War Joseph Ratzinger/​Benedikt XVI. synodal und antimodernistisch?

Destillationsübungen von Kardinal Kurt Koch


In Mailand wurde an der Katholischen Universität der dreizehnte Band der Gesammelten Werke von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. vorgestellt – mit einem Mainstream-Geschmäckle.
In Mailand wurde an der Katholischen Universität der dreizehnte Band der Gesammelten Werke von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. vorgestellt – mit einem Mainstream-Geschmäckle.

Am Mitt­woch, dem 28. Mai, fand an der Katho­li­schen Uni­ver­si­tät vom Hei­li­gen Her­zen in Mai­land, der soge­nann­ten „Cat­to­li­ca“, die Vor­stel­lung des ins Ita­lie­ni­sche über­setz­ten drei­zehn­ten Ban­des der Gesam­mel­ten Wer­ke von Joseph Ratzinger/​Benedikt XVI. statt. Vor allem die Aus­füh­run­gen von Kar­di­nal Kurt Koch sorg­ten für eini­ges Staunen.

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Die Prä­sen­ta­ti­on stand unter der Über­schrift „Im Dia­log mit der eige­nen Zeit“. Der vor­ge­stell­te Band ver­sam­melt Inter­views mit dem Theo­lo­gen, Bischof und Papst. Sie erfolg­te durch den Lei­ter des Vati­kan­ver­lags Libre­ria Editri­ce Vati­ca­na (LEV) Loren­zo Fazzini und den Prie­ster Pier­lui­gi Ban­na, Pro­fes­sor für Patri­stik an der genann­ten Uni­ver­si­tät. Refe­ra­te hiel­ten Kar­di­nal Kurt Koch, Prä­fekt des Dik­aste­ri­ums zur För­de­rung der Ein­heit der Chri­sten, und Andrea Tor­ni­el­li, der Haupt­chef­re­dak­teur der vati­ka­ni­schen Medi­en im Kom­mu­ni­ka­ti­ons­dik­aste­ri­um.

Der Schwei­zer Pur­pur­trä­ger ist der ein­zi­ge Dik­aste­ri­en­lei­ter, der unter Bene­dikt XVI. an die Römi­sche Kurie beru­fen wur­de, das Pon­ti­fi­kat von Fran­zis­kus über­dau­ert hat und noch immer im Amt ist. Andrea Tor­ni­el­li ent­stammt der Gemein­schaft Comu­nio­ne e Libe­ra­zio­ne (CL) und war vor sei­ner offi­zi­el­len Bestel­lung bereits der unein­ge­schränk­te Haus- und Hof­va­ti­ka­nist von Franziskus.

Woll­te man in Scha­blo­nen spre­chen, könn­te man sagen, es war eine Ver­an­stal­tung für ein kon­ser­va­ti­ves Publi­kum mit einer pro­gres­si­ven Stoß­rich­tung. Oder soll­te der Ver­such unter­nom­men wer­den, das Unver­ein­ba­re zu ver­ein­ba­ren? Ein biß­chen Ratz­in­ger in sal­sa berg­o­glia­na?

Kar­di­nal Koch tauch­te die Prä­sen­ta­ti­on in zwei Schwer­punk­te, laut denen Joseph Ratzinger/​Benedikt XVI. bereits ein Ver­tre­ter der berg­o­glia­ni­schen Syn­oda­li­tät ante lit­teram gewe­sen sei und auf Distanz zum Anti­mo­der­nis­mus war. Bei­des mag sich als Destil­lat bei aus­rei­chend Destil­la­ti­ons­vor­gän­gen von Ratz­in­gers Werk und Per­sön­lich­keit auch gewin­nen las­sen, mit Beto­nung auf „auch“. Die Sinn­haf­tig­keit sol­cher Bemü­hun­gen erschließt sich aller­dings weni­ger. Noch unsi­che­rer ist, ob damit dem deut­schen Theo­lo­gen und Papst tat­säch­lich ent­spro­chen und ihm Genü­ge getan wird.

Viel­mehr ent­stand am ver­gan­ge­nen Mitt­woch der Ein­druck, man wol­le Ratz­in­gers Kan­ten abschlei­fen und ihn in den gera­de (noch?) herr­schen­den ekkle­sia­len Main­stream pres­sen. Kar­di­nal Koch, der Chef­ö­ku­me­ni­ker von nun bereits drei Päp­sten, weiß natür­lich, daß sich in Ratz­in­gers Werk der Begriff „Syn­oda­li­tät“ nicht fin­det. Auch die Anti­mo­der­nis­mus-Fra­ge ist, wenn nicht kom­plex, dann zumin­dest kom­pli­zier­ter als dargelegt.

Die deut­sche Her­kunft und Prä­gung Ratz­in­gers ist unver­kenn­bar und spie­gel­te sich in sei­ner Posi­tio­nie­rung beim Zwei­ten Vati­ca­num wider. Sie mach­te ihn auch in einer ande­ren Fra­ge befan­gen, auf die gleich ein­ge­gan­gen wird. Er hat­te aber die Gei­stes­grö­ße und wohl auch Gna­de, Fehl­ent­wick­lun­gen zu erken­nen und nach Aus­we­gen zu suchen. Dar­in lie­ße er sich mit Papst Hadri­an VI. ver­glei­chen.* Wer konn­te bes­ser das revo­lu­tio­nä­re deut­sche Gären ken­nen, ana­ly­sie­ren und ihm wider­ste­hen als ein Deut­scher, damals wie heu­te? Die Geschich­te lehrt uns, daß die­se Fähig­keit auf sei­nem intel­lek­tu­el­len Niveau und sei­ner hohen Posi­ti­on in der nach­kon­zi­lia­ren kirch­li­chen Hier­ar­chie dünn gesät ist. Dabei fehl­te es ihm in ent­schei­den­den Momen­ten aller­dings an Mut und Ent­schlos­sen­heit. Er blieb ein Gefan­ge­ner sei­nes sanf­ten Wesens, das flie­ßen­de, qua­si unmerk­li­che Kor­rek­tu­ren bevor­zug­te. So ver­ab­schie­de­te er sich aus sei­nem Pon­ti­fi­kat bedau­er­li­cher­wei­se in sei­ner letz­ten Anspra­che mit einer selt­sam emo­tio­na­len, da per­sön­li­chen, nost­al­gi­schen Erin­ne­rung an das Kon­zil. Als gei­sti­ges Ver­mächt­nis, er sprach ein letz­tes Mal zu den Prie­stern sei­ner Diö­ze­se Rom, taug­te die­se Pas­sa­ge schon damals nicht und heu­te noch weni­ger. Die­se Anspra­che war das, was man viel­leicht als ver­ta­ne Chan­ce bezeich­nen könn­te. Sie zeig­te, daß auch Bene­dikts Fähig­keit zur Selbst­kri­tik, bezo­gen auf das Kon­zil, nicht die Per­son, Gren­zen gesetzt waren.

Doch so wie er im Herbst 2012 es nicht wag­te, zum Abschluß der ersten inter­na­tio­na­len Wall­fahrt der Tra­di­ti­on ad Petri Sedem im Peters­dom das erste Pon­ti­fi­kal­amt im über­lie­fer­ten Ritus seit fast 50 Jah­ren zu zele­brie­ren, oder zumin­dest bei die­sem anwe­send zu sein, so wag­te er es auch nicht, das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil, oder zumin­dest Tei­le davon, auf den Prüf­stand zu stel­len, nicht wäh­rend sei­nes Pon­ti­fi­kats und lei­der, wie auf­ge­zeigt, auch nicht als Ver­mächt­nis in sei­ner letz­ten Rede.

Kar­di­nal Kochs Prä­sen­ta­ti­on von Ratz­in­ger als Prä-Syn­oda­list und Anti-Anti­mo­der­nist hat­te aber doch ein Main­stream-Geschmäck­le. Die Kir­che brin­gen sol­che Ver­ein­nah­mun­gen nicht wei­ter. Ande­rer­seits ist auch Koch, wie der von ihm prä­sen­tier­te Ratz­in­ger, ein Kind sei­ner Zeit und mit die­ser „im Dia­log“. Koch wird als jener Kir­chen­mann in die Geschich­te ein­ge­hen, der nach fast 2000 Jah­ren das ahi­sto­ri­sche Ende der Juden­mis­si­on ver­kün­de­te. Auch dazu läßt sich bei aus­rei­chend Destil­la­ti­ons­vor­gän­gen beim bespro­che­nen Ratzinger/​Benedikt XVI. eine Art Anlei­tung fin­den, der in sei­ner Jesus-Tri­lo­gie die Aus­sa­ge des hei­li­gen Bern­hard von Clairvaux zu den Juden ver­kürzt wie­der­gibt, um ihn als Kron­zeu­gen anfüh­ren zu kön­nen mit dem Zweck, einen heils­ge­schicht­li­chen Aspekt in den heu­te im Westen gera­de herr­schen­den phi­lo­se­mi­ti­schen Zeit­geist zu pres­sen – ein wenig so, wie Kar­di­nal Koch nun in Mai­land ver­such­te, Ratz­in­ger in den (nun hof­fent­lich aus­klin­gen­den) berg­o­glia­nisch syn­oda­len Zeit­geist zu pres­sen.

*Ursprüng­lich hieß es fälsch­lich Hadri­an V., ein Ita­lie­ner, der 1276 nur weni­ge Tage regier­te. Rich­tig muß es natür­lich Hadri­an VI. hei­ßen, der aus Utrecht stamm­te und von Anfang 1522 bis zu sei­nem Tod im Sep­tem­ber 1523 regier­te. Das war noch bevor das cal­vi­ni­stisch gewor­de­ne städ­ti­sche Patri­zi­at und der Adel der nörd­li­chen Nie­der­lan­de das Land auf­grund der Refor­ma­ti­on vom Hei­li­gen Römi­schen Reich abspal­te­ten und spä­ter durch Stan­dar­di­sie­rung des ört­li­chen Nie­der­frän­ki­schen auch sprach­lich eige­ne Wege gin­gen. Der Dank für den Kor­rek­tur­hin­weis gilt Wolf­ram Schrems (s. in den Kommentaren).

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati­can­News (Screen­shot)

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