
Von Pater Serafino Lanzetta*
Was wollen die Herren Kardinäle: einen Nachfolger für Franziskus oder für Petrus? Das ist eine grundsätzliche Frage, die mit Hilfe der Theologie und der Kirchengeschichte beantwortet werden muß, und nicht einfach mit persönlichen Vorstellungen oder Machtansprüchen.
Es ist höchste Zeit, eine Versöhnung innerhalb der Kirche einzuleiten, mit einem klaren Bezug zur gesamten Tradition und nicht nur zu ihrem letzten Teilstück, wie es seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil üblich geworden ist. Das letzte Konzil ist nicht eine Stunde Null der Kirche, in dem alles erst begonnen hat. Es ist ein kirchlicher Moment, ein ökumenisches Konzil, eines von einundzwanzig Konzilien der Kirche, allerdings mit einer lehramtlichen Besonderheit, sodaß es leicht mißverstanden wird. Das Zweite Vatikanische Konzil wird oft so gesehen, als wäre es das Konzil von Trient oder das Erste Vatikanische Konzil, daher das Mißverständnis. Wenn man sich an den Begriff „Konzil“ hält und an die Tatsache, daß ein Konzil eine feierliche oder außerordentliche Manifestation des kirchlichen Lehramtes ist, dann paßt das Zweite Vaticanum perfekt zu den früheren Konzilien. Betrachtet man jedoch seine tatsächliche Ausübung, so weicht es nicht von der Ebene des gewöhnlichen Lehramtes ab (es sei denn, es wiederholt eine frühere Lehre), wie z. B. die einer päpstlichen Enzyklika, um eine Vorstellung zu bekommen. Ein Lehramt also noch in fieri, auf seinem ersten (niedersten) Grad und potentiell offen für neue Erkenntnisse oder notwendige Verbesserungen.
Aus dieser lehramtlichen Atypizität ergibt sich die Versuchung, das Zweite Vaticanum entweder „heilig“ zu sprechen, indem man es aufgrund eines angeblichen Konzilsgeistes (auf den Franziskus so stolz war) als einziges Konzil der Kirche, genau im Jahr Null, anpreist, oder es zu verwerfen, weil es mit dem vorherigen Lehramt gebrochen hat. Es wäre daher eine sorgfältige Sortierung und theologische Unterscheidung vorzunehmen, die von einem Pontifikat erwartet wird, das in der Lage ist, die Gegenwart mit der Ewigkeit des Glaubens, mit seinem „Heute“, zu verbinden. Nicht mit der Vergangenheit als chronologische Zeit, sondern mit dem Heute als kairologische Zeit: eine Zeit, die nicht mit uns, mit Papst Franziskus oder mit einem Konzil, das uns gefällt, beginnt, sondern mit Jesus Christus und den Aposteln, die uns in unserer Zeit erreichen und diese überwinden, um die Türen des Ewigen zu öffnen.
Wir verstehen nicht warum, aber es scheint, daß der Papst seit einiger Zeit ein Resonanzboden für das Zweite Vatikanische Konzil sein muß, und zwar nur das. Vielleicht gilt das für die „nachkonziliaren“ Päpste (mit Ausnahme von Benedikt XVI., dem einzigen, der deshalb vielleicht nie heiliggesprochen werden wird), aber nicht für die „vorkonziliaren“ Päpste (wie man diese Zeit zu etikettieren pflegt). Sollte, um die Einheit der Kirche zu garantieren und zu zeigen, nicht ein klarer Verweis auf das gesamte päpstliche Lehramt vorhanden sein? Warum sollte man sich scheuen, Leo XIII., Pius X., Pius V. oder Leo den Großen als Beispiele anzuführen? Waren sie Päpste einer anderen Kirche? Es ist diese Spaltung, die die Einheit der Kirche zutiefst bedroht. Wenn die Kirche von heute nicht in der Lage ist, in der Kirche aller Zeiten den einen Leib Christi zu erkennen, in einer lehramtlichen Kontinuität zwischen gestern und heute, wird es keinen Ausweg aus der Glaubenskrise geben, die die Kirche unserer Zeit ergriffen hat. Es ist notwendig, diese Kontinuität in der einen Traditio fidei zu manifestieren, und der konkreteste Weg ist der, den der heilige Vinzenz von Lérins im 5. Jahrhundert formuliert hat: „Quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est“: Das, was überall, immer und von allen geglaubt wird. Teil des einen Leibes Christi zu sein, der nicht mit uns beginnt, sondern von Christus durch die Apostel kommt, mit einer Weisheit und Lehre, die zweitausend Jahre alt ist, ist das, was uns heute Sicherheit gibt und uns hilft, die Herausforderung der Polarisierung zwischen Konservativen und Liberalen, zwischen Doktrinären und Pastoralisten zu überwinden, die keine theologische, sondern eine politische Herausforderung ist. Was wirklich auf dem Spiel steht, ist der Glaube oder seine Verneinung, wenn auch unter dem Deckmantel der Zuwendung zu den Armen, den Geringsten und den Migranten.
Man komme nicht und sage, daß die Kirche und der Glaube eine „Coincidentia oppositorum“ oder eine „Complexio oppositorum“ (eine abgeschwächte Form, die aber immer noch dazu tendiert, Gegensätze zu versöhnen) sind, um die Quadratur des Kreises zu schaffen, damit alle zufrieden sind und die Kirche auch dann weitergeht, wenn der Papst schwankend ist und mehr auf das Auf und Ab der Geschichte achtet als auf den Glaubensgehorsam. Der Höchste ist nicht das Niedrigste und umgekehrt. Wer an der Spitze steht, kann nicht ganz unten sein. Hegel glaubte, wie auch Nikolaus Cusanus, an die dialektische Synthese der Gegensätze. Darin wurde er von Luther angestoßen, der Gott und seinen Widerspruch zum Manifest der Demut des Glaubens (des unvollständigen Denkens) gemacht hatte, der vor der Ohnmacht der Vernunft resigniert und sich mit der Ungewißheit der Wahrheit abfindet. Es ist ein Denken, das sogar bis zur Leugnung Gottes geht, denn Er wäre letztlich nicht, was Er ist, wenn Er nicht in sich selbst widersprüchlich wäre. Er wäre nicht barmherzig, wenn wir nicht sündigen. Die Kirche ist eine Symphonie der Wahrheit und der Liebe, nicht eine Kakophonie von disharmonischen und widersprüchlichen Klängen. Es gibt keine Coincidentia oder Complexio zwischen Wahrheit und Irrtum, zwischen Gut und Böse, zwischen Sünde und Gnade. Es gibt nur einen Gegensatz, der im Grunde der zwischen Gott und seinem Feind ist. Man muß sich für eine Seite entscheiden.
Der neue Papst hat sich der Kirche als Nachfolger des Apostels Petrus zu präsentieren und nicht von Franziskus, Johannes XXIII. oder Benedikt XVI. Der Papst ist nicht das Monopol einer Idee des Pontifikats (und der Kirche), sondern hängt von dem ab, was ihm vorausgeht: dem ungebrochenen Glauben der Braut Christi. Die Kirche geht dem Papst in bezug auf den Glauben, den wir bekennen, voraus, weil es schließlich Christus ist, der der Kirche und dem Papst vorausgeht. Christus ist es, der Petrus als Fels des Glaubens begründet und so die Kirche auf den unverrückbaren Fels des Glaubens und die Person Petri gründet. Der Glaube und die Person Petri sind also ihrerseits fest auf Christus gebaut. Nur wenn wir Christus wieder in den Mittelpunkt stellen, wird die Kirche wieder lebendig und stürzt sich in das Meer dieser immer mehr nach Wahrheit und Liebe dürstenden Welt. Ubi Petrus ibi Ecclesia, gewiß, aber auch und immer Ubi Ecclesia ibi Petrus. Petrus muß dort sein, wo die Kirche ist, damit die Kirche dort sein kann, wo Petrus ist. Die Kirche ist größer als Petrus, als jeder einzelne Papst, denn sie hütet das Papsttum, die heiligen Sakramente, die heilige Glaubens- und Sittenlehre und gibt so jedem Nachfolger Petri seine wahre Identität, sofern er Christus gehorcht und dem Geist Gottes gefügig ist.
Es wäre also auch an der Zeit, daß der gewählte Papst sich zum vollständigen Glauben der Kirche bekennt, indem er die Irrtümer verwirft und die Unklarheiten korrigiert, die sich in dieser letzten Zeitspanne verdichtet haben, indem er alles im Lichte einer längeren Zeit betrachtet, in der entweder der Konzils- oder der Antikonzilsgeist unangefochten die Oberhand gewonnen hat. Auch hier gibt es keine Coincidentia. Es geht nicht nur um einen angeblichen moralischen Paradigmenwechsel, wie einige die Öffnung von Amoris laetitia für die Situationsethik genannt haben. Die heftige Opposition gegen Bergoglio hat selbst zu einer Art Paradigmenwechsel geführt, wenn auch in geringem Ausmaß, aber mit Schaden für die Seelen: Sie hat einen neuen verwirrten und vielgestaltigen Sedisvakantismus genährt, der nichts anderes ist als eine Art Hyper-Papismus, in dem der Papst über die Kirche gestellt wird, als Reaktion auf einen übertriebenen Konziliarismus, in dem das Zweite Vaticanum über der Kirche stand. Bringen wir die Dinge in die richtige Reihenfolge: zuerst ist da Christus, dann die Kirche mit dem Papst, der der Kirche gehorsam ist, und dann das Konzil, das im Dienst der Kirche steht und niemals über dem Papst.
Wir müssen den wahren Glauben und die Einheit im Glauben wiederentdecken. Es scheint ein seltenes Gut in unserer Zeit zu sein, zu verlangen, daß der Papst den integralen Glauben bekennt. Manche spotten noch über eine solche Forderung, aber sie ist die einzige Lösung für die wahre kirchliche Einheit. Ohne einen klaren und festen Glauben kann die Kirche nicht existieren. Manche tun so, als sei man nostalgisch oder rückwärtsgewandt, wenn man so etwas fordert. In Wirklichkeit ist es das, was wir alle brauchen: einen Anführer, der den Guten Hirten, Christus, in seiner Person leuchten läßt, mit einem persönlichen Gepäck, das nicht nur aus Ideen besteht, die aus seiner theologischen und menschlichen Ausbildung stammen, sondern das die Wahrheit und die pastorale Liebe Jesu als Angebot an alle Menschen ist, gerettet zu werden; das ist das Gepäck der katholischen Lehre, in einem diachronen Hören auf die gesamte Traditio fidei. Nur so wird sie nicht zu Stein, sondern zum Pastus, zur Nahrung des Lebens, zur Heiligen Eucharistie. Hier ist ein Diskurs, der die Heiligkeit der Liturgie aus der ungebrochenen Lex orandi der Kirche (die natürlich nicht mit dem Missale Pauls VI. beginnt, sondern mit dem, das sich seit den Aposteln und den Vätern mit den großen Heiligen formte) zurückfordert, dringend notwendig. Gott wird nicht mehr gesehen, weil unsere Liturgien schlampig und oft ohne Glauben sind.
Schließlich wäre es wünschenswert, nicht länger auf einem Stil zu beharren, der je nach Papst und Lehre variiert und damit eine weitere Kluft zwischen dem Glauben und dem christlichen Leben provoziert, ein plastischerer Ausdruck der Kluft zwischen der Kirche von heute und der Kirche von immer. Der Stil muß katholisch sein und daher die Glaubens- und Sittenlehre überlagern, auch wenn er in bezug auf den Glauben und seine Verkündigung nebensächlich und vorläufig bleibt. Der Versuch, Kopf und Kragen zu retten, indem man sagt, daß im Grunde „der Stil der Mensch“ ist, der Papst, und daß die Glaubenslehre dem Stil, den pastoralen Prioritäten des Papstes angepaßt werden muß, bedeutet in Wirklichkeit, den Glauben dem Menschen, die Lehre dem Stil unterzuordnen. So ist es leicht, den Glauben in einen „pastoralen Stil“ aufzulösen, der zwar die Lehre verwässert, sich aber als Handlungsprinzip und neues christliches Herrenmenschentum aufstellt, bis hin zu unannehmbaren Übertreibungen, wie zum Beispiel der Rechtfertigung des Glaubens an Gott und des Atheismus, des Glaubens an Jesus Christus und der Anhänglichkeit an andere Religionen als nahezu gleichwertig. Die Synodalitätssynode wollte auch ein Stil sein, eine Art und Weise, wie die Kirche heute ist. Dennoch diskutierte sie die katholische Lehre (das Weihesakrament, den kirchlichen Zölibat, die Homosexualität usw.) in der Absicht, sie zu ändern, wenn auch ohne großen Erfolg. Es ist unvermeidlich, daß sich auf Dauer der Stil als Lehre durchsetzt und der Glaube zum bloßen Stil degradiert wird: Der Glaube von gestern oder von heute, so hört man oft, hänge vom Geschmack ab, vom Stil eben.
Wird der neue Papst hier Abhilfe schaffen wollen?
*Pater Serafino M. Lanzetta übt seinen priesterlichen Dienst in der Diözese Portsmouth (England) aus, 2013 habilitierte er sich in Dogmatik, er ist Dozent für Dogmatik an der Theologischen Fakultät von Lugano und Redaktionsleiter der theologischen Zeitschrift Fides Catholica. Eine aktuelle Liste seiner Veröffentlichungen findet sich auf der Website der Theologischen Fakultät Lugano.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
Ja, so ist es. Der Hyperpapalismus unserer Tage ist dagegen nur ein pseudo- katholischer Aberglaube!