine Geste zugunsten des Friedens zu machen, und unterstrich die Bedeutung des Dialogs, um positive Kontakte zwischen den Parteien herzustellen und Lösungen für den Konflikt zu finden. Weitere Themen waren die humanitäre Lage, die Notwendigkeit, Hilfe dort zu leisten, wo sie benötigt wird, die anhaltenden Bemühungen um einen Gefangenenaustausch und der Wert der Arbeit, die der Papst für das ukrainische Volk leistet.“
Papst Franziskus hatte sich als Vermittler versucht und war dafür von ukrainischer und westlicher Seite kritisiert worden. Unvergessen ist der unfreundliche Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij am 13. Mai 2023 im Militärgrün und mit bewaffneter Begleitung im Vatikan, um sich am selben Abend im italienischen Fernsehen herablassend über die Friedensbemühungen des Papstes zu äußern. Im Vatikan wurde auch nicht vergessen, wie die in der Sache tonangebenden westlichen Staatskanzleien die päpstlichen Initiativen ignorierten und seinen Ukraine-Beauftragten behandelten.
Franziskus, der im westlichen Mainstream viel und wohlwollenden Raum bekam, wurde für seine Ukraine-Bemühungen von denselben Medien auffällig geschnitten.
Es wird sich zeigen, ob Leo XIV. mehr erreichen kann. Er deponierte schon, den Vatikan als neutralen Boden für eventuelle Gespräche zur Verfügung stellen zu wollen, nachdem in der Vergangenheit neutrale Staaten wie Österreich und die Schweiz das hohe Gut der Neutralität ohne Volksmandat, zumindest im laufenden Konflikt, verspielt haben, um sich in die Reihen der Westfront zu stellen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)
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