Jüngste Äbtissin von Rom abgesetzt

Führungsstil oder Verkaufsabsichten?


Das Zisterzienserinnenkloster San Giacomo di Veglia
Das Zisterzienserinnenkloster San Giacomo di Veglia

Der Zister­zi­en­ser­or­den ver­öf­fent­lich­te vor weni­gen Tagen eine Pres­se­er­klä­rung zum Zister­zi­en­se­rin­nen­klo­ster der hei­li­gen Ger­va­si­us und Prota­si­us von San Gia­co­mo di Veglia in Ita­li­en. Das Klo­ster steht seit eini­gen Wochen im Fokus von Schlag­zei­len. Im Mit­tel­punkt steht Abtis­sin Ali­ne Perei­ra Ghammachi, die jüng­ste Äbtis­sin Ita­li­ens, und die Ent­sen­dung eines Apo­sto­li­schen Kom­mis­sars durch Rom.

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Das Klo­ster befin­det sich in Vene­ti­en. San Gia­co­mo di Veglia ist heu­te ein Orts­teil der Stadt und gleich­na­mi­gen Diö­ze­se Vitto­rio Vene­to in der Pro­vinz Tre­vi­so. Die Abtei war ursprüng­lich 1212 in der Stadt Bel­lu­no gestif­tet wor­den. Unter Napo­le­on wur­de sie wie unzäh­li­ge ande­re Klö­ster auf der Apen­ni­nen­halb­in­sel auf­ge­ho­ben, aber unter öster­rei­chi­scher Herr­schaft 1818 wie­der­errich­tet. Das 19. Jahr­hun­dert blieb jedoch unru­hig. Im Zuge der frei­mau­re­risch domi­nier­ten ita­lie­ni­schen Eini­gung wur­de die Abtei kurz nach 1870 vom neu­en Staat erneut auf­ge­ho­ben. Die Ver­trei­bung der Non­nen konn­te zumin­dest ver­zö­gert wer­den, indem die Auf­he­bung zunächst als Ver­bot umge­setzt wur­de, Postu­lan­tin­nen auf­zu­neh­men. Die Bestim­mung sah vor, daß die Abtei auf­ge­ho­ben und ihr gesam­tes Eigen­tum vom Staat ein­ge­zo­gen wird, sobald weni­ger als sie­ben Schwe­stern im Klo­ster leben. Dies war durch das Auf­nah­me­ver­bot 1909 der Fall und die sechs ver­blie­be­nen, nun mit­tel­lo­sen Ordens­frau­en muß­ten Bel­lu­no ver­las­sen. Sie zogen nach San Gia­co­mo di Veglia, wo sie auf­grund einer testa­men­ta­ri­schen Ver­fü­gung zwei Wirt­schafts­ge­bäu­de eines Ade­li­gen kau­fen und dar­in unter schwie­ri­gen Bedin­gun­gen den neu­en Sitz des Klo­sters errich­ten konn­ten. Den Sta­tus einer Abtei hat­ten sie ver­lo­ren. Die Klo­ster­vor­ste­he­rin wur­de zwar wei­ter­hin Äbtis­sin genannt, aber der Rechts­sta­tus ist der eines Klo­sters. Im Lau­fe der Jah­re konn­te sich die­ses wie­der festi­gen und durch die Her­stel­lung eines geschätz­ten Pro­sec­co aus den Trau­ben der klo­ster­ei­ge­nen Wein­ber­ge auch wirt­schaft­lich auf eine neue, soli­de Grund­la­ge gestellt werden.

2018 fand die Bene­dik­ti­on der damals erst 34jährigen Äbtis­sin Ali­ne Perei­ra Ghammachi statt

Im Früh­jahr 2018 erhielt das Klo­ster mit der damals erst 34 Jah­re alten Bra­si­lia­ne­rin Sr. Ali­ne Perei­ra Ghammachi die jüng­ste Äbtis­sin Ita­li­ens. Sie ent­stammt einer in ihrem Hei­mat­staat Amapá renom­mier­ten Fami­lie, der die größ­te ört­li­che Tages­zei­tung und ande­re Medi­en gehö­ren. Ihre „zwei gro­ßen blau­en Augen und ihr gewin­nen­des Lächeln“ taten das übri­ge, die „jüng­ste Äbtis­sin“ in Ita­li­en ins Ram­pen­licht zu brin­gen. Bereits im Alter von 15 Jah­ren hat­te sie die Ordens­be­ru­fung gespürt, absol­vier­te aber zuvor auf Wunsch der Fami­lie noch ein Wirt­schafts­stu­di­um, ehe sie in ein Zister­zi­en­se­rin­nen­klo­ster in Bra­si­li­en eintrat.

Im sel­ben Jahr 2018, als Sr. Ali­ne als Äbtis­sin die Lei­tung des Klo­sters in Veglia über­nahm, erließ die römi­sche Ordens­kon­gre­ga­ti­on die Instruk­ti­on Cor Orans zur Anwen­dung der Apo­sto­li­schen Kon­sti­tu­ti­on Vul­tum Dei quae­re­re über das weib­li­che kon­tem­pla­ti­ve Leben. Kri­ti­ker spra­chen von einem Gene­ral­an­griff auf kon­tem­pla­ti­ve Klö­ster, und so soll­te es für das Klo­ster in San Gia­co­mo di Veglia auch kommen.

Anfang 2023 ord­ne­te Rom eine Visi­ta­ti­on des Klo­sters an, nach­dem eine ordens­frem­de Per­son einen ersten Brief an Papst Fran­zis­kus geschrie­ben und den Füh­rungs­stil der Äbtis­sin kri­ti­siert hat­te. Das wei­te­re Sze­na­rio folg­te einem bekann­ten berg­o­glia­ni­schen Muster. Die erste Visi­ta­to­rin konn­te kei­ne bean­stan­dens­wer­ten Hand­lun­gen der Äbtis­sin fest­stel­len und erklär­te die Anschul­di­gun­gen für wider­legt. Vier Ordens­frau­en wur­den dar­auf in ein ande­res Klo­ster ver­setzt. Damit schie­nen die Unstim­mig­kei­ten besei­tigt. Mut­ter Ali­ne sag­te spä­ter: „Das Klo­ster hat­te gro­ße Schul­den. Wir muß­ten uns daher nach der Decke strecken und neue Wege gehen, um den Fort­be­stand zu sichern, was von uns allen eini­gen Ein­satz erforderte“.

Doch die Visi­ta­tio­nen nah­men kein Ende. Ins­ge­samt fan­den seit Anfang 2023 deren zehn statt. War­um aber? Laut vene­tia­ni­schen Medi­en soll der eigent­li­che Grund des Kon­flikts in der Absicht des Zister­zi­en­ser­or­dens zu suchen sein, das Klo­ster zu ver­kau­fen. Die jun­ge Äbtis­sin konn­te es jedoch inner­halb weni­ger Jah­re wirt­schaft­lich sanie­ren und die Schul­den­last abtragen.

Am ver­gan­ge­nen Kar­frei­tag teil­te der Gene­ral­abt des Zister­zi­en­ser­or­dens dem Kon­vent aber mit, daß das Klo­ster vom römi­schen Ordens­dik­aste­ri­um unter kom­mis­sa­ri­sche Auf­sicht gestellt wur­de. Dann starb zwar Papst Fran­zis­kus, den­noch wur­de ein Psy­cho­lo­ge als Visi­ta­tor geschickt, der ohne wei­te­re Kon­sul­ta­tio­nen eine „Gehirn­wä­sche“ der Schwe­stern durch die Äbtis­sin „dia­gno­sti­zier­te“, wor­auf­hin die­se von Rom abge­setzt wur­de. An ihre Stel­le wur­de eine päpst­li­che Kom­mis­sa­rin gesetzt, die 81jährige Mar­tha Dris­coll, eine US-ame­ri­ka­ni­sche Trap­pi­stin, also eine Zister­zi­en­se­rin der stren­gen Obser­vanz. Sr. Dris­coll war zuvor bereits Äbtis­sin der indo­ne­si­schen Abtei Gedo­no gewe­sen.

Es sei ins­ge­samt mit den römi­schen Emis­sä­ren zu ver­stö­ren­den Gesprä­chen gekom­men, bei denen den Schwe­stern Angst gemacht und sie zur Unter­wer­fung unter die radi­ka­len Ein­grif­fe gedrängt wor­den sei­en. Eini­ge Schwe­stern mach­ten Auf­zeich­nun­gen von den Gesprä­chen, in denen ihnen gesagt wur­de, sie sei­en im Klo­ster, „um zu lei­den“, und die Ein­grif­fe erfolg­ten „im Namen von Papst Franziskus“.

Äbtis­sin Ali­ne Perei­ra Ghammachi wur­de am Kar­frei­tag von Rom abge­setzt. Ihr Füh­rungs­stil sei „zu autoritär“.

Durch die Abset­zung der Äbtis­sin eska­lier­te die Sache, sodaß nach der Ent­fer­nung von Mut­ter Ali­ne aus dem Klo­ster noch im April fünf Non­nen das Klo­ster ver­lie­ßen. Die Lage sei durch den „star­ken psy­cho­lo­gi­schen Druck“ durch die römi­schen Ein­grif­fe „unhalt­bar“ gewor­den. „Sie [das Ordens­dik­aste­ri­um] haben einen Frie­den zer­stört. Wir fühl­ten uns erstickt“, klag­te eine der fünf Non­nen gegen­über der Tages­zei­tung Il Gaz­zet­ti­no. Die Diö­ze­se, die kei­ne Zustän­dig­keit über das Klo­ster hat, gab ledig­lich die römi­schen Ent­schei­dun­gen bekannt, die erheb­li­che Unru­he unter den Gläu­bi­gen der Gegend auslösten. 

Nach den ersten Ein­grif­fen der Kom­mis­sa­rin ver­lie­ßen Anfang Mai wei­te­re sechs Non­nen das Kloster.

Das ver­an­laß­te den Zister­zi­en­ser­or­den zu einer Pres­se­er­klä­rung, obwohl auch er nicht der Ent­schei­dungs­trä­ger in der Sache ist. Der Gene­ral­abt war aller­dings an Visi­ta­tio­nen betei­ligt. In der Erklä­rung wird auf die Instruk­ti­on Cor Orans ver­wie­sen, mit der eine Auf­sichts­pflicht fest­ge­schrie­ben wur­de in Form von „regel­mä­ßi­gen Visi­ta­tio­nen, pasto­ra­len Visi­ta­tio­nen oder ande­ren väter­li­chen Visi­ta­tio­nen“ durch die zustän­di­gen Autoritäten.

Auch die Erklä­rung des Zister­zi­en­ser­or­dens bestä­tigt, daß das Klo­ster San Gia­co­mo di Veglia von dem Ordens­dik­aste­ri­um auf­grund der ihm durch die Apo­sto­li­sche Kon­sti­tu­ti­on Prae­di­ca­te Evan­ge­li­um von Fran­zis­kus aus dem Jahr 2021 über­tra­ge­nen Zustän­dig­kei­ten unter kom­mis­sa­ri­sche Ver­wal­tung gestellt wur­de. „Mit Dekret vom 7. April 2025 ernann­te es eine Non­ne, eine Äbtis­sin mit nach­ge­wie­se­ner Erfah­rung, zur Päpst­li­chen Kom­mis­sa­rin, die von zwei wei­te­ren geweih­ten Frau­en als Rätin­nen unter­stützt wird“, heißt es in der Pres­se­er­klä­rung. Das Kom­mis­sa­ri­at sei jedoch „kei­ne Straf- oder Disziplinarmaßnahme“.

„Das Päpst­li­che Kom­mis­sa­ri­at über­nimmt in jeder Hin­sicht die vol­le Auto­ri­tät für die Lei­tung des Klo­sters in Über­ein­stim­mung mit dem eige­nen Recht und dem all­ge­mei­nen Recht sowie für die wirt­schaft­li­che und admi­ni­stra­ti­ve Ver­wal­tung des Klosters.“

Zu den Ordens­frau­en, die nach der Abset­zung und Ent­fer­nung der Äbtis­sin das Klo­ster ver­las­sen haben, heißt es in der Erklä­rung: „Es scheint, daß eini­ge Non­nen die Rol­le der Wach­sam­keit und Beglei­tung, die die Apo­sto­li­sche Kon­sti­tu­ti­on Præ­di­ca­te Evan­ge­li­um dem Dik­aste­ri­um für die Insti­tu­te des geweih­ten Lebens und die Gesell­schaf­ten des apo­sto­li­schen Lebens zuweist, nicht akzep­tiert haben. Sie haben dar­auf­hin beschlos­sen, das Klo­ster eigen­stän­dig zu verlassen“.

„Die Päpst­li­che Kom­mis­sa­rin übt der­zeit ihr Amt aus, indem sie die im Klo­ster ver­blie­be­nen Non­nen beglei­tet, die sich bereit erklärt haben, mit der Kom­mis­sa­rin zusam­men­zu­ar­bei­ten und die Ent­schei­dun­gen des Hei­li­gen Stuhls zu akzep­tie­ren. Die Kom­mis­sa­rin steht auch den Non­nen, die das Klo­ster ver­las­sen haben, wei­ter­hin unein­ge­schränkt zur Verfügung.“

Über den Rechts­sta­tus der Ordens­frau­en, die das Klo­ster ver­las­sen haben, wird in der Erklä­rung nichts gesagt. Im letz­ten Absatz wird jedoch auf die Anspra­che des neu­ge­wähl­ten Pap­stes Leo XIV. Bezug genom­men, die er am 12. Mai an die Medi­en­ver­tre­ter rich­te­te: „Wir hof­fen auf eine posi­ti­ve Ent­wick­lung der Ange­le­gen­heit im Gei­ste des Dia­logs und einer fried­li­chen und kon­struk­ti­ven Kom­mu­ni­ka­ti­on, wie es Papst Leo XIV. kürz­lich wünschte“.

Der Zister­zi­en­se­rin­nen­kon­vent von San Gia­co­mo di Veglia wur­de durch die Ereig­nis­se hal­biert. Von den 32 Zister­zi­en­se­rin­nen des Jah­res 2023 sind nur mehr 16 im Klo­ster ver­blie­ben (aus Treue zum Orden, sagt Rom; aus Alters­grün­den, die Ver­än­de­run­gen schwie­ri­ger machen, sagt Mut­ter Ali­ne). Die Schwe­stern, die das Klo­ster wegen der kom­mis­sa­ri­schen Ver­wal­tung ver­las­sen haben, hal­ten sich an einem unbe­kann­ten Ort auf und sol­len die Bil­dung eines neu­en Klo­sters über­le­gen. Zusam­men mit Mut­ter Ali­ne wären es zwölf Ordens­frau­en, also genau die Min­dest­zahl mit sym­bo­li­scher wie prak­ti­scher Bedeu­tung, die für die Grün­dung eines Zister­zi­en­ser­klo­sters vor­ge­schrie­ben ist. Ein Wohl­tä­ter erklär­te sich bereit, ihnen einen Wein­hof zu über­las­sen, damit Mut­ter Ali­ne und ihre Mit­schwe­stern ein neu­es Klo­ster grün­den könn­ten.

Ein sol­cher Schritt ist aller­dings nur mit dem Wohl­wol­len oder zumin­dest der Dul­dung der kirch­li­chen Auto­ri­tä­ten mög­lich. Eine Klo­ster­grün­dung ver­langt die Zustim­mung des Orts­bi­schofs und der Ordens­lei­tung. Unter Papst Fran­zis­kus zeig­te sich Rom uner­bitt­lich. Ob sich das nun unter Leo XIV. ändert, wird sich zei­gen. Die ehe­ma­li­ge Äbtis­sin ist hoff­nungs­voll: „Der­zeit kön­nen wir nicht zusam­men­le­ben, aber unser Ziel ist es, wie­der eine Gemein­schaft des Gebets und der Arbeit auf­zu­bau­en, wohin immer Gott uns auch füh­ren mag. Wenn mir Gott einen Ort schen­ken soll­te, wer­de ich in Lie­be und mit der Gna­de Got­tes alle Schwe­stern will­kom­men heißen“.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL/​Youtube (Screen­shots)

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