
Von Eck*
„Et quoniam Sanctitas tua spiritus Dei erudita, qui, vt inquit Augustinus, loquitur in cordibus nullo verborum strepitu, probe noverat principium horum malorum inde fuisse, quod nonnulli Pontifices tui praedecessores prurientes auribus, vt inquit apostolus Paulus, coacervaverunt sibi magistros ad desideria sua non vt ab eis discerent, quod facere deberent, sed vt eorum studio et calliditate inveniretur ratio, qua liceret id quod liberer, inde effectum est, praeter qua qua quod principatum omnem sequitur adulatio, vt umbra corpus, dificilimusque semper fuit aditus veritatis ad aures Principum, quod confestim prodirent Doctores, qui docerent Pontificem esse dominum beneficiorum omnium, ac ideo cum dominus jure vendat id quod suum est nessario sequi, in Pontificem non posse cadere Simoniam: Ita que voluntas Pontificis qualiscumque ea fuerit, sit regula qua ejus operationes ac actiones dirigatur, ex quo procul dubio effici, vtquicquid liberat, id etiam liceat. Ex hoc fonte, Sancte Pater, tamquam ex equo Trojano irrupere in Eclesiam Dei tot abusus et tam gravissimi morbi, quibus nunc conspicimus eam ad desperationem fere salutis laborasse, vel manasse harum rerum famam ad infideles…“.
Consilium delectorum Cardinalium et aliorum Praelatorum: De emenda Ecclesia S.D.N.D. Paulo III Ipso jubente conscriptum et exhibitum, Imp. apud Antonium Bladum, Roma, 1538, pg. 1–2.
Es war ein völliger Fehlschlag. Trotz der Bitten aus der gesamten Christenheit um eine Reform der Kirche in capite et in membris, die auf Rom niederprasselten, bis es völlig durchnäßt war, wehrten sich die Päpste wie Katzen an der Leine und schleuderten auf das Thema Blitze mit den Blicken. Der Albtraum des Konziliarismus des vorigen Jahrhunderts war noch nicht hinreichend überwunden, und die Schrecken des Abendländischen Schismas waren noch zu frisch im Gedächtnis, als daß die Päpste bereit gewesen wären, ein weiteres Ökumenisches Konzil einzuberufen.
Als Papst Julius II., der Mann mit dem Schwert, im Jahre 1512 das 18. Ökumenische Konzil einberief, tat er dies im Schleichgang – in seinem eigenen Lateranpalast und unter seiner weltlichen Oberhoheit, einschließlich Gefängnis –, damit die Versammlung nicht wie bei früheren Gelegenheiten aus dem Ruder lief. Und wir sagen „widerwillig“, denn so hatte er es bei seiner Thronbesteigung geschworen, und es dauerte lange, bis er diesen Schwur einlöste und dem Gegenkonzil von Pisa entgegentrat, das die Franzosen gegen ihn ins Leben riefen – als Reaktion auf seinen päpstlichen Eifer, Italien von den gallischen „Barbaren“ zu befreien – ein frommes Motiv, wenn es je eines gab…
Papst Julius II. spielte dasselbe Spiel wie schon sein Vorgänger Eugen IV. mit dem Konzil von Ferrara (oder Basel-Ferrara-Florenz, für gefräßige Bücherwürmer). Nachdem das feindliche Treffen annulliert worden war, war dessen Fortsetzung vor allem ein Ärgernis – und eine Gefahr. Der Nachfolger von Julius II., Leo X., verfaßte ein paar Verurteilungen hier, ein paar Meditationen dort, und begann, das Pontifikat zu genießen, das Gott ihm gegeben hatte.
Aber er hatte nur wenig Zeit, die päpstlichen Freuden auszukosten, denn das Konzil wurde geschlossen und einige Monate später begann der lutherische Aufstand in Deutschland. Da halb Europa in Flammen stand, halb Deutschland und ganz Skandinavien verloren waren, der calvinistische Krebs im Herzen Europas in der Schweiz, in Österreich und Ungarn wütete, England mit Heinrich VIII. ein christliches Kalifat anstrebte, Frankreich sich im Bürgerkrieg befand und Spanien eine eigene Kirchenreform anstrebte, hatte Rom keine andere Wahl, als die Angelegenheit ein für alle Mal zu regeln. So beschloß Papst Paul III. mit napoleonischem Urteilsvermögen, 1536 eine Kommission einzusetzen, die er Consilium de emendanda Ecclesia nannte. Wie Sie sehen, sind unsere Progressiven bei Namen und Themen traditioneller, als sie denken…
Dieser Paul III. ist ein paradoxer Papst. Obwohl durch und durch nepotistisch, unmoralisch in seinem Privatleben (mit mehreren schönen Sünden, um die Formulierung von Isabella der Katholischen zu gebrauchen), weltlich bis zum Maximum, Liebhaber von Prunk und Luxus, beginnt er die wahre Reform der Kirche. Entgegen dem weisen Spruch des großen Korsen, daß Kommissionen geschaffen werden, um eine Sache für immer zu verzögern, schloß die de emendanda Ecclesia ihren Bericht 1537 ab. Das war ihren Mitgliedern zu verdanken, den Kardinälen Contarini, Pole, Caraffa und Sadoleto, die den Protestanten mutig entgegentraten, sowie den Bischöfen Giberti, Aleandro und Fregoso, die tugendhaft, ehrlich und eifrig für die cura animarum eintraten und die Reform in ihren Diözesen vorantrieben, und schließlich den Ordensleuten Cortese und Badia, großen Intellektuellen. Sie alle waren kultiviert, erfahren und Verfechter einer umfassenden Reform der Kirche, die sie aus dem Morast, in dem sie sich befand, herausführen sollte. Diesmal würden ihre Vorschläge nicht auf taube Ohren stoßen, wie der Libellus ad Leonem X der beiden Venezianer Giustiniani und Querini, der so vorausschauend war, sowie die Schriften anderer verdienstvoller Erneuerer wie des großen Cisneros in Spanien. Die Gelehrsamkeit ihrer Autoren, die Freimütigkeit ihrer Anklagen, die in starkem Kontrast zu unserer so synodalen und parrhesiastischen Zeit steht, die Wahrheit ihrer Aussagen und die unbeirrbare Hartnäckigkeit Pauls III. ein wirkliches Konzil einzuberufen – denn er berief eines in Mantua im Jahr 1536, ein weiteres in Vicenza im Jahr 1538, bis ihm im dritten Anlauf der Erfolg beschieden war und er das endgültige Konzil zu Trient im Jahr 1545 einberief –, brachten einen wesentlichen Teil der verheißenen Reform zur Ausführung.
Wenn auch nicht vollständig, denn es gibt immer wieder unerledigte Aufgaben, die nicht gelöst werden, weil sie angesichts ernsthafter und dringender Probleme unbemerkt bleiben, oder weil es aus Nützlichkeitsgründen als zu gefährlich angesehen wird, sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zu behandeln, oder weil die betroffenen Ämter und Personen wenig (oder zu viel, je nachdem, wie man es betrachtet) Interesse zeigen, und sie sich eher verschlimmern, bis sie explodieren.
Die trojanische Matrjoschka
Eines dieser schwerwiegenden Probleme ist die Inflation des römischen Pontifikats, wie es im Eingangszitat dargestellt ist. Hier die deutsche Übersetzung:
Und dieweil Eure Heiligkeit durch den Geist Gottes unterwiesen ist – jenen Geist, der, wie der heilige Augustinus sagt, in den Herzen spricht ohne allen Schall der Worte –, habt Ihr mit Recht erkannt, daß der Anfang solcher Übel daher gerührt, daß etliche Eurer Vorgänger im Papsttum, wie der Apostel Paulus sagt, „von Jucken in den Ohren befallen“, sich Lehrer nach eigenen Begierden versammelten.
Nicht etwa, um von ihnen zu lernen – wie es doch ihre Pflicht gewesen wäre –, sondern damit durch deren Eifer und Gewandtheit ein Weg gefunden würde, wie man das, was man begehrte, auch für erlaubt halten könne. Daher ist – zusätzlich zu dem Umstand, daß jedem Fürstentum notwendig die Schmeichelei folgt wie der Schatten dem Leib – der Zugang zur Wahrheit nur sehr schwerlich zu den Ohren der Fürsten durchgedrungen. Denn alsbald traten Lehrer auf, die lehrten, der Papst sei Herr aller Pfründen; und weil ein Herr mit Fug verkaufen dürfe, was sein eigen ist, so könne auch der Papst in keine Simonie fallen.
Also ward zuletzt der Wille des Papstes – wie immer er beschaffen wäre – zur Regel gemacht, darnach all sein Thun und Wirken gerichtet würde. Und hiervon folgt ohn allen Zweifel, daß was der Papst aus freiem Willen thut, das sey auch erlaubt.
Aus dieser Quelle, Heiliger Vater, sind wie aus einem trojanischen Pferde, so viele Mißbräuche und so schwere Krankheiten in die Kirche Gottes eingefallen, daß wir nunmehro sehen, wie sie unter solcher Last fast zur Verzweiflung an ihrer eigenen Seligkeit gekommen ist – ja, der Ruf davon ist gar bis zu den Ungläubigen gedrungen…Gutachten der auserwählten Kardinäle und anderer Prälaten über die Reform der Kirche, auf Befehl unseres Heiligsten Herrn Papst Pauls III. verfaßt und vorgelegt. Gedruckt bei Antonio Blado, Rom 1538, S. 1–2.
Eine schöne Beschreibung des Ultramontanismus… aber schweifen wir nicht ab. Auf den ersten Blick könnte man meinen, daß das Problem für diese Kommission in der patrimonialen Haltung der Päpste gegenüber der Kirche liegt, die als ein Landgut oder ein Goldesel gesehen wird, die es auszubeuten gilt, wobei die Päpste Ämter, Ladungen, Posten und Pöstchen verkaufen, um ihre immer leeren Kassen zu füllen und ihren immer hungrigen Hofstaat zu ernähren, ein Problem, das von der Zeit des Judas bis in die Neuzeit reicht. Kurz gesagt, das Krebsgeschwür der Simonie. Aber wenn der geduldige Leser den Text betrachtet, ist die Quelle des Übels nicht diese Sünde, sondern ihre offensichtlichste Folge. Geschickt und listig haben die Kommissionsmitglieder nach dem üblichen Lob für den amtierenden Pontifex (was ja glücklicherweise ganz aus der Mode gekommen ist!) ihre Vorgänger mit Paulus- und Augustinus-Zitaten aufgemotzt und unter dem Deckmantel des Angriffs auf die Simonie die wahre Quelle des Übels aufgedeckt:
- Die Lehre: „(…) daß etliche Eurer Vorgänger im Papsttum, wie der Apostel Paulus sagt, „von Jucken in den Ohren befallen“, sich Lehrer nach eigenen Begierden versammelten“. Der utilitaristische Gebrauch des Wissens im Dienste des Willens, anstatt Wissen und Wille im Dienste der Wahrheit und des Guten.
Was war das Ziel dieser Gelehrten? Die absolute päpstliche Macht zu rechtfertigen, von der sie sich ernährten: „Also ward zuletzt der Wille des Papstes – wie immer er beschaffen wäre – zur Regel gemacht, darnach all sein Thun und Wirken gerichtet würde. Und hiervon folgt ohne allen Zweifel, daß was der Papst aus freiem Willen thut, das sey auch erlaubt“.
- Es gibt ein winziges Detail im Text, das uns nicht entgehen sollte, auch wenn die Verfasser es vorausgesetzt haben, ohne sich dessen bewußt zu sein, und das, wenn man darauf achtet, ein wenig quietscht. Es ist dies: Die Schmeichelei folgt jedem Fürstentum, wie der Schatten dem Körper, und es war immer sehr schwierig, die Wahrheit an die Ohren der Fürsten zu bringen Eine ziemlich profane Sprache, ziemlich politisch, im schlechten Sinne des Wortes, oder? Und genau hier liegt das trojanische Pferd in der Kirche: die Vorstellung von Kirche und Papsttum als weltliche Mächte, d. h. als moderne Staatsmänner. So sind wir vom „Sklaven“ zum „Herrn“ geworden, vom servus servorum Dei zum souveränen Papst.
- Man wird mir entgegnen, daß die Kirche – als sichtbare Wirklichkeit – einer politischen Ordnung bedarf, verstanden im aristotelischen Sinne. Das heißt, es müsse von Gewalten, Zuständigkeiten, Anordnungen, von Gerichten, Gesetzen und all den Dingen gesprochen werden, die uns seit jenem Tag plagen, da Kain die verhängnisvolle Idee hatte, die Polis zu erfinden. Daran ist nichts auszusetzen, solange man die Kirche als eine lebendige und soziale Wirklichkeit eigener Art begreift und dabei ihre eigentlichen Ziele und Fundamente klar im Blick behält. Geschieht dies jedoch nicht, so wird sie das Schicksal irdischer Regime teilen: ein unaufhörliches Streben nach immer größerer Macht in den Händen ihrer Träger – und zugleich das Verlöschen ihres wahren Lebens. Wie Christus selbst, und wie der Mensch, so muß auch die Kirche, um zu dem zu werden, was sie sein soll, einen Weg der Kenosis gehen: sich selbst zur Dienerin der Menschen machen, um sie zu retten. Andernfalls geschieht, was die beauftragten Kommissionsmitglieder beklagen: daß die Kirche bis zur Verzweiflung an ihrer eigenen Rettung leidet – oder daß der Ruf all dessen, was in ihr geschieht, selbst zu den Ungläubigen dringt…
Auf dem Weg nach Trient und darüber hinaus
Ironischerweise war eines der Mitglieder, Kardinal Caraffa, der spätere Papst Paul IV., ein eifriger, aber auch sehr despotischer Pontifex. Die protestantische Gefahr, welche die sichtbare Kirche leugnete, und zugleich der Nutzen eines zentralen Organismus, der rascher und wirksamer lokale Brände zu löschen vermochte, stärkten die Rolle des Papsttums – eines Amtes, das bereits seit der Gregorianischen Reform in einem Maße überhöht war, daß es seinem eigenen Wohl kaum zuträglich war – im Konzil von Trient noch weiter.
Der Zusammenbruch der katholischen Monarchien, das Ausbluten der kirchlichen Eigenständigkeiten durch den königlichen Absolutismus des 16.–18. Jahrhunderts sowie das Aufkommen universaler revolutionärer Kräfte führten dazu, daß die ganze Kirche im 19. wie im 20. Jahrhundert im Papsttum ihre letzte Rettung erblickte. Kaum jemand dachte daran, daß der Absturz eines Papstes – für viele beinahe ein Sakrileg – Katastrophen nach sich ziehen würde, wie wir sie heute erleben.
Die Kirche wurde im Papst gleichsam hypostasiert, und man wandte auf ihn als Person die Verheißung Christi an, die Tore der Unterwelt würden sie nicht überwältigen – und vergaß dabei, daß eben dieser Christus den hl. Petrus „Satan“ nannte, weil er dachte und urteilte wie ein Mensch, nicht wie Gott. Wird das Papsttum – und mit ihm die Kirche – als eine Wirklichkeit des Machtanspruchs verstanden und nicht als eine des Dienstes, so denkt man nicht göttlich, sondern allzu menschlich.
Dieses trojanische Pferd und die Übel, die es mit sich bringt, wurden bereits von der Kommission De emendanda Ecclesia klar erkannt. Wir sollten besser umdenken und dem Papsttum die Funktion zurückgeben, die ihm von Christus zugewiesen wurde: Diener der Diener Gottes und Mitarbeiter der Wahrheit zu sein, derjenige, der der Kirche in Nächstenliebe vorsteht.
*Eck publiziert auf dem Blog von Caminante Wanderer.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Caminante Wanderer